Sonntag, 8. Februar 2015

Mars und Venus.


Weltpolitik ist keine Wünsch-Dir-was-Veranstaltung.
Man kann sich seine Gesprächspartner nicht aussuchen. Schon gar nicht kann man à la George W. Bush alle Regierungschefs, die einem zufällig persönlich unsympathisch sind ignorieren und die Länder, die dem eigenen Weltbild entgegenstehen bombardieren.
Die Frage, ob man mit seinen Feinden reden und verhandeln will, stellt sich gar nicht; man MUSS es sogar!
Wer nur in seinem eigenen Biotop sitzen bleibt und nur mit Menschen spricht, die einem zustimmen, hat in der Weltpolitik nichts verloren.

Ich bin bis heute davon überzeugt, daß der ganze Schlammassel in Osteuropa zu verhindern gewesen wäre, wenn man nicht seit 20 Jahren Russland so stiefmütterlich als die ideologischen Verlierer behandelt hätte, auf deren Interessen man keine Rücksicht mehr nehmen müsse, an deren Grenzen man sich ungeniert ranrobben kann.
Mit dubiosen Oligarchen wie Poroschenko und Timoschenko zu kooperieren, um auch noch die Ukraine quasi aus der ehemaligen UdSSR heraus zu reißen und an den Westen zu binden, während eben dieser Westen außenpolitisch ein Desaster nach dem nächsten anrichtet – Irak – Syrien – Afghanistan – weil er einfach russische Warnungen in den Wind schlägt, konnte nicht gut gehen.



Das Gewäsch der amerikanischen Neocons vom „Ende der Geschichte“ war die größte globale Bruchlandung, die man sich denken kann. 
Russland und China gedemütigt – und die Welthegemonialmacht USA könne nach eigenem Gutdünken fukuyamasieren, ohne jemals wieder Rücksicht zu nehmen.
Diese Hybris konnte sich einige Jahre weiter entwickeln, während korrupte Oligarchen in Russland sagenhafte Vermögen aus dem „Volkseigentum“ raubten und nach kapitalistischen Regieanweisungen tanzten. Während ein ewig betrunkener seniler Jelzin mit gemeinsamen Saunagängen gebauchpinselt wurde.
Russland ist aber nach wie vor das größte Land der Erde und eine Atommacht. Russland ist ein Land mit einer anderen Option, nämlich des bevölkerungsreichsten Landes der Welt auf seiner anderen Seite- China. China, Atommacht und Exportweltmeister mit gewaltigem Rohstoffhunger und einigen Fantastillionen Geldreserven, trägt als Alternativbeispiel zum neuen russischen Selbstvertrauen bei.

Tja, wie dumm von EU und USA, daß sie vor zehn Jahren Schröders und Chiracs Weg der Einbindung Putins verließen.
Wie dumm insbesondere von Merkel, daß sie sich von ihrer persönlichen Aversion gegen Russland leiten ließ und dafür schleimspurziehend auf den Knien nach Crawford zu GWBs Prairie Chapel Ranch robbte.
London, Paris, Berlin und Washington hätten zusammen mit Moskau eine wöchentliche Konferenzschaltung implementieren müssen, bei der gemeinsame Strategien genau abgesprochen werden und jeder die Möglichkeit haben müsste den anderen seine Bauchschmerzen mitzuteilen.
So brachte Schröder 2002/2003 eine eindrucksvolle Neo-Entente zustande.
Schon das kolossale Missverständnis rund um den Südossetien-Konflikt von 2008 hätte vermieden werden können, wenn nicht die tumbe Merkel lethargisch abseits gestanden hätte und GWBs irre Administration von Vorurteilen geleitet jedes noch so dubiose antirussische Ressentiment unterstützt hätte.
Spätestens 2008 mußte man wissen, wie viel Dampf im Kreml-Kessel war und hätte schleunigst zur kontrollierten Entlüftung den Gesprächsfaden aufnehmen müssen.
Aber Washington war damals nicht handlungsfähig, Merkel schlief und zu allem Übel kam 2009 auch noch der hoffnungslos überforderte Westerwelle ins deutsche Außenamt. Seine strategischen Fähigkeiten reichten gerade noch dazu aus, sich morgens eine Krawatte auszusuchen.

