Montag, 22. April 2013

Nicht verstolpern!



 Wenn ich eins hasse, dann sind es Politiker, die sich in Fußball-Metaphern ergehen, weil sie damit volksnah erscheinen wollen.
Dabei ist die deutsche Sprache so reich an metaphorischen Möglichkeiten wie kaum eine andere – man kann zwei Worte einfach verbinden, um ein Neues zu kreieren, Verben aus Substantiven ableiten und auf einen riesigen Schatz von Sprichworten zurückgreifen. „Geflügelte Worte“ existieren in solcher Zahl in der deutschen Sprache, daß dafür eigens dicke Lexika herausgegeben werden.
Man kann ausnahmsweise mal ohne Übertreibung sagen, daß deutsch schon aufgrund seiner enormen Vokabelzahl und seiner mittelkomplexen Grammatik bestens für Weltliteratur geeignet ist.
Der einfache deutsche Wortschatz – also ohne die allein 20 Millionen Fachworte aus dem Bereich der Chemie – beträgt etwa 500.000 Vokabeln.
Der Rechtschreib-Duden enthält nach eigenen Angaben ca. 135.000 Stichwörter. Durch Flexion kann in flektierenden Sprachen aus vielen dieser relativ wenigen Grundformen ein Mehrfaches an Wortformen entstehen, im Deutschen zum Beispiel erheblich mehr als in dem die Flexion langsam verlierenden Englischen. Die Häufigkeitsverteilung von Wörtern lässt sich mit dem Zipfschen Gesetz beschreiben.
Daß ich Hippopotomonstrosesquippedaphilist bin, hatte ich schon mal in diesem Blog erwähnt.
Also, zusammengefasst: Man kann sehr viel aus der deutschen Sprache machen und umso erbärmlicher ist es, wenn Toppolitiker außer „linke Flanke“, „Elfmeter“, „Rechtsaußenverteidiger“ und „gegnerisches Spielfeld“ keine Bilder in ihren Reden einbauen.
Für Journalisten, deren Beruf das Schreiben ist, gilt das erst Recht.
Sogar der von mir hochgeschätzte und viel zitierte SZ-Online-Kommentator Thorsten Denkler fällt heute auf Kindergartenniveau. 
Im Zusammenhang mit der Hoeneß-Affäre, einem Fußballer also, überschreibt er seinen Artikel mit „Elfmeter für die SPD“.
Lahm.
Inhaltlich Recht hat er natürlich. Es ist Wahljahr und die SPD bekommt so eine riesige Gelegenheit sich gegen die Millionärsbeschützenden Schwarzgelben zu profilieren.
Mit seiner Selbstanzeige ist Uli Hoeneß ungewollt zum besten Wahlkampfhelfer von SPD und Grünen aufgestiegen. Prominent, CSU-nah, Merkel-Fan, Moralapostel und Steuerhinterzieher zugleich - besser kann es für SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück gar nicht kommen. Die Kanzlerin muss sich sogar distanzieren.

[…] Hoeneß, Präsident des FC Bayern, hat im Magazin Focus den Sozialdemokraten eine Weltklasse-Vorlage geliefert. Sie mussten nur noch abstauben. Der einstige Klubmanager erklärte, er habe auf das umstrittene Steuerabkommen mit der Schweiz gesetzt. Das hätte ihm wohl einige Vorteile beschert. Einen geringeren Steuersatz, Straffreiheit sowieso und vor allem: Anonymität. […] Pech für Hoeneß: Das Abkommen ist im Dezember am Widerstand der SPD-geführten Länder im Bundesrat gescheitert. Vor allem auch, weil die Länder dann nicht mehr auf Steuer-CDs hätten zurückgreifen dürfen, die sie regelmäßig von Datendieben kaufen. Wenige Wochen danach zeigte Hoeneß sich im Januar selbst an. […] Das Abkommen war von Beginn an heikles Unterfangen. So heikel, dass Finanzminister Wolfgang Schäuble die Verhandlungen mit der Schweiz bis zum Schluss geheim hielt. Was dann dabei herauskam, muss für Steuerkriminelle mit schlechtem Gewissen wie ein Heilsversprechen gewirkt haben. Ihre Taten wären rückwirkend legalisiert worden. Sie hätten lediglich einen Pauschalsteuersatz von 21 bis 41 Prozent abführen müssen. Ihre Identität - darauf haben die Schweizer besonderen Wert gelegt - wäre weiter geheim geblieben. […] Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel stellt Union und FDP als beste Freunde der Steuerkriminellen dar: "Es zeigt sich, worum es CDU/CSU beim Steuerabkommen mit der Schweiz ging, nämlich Steuerbetrüger sozusagen zu schützen", sagte er im ZDF. "Wir müssen einfach dafür sorgen, dass in unserem Land wieder alle Menschen gleich sind - und nicht die einen brav die Steuern zahlen, und sich die sehr wohlhabenden Menschen davor drücken."
Aber um im Bild zu bleiben: 
Liegt der Ball direkt vorm Tor der CDU ohne daß ein Torwart eingreifen kann, kommt üblicherweise eine orientierungslose Andrea Nahles herbei gestolpert, dreht sich wirr im Kreis und rast dann mit dem Ball einmal längs über den ganzen Fußballplatz, um dann auf das SPD-Tor zu schießen. So fand sie im Herbst 2005 die harten Koalitionsverhandlungen zwischen Merkel, Müntefering und Stoiber wären genau der richtige Zeitpunkt, um so gegen den eigenen Verhandlungsführer und Parteichef zu pesten, daß dieser zurück trat.

