Donnerstag, 22. März 2012

Sich die Kugel geben



Im Dorf Najib Yan Daud in der afghanischen Provinz Kandahar wurden am Sonntag, den 11. März, zwischen zwei und drei Uhr morgens insgesamt 16 Menschen umgebracht.

 Unter den Opfern waren neun Kinder. Ein US-Unteroffizier mit psychischen Problemen war nach Angaben des US-Militärs der Schütze. Er habe seinen Stützpunkt in der Nacht verlassen, sei zu Fuß in das wenige Kilometer entfernte Dorf gelaufen und in drei Häuser eingedrungen. Dort habe er auf die Bewohner geschossen.
Ermittlungen ergaben später, dass einige Leichen von Kindern Brandspuren aufweisen. Der Täter, laut US-Militär der Staff Sergeant Robert Bales, habe versucht, sie anzuzünden.

Wenn NATO-Soldaten Unschuldige massakrieren, weil sie so verroht sind, daß ihnen sämtliche natürlichen Tötungshemmungen fehlen, sind das selbstverständlich nur Einzelfälle.
 Im a posteriori bedauern sind wir im Westen ja immer ganz groß.

 2010: Ein selbst ernanntes Kill-Team – bestehend aus fünf US Soldaten – macht wahllos Jagd auf Zivilisten, präsentiert die Toten wie Trophäen.
Januar 2012: Ein Video geht um die Welt, in dem US Soldaten auf Leichen urinieren.
Februar 2012: Massendemonstrationen. US Soldaten verbrennen Koranbücher. Angeblich versehentlich. Und das in Afghanistan. Alles irre Taten Einzelner? Zeigen diese Vorfälle nicht auch, was Krieg aus Menschen macht?

Die meisten Soldaten sind selbst als Psychowracks noch so freundlich nicht andere Menschen zu erschießen. Sie geben sich dafür dann selbst die Kugel.

Mehr als 200.000 Menschen haben sich seit Beginn der Kriege im Irak und in Afghanistan in Veteranen-Krankenhäusern behandeln lassen - alle wegen PTBS. Diese Zahl veröffentlichte die Tageszeitung "USA Today" im November 2011 unter Berufung auf eine Studie von Veteranen-Vereinigungen. Die Dunkelziffer der Erkrankungen dürfte aber deutlich höher liegen. Scham und Stolz halten noch immer viele Soldaten davon ab, sich professionelle Hilfe zu holen. Das Militär spricht dagegen offiziell von "nur" rund 50.000 PTBS-Fällen.
[…]    Diese können sich in Angstzuständen äußern, in Schlaflosigkeit und Depression. Aber auch spontane Gewaltausbrüche, häusliche Dispute sowie Alkohol- und Drogenmissbrauch gehören zu den möglichen Folgen einer PTBS-Erkrankung. Seit Jahren beklagen Veteranen-Organisationen steigende Selbstmordraten unter Kriegsheimkehrern mit traumatischen Erfahrungen.   

Das Erstaunliche an den vielen PTBS-Fällen ist das Erstaunen darüber.

Junge Menschen in sinnlose Kriegsszenarien zu versetzen, in denen sämtliche moralischen Grundfesten außer Kraft gesetzt sind, in denen ein bizarrer Rambo-Männer-Kult herrscht, in denen man keine Schwächen zeigen darf und dafür permanent morden muß, soll keine seelischen Schäden verursachen?

So denken ausgerechnet die Amerikaner, von denen ohnehin jeder zweite auf Prozac und Xanax ist, sich psychotherapieren läßt und nach drei Überstunden einem Burn-Out-Syndrom verfällt?

Der Horror des Massakers von Panjwai ist vielen Amerikanern nur als Werk eines Verrückten begreiflich. 'Sergeant Psycho' hat die New York Post den mutmaßlichen Amokläufer genannt.

Ich wundere mich nur, daß nicht viel mehr Menschen Amok laufen.

Wenn der Rückblick auf die Kriege im Irak und Afghanistan, wenn die Aussicht, daß viele Amerikaner und Israelis gerne noch einen Krieg gegen den viel größeren und militärisch viel stärkeren Iran anzetteln wollen, einen nicht in tiefe Verzweiflung stürzt, hat man kein Herz.

