Mittwoch, 8. September 2021

Zahlenspiele zur Bundestagswahl.

Irgendjemand wird seinen Kopf dafür hinhalten müssen, wenn es so kommen sollte, wie es inzwischen sämtliche Umfrageinstitute prognostizieren:

Am 26.09.2021 werden CDU und CDU einen historischen Absturz erleben, mehr als zehn Prozentpunkte des ohnehin schon schlechten Ergebnisses von 2017 abgeben.  Zum Verständnis: Wenn die CDU von 32,9% (2017) auf beispielsweise 21% herniederkrachte, also um gute zehn Prozentpunkte, wäre das ein Verlust von 36% des vorherigen Ergebnisses.

Schockierende Zahlen für Markus Söder kommen aus Bayern.  Nur noch 29% der Bayern wollen nach einer Erhebung des CSU-Hausinstituts GMS die Söder-Partei wählen.


Damit wird die CSU das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik unter die 5%-Hürde rutschen und nur durch die Sonderregelung über gewonnenen Direktmandate im Bundestag vertreten sein – so wie einst die PDS nach 1990.  Im tiefschwarzen Bayern werden Rote und Grüne zusammen die CSU überholen. Tiefe Trauer und Resignation legt sich über die FJS-Nachfolge-Organisation.

[….] In der CSU gibt es ja praktisch niemanden, der die neuesten Umfragewerte nicht in erster Linie am Kanzlerkandidaten der Union festmacht. "Die Umfragen sagen deutlich: Laschet ist nicht der richtige Kandidat", findet etwa Elisabeth Koch, die Garmisch-Partenkirchener Bürgermeisterin. "Mir blutet mein schwarzes Herz", sagt Koch über die 29 Prozent, ein "fundamentaler Abwärtstrend". Dieser Trend, sagt Uwe Brandl, CSU-Bürgermeister in Abensberg, "war absehbar, schon seit einem halben Jahr".  Aus Brandls Sicht gibt es noch mehr Gründe für den Trend, die nicht unmittelbar mit der CSU zu tun haben. [….] Das Hauptproblem im Wahlkampf sieht aber auch er in der "Schwäche des Spitzenkandidaten", der die CSU mit nach unten ziehe. Für die Bundestagswahl gehe es jetzt vor allem um eines: "Augen zu und durch, es hilft ja nichts." [….]

(SZ, 08.09.2021)

Ich bin sicher, in Zukunft werden noch einige Bachelor-Arbeiten über die sagenhafte Pleiten-, Pech- und Pannenserie des Armin Laschet geschrieben.

Einen der schönsten Analyse-Artikel liefert Sascha Lobo.

Viel Hoffnung auf eine Trendwende bleibt der CDUCSU nicht, weil anders als bei früheren Wahlen, zweieinhalb Wochen vor der Wahl eben doch schon sehr viel entschieden ist. Corona-bedingt werden mutmaßlich mehr als die Hälfte der Wähler per Briefwahl abstimmen und die läuft bereits. Viele haben also schon gewählt; knapp 80% haben ihre Entscheidung bereits getroffen. Das Unions-Kind Armin liegt schon im Brunnen. Wegen der peinlichen Schacherei der CDUCSU gab es keine taugliche Wahlrechtsreform. Der Bundestag könnte auf eine gewaltige Zahl von 800 bis 1000 Abgeordneten aufgebläht werden; daher werden nicht so viele C-Männer auf den Listen enttäuscht werden, wie es eigentlich bei einem Verlust eines Drittels der Stimmen sein müsste.

Ihnen wird aber bald der Machtverlust aufgrund der neuen Stimmenverhältnisse bewußt werden, wenn nämlich viel mehr Grüne und viel mehr Sozis im Plenum sitzen. Sie werden sich fragen, wie es eigentlich dazu kommen konnte, nachdem die SPD vier Jahre lang nur halb so stark wie die CDUCSU war und alles andere als ein CDU-Nachfolger in Merkels Kanzleramt gar nicht gedacht wurde.

Ein kleiner Trost mag es ihnen sein, daß auch die Journalisten so kolossal und kollektiv irrten. Bei allen hatte sich das Narrativ von der ohnehin verlierenden SPD so eingeschliffen, daß sie anderslautende Aussagen einfach auslachten.