Die Grünen preschen aber davon und werden politisch aktiv, bevor sich die SPD überhaupt Gedanken macht.
Die Grüne Fraktion hat eine Aktuellen Stunde unter dem Titel ,,Große Vermögen durch Neuverhandlung des Schweizer Steuerabkommens und Vermögensbelage stärker belasten" beantragt. Dazu erklärt Volker Beck, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer:

Es war richtig, dass wir das Steuerabkommen mit der Schweiz verhindert haben. Wer mit enormer krimineller Energie zig Millionen in der Schweiz dem Fiskus entzieht, muss dafür auch zur Rechenschaft gezogen werden. Deshalb haben wir eine Aktuelle Stunde ,,Große Vermögen durch Neuverhandlung des Schweizer Steuerabkommens und Vermögensbelage stärker belasten" beantragt.   Steuerhinterziehung ist kein Kavaliersdelikt. Steuerhinterziehung in Millionenhöhe ist Diebstahl am Gemeinwohl und muss deshalb auch mit der möglichen Härte verfolgt werden. Es ist auch richtig, dass wir mit der Vermögensabgabe Multimillionäre wie Hoeneß stärker zur Finanzierung des Gemeinwesens heranziehen werden. Das ist fair und gerecht! Von der Stabilisierung der Finanzmärkte haben die großen Vermögen überproportional profitiert, deshalb ist es vernünftig, sie jetzt zur Refinanzierung entsprechend heranzuziehen.
(PM Grüne Bundestagsfraktion Nr 0309/13)

Schon wieder eine Gelegenheit verstolpert?
Der SPD-Fraktionschef Steinmeier will das nicht wahr haben und rühmt sich, der Sozi-Spitzenkandidat habe sich schon vor Wochen des Themas angenommen.
 Das ist sogar richtig. Aber welcher BILD-Leser verfolgt schon Parteiprogramme?
„Merkel hat vier Jahre verplempert“

 „Steuerbetrug ist eine Straftat, die das Vertrauen in den Rechtsstaat untergräbt und den Zusammenhalt der Gesellschaft gefährdet. Die Bundesregierung hat im Kampf gegen Steuerbetrug auf der ganzen Linie versagt“, hat Peer Steinbrück am Montag festgestellt. Der Kanzlerkandidat macht mit einem Acht-Punkt-Plan zur Bekämpfung von Steueroasen Druck.

Die Regierung Merkel habe den Elan der ersten internationalen Gipfel nach dem Ausbruch der Krise in den Jahren 2008 und 2009 nicht genutzt. Statt national und international Maßnahmen gegen Steuerbetrug zu forcieren, habe die schwarz-gelbe Regierung auf diplomatisch weiche Verhandlungstaktiken mit Steuerparadiesen gesetzt. Gleichzeitig hätte ihr Finanzminister den deutschen Steuerbehörden und Staatsanwaltschaften am liebsten gesetzlich verboten Steuer-CDs für Ermittlungen gegen Steuerbetrüger entgegenzunehmen. Beides hätten die rot-grün geführten Bundesländer verhindert, so Steinbrück.

Der Kanzlerkandidat warf der jetzigen Regierung vor, scheinbar immer noch nicht zu verstehen, dass der Kampf gegen Steuerbetrug und die Stabilisierung des Euroraums eng miteinander zusammen hängen.

„Die SPD fordert seit Jahren, dass die Bundesregierung den Kampf gegen Steuerbetrug und Steueroptimierung zur Chefsache macht. Schon zu Beginn des Jahres haben wir mit der „Braunschweiger Erklärung“ wesentliche Maßnahmen gegen Steuerbetrug beschrieben. Jetzt zeigt sich erneut: Ohne Druck ändert sich nichts“, machte der Kanzlerkandidat deutlich.

In seinem 8-Punkte-Plan fordert Steinbrück unter anderem ein Verbot anonymer Briefkastenfirmen, einen automatischen Informationsaustausch zwischen Staaten und eine aktualisierte schwarze Liste für Steueroasen, die sich einem solchen Austausch verweigern.