Ich kann es nicht verstehen, daß die Apologeten des Krieges, die hoch und sicher in westlichen Büros sitzend dafür plädierten Hunderttausende junge Menschen in organisierte Dauer-Massaker zur Seelentötung schickten, heute immer noch hoch anerkannt sind.

In Deutschland waren es insbesondere Wolfgang Schäuble und Angela Merkel, die sich massiv für diese Kriege ausgesprochen haben. 
Sie sind heute die beliebtesten Politiker der Republik. Das moralische Tötungs-Tabu ist offenbar ausgehebelt.

Warum ist das so?

Weil der Urnenpöbel zu unreif und zu ungeeignet ist Wahlentscheidungen zu treffen. Er blendet die Realität aus.

Die Soldaten mag ich nicht voll und ganz bedauern - immerhin werden sie in Deutschland nicht gegen ihren Willen nach Afghanistan geschickt. 
Aber die Gnade des Verdrängens ist ihnen nicht mehr gegeben.
  Wie ihre Ami-Kollegen müssen sie auch persönlich ausbaden, was die politische Führung von ihnen will.

Interessanterweise trauern Angehörige hüben und drüben ganz anders. 
Deutsche Hinterbliebene fragen sich wozu der Tod ihres Sohnes/Ehemannes/Vaters/Bruders notwendig war. Sie wenden sich durchaus mit beißenden Fragen an die Politiker und sehen sich als Opfer des Krieges.

Die Opfer-Perspektive ist den meisten US-Soldatenfamilien ganz fremd.
 Dort wird der der Sinn des Todes kaum hinterfragt. Selbstverständlich ist der gefallene Sohn/Ehemann/Vater/Bruder ein HELD, der zum Wohle Amerikas starb.
Fragen stellen sich dann eher weniger.

Soldatenfamilien sind die sichersten Anhänger der Republikaner.

Angegriffene Seelen sind da nicht vorgesehen.

Mehr als fünf Millionen Amerikaner haben seit dem 11. September 2001 im Militär gedient, mehr als zwei Millionen Landsleute zogen im Namen der Nation an die Front in Irak oder Afghanistan. Als 'Generation 9/11' preist Präsident Barack Obama diese Landsleute. Mehr als 100000 Männer und Frauen hat das Pentagon, genauso wie Sergeant Bales, gleich dreimal oder noch öfter in den Krieg geschickt. Die wiederholten Einsätze haben viele Soldaten und ihre Familien zermürbt - aber anders geht es nicht in einem Land, das nach dem Fiasko in Vietnam seine Streitkräfte zu einer Armee aus Freiwilligen umbaute. 99 Prozent der US-Bevölkerung ziehen nie eine Uniform an.
Das eine, das kämpfende Prozent steht derweil unter enormem inneren Stress.
[…]  Studien schätzen, bis zu 30 Prozent der US-Veteranen plagten posttraumatischen Belastungsstörungen.
Das sind Ausmaße einer Volkskrankheit. Bisweilen flackern Symptome dieser Krise auf, wenn sich die inneren Qualen in Gewalt entladen. Es sind Einzelfälle, aber schrecklich viele. Anfang März erschoss ein Veteran in Kalifornien seine elfjährige Schwester und die Mutter; vorige Woche stand ein Ex-Soldat (nach drei Einsätzen in Irak) in Pennsylvania wegen zweifachen Mordes vor Gericht. Und im Januar machte Benjamin Barnes Schlagzeilen: Der Kriegsveteran hatte eine Park-Rangerin getötet und war rambogleich in die schneebedeckten Berge im Staat Washington geflüchtet, wo er erfror. Meist aber richten die Heimkehrer die Gewalt gegen sich selbst. Das Kriegstrauma treibt jeden Tag 18 Kriegsteilnehmer in den Suizid, mehr als 6500 der offiziell 25 Millionen US-Veteranen flüchten jedes Jahr in den Selbstmord. Ein Großteil gehört zur 9/11-Generation.

6500 Selbstmorde unter Kriegsheimkehrern pro Jahr.
 Herzlichen Glückwunsch. Das hat Geogre W. Bush ja toll hingekriegt.

Nach wie vor ist er davon überzeugt alles richtig gemacht zu haben und Millionen US-Republikanern jubeln den Kriegstreibern Romney, Gingrich und Santorum zu, wenn sie mehr und schlimmere Kriege ankündigen.