Mittwoch, 21. Mai 2025

Deutscher Israel-Sonderweg

Im linken politischen Spektrum fühle ich mich oft, wie der letzte Israel-Freund; drösele immer wieder auf, wie streng Kritik an der Israelischen Regierung von Antisemitismus zu trennen ist. Ich verweise auf die enormen Proteste der Israelischen Zivilgesellschaft gegen Netanjahu; schon das zeigt, wie unredlich es ist, Israel und Bausch und Bogen zu verurteilen. Rechtsextreme, wie Linksextreme, lügen, wenn sie über das Scheinverbot der Israelkritik lamentieren. Das gehört in den schwurbeligen Propagandakasten der untersten Moralkategorie. Die Schublade, in der Katharina Reiche von „Wärmepumpenzwang“ lügt, in der Merz von „Gender-Zwang“ lügt, in der Söder von „Veggie-Zwang“ lügt. 

Natürlich darf und soll man Israelische Politik kritisieren. Das geschieht auch seit 50 Jahren. Schon die Schmidt-Regierung protestierte ganz offiziell gegen Israel.

Wenn die Israelische Armee also europäische Diplomaten beschießt, handelt Wadephul völlig angemessen, wenn er daraufhin seinen Amtskollegen Gideon Saar anruft, um sich zu beschweren.

Selbstverständlich gibt es bei diplomatischen und politischen Reaktionen ein breites Spektrum der Intensität und ich bin angesichts der deutschen Verantwortung für die Erinnerung an den Holokaust unbedingt dafür, von Berlin aus nicht unbedingt zur Speerspitze der Kritiker zu gehören. Eine gewisse Zurückhaltung ist angebracht. Deutschland sollte sich hingegen immer zuerst vor Israel stellen, wenn es ungerechtfertigt oder überzogen attackiert wird.

Außerdem haben deutsche Spitzenpolitiker korrekt informiert zu sein. Ihnen sind Schlampigkeiten bei Begriffen und „versehentlicher Antisemitismus“ nicht gestattet. Unzulässige NS-Vergleiche sollten immer noch Rücktrittsgründe sein.

Es ist unentschuldbar, wenn CDUCSU-Politiker prominente jüdische Deutsche auf „ihren Regierungschef“ ansprechen und damit Netanjahu meinen.

Es ist unentschuldbar, wenn Merz die Beschäftigung mit seinem Nazi-Opa verweigert.

[….] Der Kanzler will sich offenbar nicht mit der NS-Geschichte seiner Familie befassen. Das sagt viel über sein Verständnis von Erinnerungspolitik. [….] Letzte Woche haben wir in der taz über den Großvater von Friedrich Merz berichtet [….] Wir haben recherchiert, dass der Großvater des Bundeskanzlers, anders als sein Enkel bisher behauptet hat, nicht in die Abgründe des Nationalsozialismus „hineingeraten“ ist und auch nicht „ohne eigenes Zutun“ Mitglied der NSDAP wurde. Sondern dass der Großvater, damals Bürgermeister von Merz’ Heimatstadt Brilon, ein „eifriger“ SA-Mann war und seine NSDAP-­Mitgliedschaft persönlich und früher als bisher bekannt beantragt hat. So steht es in seiner Personalakte aus dem Landesarchiv Nordrhein-Westfalen.

Überraschend ist die Geschichte von Merz’ Großvater nicht, er war einer von Millionen Mitläufern und Profiteuren, die sich mit dem neuen System arrangierten. Überrascht hat uns auch nicht, dass Friedrich Merz auf eine taz-Anfrage zu seinem Großvater auch nach seinem Wechsel ins Kanzleramt nicht antwortete. Merz findet offenbar nicht, dass er in seiner neuen Rolle als deutscher Kanzler in einer besonderen Verantwortung steht, die Halbwahrheiten, die er über die NS-Vergangenheit seiner Familie verbreitet hat, öffentlich zu revidieren. [….] Es stimmt, niemand kann etwas für seinen Großvater. Aber ein deutscher Bundeskanzler sollte über die Verstrickungen seiner Familie in den Nationalsozialismus besser Bescheid wissen als Friedrich Merz. Vor allem, wenn eine stets hilfsbereite Zeitung ihm die Mühe abnimmt, in den Archiven nachzuschauen.

Spätestens seit 2004, als die taz das erste Mal über seinen Großvater berichtete, wusste Merz, dass die Familienlegenden nicht stimmten. Er hatte 20 Jahre Zeit, sich mit dieser Geschichte auseinanderzusetzen. Aber er hat sich anders entschieden. Und schweigt weiter, auch als Bundeskanzler, 80 Jahre nach dem Ende des Nationalsozialismus. [….]

(Kersten Augustin, 17.05.2025)

Es ist unentschuldbar, wenn Merz die blauweiße Israelische Nationalflagge als „Judenfahne“ bezeichnet.

