Samstag, 25. November 2017

Er sie es



Vanja hat sich nicht ausgesucht welches Geschlecht er/sie hat.
Er/sie wurde wie etwa 100.000 weitere Menschen in Deutschland weder als Mann noch als Frau geboren.
Nicht in die biblischen Schablonen zu passen bedeutete über Jahrtausende entweder gleich getötet zu werden oder später gequält zu werden. In den letzten 100 Jahren wurden schon Säuglinge rücksichtslos so operiert, daß sie zwangsweise häufig sterilisiert und immer äußerlich in ein (meist falsches) Geschlecht gezwungen werden.
Das ist zutiefst menschlich, denn Menschen sind abartige, grausame und vorurteilsbeladene Wesen, die das töten und quälen, was sie nicht kennen.
Auch ich erfasste erst vor etwa 20 Jahren bei der Lektüre von und über Del Lagrace Volcano welche unfassbare Grausamkeit heimlich, still und leise an tausenden Kindern jährlich begangen wird.

Immerhin erfreulich, daß es im Jahr 2017 kurz nach der „Ehe für fast alle“ (einige bleiben weiterhin ausgeschlossen) nicht mehr erneut Jahrhunderte dauerte, bis Intersexuelle auch rechtlich ein eigenes Geschlecht bekamen.

[….] Bei Frauen ist es XX, bei Männern XY. Vanja hatte nur ein X, mehr nicht. Die Ärztin war geschockt.
Vanjas Reaktion? Verwirrt. Erschreckt. Aber auch einen Schritt näher bei sich selbst. "Irgendetwas in mir hat ja gewusst, dass sich da keine Weiblichkeit entwickelt." Nur: Wer oder was war Vanja nun? Die ärztliche Diagnose klang nach Frau mit Defekt, sie könne eben keine Kinder kriegen: "45,X0, numerisch pathologischer Karyotyp mit Monosomie X/Ullrich-Turner-Syndrom". Das ist nur eine der diversen Varianten medizinisch unklarer Geschlechtszuordnung; mal sind es die Gene, mal fehlende Enzyme oder hormonelle Fehlsteuerungen.
 […..]  Die Mediziner empfahlen, Östrogen zu geben, das weibliche Sexualhormon. Vanja sollte doch noch die Kurve zur Frau kriegen.
Letztlich entsprach das einer rigiden Haltung, die sich im 19. Jahrhundert herausgebildet hatte. Davor, etwa im Preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794, hatten Betroffene bis zum 18. Lebensjahr das Recht, einen Irrtum der Eltern bei der Geschlechtszuordnung zu korrigieren - das Recht also, das eigene Geschlecht zu wählen, wenn auch nur zwischen zwei Möglichkeiten. Hundert Jahre später wurde aus dem Wahlrecht eine behördliche Zuweisung: Einzutragen war das "wahre Geschlecht" - im Zweifelsfall mussten die Mediziner entscheiden.    Aus diesem Zwang zur Eindeutigkeit sollte sich eine mitunter barbarische Praxis entwickeln. […..]

Woher kommt diese extreme menschliche Bösartigkeit gegenüber völlig unschuldigen Artgenossen?
Offensichtlich aus der tiefen Borniertheit des Denkens.
Was der Bauer nicht kennt, isst er nicht.
Es kann nicht sein, was sein darf.
Mensch ist zu denkfaul, um die gewohnten sprachlichen maskulin-feminin-Pfade zu verlassen.

Dabei wußte schon Marcel Reich-Ranicki wie eigenartig deutsche Grammatik ist.

In Deutschland heißt es
die Männlichkeit
der Feminismus und
das Weib.

Und wer hat noch nicht die verblüffte Reaktion eines Italieners erlebt, wenn man ihm erzählt bei uns hieße es der Mond und die Sonne, der Südländer aber „il sole“ als männlich und „la luna“ natürlich als weiblich kennt?

Und was ist mit den verrückten Engländern und Amerikaner ganz ohne geschlechtliche Artikel auskommen. Ihnen genügt „the“, bzw „a“. Was ist denn das für eine Gleichmacherei?
Aber die duzen ja auch jeden. Unverschämtheit.

Ist man deutschsprachig aufgewachsen, wirkt es ausgesprochen absurd statt „er“ und „sie“ nur noch „es“ zu sagen.

Die Gewöhnung ist der Schlüssel. Mensch ist zu träge und tumb, um sich an einen anderen Sprachgebrauch anzupassen.

