Anfang
der 90er Jahre dominierte Kohls CDU die Bundespolitik, da die Ossis dem Kanzler
die Macht festigten.
Die SPD
war verzweifelt und konnte natürlich mit dem charismafreien Pfälzer Vollbart Scharping
nichts reißen. Nachdem er schon die Bundestagswahl 1994 vergeigt hatte, ließen
ihn die Genossen von 1994 bis 1998 als Fraktionsvorsitzenden den
Oppositionsführer spielen.
Scharping
war durchaus kenntnisreich, aber eben dröger als ein Milchbrötchen von letztem
Monat.
Trotzdem
war es eine großartige Zeit, weil man ahnte, daß Kohls letzte Legislatur lief.
Joschka Fischer hatte seinen Job als Umweltminister in Hessen gekündigt, war
wieder in den deutschen Bundestag eingezogen und übernahm gemeinsam mit Kerstin
Müller der Fraktionsvorsitz.
Müller,
auch eine der besseren Grünen, war ganz nett, fiel aber in der Zeit genauso
wenig auf wie später als Staatsministerin.
Dafür
begann die absolute Hochzeit des Parlamentarismus, wenn Fischer ans Rednerpult
trat.
ER war
die Opposition. Nicht Scharping, nicht die SPD, nicht die Grünen, sondern er
allein als Person. Er inszenierte sich als der einzige Rivale Kohls auf
Augenhöhe, sprach ihn direkt an, wetterte wider die Regierungspolitik und sorgte
für Einschaltquoten bei den Bundestagsübertragungen.
Da war
was los.
Und
Kohl, der Fischer im Jahr 1983 schlicht und ergreifend verachtete, ihn nicht
für würdig hielt überhaupt im Parlament zu sitzen, spürte offensichtlich ganz
genau, daß sich in den letzten zehn Jahren etwas fundamental verändert hatte.
Den Fischer von 1994-1998 nahm er als Kanzler sehr ernst. Er verhöhnte nicht
mehr, sondern hörte zu.
Anwürfe
des brillanten Rhetors Fischer konnte auch der ewige Kanzler nicht einfach so
aussitzen, wie die abgelesenen Scharping-Statements.
Und Kohl
sollte Recht behalten; so wie Fischer die Bundestagsdebatten mühelos
dominierte, so selbstverständlich übernahm er am Ende seiner
Fraktionsvorsitzenden-Zeit das Amt des Vizekanzlers und Außenministers.
Anders
als ein gewisser Guido W., der ab 2009 diese Ämter übernahm, hatte Fischer die
Jahre 94-98 systematisch genutzt, um sich intensiv in die Außenpolitik
einzuarbeiten. Der Autodidakt lernte wie besessen, las alles über die
Weltkonflikte, das er in die Hände bekam, knüpfte Kontakte, schrieb ein
außenpolitischer Grundsatzwerk und feilte eine genau Strategie aus.
Als er
1998 endlich an die Macht kam, war die konzeptionelle Arbeit von langer Hand
vorbereitet. Er stand in den Startlöchern und brannte darauf seine Pläne
umzusetzen.
1994
wechselte die vorherige Familienministerin Merkel, die als „Kohls Mädchen“ seit
1990 nicht ein einziges Mal aufgefallen war, weil sie ihr Amt einfach tumb
ausgesessen hatte, in die wichtigere Funktion der Bundesumweltministerin.
Merkel
war aber damals schon Merkel und achtete konsequent darauf niemals irgendwelche
Spuren zu hinterlassen. Ihre Amtszeit sollte möglichst niemand in Erinnerung
bleiben; das Volk sollte nicht bemerken, daß sie eigentlich hätte Weichen
stellen können.
Nur
hinter den Kulissen sorgte sie, genau wie auch später als Kanzlerin dafür, daß
die Großkonzerne alle ihre Wünsche auf Kosten der Allgemeinheit und der Umwelt
erfüllt bekamen.
Die
Atomkonzerne wurden von Merkel aus der lästigen und teuren Suche nach einem
Endlager befreit, indem sie entgegen des dringenden Rates aller Fachleute den
Asse-Sumpf genehmigte.
Und als
die Rufe nach einem Dosenpfand immer lauter wurden, sorgte sie still und
heimlich dafür, daß ausschließlich die Profitwünsche der Getränkehersteller
berücksichtigt wurde. Pfand ja, aber nur irgendwann als Ziel und wenn das Ziel
nicht erreicht werden sollte, dürften keine Sanktionen eintreten.
Merkel
arbeitete nicht strategisch. Sie plante nicht, sorgte nicht vor, entwarf keine
Konzepte. Während Fischer in den 90ern als Redner im Bundestag brillierte, ist
von Merkel aus der Zeit überhaupt keine Rede in Erinnerung; schon gar keine
Konzeptionelle.
So
stolperte sie 2005 ebenso ziellos ins Kanzleramt wie Westerwelle 2009 ins
Außenamt. Man wollte den Posten zwar unbedingt, wußte aber nichts damit
anzufangen, als er errungen war.
