Donnerstag, 19. März 2015

Fischer und Merkel



Anfang der 90er Jahre dominierte Kohls CDU die Bundespolitik, da die Ossis dem Kanzler die Macht festigten.
Die SPD war verzweifelt und konnte natürlich mit dem charismafreien Pfälzer Vollbart Scharping nichts reißen. Nachdem er schon die Bundestagswahl 1994 vergeigt hatte, ließen ihn die Genossen von 1994 bis 1998 als Fraktionsvorsitzenden den Oppositionsführer spielen.
Scharping war durchaus kenntnisreich, aber eben dröger als ein Milchbrötchen von letztem Monat.
Trotzdem war es eine großartige Zeit, weil man ahnte, daß Kohls letzte Legislatur lief. Joschka Fischer hatte seinen Job als Umweltminister in Hessen gekündigt, war wieder in den deutschen Bundestag eingezogen und übernahm gemeinsam mit Kerstin Müller der Fraktionsvorsitz.
Müller, auch eine der besseren Grünen, war ganz nett, fiel aber in der Zeit genauso wenig auf wie später als Staatsministerin.
Dafür begann die absolute Hochzeit des Parlamentarismus, wenn Fischer ans Rednerpult trat.
ER war die Opposition. Nicht Scharping, nicht die SPD, nicht die Grünen, sondern er allein als Person. Er inszenierte sich als der einzige Rivale Kohls auf Augenhöhe, sprach ihn direkt an, wetterte wider die Regierungspolitik und sorgte für Einschaltquoten bei den Bundestagsübertragungen.
Da war was los.
Und Kohl, der Fischer im Jahr 1983 schlicht und ergreifend verachtete, ihn nicht für würdig hielt überhaupt im Parlament zu sitzen, spürte offensichtlich ganz genau, daß sich in den letzten zehn Jahren etwas fundamental verändert hatte. Den Fischer von 1994-1998 nahm er als Kanzler sehr ernst. Er verhöhnte nicht mehr, sondern hörte zu.
Anwürfe des brillanten Rhetors Fischer konnte auch der ewige Kanzler nicht einfach so aussitzen, wie die abgelesenen Scharping-Statements.
Und Kohl sollte Recht behalten; so wie Fischer die Bundestagsdebatten mühelos dominierte, so selbstverständlich übernahm er am Ende seiner Fraktionsvorsitzenden-Zeit das Amt des Vizekanzlers und Außenministers.
Anders als ein gewisser Guido W., der ab 2009 diese Ämter übernahm, hatte Fischer die Jahre 94-98 systematisch genutzt, um sich intensiv in die Außenpolitik einzuarbeiten. Der Autodidakt lernte wie besessen, las alles über die Weltkonflikte, das er in die Hände bekam, knüpfte Kontakte, schrieb ein außenpolitischer Grundsatzwerk und feilte eine genau Strategie aus.
Als er 1998 endlich an die Macht kam, war die konzeptionelle Arbeit von langer Hand vorbereitet. Er stand in den Startlöchern und brannte darauf seine Pläne umzusetzen.
1994 wechselte die vorherige Familienministerin Merkel, die als „Kohls Mädchen“ seit 1990 nicht ein einziges Mal aufgefallen war, weil sie ihr Amt einfach tumb ausgesessen hatte, in die wichtigere Funktion der Bundesumweltministerin.
Merkel war aber damals schon Merkel und achtete konsequent darauf niemals irgendwelche Spuren zu hinterlassen. Ihre Amtszeit sollte möglichst niemand in Erinnerung bleiben; das Volk sollte nicht bemerken, daß sie eigentlich hätte Weichen stellen können.
Nur hinter den Kulissen sorgte sie, genau wie auch später als Kanzlerin dafür, daß die Großkonzerne alle ihre Wünsche auf Kosten der Allgemeinheit und der Umwelt erfüllt bekamen.
Die Atomkonzerne wurden von Merkel aus der lästigen und teuren Suche nach einem Endlager befreit, indem sie entgegen des dringenden Rates aller Fachleute den Asse-Sumpf genehmigte.
Und als die Rufe nach einem Dosenpfand immer lauter wurden, sorgte sie still und heimlich dafür, daß ausschließlich die Profitwünsche der Getränkehersteller berücksichtigt wurde. Pfand ja, aber nur irgendwann als Ziel und wenn das Ziel nicht erreicht werden sollte, dürften keine Sanktionen eintreten.
Merkel arbeitete nicht strategisch. Sie plante nicht, sorgte nicht vor, entwarf keine Konzepte. Während Fischer in den 90ern als Redner im Bundestag brillierte, ist von Merkel aus der Zeit überhaupt keine Rede in Erinnerung; schon gar keine Konzeptionelle.
So stolperte sie 2005 ebenso ziellos ins Kanzleramt wie Westerwelle 2009 ins Außenamt. Man wollte den Posten zwar unbedingt, wußte aber nichts damit anzufangen, als er errungen war.
Bei Fischer war es genau umgekehrt; er wollte seine Pläne umsetzen, etwas machen, schlicht „die Welt verbessern“ und benutzte dazu sein Amt als ein notwendiges Vehikel, das ihm aber bloß ein Mittel zum Zweck war.
Es war ein Glückfall für Deutschland, daß in den extremen Situationen des Kosovokrieges (1998/1999) und der GWB-Kriege (ab 2001 und ab 2003) eine handlungsfähige Regierungsmannschaft im Amt war, die international agieren konnte.
Man darf nie vergessen: Wäre die Bundestagswahl 2002 anders ausgegangen, würde Deutschland tief in die Kriege des Nahen Ostens verstrickt sein. Merkel, Stoiber, Schäuble und Pflüger wollten alle unbedingt mitmachen.

