Natürlich redet man hinter verschlossenen Türen etwas anders
als vor der Kamera.
Daher sind auch geleakte private Chatverläufe nicht
unbedingt geeignet, um eine öffentliche Person zu diskreditieren.
Öffentliche Empörung wird oft geprägt von Neid, der sich
gerade gegenüber Politikern sehr leicht ergießt, weil ihre Einkünfte relativ
transparent sind.
Vielfach spielt auch enorme Heuchelei eine Rolle.
Dafür ist das Clinton-Impeachment immer noch das Parade-Beispiel.
Ein wirklich intelligenter, beliebter und außerordentlich erfolgreicher Präsident
wurde wegen eines privaten Seitensprunges impeached. Dabei hatte das keinerlei
Bedeutung für seine Amtsführung, beruhte alles auf Freiwilligkeit und war weit
harmloser als all das was seine Ankläger so trieben – let alone Pussygrabber
#45, den die Republikaner nun verehren und verteidigen.
Mein ganz persönlicher moralischer Kompass kennt durchaus einige Tabus. Tabus, die ich
auch durchsetze, indem ich selbst unter vier Augen das Gegenüber bei Verletzung
Desselben zurechtweise.
Ich dulde keine Witze über Hitler oder den Holocaust,
verbitte mir Floskeln wie „sollte man vergasen“ und mahne xenophobe Ansichten
an.
Sofern Ironie und Sarkasmus im Spiel ist, kann man sich aber
beispielsweise über die gemeinen lüsternen Messdiener echauffieren, die die
armen katholischen Priester verführen, weil das tatsächlich eine gelegentlich
vorgebrachte kirchliche Verteidigungslinie ist.
Schon Marcel Reich-Ranicki mahnte einst scherzhaft die „Einführung
von Ironie-Zeichen, so ähnlich wie Gänsefüßchen“ an, weil Ironie in Deutschland
grundsätzlich nicht verstanden werde.
Er hatte Recht und es war ein hintergründiger Witz, da es
gerade das Wesen der Ironie ist ohne besondere Kennzeichnung erkannt zu werden.
Ein Witz, dessen Pointe man erklären muss, ist kein Witz.
Für öffentliche Ironie, die gerade im Falle Donald Trump aus
purer Hilflosigkeit sehr nahe liegt, fängt man sich in den sozialen Medien
unweigerlich Rügen und Sperrungen ein, weil Algorithmen keine Ironie erkennen.
Auch das liegt in der Natur der Sache.
Wenn man Republikaner kritisiert, indem man Trumps Rassismus
ironisch aufgreift und irgendeinen Skandal auf Obamas Hautfarbe und seine
Geburt in Kenia zurückführt, ist in der Ironie-freien Welt Zuckerbergs die
Kritik an Trump verwerflich.
Annegret Kramp-Karrenbauer beklagte sich nach ihrer hochgradig missglückten Saarländischen Gretel-Rede
lautstark über die Humorlosigkeit der Deutschen, es handele sich „um das
verkrampfteste Volk der Welt“.
Hier irrte AKK natürlich, denn anders als Zuckerbergs
Algorithmus, der keine Ironie erkennt, war sie es selbst, die die Situation
nicht begriff.
Bei solchen Karnevalsveranstaltungen dürfen sich die
Schwachen lautstark über die Mächtigsten lustig machen.
AKK kehrte das um, indem sie als eine der mächtigsten Personen
Deutschlands über die schwächste Minderheit herzog.
Das ist genau das, was ein politisches Tabu sein sollte.
Das ist nämlich Merkmal des Rechtsextremismus, sich aus
einer Position der vermeidlichen Stärke auf Schwache einzuschießen,
Minderheiten zu verunglimpfen.
Es wiederholt sich leider. AKK ist auf dem rechten Auge
blind.
Gleich nach ihrem Amtsantritt als CDU-Chefin rückte sich von
dem Kurs der Bundesregierung ab, erging sich in purem Populismus, als sie
erklärte 2015 dürfe sich nicht wiederholen; dann müssten die Grenzen
geschlossen werden.
Das war ein deutliches Anbiedern an den rechtsextremen Rand,
aber keine seriöse Politik, denn natürlich sind Grenzschließungen nicht
möglich.