Insofern bin ich auch nicht sehr optimistisch, daß die frommen Schweden es schaffen die liebe Göttin zukünftig als Intersexuelle(n) anzusehen.
Anders als bei Vanja kam man dem wahren Geschlecht Gottes allerdings nicht durch eine Genanalyse auf die Spur, sondern durch Recherchen der Erzbischöfin Antje Jackelén, der Chefin der Schwedischen Kirche. Es waren offensichtlich mal wieder die verrückten 80er Jahre, als sich Männer schminkten und die Haare hochtoupierten. Da fiel Gott glatt der Penis ab.

 "Die Idee, dass wir eine inklusivere Sprache brauchen, existierte bereits während der Arbeit zum Handbuch 1986. Theologisch wissen wir, dass Gott jenseits unserer Geschlechtsbestimmungen ist. Gott ist kein Mensch."
(Antje Jackelén)

In Deutschland kommen solche Pläne gar nicht gut an.
Vor einigen Jahren hatten die theologische Blitzbirne Margot Käßmann und ausgerechnet die ultrakonservative Familienministerin Kristina Schröder eroiert, ob der deutsche, protestantische Gott ebenfalls eine Transe sein könne.
Das ging ihren Kabinettskolleginnen allerdings gewaltig auf die Eierstöcke.

[…..]  Kristina Schröder brachte einst als Familienministerin das religiöse Weltbild einiger Mitmenschen ins Wanken. Auf die Frage, warum man eigentlich zu "dem lieben Gott" bete und nicht "zu der Gott", sagte sie in der Zeit: "Ganz einfach: Für eins musste man sich entscheiden. Aber der Artikel hat nichts zu sagen. Man könnte auch sagen: das liebe Gott."
Diese Aussage der CDU-Politikerin sorgte rund um Weihnachten 2012 für einigen Wirbel. Christine Haderthauer von der CSU schimpfte, dass sie "dieser verkopfte Quatsch sprachlos" mache. CDU-Kollegin Katharina Reiche beschloss: "Der liebe Gott bleibt der liebe Gott!" Sogar die Bundeskanzlerin wurde aufgefordert, sich zum göttlichen Artikel zu äußern. Ihr Sprecher Steffen Seibert erklärte also: "Wer an Gott glaubt, dem sind die Artikel egal." Der Ausdruck "der liebe Gott" habe in den Herzen vieler Menschen seit Jahrhunderten einen Platz. [……]

Es ist eben, wie immer eine Frage der Gewöhnung.
Wer 2.000 Jahre lang den Gott als „Vater“ ansprach, seine nackten männlichen Körper am Kreuz betrachtete und schließlich auch all die Bilder vom ihm mit wallendem Vollbart kannte, tut sich schwer damit eine grammatikalisch-angleichende Operation vorzunehmen.

Und zu was eigentlich? Ist Gott/Göttin nun ein Hermaphrodit, oder eher so was wie ein Eunuch?
Papst Ratzi schreibt seiner Biografie Jesus von Nazareth, Band eins, Seite 174, "Natürlich ist Gott weder Mann noch Frau“ – und dachte womöglich dazu sondern eine zölibatäre Frauenverachterin mit einem Faible für bunte Kleiderso wie ich.
Endgültig geklärt ist der Sachverhalt leider immer noch nicht, weil Gott sich so selten auf der Erde blicken lässt, seit Fotoapparate erfunden wurde.
Und auf Facebook oder Twitter ist er auch nicht. So lange er uns kein Dickpick schickt, müssen wir also weiterrätseln.

[…..][…..]  In Uppsala entschied das 251-köpfige Entscheidungsgremium der evangelisch-lutherischen Kirche mit großer Mehrheit, künftig darauf hinzuwirken, geschlechtsneutrale Begriffe für Gott zu verwenden. […..] Die Vorsitzende des Gottesdienst-Ausschusses der Kirche, Sofija Pedersen Videke, sagte: "Gott ist viel größer als das Geschlecht. Wir Menschen haben ein Geschlecht, aber Gott ist jenseits davon. Egal, welche Bilder wir verwenden, wir können niemals alles abdecken, was Gott ist." […..] Einig sind sich die Theologen darin, dass Gott keinesfalls ein Neutrum sei. Sich Gott als Sache vorzustellen oder unpersönliches Wesen widerspreche der Lehre und der Auffassung von Gott als Person. Insofern beschwerte sich die Schwedische Kirche auch bei einigen dänischen Zeitungen, die berichteten, dass in Gottesdiensten nun das geschlechtsneutrale Personalpronomen "hen" für Gott eingesetzt werden solle. Das Wort wurde erst 2015 ins Standardwörterbuch der schwedischen Sprache übernommen, als Ergänzung zum männlichen "han" und weiblichen "hon".
[……]