[….] Der CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz hat mit gleich mehreren Äußerungen in seiner letzten Wahlkampfrede für Empörung gesorgt. Unter anderem bezeichnete er die israelische Fahne als „Judenfahne“ und verbreitete Lügen über die Demonstrant:innen, die gerade im ganzen Land gegen rechts auf die Straße gehen. Nicht nur in den sozialen Medien hagelte es Kritik.  Wörtlich stellte Merz in seiner Rede bei der Wahlkampf-Abschlussveranstaltung in München die rhetorische Frage, wo der „Aufstand der Anständigen“ geblieben sei, „als in diesem Land Palästinenserflaggen geschwenkt wurden, ‚From the River to the Sea‘ gesungen wurde, als Judenfahnen, als Fahnen des Staates Israel verbrannt wurden?“

An die Demonstrant:innen gegen rechts gerichtet hatte er gefragt: „Wo waren die denn, als Walter Lübcke in Kassel ermordet worden ist von Rechtsradikalen?“ Mit dieser Aussage verdrehte Merz die Tatsachen. Tage und Wochen nach Lübckes Ermordung demonstrierten tausende Menschen gegen Rechtsextremismus. Auffällig zurückhaltend blieb dagegen die Union, wie die taz im Jahr 2019 berichtete. [….] Die Spitze der SPD warf dem Unions-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz vor, das Land zu spalten. „Friedrich Merz macht auf den letzten Metern des Wahlkampfes die Gräben in der demokratischen Mitte unseres Landes nochmals tiefer“, kritisierte SPD-Chef Lars Klingbeil. Generalsekretär Matthias Miersch sprach vom Tiefpunkt des Wahlkampfes. [….] Die Berliner Grünen-Politikerin Bettina Jarasch kommentierte das am Wahlsonntag auf X: „‚Judenfahnen‘, Herr @FriedrichMerz? Echt jetzt? Noch alle Tassen im Schrank?“, schrieb die Spitzenkandidatin ihrer Partei bei der vergangenen Landtagswahl in der Hauptstadt. Sie bezog sich damit auch auf Merz' Äußerung, dass die CDU eine Politik für „die Mehrheit“ mache, also für jene, die noch „alle Tassen im Schrank“ hätten.  Der Soziologe Jules El-Khatib, ehemaliger Linken-Politiker und bei der Landtagswahl 2022 Spitzenkandidat der Partei, schrieb: „Die Gleichsetzung von Israel und Judentum stellt Antisemitismus dar. Stellt euch vor, so etwas hätte Mohammed gesagt, es gäbe einen Aufschrei, doch wenn Friedrich von der CDU es sagt, ist es kein Problem.“ [….]

(Daniel Bax und Raoul Spada, 23.02.2025)

Hätte Fritze Merz einen Funken Anstand, würde er für so eine Entgleisung zurücktreten.

Es ist aber noch schlimmer. Merz agiert nicht nur tumb und unwissend bezüglich der Vergangenheit, sondern auch gegenüber der Gegenwart.

Denn, auch wenn man sich größte diplomatische Zurückhaltung auferlegt, haben die offenkundigen Kriegsverbrechen der Netanyahu-Regierung ein Ausmaß erreicht, das man schwer verurteilen muss und nicht verschweigen darf.

[….] Internationale Strafrechtsexperten sind sich inzwischen ziemlich einig: Israel macht sich im Gazastreifen der Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig. Doch beim Vorwurf des Genozids bleiben sie zurückhaltend.  [….] Der Vorwurf des Genozids: Er steht heute für viele Menschen, die mehr Aufmerksamkeit für Gaza fordern, im Mittelpunkt. Immer mehr sind deshalb auch irritiert darüber, dass die Justiz hier bislang kaum mitzieht. So führt der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) zwar Ermittlungen gegen Israels Premier Benjamin Netanjahu wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit – aber ausdrücklich nicht wegen Genozids. Und auch der Internationale Gerichtshof (IGH) prüft zwar, ob Israel gegen die Völkermordkonvention von 1948 verstoße – allerdings nach 19 Monaten Krieg noch immer, ohne sich festzulegen. „Zu viele Regierungen – darunter die deutsche Bundesregierung – tun zu wenig gegen die katastrophale humanitäre Lage im Gazastreifen und gegen den Genozid Israels an den Palästinenserinnen und Palästinensern in Gaza“, sagt die Generalsekretärin der deutschen Sektion von Amnesty International, Julia Duchrow. Sie ist wütend. [….] Julia Duchrow verweist auf Äußerungen israelischer Politiker, die einen Willen zur Vernichtung zeigen würden. Zum Beispiel Netanjahu selbst, der den Krieg im Gazastreifen als einen Kampf gegen die „unzivilisierte Welt“ bezeichnet habe. Auch habe er Gaza als eine „Stadt des Bösen“ bezeichnet, in der das „Gesetz des Dschungels“ herrsche.

Das seien klar „rassistische und entmenschlichende Metaphern“, so heißt es in einem Bericht, den Amnesty im vergangenen Dezember veröffentlicht hat. Daraus lasse sich eine „genozidale Absicht“ ablesen, so lautete die These dieses Berichts, der unter der Leitung des Beiruter Büros von Amnesty geschrieben wurde.