Konsequent stolperte der Westen immer mehr in eine Konfrontation mit Russland. Eine Konfrontation, die bis heute nicht als das verstanden wird was sie ist; nämlich die Verletzung von Einflusszonen.
Stattdessen setzen die nordeuropäischen Länder Russland, Putin und den Kreml gleich. Differenziert wird nicht mehr.
Und Putin ist nun mal böse. Lang und breit werden in den Feuilletonseiten des europäischen Blätterwaldes Psychogramme des „Kremlherrschers“ ausgesponnen. Hat er einen Minderwertigkeitskomplex? Ist er heimlich schwul, impotent oder hat nur einen Hoden?
Als ob das irgendeine Rolle spielte. Regimechange ist keine Option. Putin sitzt fest im Sattel und ist somit der Ansprechpartner. Punkt.
Ihn immer weiter zu demütigen, indem man ihn kontinuierlich überall auslädt, vom G8 ausschließt, nicht an den Auschwitzbefreiungsfeierlichkeiten und auch nicht bei den Gedenkveranstaltungen zum 70. Jahrestages des Weltkriegsendes dabei haben will, ist an Dummheit nicht zu überbieten.

Was für ein Treppenwitz der Geschichte:
Als größte Waffenlieferungsfreunde und größte Unterstützer der Krawalle durch Swoboda und Co stellen sich zwei Grüne heraus: Marie-Louise Beck und Rebecca Harms wettern und pesten gegen Staatsmänner wie Helmut Schmidt und Egon Bahr; wollen unbedingt ihre bellizistische Sicht durchdrücken.
Dabei weiß man bis heute gar nicht was eigentlich passierte in Kiew.

Was genau geschah vor knapp einem Jahr in Kiew? Gab es nach den Schüssen, die am 20. Februar 2014 nahe des Maidan zahlreiche Menschen töteten, einen Putsch gegen den rechtmäßig amtierenden ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch? Oder ist die Regierung damals schlicht in sich zusammengefallen?
Von der Antwort auf diese Frage hängt nach Meinung vieler Beobachter ab, wie der Großkonflikt mit Russland zu bewerten ist, der sich wenig später entfaltete. Falls es in Kiew einen Putsch gegeben habe, sei die Reaktion Wladimir Putins doch nachvollziehbar gewesen, könnte man argumentieren – denn wohin habe ein Chaos im Nachbarland aus Moskauer Sicht führen können? Wenn in Kiew schon der Präsident verjagt wird, gelten wohl weder Verfassung noch Verträge noch etwas; als nächstes könnte der russische Flottenstützpunkt Sewastopol auf der Krim von den Revolutionären überrannt werden. Und wer schützt die ethnischen Russen in der Ostukraine vor der Anarchie der Maidanisten? So jedenfalls liest der Kreml bis heute die jüngste Geschichte.

Fakten? Egal. Schieb‘ es doch dem bösen Russen in die Schuhe.
Das Verhalten der EU und der USA ist dabei nicht nur dumm, sondern auch noch bigott. Indem sie sich viel verwerflicheren Regimen wie dem des saudischen Königs Salmans an den Hals werfen, demonstrieren sie ihre Janusköpfigkeit.

Um das Fass zum Überlaufen zu bringen, sind EU und USA auch noch so dumm, daß sie sich in einer Großkrise, die nach Ansicht aller nicht militärisch zu lösen ist, auch noch auseinander dividieren lassen.
Offenbar sprechen die Damen und Herren nicht einmal miteinander.
Was die zuständige USA-Diplomatin Victoria Nuland (Assistant Secretary of State im Dienst des US-Außenministeriums und als solche zuständig für Europa und Eurasien) von „uns“ hält, ist hinlänglich bekannt: Fuck the EU!
Während also mit Merkel und Hollande die beiden Charisma-Freien nach Moskau reisen, weiß Obama offenbar von nichts.
Wie peinlich: Seine Sicherheitsberaterin stellt just in dem Moment in Washington die neue Sicherheitsdoktrin vor, während man am größten Krisenherd offenbar zu dem Schluß gekommen ist, daß die USA irrelevant sind.
Um das Ganze noch zu toppen, befeuern die amerikanischen Falken Merkels Dogma von der Nichtlösbarkeit des Konflikts durch militärische Mittel mit der Idee das faschistoid-gestützte Oligarchenregime in Kiew mit Offensivwaffen zu beliefern. Das nenne ich sauber in Merkels Hosenanzug gegrätscht.
Das spielt Putin wunderbar in die Hände. So lässt sich seine Sicht der Dinge trefflich belegen.

