Samstag, 6. April 2019

Veranlagungen und Umstände


In der Viktimologie werden unter anderem Opferpersönlichkeitsstrukturen untersucht.
Welche Charaktereigenschaften prädestinieren dazu für Verbrecher „attraktiv“ zu sein?
Der Gedanke fasziniert mich; so wie man genetisch prädisponiert sein kann Suchtkrankheiten zu verfallen oder eine besondere Affinität zu Sekten/Religionen hat, könnte man auch ein überdurchschnittliches Risiko in sich tragen ein Opfer krimineller Machenschaften zu werden.
Das trieb mich schon als Teenager um, als die Mutter eines Bekannten immer mehr zu Scientology driftete. Sie war gänzlich unspektakulär in der Hamburger Innenstadt von Aktivisten mit einem „Dianetik-Flyer“ in der Hand angesprochen worden.
Natürlich fiel das Wort „Scientology“ nicht sofort, aber ich verstand damals nicht wie ein Erwachsener mit so wenig Skepsis auf so eine „Anmache“ auf der Straße reagieren konnte.
Für mich war das ähnlich plump wie diese Hausbesuche der Zeugen Jehovas, die ich immer außerordentlich amüsant fand.
(Liebe Mormonen; Eure Hamburger Zentrale ist doch ganz in der Nähe; ich warte schon lange auf einen Besuch!)
Inzwischen vermute ich, daß mir schlicht und ergreifend diese metaphysische Prädisposition fehlt. Ich bin nicht empfänglich für derartige Anliegen; an mir beißt sich jeder Missionar die Zähne aus.
Vielleicht hat das gar nichts mit Verstand oder Willen zu tun, sondern ist eine zufällige Veranlagung, wie blaue Augen?
Sicherlich gibt es keine monokausale genetische Erklärung. Intelligenz, Bildung und das Umfeld spielen auch eine Rolle bei der Affinität für Übersinnliches und Irrationales.

Ich halte es für gut vorstellbar, daß ein pädophiler Verbrecher, der vor einer Grundschule lauert ein Gespür dafür hat, ob er leichter Kind A oder Kind B missbrauchen kann. Kind A wirkt möglicherweise selbstbewußter oder aufgeweckter, wird sich mit höherer Wahrscheinlichkeit wehren.

Im Zeitalter vor den Mobiltelefonen traf ich mal ein paar Straßen weiter eine Nachbarin, die einen kleinen verirrten Jungen aufgelesen hatte. Der war möglicherweise sechs oder sieben (ich kann Kinder nicht einschätzen). Der Kleine war ganz tapfer, wußte auch seine Adresse, nur nicht mehr wie er dahin kommen sollte. Da ich gerade aus meinem Auto stieg, kamen wir nach kurzer Unterhaltung überein, daß ich den Jungen schnell nach Hause fahre, weil meine Nachbarin zu Fuß da war und es sehr eilig hatte, nachdem sie schon lange von dem Verirrten aufgehalten worden war.
Als sie ihm bedeutete in mein Auto zu steigen, änderte sich seine Haltung total. Er wurde sehr energisch und wirkte irgendwie größer und aufrechter. Nein, zu mir, dem fremden Mann würde er keinesfalls ins Auto steigen; selbst als die Nachbarin anbot mitzufahren.
Der Plan war schnell beerdigt und sie musste ihn zu Fuß nach Hause bringen.
In dem Fall hatte sich der Kleine das Leben durch sein Misstrauen zwar etwas schwerer als nötig gemacht, aber ich bewunderte ihn auch. Offensichtlich war das ein viktimologischer Underperformer, der nicht prädestiniert ist in gefährliche Situationen zu geraten.
Möglicherweise hatten ihm seine Eltern auch eingeschärft sich so verhalten.
Das kannte ich schon aus meiner frühesten Kindheit: Steige nicht zu fremden Männern ins Auto, sei auf der Hut vor Mitschnackern, nimm keine Süßigkeiten an. Ich glaube, ich fürchtete mich damals auch vor so etwas, aber ich geriet glücklicherweise nie in eine Situation, in der ich mich als kleines schwaches Kind tatsächlich gegen einen Erwachsenen hätte behaupten müssen. Ich weiß nicht wie ich reagiert hätte. Ob ich mich laut schreien gewehrt hätte und mit allen Möglichkeiten gekämpft hätte? Ich bezweifele das.
Allerdings war ich so kontemplativ und aufmerksam veranlagt, daß ich womöglich auf die „bösen Mitschnacker“ nicht hilfesuchend und verloren-gegangen gewirkt hätte.

Die Beziehungsstrukturen dürften ebenfalls wesentlich sein. Ich wuchs nicht mit absoluten Autoritäten auf, denen man untern allen Umständen zu gehorchen hätte.
Kleine Kinder, die in katholischen Heimen/Internaten/Kitas/Kindergärten abgeliefert werden und wie beispielsweise mein Vater damit indoktriniert wurden, daß ein allmächtiger Gott alles sieht, alle straft und zur ewigen Höllenqual verurteilt, werden sich vermutlich weniger selbstbewußt benehmen.
Diesen Kindern wird durch Riten, Drohungen, durch ein Weltbild, durch beeindruckende Gebäude eingetrichtert sich unterzuordnen, dem Mann in der schwarzen Soutane zu gehorchen.

"Sexuelle Probleme treiben Menschen in den Priesterberuf"

Deswegen gibt es unter Priestern mehr Pädosextäter als im Durchschnitt der Bevölkerung.
Aber die religiösen Strukturen mit einer absoluten Hierarchie und absoluten Macht machen auch die Messdiener viktimologisch „attraktiv“.
Ein derart eingeschüchtertes und unterwürfiges Kind eignet sich besser als Opfer.