In Neukölln sagt Julia Duchrow: Natürlich gehe es nicht nur um Worte, um Statements wie auch jene des rechtsextremen israelischen Finanzministers Bezalel Smotrich, der vor wenigen Tagen sagte, Gaza solle „vollständig zerstört“ werden, bis die palästinensische Bevölkerung „in Drittländer“ ausreise. Es gehe auch um die schiere Menge der Gewalttaten, fügt die Amnesty-Chefin hinzu. Israelische Luftangriffe, bei denen kein militärischer Sinn erkennbar sei, zum Beispiel. „Einzelne Luftangriffe sind keine genozidalen Handlungen“, sagt sie. [….]

(Ronen Steinke, 21.05.2025)

Traditionell Israel-freundliche Nationen und Organisationen ziehen inzwischen längst die Notbremse und stellen sich an die Seite der Hunderttausenden anständigen Israelis, die auf den Straßen gegen ihre Regierung wenden. Aber nicht Merz. Er geht einen deutschen Sonderweg wider die Humanität. Deutschland an der Seite Trumps.

[….] Seit fast einem Vierteljahrhundert unterhält die Europäische Union besondere Beziehungen zu Israel. Grundlage der Partnerschaft ist das Assoziierungsabkommen, das im Juni 2000 in Kraft trat. Wenige Tage vor dem Jubiläum steht das Abkommen auf dem Prüfstand: Es ist so umstritten, wie selten zuvor. Grund ist die humanitäre Lage im Gazastreifen. Die Blockadepolitik der Regierung Netanjahu hat die israelfreundlichen unter den EU-Regierungen zusammenschrumpfen lassen. Die Länder, die nicht mehr tatenlos zusehen wollen und Konsequenzen fordern, machen inzwischen fast zwei Drittel der 27 Mitgliedsländer aus. 

Diese Bilanz zog die EU-Chefdiplomatin Kaja Kallas nach einer, wie sie am Ende resümierte, "sehr, sehr intensiven Diskussion" mit den Außenministern der Union. Kallas würdigte zwar die jüngste Freigabe von humanitären Hilfen durch Israels Premier Benjamin Netanjahu, sprach aber von einem "Tropfen auf dem heißen Stein". Die Lage in Gaza sei nach wie vor katastrophal.

Vorher hatte der niederländische Außenminister Caspar Feldkamp den Vorstoß gemacht, das Assoziierungsabkommen mit Israel auf den Prüfstand zu stellen. Kern des Abkommens ist ein möglichst ungehinderter Handel mit möglichst wenig Einschränkungen für den Warenverkehr, Marktzugang also und Teilhabe Israels an EU-Programmen. Ein wesentlicher Bestandteil des Abkommens ist aber auch die Wahrung der Menschenrechte - die würden von Israel in Gaza verletzt, so die Argumentation.   Insgesamt 17 Außenminister sprachen sich nach Angaben aus Diplomatenkreisen für die Überprüfung des Abkommens aus, Deutschland war nicht dabei.  [….]

(Tagesschau, 21.05.2025)

Man kann nur staunen, wie viel politisches Porzellan Tollpatsch Merz nach nur zwei Wochen Amtszeit zerschlagen hat. Eine Pleite jagt die Nächste. Unions-Minister lügen und begehen Grausamkeiten. Der Kanzler zerschlägt unterdessen das, was im Moment am Wichtigsten ist: Die Einigkeit und Handlungsfähigkeit Europas.

[….] Friedrich Merz will Außenkanzler sein. Drei Tage nach seinem Amtsantritt reiste er zusammen mit den Regierungschefs von Frankreich und Großbritannien nach Kyjiw. Ein gelungener Auftakt, könnte man meinen, um Geschlossenheit unter den europäischen Partnern zu demonstrieren. Schade nur, dass Merz schon wenige Tage später von eben diesen beiden Partnern außen vor gelassen wurde.

Zusammen mit Kanada kündigten Frankreich und Großbritannien Sanktionen gegen Israel an, sollten dessen Militäroperation nicht eingestellt und umgehend ausreichend humanitäre Hilfsmittel in den Gazastreifen geliefert werden. Wer nicht in die Veröffentlichung dieses Statements eingeweiht war? Friedrich Merz – der Wanna-be-„Außenkanzler“. Eine Deutung dafür liegt auf der Hand: Aus Berlin war keine Unterstützung zu erwarten. Denn der Kanzler verschließt konsequent Augen und Ohren vor den Zuständen in Gaza.

Menschenrechtsorganisationen warnen vor einer Hungersnot. Immer mehr Staaten, darunter EU-Mitglieder, sehen Anzeichen eines Völkermords. Eine klare Mehrheit soll nun die Handelsbeziehungen mit Israel infrage stellen. Nicht so Friedrich Merz, der den gesuchten Kriegsverbrecher Netanjahu nach Deutschland einladen will und Waffenlieferungen an Israel stets guthieß. [….]

(Alice von Lenthe, 21.05.2025)