Mittwoch, 28. Januar 2015

Timing-Königinnen


 Nachdem ich mich über Jahre vehement gegen soziale Netze wehrte, bin ich inzwischen zum Facebook-Fan geworden. Auch wenn ich das natürlich nie zugeben würde.
Man ist ja nicht verpflichtet dort seine Zeit mit dem verschicken und „liken“ von süßen Katzenbildchen zu verschwenden.
Man kann gezielt monothematische Gruppen aufsuchen und dort konzentriert jede Menge Informationen finden.
Mein wichtigster Tipp ist dabei die Blockade-Funktion großzügig zu nutzen, so daß man allen nervigen Ansinnen schnell einen Riegel vorschiebt.
Natürlich ist Herr Zuckerberg eine Datenkrake, die durch all die persönlichen Informationen, die wir dort preisgeben, reich wird.
Meines Erachtens ist es extrem naiv zu hoffen, daß die Facebook offerierten Daten geschützt oder geheim bleiben. Natürlich wird alles gespeichert, ausgewertet und versilbert.
Der einzige Ausweg ist, daß man a priori nicht seine intimen Informationen heraus gibt.
Natürlich habe ich dort nie meine Penislänge oder Blutgruppe bekannt gegeben und gehe genauso diskret mit Telefonnummer oder Kaufverhalten um.
Wie alle anderen Facebooknutzer schaffe ich es natürlich nicht mich auf das Wesentliche zu beschränken und gucke mir dauernd irgendetwas an, das keine Aufmerksamkeit verdient.
Das Internet ist und bleibt eine Zeitklaumaschine.
Facebook erlaubt unter anderem sehr schöne Camouflage-Spiele, da Rechte und Religiöse fast immer zu blöd sind, um Satire als solche zu erkennen.
Da ich auch auf Facebook stets meinen Lieblingsbischof Tebartz-van-Elst lobe und den sympathischen Charakter Ratzingers preise, werde ich sofort in allerlei fromme Christengruppen aufgenommen.

BTW, daß Studien, nach denen Linke klar intelligenter als Rechte sind, dem RECHTEN Hamburger Abendblatt nicht gefallen, wundert mich nicht!
Dabei handelt es sich um eine Binsenweisheit. Wer nicht nachdenkt, nicht hinterfragt, unkritisch alles glaubt, ist besser bei den Religiösen und Konservativen aufgehoben, als derjenige, der sein Gehirn benutzt, analysiert, geistig die Perspektive wechselt und nicht auf Vorurteilen beharrt.

Getreu des Mottos „Beten ist die radikalste Form der Einmischung“ handelt die Facebook-Gruppe „Global call to Prayer: Iraq, Syria & Nigeria“* mit 86.777 Teilnehmern.
Der Nahe Osten muß also in kürzester Zeit befriedet sein!

*What is this? We set up this event to attempt to unite Christians around the world in prayer. We have thought about the idea of unity in the body of Christ for a while now, and we know we’re not alone in this. However, it is an incredibly daunting task, given how many differences there are in every aspect of church. […] We live in a very unique time, where everyone is connected like never before. We might only be able to connect to 200 people, but those 200 people connect to thousands of people. We know for a fact that just in this first group we’ve already got every continent covered! Imagine what might happen if Christians around the world joined in prayer, not as individual islands but as one united body! We’re not trying to start a fad here, this is a serious call to prayer. […]

Initiatorin ist die fromme Grundschullehrerin Lois Abel aus London. Nicht dem Britischen, sondern dem kleinen aus Quebec City, südwestlich vom kanadischen Ontario.

Lois, glücklich verheiratet seit 1975, ist fromm, postet Weisheiten wie diese:


Lois ist so ein Grenzfall. Ich mache mich ungern über sie lustig, da sie es vermutlich tatsächlich gut meint und nicht weiß was für einen Unsinn sie von sich gibt.

In ihrem Bestreben den Irak und Syrien und Nigeria zu befrieden, schreibt sie:

Such evil, unknown in our world until now, is breaking out daily in our Iraq and Syria. Please pray for our Lord's constant intervention!

Eine prima Sache.
Zum einen ist es natürlich wichtig, daß der Herr durch das Massengebet an Syrien erinnert wird. Könnte ja sein, daß Er gerade abgelenkt ist, weil Er einem Teebeutler dabei hilft seinen Autoschlüssel wieder zu finden.