Bei
Fischer war es genau umgekehrt; er wollte seine Pläne umsetzen, etwas machen,
schlicht „die Welt verbessern“ und benutzte dazu sein Amt als ein notwendiges
Vehikel, das ihm aber bloß ein Mittel zum Zweck war.
Es war
ein Glückfall für Deutschland, daß in den extremen Situationen des Kosovokrieges
(1998/1999) und der GWB-Kriege (ab 2001 und ab 2003) eine handlungsfähige
Regierungsmannschaft im Amt war, die international agieren konnte.
Man darf
nie vergessen: Wäre die Bundestagswahl 2002 anders ausgegangen, würde Deutschland
tief in die Kriege des Nahen Ostens verstrickt sein. Merkel, Stoiber, Schäuble
und Pflüger wollten alle unbedingt mitmachen.
Und was
hatte Merkel für ein unverschämtes Glück. Ihre allergrößte politische
Fehlleistung, die bedingungslose Unterstützung von Bushs Irakkrieg, geriet
total in Vergessenheit, weil sie damals in der Opposition war und keine aktiven
Schaden anrichten konnte..
Und noch
besser, als sie schließlich 2005 Kanzlerin wurde, waren alle Reformarbeiten von
RotGrün getan. Reformen, für die allein die SPD die Schelte bezog und deren
Früchte allein Merkel erntete.
Mit Merkels
Kanzlerschaft brach das deutsche Neobiedermeier an.
Man
nennt es auch die Mikadokanzlerschaft. Folgenloses Gipfelhopping; Gipfel bei
denen man immer die gleichen Leute trifft und für die stets gilt: Wer sich zuerst
bewegt hat verloren. Da Merkel das Spiel des Totstellens so gut beherrschte und
währenddessen Schröders Saat aufging, wurde sie immer beliebter.
Bundeskanzlerin Merkel
setzt sich mit diesem Wandel auseinander. Ihre zehn Jahre im Amt werden im
Allgemeinen als neues deutsches "Biedermeier" charakterisiert. Die
Sonne schien über Deutschland und seine Wirtschaft, und Merkel betrachtete es
als ihre vornehmste Aufgabe, den gefühlten Wohlstand der Bürger nicht durch
Politik zu stören.
Zu
schade für Merkel, daß es nicht immer so weiter gehen konnte.
Durch
permanentes Nichtstun, wurde Europa extrem geschwächt, sehenden Auges ließ
Merkel den Euro-Süden kollabieren, obwohl rechtzeitiges Eingreifen (2009/2010)
vieles verhindert hätte.
Mit unfassbarem
Phlegma sah sie zu wie die zu Schröders Zeiten hervorragenden Beziehungen nach
Paris und Moskau völlig ruiniert wurden.
Putin
wurde solange überhört und ins Abseits gedrängt, bis er mal richtig auf den
Busch klopfte und nun haben wir den Salat.
Und dazu
den Griechischen.
Das
Verrückte ist, daß Merkel jetzt, nach zehn Jahren Kanzlerschaft das machen muß,
was sie nie wollte: Regieren wie Fischer! Sich einmischen in der Welt, Prozesse
aktiv gestalten.
Und es
ist Fischer, der dies auch ausdrücklich an der CDU-Kanzlerin lobt.
Hoffen
wir, daß Merkel klug genug ist und über genügend Energie verfügt zu verhindern,
daß deutsches Stammtischphlegma weiterhin ihre (Nicht)-Außenpolitik bestimmt.
Wenn sie nicht ganz schnell ihre Gewohnheiten ändert, geht es übel aus. Noch
eine Legislaturperiode Biedermeier können wir uns nicht leisten. Fischer weist
den Weg.
[…]
Der Konflikt um Griechenland zeigt, dass
die Europäische Währungsunion nicht funktioniert, weil die demokratisch
legitimierte Souveränität des einen Landes gegen die demokratisch legitimierte
Souveränität des anderen steht. Nationalstaat und Währungsunion vertragen sich
eben nicht gut. Aber es nicht schwer zu erkennen, dass bei einem
"Grexit", sollte es tatsächlich zu diesem Schritt kommen, der einzige
geopolitische Gewinner Russland wäre, während in Europa jedermann verlieren
würde.
Während die
geopolitischen Risiken in der deutschen Debatte bisher kaum vorkommen,
überwiegen sie bei Weitem das innenpolitische Risiko, das darin liegt, die
deutsche Öffentlichkeit von der neuen Rolle zu überzeugen. Den Deutschen sollte
man sagen: Griechenland wird in der Euro-Zone bleiben, und die Bewahrung dieser
Euro-Zone wird weitere Schritte der Integration notwendig machen, einschließlich
Transfers und der Vergemeinschaftung von Schulden, wenn denn die geeigneten
Institutionen dafür eingerichtet werden können. […]