Aber AKK auf AfD-Kurs hatte da bereits auch die moralischen
Grenzen einer seriösen Politikerin hinter sich gelassen. Oder sie ist einfach blöd.
So primitiv denkt auch die AfD.
Und leider auch weite Teile der EU-Regierungen. Grenzen dicht und gut ist.
Im Umkehrschluss bedeutet dies:
Angela Merkel hat an allen Migrationsproblemen Schuld, weil sie 2015 die
Grenzen öffnete. So reden Trump, AfD und Werte-Union heute noch.
Dabei ist das natürlich
hanebüchen. Ja, Angela Merkels EU-, Agrar-, Klima- und Export-Politik verschärft die
Fluchtursachen.
Aber sie ließ 2015 nicht nur nicht die Grenzen öffnen, weil nach
Schengen glücklicherweise die Grenzen offen waren.
[….] Wer nicht ganz so bösartig wie die AfD-Nazis
ist oder es gar als „Bahnhofklatscher“ oder „Rotgrünversiffter“ begrüßt
heimatvertriebenen in Deutschland Asyl zu geben, ist Merkel heute dankbar und
schreibt diese Entscheidungen ihrer christlichen Grundüberzeugung zu.
Das ist natürlich schon deswegen
Unsinn, weil sich Merkel in den folgenden drei Jahren mit maximalem antihumanen
Impetus mühte alle Grenzen zu blockieren, den Flüchtlingen das Leben schwer zu
machen, Familien zu trennen, Kinder von ihren Eltern wegzureißen, bestens
Integrierte Migranten abzuschieben und jedes Jahr tausende unschuldige Menschen
im Mittelmeer elend ersaufen zu lassen.
Dennoch sitzt beispielsweise auch
die bedeutende und kompetente CNN-Journalistin Christiane Amanpour der Legende von einer christlich überzeugten Gut-Kanzlerin auf
und befragt zum Ende ihres CDU-Vorsitzes den SZ-Journalisten Stefan Kornelius
dazu.
[….] AMANPOUR: [….] Because clearly, you remember way back in 2000, you quoted it, she
quoted it, she talked about her vision as being the market plus humanity. So,
she's obviously a conservative economist, if I could put it that way, but she
has tried to have a compassionate, Christian, humane government and
policy. And of course, we saw that when
she allowed these immigrants fleeing war and devastation in their own country
in 2015 to come in. That seems to have
backfired on her. How does she go forward with that very issue now?
KORNELIUS: Well, on immigration issue, you are right. It totally backfired and she not only was liberal or welcoming to those migrants because she was liberal mind or had an open heart, but because she's a very pragmatic and clear-thinking woman. Not the German chancellor, not a single politician in Europe would have been able to stop 15,000 migrants a day crossing the German border.
So, I guess she didn't close the borders or didn't send them back for several reasons. She would have destabilized vast parts of east and southeast Europe, she would have sent an extremely devastating message about Germany's culture to the outside world. And she couldn't have lived up to the promises in the end anyway because those people would have turned around and come through the back door. You cannot seal off Germany. This is not possible.
So, what she did is she put in policies in place with Turkey, with other neighboring countries across the Mediterranean and Northern Africa to
basically channel this flow of migrants and actually trickle it down. It's definitely it's too many people coming to Europe. Now, that took time.
And that was the basic mistake, she communicated badly and she now pays a huge price for that. She lost power for that in Germany. This is the single issue which has turned against her and it will be the issue which she will be compelled to deal with for the remaining time in her office. But [….] things she could do or have to do with European unity, with the rise of populism in Europe. [….]
KORNELIUS: Well, on immigration issue, you are right. It totally backfired and she not only was liberal or welcoming to those migrants because she was liberal mind or had an open heart, but because she's a very pragmatic and clear-thinking woman. Not the German chancellor, not a single politician in Europe would have been able to stop 15,000 migrants a day crossing the German border.
So, I guess she didn't close the borders or didn't send them back for several reasons. She would have destabilized vast parts of east and southeast Europe, she would have sent an extremely devastating message about Germany's culture to the outside world. And she couldn't have lived up to the promises in the end anyway because those people would have turned around and come through the back door. You cannot seal off Germany. This is not possible.