Und was hatte Merkel für ein unverschämtes Glück. Ihre allergrößte politische Fehlleistung, die bedingungslose Unterstützung von Bushs Irakkrieg, geriet total in Vergessenheit, weil sie damals in der Opposition war und keine aktiven Schaden anrichten konnte..
Und noch besser, als sie schließlich 2005 Kanzlerin wurde, waren alle Reformarbeiten von RotGrün getan. Reformen, für die allein die SPD die Schelte bezog und deren Früchte allein Merkel erntete.

Mit Merkels Kanzlerschaft brach das deutsche Neobiedermeier an.
Man nennt es auch die Mikadokanzlerschaft. Folgenloses Gipfelhopping; Gipfel bei denen man immer die gleichen Leute trifft und für die stets gilt: Wer sich zuerst bewegt hat verloren. Da Merkel das Spiel des Totstellens so gut beherrschte und währenddessen Schröders Saat aufging, wurde sie immer beliebter.

Bundeskanzlerin Merkel setzt sich mit diesem Wandel auseinander. Ihre zehn Jahre im Amt werden im Allgemeinen als neues deutsches "Biedermeier" charakterisiert. Die Sonne schien über Deutschland und seine Wirtschaft, und Merkel betrachtete es als ihre vornehmste Aufgabe, den gefühlten Wohlstand der Bürger nicht durch Politik zu stören.

Zu schade für Merkel, daß es nicht immer so weiter gehen konnte.
Durch permanentes Nichtstun, wurde Europa extrem geschwächt, sehenden Auges ließ Merkel den Euro-Süden kollabieren, obwohl rechtzeitiges Eingreifen (2009/2010) vieles verhindert hätte.
Mit unfassbarem Phlegma sah sie zu wie die zu Schröders Zeiten hervorragenden Beziehungen nach Paris und Moskau völlig ruiniert wurden.
Putin wurde solange überhört und ins Abseits gedrängt, bis er mal richtig auf den Busch klopfte und nun haben wir den Salat.
Und dazu den Griechischen.

Das Verrückte ist, daß Merkel jetzt, nach zehn Jahren Kanzlerschaft das machen muß, was sie nie wollte: Regieren wie Fischer! Sich einmischen in der Welt, Prozesse aktiv gestalten.
Und es ist Fischer, der dies auch ausdrücklich an der CDU-Kanzlerin lobt.
Hoffen wir, daß Merkel klug genug ist und über genügend Energie verfügt zu verhindern, daß deutsches Stammtischphlegma weiterhin ihre (Nicht)-Außenpolitik bestimmt. Wenn sie nicht ganz schnell ihre Gewohnheiten ändert, geht es übel aus. Noch eine Legislaturperiode Biedermeier können wir uns nicht leisten. Fischer weist den Weg.

[…] Der Konflikt um Griechenland zeigt, dass die Europäische Währungsunion nicht funktioniert, weil die demokratisch legitimierte Souveränität des einen Landes gegen die demokratisch legitimierte Souveränität des anderen steht. Nationalstaat und Währungsunion vertragen sich eben nicht gut. Aber es nicht schwer zu erkennen, dass bei einem "Grexit", sollte es tatsächlich zu diesem Schritt kommen, der einzige geopolitische Gewinner Russland wäre, während in Europa jedermann verlieren würde.
Während die geopolitischen Risiken in der deutschen Debatte bisher kaum vorkommen, überwiegen sie bei Weitem das innenpolitische Risiko, das darin liegt, die deutsche Öffentlichkeit von der neuen Rolle zu überzeugen. Den Deutschen sollte man sagen: Griechenland wird in der Euro-Zone bleiben, und die Bewahrung dieser Euro-Zone wird weitere Schritte der Integration notwendig machen, einschließlich Transfers und der Vergemeinschaftung von Schulden, wenn denn die geeigneten Institutionen dafür eingerichtet werden können. […]