Notfalls soll es zudem einen Entzug der Lizenz für Banken in Deutschland geben, wenn sie bei Steuerbetrug und kriminellen Offshore-Geschäften mithelfen. Außerdem muss das Steuerrecht verschärft werden, um das Deponieren von Geld in ausländischen Stiftungen zu erschweren.
Die in der letzten Woche arg strauchelnde Merkel reagiert in der Tat wesentlich heftiger als die Sozen. 
Die Frau, die noch unmittelbar vor deren Rücktritten Guttenberg, Wulff und Schavan ihr „vollstes Vertrauen“ aussprach, gibt sich zerknirscht und enttäuscht über den steinreichen Bayern-Fussballer.
Woher der rechtslastige Wurtsmensch die vielen Millionen – angeblich lagern bis zu 650 Hoeneß-Millionen in der Schweiz – das ganze Geld eigentlich hat, hinterfragt bisher kaum einer.
Abgesehen von seinem Fleischereigeschäften und dem Münchner Ballspielverein haben ihm offenbar auch andere Steinreiche einfach mal so Geld zum Zocken überlassen.
Der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen.
In der Steueraffäre des Präsidenten des FC Bayern München, Uli Hoeneß, werden neue Details bekannt. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung hat der damalige Chef von Adidas, Robert Louis-Dreyfus, im Jahr 2000 dem mit ihm befreundeten Hoeneß auf einem Konto der Schweizer Privatbankgruppe Vontobel 20 Millionen Mark für Spekulationsgeschäfte zur Verfügung gestellt.

Zu diesem Zweck soll Louis-Dreyfus einen Betrag von fünf Millionen Mark auf das Konto überwiesen und für Hoeneß einen Kredit von weiteren 15 Millionen Mark durch eine Bürgschaft abgesichert haben.

Interessante Connections muß der Freund Stoibers und Merkels haben.
In letzter Zeit hat mir jedenfalls niemand 10 Millionen Euro „gegeben“.
Peer Steinbrück, übernehmen sie. Nun sind donnernde Worte gefragt!
Aber während schon die FDP in nicht mehr zu überbietender Bosheit und Wahrheits-Verleugnung* ausgerechnet Rot-Grün für den Kriminalfall Hoeneß verantwortlich macht, gibt Peer den Wortkargen. Ist das die richtige Strategie?
Steinbrücks Kavallerie wartet. Die Debatte um den mutmaßlichen Steuerbetrüger Uli Hoeneß ist ein Geschenk für die SPD. Doch der Kanzlerkandidat hält sich zurück. Triumphgehabe kommt selten gut an in der Bevölkerung. Dass weiß auch Peer Steinbrück. […]  Uli Hoeneß, CSU-Sympathisant und Merkel-Berater, offenbart nicht nur, dass er Schwarzgeld in der Schweiz gelagert hat. Er räumt sogar ein, dass es das Scheitern des Steuerabkommens zwischen Deutschland und der Schweiz ist, das ihn zur Selbstanzeige gebracht hat. […]  Ein Zitat in der Rheinischen Post ist alles: „Der Fall Hoeneß zeigt, wie richtig es war, dass die SPD das geplante Steuerabkommen mit der Schweiz abgelehnt hat“, sagte er dem Blatt. Ob diese Zurückhaltung auch damit zu tun hat, dass Steinbrück Hoeneß persönlich gut kennt, ist unklar. […]  Heiko Maas, SPD-Chef im Saarland, erklärte der taz, dass das Thema Steuergerechtigkeit im Wahlkampf jetzt an Fahrt gewinnen werde. „Peer Steinbrück hatte ja seinen Grund, warum er mal die Kavallerie bemühen wollte, um die in der Schweiz ausgelagerten Millionen wieder den deutschen Steuerbehörden zugänglich zu machen.“
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Fall Hoeneß: Bizarre Selbstgefälligkeit des hessischen Justizministers Jörg-Uwe Hahn (FDP)

(BPP) Anlässlich der Äußerungen von Hessens Justizministers Jörg-Uwe Hahn (FDP) in der Debatte um die Selbstanzeige des Wurstfabrikanten und Vorsitzenden des Aufsichtsrates der FC Bayern München AG, Uli Hoeneß, wegen Steuerhinterziehung, erklärt Willi van Ooyen, Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE. im Hessischen Landtag::

„Es gehört schon eine große Portion Selbstgefälligkeit dazu, sich über Jahre für ein Steuerabkommen mit der Schweiz zu engagieren, das Steuerhinterziehung faktisch straffrei gelassen hätte und gleichzeitig einer Partei anzugehören, deren ehemaliger finanzpolitischer Sprecher der Landtagsfraktion, Leif Blum, auch wegen Steuerhinterziehung verfolgt wird.

Die Krone setzt Minister Hahn dem Ganzen aber jetzt auf, indem er sich über die angebliche ‚Kampfrhetorik‘ gegen Steuerhinterzieher wie Hoeneß beschwert.“

DIE LINKE setze sich dafür ein, dass Steuerhinterziehung sich nicht lohne, so van Ooyen. Mit dem Steuerabkommen mit der Schweiz, wie es die schwarz-gelbe Bundesregierung ausgehandelt worden sei, wären Steuerhinterzieher weiter anonym geblieben.