 […..] Die SPD, eben noch wie eingemauert bei 14 Prozent, steht nun bei 25 Prozent und wie es aussieht, kann es noch weiter nach oben gehen. Die Frage stellt sich: Warum hat das niemand kommen sehen? Warum haben vor allem die professionellen Beobachter der Politik, die Journalisten, mit ihren Erwartungen so danebengelegen? [….] Vielleicht, weil der Wunsch der Vater des Gedankens war? [….] Es geht gar nicht so sehr um frisierte Lebensläufe oder ein Lachen im falschen Moment. Also nicht um die Schwäche der Kandidaten von CDU und Grünen, die gemeinhin als Hauptgrund für die derzeitige Stärke der SPD genannt wird. Stattdessen könnte es tatsächlich um das Programmatische gehen, auch um Erfahrung und Kompetenz. [….] War diese naheliegende Erklärung vielen Kommentatoren deshalb zu langweilig, weil ihnen Scholz und seine Partei zu langweilig waren? Zu spießig, irgendwie 20. oder gleich 19. Jahrhundert? Im Hype um die für möglich gehaltene erste grüne Kanzlerschaft reichten meist ein paar spöttische Nebenbemerkungen, dann hatte sich das Thema SPD erledigt.  [….]

(Matthias Naß, ZEIT, 08.09.2021)

Natürlich, Jamaika mit einem Bundeskanzler Laschet ist immer noch eine realistische Option, aber es wird den Grünen immer schwerer fallen, ihrer Basis zu erklären, wieso sie ausgerechnet den Mann, der so offensichtlich nicht von den Wählern gewünscht wird, zum Kanzler machen.

Da müßte erst ein anderer Unions-Kai aus der Kiste springen – Röttgen oder Söder – während sich Laschet freiwillig in sein Schwert stürzt. Die CDU müsste den Grünen enorme Zugeständnisse machen und das wäre wiederum problematisch für die FDP.

Daher halte ich Ampel oder RRG für wahrscheinlicher. Es sei denn, die SPD zieht noch so stark an, daß es für RotGrün reicht. Die stramm konservativen Allensbacher messen heute schon 27% für die SPD.   In dem Fall müssten sich CDU und CSU mit ihrer totalen Entmachtung und Demütigung beschäftigen. Ich halte es für wahrscheinlich, daß Laschet als Sündenbock auserkoren wird und sich zu seinem großen Bedauern wie Andrea Nahles ganz aus der Politik verabschieden muss. 

Wer dann der starke Mann der Union wird, ist schwer vorherzusagen.

Sicher, der Kanzlerkandidatenwunschmann ist Markus Söder. Aber warum eigentlich? Er hat durch seine Gegenkandidatur den Laschet-Kanzlerambitionen schwer geschadet, weil sich durch das Begehren des CSU-Chefs alle Unions-Wahlkämpfer anhören müssen, ihre Parteien glaubten noch nicht mal selbst an Laschet.

Zudem ist Söder notorisch illoyal und eitel, schafft es nie, ein Interview zu geben, in dem er nicht gegen die große Unionsschwester stichelt und durchscheinen lässt, für wie viel besser er sich selbst hält.

Der CSU-Chef trug also erheblich zum mutmaßlichen Total-Machtverlust bei.

In CDU und CSU wird man sich außerdem erinnern, daß unter Söders Ägide die CSU nicht nur mit vermutlich um die 29% das schlechteste Bundestagswahlergebnis aller Zeiten holte, sondern auch am 14.10.2018 mit Markus Söder als Ministerpräsident mit 37% das schlechteste CSU-Ergebnis bei einer Landtagswahl holte.

Söder wird chronisch überschätzt und das könnte nach dem 26.09. auch den Unions-Mitgliedern klar werden.


 […..] Woher nimmt Markus Söder nur die Chuzpe, sich als Retter der Nation aufzuspielen, der von imaginierten Mehrheiten landauf, landab herbeigesehnt wird? Und, viel interessanter noch: Warum um alles in der Welt kommt er damit durch?   Weil kaum jemand ein Interesse hat, darauf hinzuweisen, dass der Kaiser nackt ist – und weil die wenigen, die das sehr gern täten, es nicht tun können. Armin Laschet zum Beispiel.  [….]

(Bettina Gaus, 02.09.2021)

Wer aber könnte dann die Unionssuppe auslöffeln?

Merz scheidet aus, weil er zu alt ist und zudem so zuverlässig jede Wahl verliert, daß mit ihm kein Neuanfang möglich ist.

Auch Spahn ist inzwischen politisch viel zu angeschlagen, hat sich viel zu viele Fehler als Gesundheitsminister geleistet.

Aber 2000 könnte sich wiederholen: Die Union in einer so üblen Lage, daß keiner der Granden Parteichef werden will und man daher eine Übergangslösung wie Merkel einsetzt, von der jeder annahm, sie wäre nur kurz als Punchingball in der Konsolidierungsphase da, um bald von dem richtigen CDU-Chef ersetzt zu werden.