Bezüglich Seiner „constant intervention“ muß man allerdings leichte Zweifel anmelden.
So ganz überzeugend war das bisher nicht, wenn man an Sein teilnahmsloses Desinteresse während der Ermordung von sechs Millionen Juden denkt.

Damit wäre ich auch endlich bei der Überschrift dieses Postings:
Ausgerechnet am 70. Jahrestag der AUSCHWITZBEFREIUNG  von

evil, unknown in our world until now!

bezüglich Nigeria zu sprechen, ist ….
Naja, lassen wir das.
Bad Timing.
Die Lehrerin Lois Abel ist offensichtlich nicht sehr vertraut mit der jüngeren Geschichte.
Es ist ja nicht so, daß man vor oder nach Auschwitz nicht Genozide mit Millionen Toten durchgeführt hätte während Gottes „constant intervention“.
Das Datum 27. Januar 1945 ist Mrs. Abel ganz offensichtlich nicht bekannt.

Diese makabre Geschichte könnte man eigentlich abhaken, wenn nicht sofort 86.777 Menschen so einem Aufruf folgen würden.

Bleibt das miese Timing.
Vielleicht ist Kanada zu weit weg von Europa? Vielleicht würde man in Deutschland nicht leichtfertig solche Sätze von sich geben? Wenigstens nicht am groß zelebrierten 70. Jahrestag der Auschwitz-Befreiung?

Au contraire, mon chèr.

Die CDU-Hoffnung und Vize-Bundesvorsitzende Julia Klöckner hat Lois Abel noch locker übertroffen.
Die ehemalige Weinkönigin und ehemalige Religionslehrerin wirkt ob ihres Alters von 42 Jahren in der uralten CDU immer recht frisch. Sie setzt sich aber knallhart gegen Abtreibung und Stammzellenforschung ein, bekämpft das Adoptionsrecht für homosexuelle Paare. Auf dem letzten CDU-Parteitag initiierte sie populistisch ein Burka-Verbot für die geschätzt unter 50 Burka-Trägerinnen in Deutschland.

Zum 70. Jahrestag der Auschwitzbefreiung widmete sich Klöckner in dem Käßmann-Fachblatt „BILD“ den Peginesen.

[…]  Mit zwei Sätzen hat Julia Klöckner, stellvertretende Bundesvorsitzende der CDU, es am Dienstag geschafft, für einige Aufregung zu sorgen. In einem Interview mit der Deutschen Presse-Agentur sagte die Fraktionschefin der Union im rheinland-pfälzischen Landtag wörtlich: „Ich mag natürlich auch keinen, der sich mit einem Hitler-Gruß ablichten lässt und Anführer einer Pegida-Demonstration ist. Dennoch ist das Recht auf freie Meinungsäußerung, auch wenn einem die Inhalte nicht gefallen, grundlegend für unsere freie Gesellschaft.“ […]  Der Generalsekretär der rheinland-pfälzischen SPD, Jens Guth, [hatte]  Klöckner hart  angegangen: „Ein Hitlergruß hat nichts mit freier Meinungsäußerung zu tun. Wer den Hitlergruß des ehemaligen Pegida-Vorsitzenden Lutz Bachmann in eine Argumentationskette für Meinungsfreiheit bringt, handelt verharmlosend und geschichtsvergessen." Die Grünen-Landtagsabgeordnete Pia Schellhammer nannte es „erschütternd“, wenn Klöckner „eine solche Pose verharmlost und sogar noch als Ausdruck von Meinungsfreiheit legitimiert". Grünen-Landeschefin Katharina Binz verlanget eine klare Distanzierung. Klöckner verharmlose den Hitler-Gruß, indem sie mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung argumentiere. "Das klingt nach dem oft gehörten 'Das wird man ja noch sagen dürfen!' und der Argumentation der Pegida-AnhängerInnen", sagte Binz. […]  

Grandioses Timing, Frau Klöckner.
Nebenbei bemerkt; was die CDU-Vize irgendwie als von der Meinungsfreiheit gedeckt ansieht, ist so harmlos nicht: Das Zeigen von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen wird mit bis zu fünf Jahre Gefängnis bestraft.