Die Beweislage wurde inzwischen überwältigend. Die Insurrection-Schlinge um Trumps Hals zieht sich dramatisch zu. Immer mehr Videobeweise zeigen wie der Ex-Präsident direkt seine Anhänger anfeuerte gewaltsam das Kapitol zu stürmen. Immer mehr der Gewalttäter erklären, auf Befehl Trumps gehandelt zu haben.
Trump verfolgte gebannt das Geschehen am Bildschirm und weigerte sich als es schon Tote gab und „Hang Mike Pence“ gegrölt wurde, die Hilferufe seiner eigenen Parteifreunde nach dem Einsatz der Nationalgarde zu erfüllen.
Wenn das nicht impeachable ist, was dann?
Es entscheiden aber keine ausgebildeten Richter über Trumps Schuldspruch, sondern einhundert Senatoren, von denen 67 „Ja“ sagen müssen, also neben 48 Demokraten und zwei Demokraten-freundlichen Unabhängigen auch 17 Republikaner.
Die auch sechs Jahre gewählten Senatoren gelten, anders als die nur für zwei Jahre gewählten Kongressabgeordneten als etwas weniger parteihörig. Sie sind sehr mächtig und als Vertreter ihres Heimatstaats selbstbewußt.
Nach vier Jahren völliger Trump-Hörigkeit erwartet niemand mehr von GOPern im Kongress sich von Anstand oder Moral leiten zu lassen.
Zweifellos handeln sie eben nicht zum Wohle des Landes und halten auch die US-Verfassung für nachrangig, wenn es um ihre persönlichen Interessen geht.
Das Jahr 1974, als republikanischen Senatoren zum republikanischen Präsidenten Nixon gingen, um ihm zu sagen, daß sie ihn wegen „Watergate“ rausschmeißen werden, wenn er nicht sofort freiwillig seine Dachen packt, liegt politisch 1.000 Jahre zurück. Verglichen mit Trumps Lügen und Verbrechen, ist Nixon ein zarter völlig unschuldiger Waisenknabe.
Verglichen mit den 50 GOPer im US-Senat von 2021 waren die republikanischen Senatoren der 1970er allesamt linksgrünversiffte Moralapostel.
Cruz, Hawley, Tuberville, Rubio, Paul, Graham werden niemals das Richtige tun, weil es objektiv das Richtige ist. Sie sind amoralische Hassfanatiker und Serienlügner.
Allerdings gibt es durchaus strategische Gründe gegen Trump zu stimmen. So gewichtige Gründe, daß sich viele europäische und US-amerikanische Analysten durchaus 17 republikanische Abweichler vorstellen konnten. Zumal der Zeitpunkt direkt nach seinem Amtsausscheiden parteitaktisch äußerst günstig, nämlich maximal weit entfernt von den nächsten Wahlen liegt.
[…..] Einerseits müssten die Republikaner Trump dringend loswerden. Der Altpräsident ist für sie zur toxischen Altlast geworden. Trump war zwar erfolgreich darin, Wähler für sich und die Republikaner zu mobilisieren. Aber er war noch erfolgreicher darin, Wähler gegen sich und für die Demokraten zu mobilisieren. 2018 haben die Republikaner deswegen ihre Mehrheit im Repräsentantenhaus verloren, 2020 das Weiße Haus und den Senat. Es gibt sehr viele amerikanische Wähler, die Trump geradezu verfallen sind. Das wird so bleiben. Aber es gibt nicht genügend von diesen Wählern, um der Republikanischen Partei in künftigen Wahlen Mehrheiten zu sichern. Wenn im Wahlkampf der Name Donald Trump fällt, schreckt das inzwischen mehr Menschen ab, als es Menschen anzieht. […..]
(Süddeutsche Zeitung, 26. Januar 2021)
Der trotz eines eher schwachen und sehr alten demokratischem Gegenkandidaten totale Machtverlust der GOP ist nur Trump zuzuschreiben.
House-Mehrheit, Senats-Mehrheit, Weißes Haus und zudem auch noch die meisten Geldgeber – alle weg.
Der Obersenator der Republikaner Moscow-Mitch McConnell schien zudem das OK zu geben.