Russlands Präsident Wladimir Putin startete am Montag eine Verbalattacke gegen die Nato. Dabei bezeichnete er die ukrainische Armee als verlängerten Arm des Bündnisses. Das Militär des Nachbarlandes sei "keine Armee, sondern eine Fremdenlegion, in diesem Fall die Fremdenlegion der Nato", sagte Putin in St. Petersburg.
Die ukrainischen Streitkräfte dienten "natürlich nicht den nationalen Interessen der Ukraine". Ziel der Nato sei es, "Russland in Schach zu halten". Dies wiederum diene "nicht den nationalen Interessen des ukrainischen Volkes".

Waffen ins Pulverfass zu werfen ist so eine absurde Idee, daß außer den russophoben Grünen um Frau Beck niemand in Europa damit sympathisiert.

Das Kalkül der Russland-Hasser:
Mit mehr Waffen gibt es auch viel mehr russische Tote und je mehr Tote wir generieren, desto eher lässt Putin von der Ukraine ab.

Die Europäer sind in der Frage der Waffenlieferungen tief gespalten. Kanzlerin Merkel hatte am Morgen solche Lieferungen kategorisch ausgeschlossen. "Das Problem ist, dass ich mir keine Situation vorstellen kann, in der eine verbesserte Ausrüstung der ukrainischen Armee dazu führt, dass Präsident Putin so beeindruckt ist, dass er glaubt, militärisch zu verlieren", hatte sie gesagt. Das sei die "bittere Wahrheit".
Dem widersprechen die Befürworter einer militärischen Unterstützung der Ukraine nicht. Sie wollen vielmehr die Kosten russischer Angriffe erhöhen. Wenn sich die ukrainische Armee besser verteidigen könne, dann würden die Opferzahlen auf russischer Seite steigen. Außerdem könne dadurch verhindert werden, so das Kalkül, dass die Separatisten die Besetzung weiterer Gebiete wagen.

Immerhin gewinnt der Kreml damit einen Hebel die lästigen Sanktionen zu knacken, indem der Westen auseinander dividiert wird.
Ja, das ist eine komplizierte Kiste mit den Einflusszonen rund um die Großmächte.
Die jeweiligen Empfindlichkeiten kann man sehr schön an den hysterischen Reaktionen der GOPer erkennen, nachdem Obama das 50 Jahren eingefrorene Verhältnis zum winzigen Nachbarn Kuba etwas lockern wollte.
In der Ostukraine ist es wesentlich komplizierter und heißer.
Da sind Besonnenheit und Gespräche Gespräche Gespräche gefordert.
Stattdessen kriegen sich nun USA und EU Politiker auch noch in die Haare.
Geht es noch dümmer?
Rhetorische Frage. Es gibt ja schließlich noch die US-Republikaner, die ihrem rasenden Hass auf Obama frönen, indem sie möglichst viel außenpolitisches Porzellan zerhauen.
Dieses Pack sollte man wirklich diplomatisch ächten und nicht nach München einreisen lassen.

Merkel angreifen, um Obama zu treffen
[…] John McCain ist sauer auf Obama und sieht Waffenlieferungen für Kiew als Beweis für Amerikas Stärke.
[…] Der Sturm hatte sich bereits seit ein paar Tagen angekündigt, nun aber brach er über Merkel ausgerechnet in dem Augenblick herein, in dem ihre Vermittlungs-Initiative im Ukraine-Krieg alle Unterstützung verdient hätte. Aber dieser Krieg kennt viele Lager und noch mehr Interessen, und so musste die Kanzlerin die unangenehme Erfahrung machen, dass ausgerechnet der von ihr stets verteidigte engste Verbündete, die USA, zu einer echten Belastung ihrer Arbeit werden konnten.
Bei dem Angriff der US-Senatoren während der Münchner Sicherheitskonferenz geht es um weit mehr als um die Frage, ob die Ukraine nun stärker mit defensiven oder offensiven Waffen beliefert werden sollte. Es geht um den alten Washingtoner Großkrieg zwischen einem zurückhaltenden Präsidenten und einem international kratzbürstigen Kongress, es geht um eine sehr grundsätzliche Positionierung für den US-Präsidentschaftswahlkampf, es geht um das amerikanische Selbstbild in der Welt und es geht am Ende auch um Stil.
Es war also nicht nur stillos, sondern geradezu tolldreist, mit welcher terrierhaften Wut die Senatoren, stellvertretend für eine komplette Kongressdelegation, über die Regierungschefin eines befreundeten Landes hergefallen sind. Diplomatisch nicht weniger ungewöhnlich ist es, dass die Senatoren im Ausland über den eigenen Präsidenten hergefallen sind.
Waffen für Kiew sind für Republikaner der Beweis für Amerikas Stärke. […]