So, what she did is she put in policies in place with Turkey, with other neighboring countries across the Mediterranean and Northern Africa to
basically channel this flow of migrants and actually trickle it down. It's definitely it's too many people coming to Europe. Now, that took time.
And that was the basic mistake, she communicated badly and she now pays a huge price for that. She lost power for that in Germany. This is the single issue which has turned against her and it will be the issue which she will be compelled to deal with for the remaining time in her office. But [….] things she could do or have to do with European unity, with the rise of populism in Europe. [….]
Ich stimme Stefan Kornelius in
dieser causa vollständig zu. Der Syrienkrieg lief damals schon 5 Jahre,
Millionenfaches Sterben fand statt, Kinder lagen krepiert an den
Mittelmeerstränden rum und Merkel musste erkannt haben, daß es keinen
EU-Konsens gibt die Flüchtlinge zu verteilen und anzuerkennen.
Sie wird einfach abgewogen haben,
daß eine abrupte Grenzschließung a) technisch und rechtlich unmöglich war und
b) aus den drei von Kornelius genannten Gründen noch schlimmer gewesen wäre.
(….)
Die CDU-Vorsitzende scheint eine Politikerin zu sein, deren
Machtstreben so weit geht, daß sie eben nicht weiß was sich moralisch verbittet.
Ganz klar wurde das auch in der letzten Woche in ihrem Verhalten
gegenüber des CDU-Landesverbandes Sachsen-Anhalt, der ähnlich wie der
Landesverband Sachsen klare Überschneidungen zu rechtsextremen Kreisen hat.
Hakenkreuze, SS-Runen, NPD – und dennoch klingelte nichts in
der Führung des Konrad-Adenauer-Hauses. Weder Ziemiak noch AKK störten sich daran.
[….] Eine Woche hat die CDU Sachsen-Anhalt gebraucht, um festzustellen, dass
Extremisten in ihren Reihen keinen Platz haben. Eine Woche ließ die
CDU-Bundesvorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer verstreichen, um zu betonen,
dass ihre Partei sich klar gegen Rechtsextremismus stelle.
Wenn es um Selbstverständlichkeiten geht, ist eine Woche eine sehr
lange Zeit.
Der Fall des Robert Möritz zeigt daher vor allem eins: die Unsicherheit
der CDU im Umgang mit Rechts. Ein Kreispolitiker mit Verbindungen zur rechten
Szene und einem in die Haut gravierten Nazi-Symbol führt vor Augen, dass mit
Parteitags-Beschlüssen nicht alles gesagt ist in einer Partei. [….] Es gab ja schnelle Urteile: Der
CDU-Kreisverband hatte Möritz schon am vergangenen Freitag einstimmig das
Vertrauen ausgesprochen, statt sich eingehend mit den Hintergründen zu befassen.
Und Landes-Generalsekretär Sven Schulze war sehr fix darin, sich über eine
zugespitzte Kommentierung des Falls durch die Grünen zu beschweren und deswegen
mal eben die Regierungskoalition in Frage zu stellen.
Selten ist ein Ablenkungsversuch so misslungen wie dieser. Schulze
wollte mit seinem forschen Auftritt den Verdacht der mangelnden Sensibilität
gegenüber Rechts widerlegen - er hat ihn, ganz im Gegenteil, bestätigt. [….]
Eine Frau, die diese moralischen Grenzen in der Politik
nicht kennt, oder aber, noch schlimmer, bewußt bereit ist sie zu überschreiten,
um im braunen Sumpf zu fischen, statt sich schützend vor die vom braunen Sumpf Angegriffenen zu stellen, ist als Führungsfigur der Bundesrepublik Deutschland
ungeeignet.
[….] Mit diesem Austritt dürfte der Druck auf die CDU in Sachsen-Anhalt und
auf Landeschef Holger Stahlknecht zunächst nachlassen. Jedoch war derselbe
Landesverband zuletzt häufiger auffällig geworden. Erst im Sommer hatte eine
"Denkschrift" für Entsetzen gesorgt, deren Autoren unter anderem
fabuliert hatten, es müsse wieder gelingen, "das Soziale mit dem
Nationalen zu versöhnen". Im November wiederum hatte sich die Landes-CDU
mit dem gescheiterten Versuch blamiert, den umstrittenen Polizeigewerkschafter
Rainer Wendt zum Staatssekretär zu machen. […..]