Für die meisten Beobachter ging es nun aber doch überraschend schnell und eindeutig: Die GOPer halten eisern zu dem zweifach impeachten 30.573-fachen Lügner Trump.
Wie beim ersten Impeachment, schließen die Republikaner die Reihen, schließen ihre Augen und Ohren. Sie werden Trump auch freisprechen, wenn er persönlich republikanischen US-Senatoren in den Kopf schießt.
[…..] Das geht aus einer ersten Abstimmung in dieser Sache vom Dienstag hervor: Nachdem die 100 Senatoren den Eid abgelegt hatten, als unparteiische Geschworene zu walten, berieten sie über einen Antrag von Rand Paul. Der republikanische Senator aus Kentucky forderte, das Impeachment-Verfahren für verfassungswidrig zu erklären. Das Abstimmungsergebnis sagt viel darüber aus, wie sich die Stimmung bei den Republikanern gegenüber Trump verändert hat - oder wie eben nicht. Der Antrag wurde zwar mit 55 zu 45 Stimmen abgelehnt. Das heißt aber auch, dass nur gerade fünf Republikaner mit den geschlossenen Demokraten dafür stimmten, überhaupt ein Verfahren durchzuführen. […..]
Unglaublich, aber wahr: Nach all den Jahren unterschätzen wir immer noch wie verkommen Republikaner sind.
Wir vergessen immer noch, daß alle 50 Senatoren der GOP ohne Rückgrat existieren.
Trump musste im fernen Mar A Lago nur einmal vage die Idee ventilieren eine eigene Partei zu gründen; sie sollte "Patriot Party" heißen; und sofort nässten sich alle GOPer angesichts dieser möglichen Konkurrenz ein.
[…..] Schon in der Ukraine-Affäre wollten zu viele Republikaner Trump nicht bestrafen - aus Loyalität, Opportunismus, Angst vor ihm und seinen Anhängern. Diese Kräfte sind immer noch am Werk. Das ist die erste Lehre aus der Trump-Ära: Man sollte nie unterschätzen, wie verdorben die Republikanische Partei ist.
Die zweite Lehre: Nach dem Freispruch vor einem Jahr stiegen Trumps Beliebtheitswerte. Sein Fehlverhalten, das der Prozess gut dokumentiert hatte, verlor im parteipolitischen Fleischwolf von Washington seine Konturen. Nun steuert der Senat auf eine traurige Wiederholung zu. Darüber freuen kann sich nur einer: Trump. [……]
Es wird also kaum zu einer Verurteilung kommen.
Damit bleibt Trump ein politischer Player und kann sich 2024 wieder zur Präsidentschaftswahl stellen.
Ein Alptraum für alle anständigen und rechtschaffenden Menschen.
Mutmaßlich wird dann der 82-Jährige Joe Biden nicht mehr antreten, seine Vizepräsidentin wird zur Präsidentschaftskandidatin aufrücken.
Ein aus Sicht der weißen alten rassistischen Männer ideales Szenario: Der White Supremacist in Chief gegen eine Frau, eine dunkelhäutige Frau, eine Frau, deren Eltern eingewandert sind.
Trump könnte die ganze Klaviatur der menschenverachtenden minderheitenfeindlichen Gefühle bedienen.
Ich meine aber, die Demokraten sollten sich nicht davor fürchten. Im Gegenteil, Trump hat schon zweimal bewiesen, wie er deutlich die popular votes verlor.
Er würde in vier Jahren ohne Amtsbonus und mit einem großen Ballast von Prozessen antreten.
Kamala Harris hingegen träte mit der Autorität einer erfahrenen Vizepräsidentin an.
Die Demographie entwickelt sich ohnehin kontinuierlich gegen die weißen alten Rassisten-Männer.
Ohne die abscheulichen demokratieverachtenden Lügen und den drastischen Rassismus des noch amtierenden Trumps, hätten die Republikaner sicher nicht im erzkonservativen Georgia beide Senatssitze auf einmal verloren.
Ohne die abstoßende Sprache und das feindselige Auftreten Trumps, hätten sich nicht Millionen weiße wohlhabende Vorstadt-Frauen für Joe Biden gestimmt.
Ob sich die Republikaner mit ihrem erneuten demütigenden Kotau vor dem orangen Ex-Präsidenten einen Gefallen tun, wage ich zu bezweifeln.