Dienstag, 3. Oktober 2017

Ruckeln…



Wie wird man eigentlich Bundespräsident?
Mal abgesehen von der technischen Frage, also der Mehrheitsfindung in der Bundesversammlung, ist man als oberster Deutscher vorzugsweise ehemaliger Parteipolitiker, verfügt über einen guten Draht ins Kanzleramt, eckte in seinen bisherigen Funktionen möglichst nie an, gibt sich immer sehr religiös und gilt allgemein als harmlos.

Frank-Walter Steinmeier gilt als Idealbesetzung. Er war und ist beliebtester Politiker Deutschlands – so wie eigentlich alle Außenminister, wenn sie nicht durch extreme Unfähigkeit auffallen wie Guido Westerwelle.

Mehr Establishment als Steinmeier geht eigentlich gar nicht.

(…..)  Seit zwei Jahrzehnten sitzt er an entscheidenden Hebeln der Macht und führt das fort, was wir fast immer im Amt des Bundespräsidenten hatten:

1.   Alt
2.   Mann
3.   Weißhaarig
4.   Ausgesprochen fromm und christlich.

Ich hatte so sehr gehofft, daß mal kein klerikaler Geront ins Schloß Bellevue einzieht, der einmal mehr die Abgehobenheit des politischen Betriebs repräsentiert.

1.   Mit Steinmeier, der schon als nächster Präsident der Synode der Evangelischen Kirche gehandelt wurde, zieht schon wieder ein hardcore-Religiot ins höchste Amt der Bundesrepublik ein.

2.   Im Juli 2016  erhielt er den „Ökumenischen Preis der Katholischen Akademie Bayern“ für die "Kraft seiner christlicher Überzeugung."

3.   Steinmeier focht engagiert für die diskriminierende „Pro-Reli“-Initiative gegen seine eigene Berliner Partei.

4.   Steinmeier predigte am 12.November 2014 beim Eröffnungsgottesdienst der Synode der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz.“

5.   Laudator und Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm überreichte im September 2016 den Toleranzpreis der Evangelischen Akademie Tutzing an Steinmeier.

6.   Frank-Walter Steinmeier gehört dem Präsidium des Kirchentages an.

7.   Steinmeier forderte beispielsweise 2012 vehement und verfassungswidrig die Einmischung der Kirchen in die Politik.

8.   Steinmeier eröffnete im November 2014 die Synode der Brandenburgischen Kirche.

Zu fromm für meinen Geschmack.

Ich halte es für nahezu ausgeschlossen, daß er eine Art von Aufbruchsstimmung generieren könnte, die auch bisher Politikferne für unsere Demokratie begeistern wird. (….)

Zeitsprung. Elf Monate später scheint sich meine Prognose mustergültig erfüllt zu haben.
Der gegenwärtige Bundespräsident kommt in der öffentlichen Wahrnehmung gar nicht vor, initiierte keine Debatten und sah teilnahmslos der Radikalisierung im Wahlkampf, der Hetze der AfD zu.
Dem Geschrei des braunen Mobs vorzugweise in Ostdeutschland stellte er nicht entschieden entgegen; er stützte auch nicht die Politiker und Initiativen, die das taten.
Der „BuPrä“ geriert sich als typischer Christ. Christen arrangieren sich mit den Verhältnissen, sehen eine höhere Macht am Werke, glauben an einen versteckten Sinn von Grausamkeiten. Ein echter Humanist hingegen würde sich viel mehr gegen Ungerechtigkeit engagieren, würde aufbegehren und in dem Wissen, daß wir nur dieses eine endliche Leben haben, alles tun, um es zu optimieren, statt still zu beten.

War Steinmeier eigentlich im Amt? Oder verfiel er in einen neunmonatigen Winterschlaf?

[….]  Nach der Bundestagswahl ist es jetzt höchste Zeit, dass dieser Präsident zu kämpfen beginnt. Gefragt ist der Mut, hässliche Wahrheiten auszusprechen.
[….] Nach dem vielversprechenden Auftakt droht die Präsidentschaft des Frank-Walter Steinmeier in diffuser Blässe zu verschwimmen. Dabei ist das Staatsoberhaupt, das am Dienstag zum Tag der Deutschen Einheit sprechen wird, weder ein Unsympath, noch fehlt es ihm an Ambition. [….] "Mut zur Demokratie" - mit diesem Motto hat der Bundespräsident seine Antrittsbesuche in den Bundesländern überschrieben. Es taugt aber nicht recht, um die Welle von Verachtung auch nur zu beschreiben, die übers Land geht, die Entfremdung zwischen Ost und West, den Fremdenhass, den Rückzug in Extremismus oder Islamismus und immer neue, gezielte Tabubrüche, um den Nationalsozialismus zu relativieren. [….] Es fehlt nicht an "Mut zur Demokratie" in Deutschland, es fehlt ein Bundespräsident mit dem Mut, hässliche Wahrheiten verständlich auszusprechen und sich dafür notfalls beschimpfen zu lassen. [….] Man wüsste vom Bundespräsidenten zum Beispiel gern, wo er eigentlich in der Flüchtlingsfrage steht. Oder wie er sich erklärt, dass das völkische Denken so populär ist, gerade in postsozialistischen Gesellschaften. Hilfreich wäre auch Wegweisendes zur Frage, warum im reichen, protestantisch geprägten Baden-Württemberg mehr als zwölf Prozent die AfD gewählt haben. Liegt das womöglich gar nicht an Flüchtlingsangst, sondern an der Sorge, den Ärmsten der Welt vom eigenen Wohlstand abgeben zu müssen? Vielleicht könnte mal jemand den autochthonen Sachsen erklären, dass nicht-weiße Menschen mindestens so selbstverständlich zur Bundesrepublik gehören wie sie selbst. Dieser Jemand sollte der Bundespräsident sein, jedenfalls wenn er nicht als Pantoffeltier in Erinnerung bleiben will. Es wird Zeit. [….]

Die Bedeutung der Bundespräsidentenwahlen wird generell überschätzt. Weder hatten wir bisher besonderes Glück mit den Personen, noch deuteten die Amtsinhaber auf künftige Bundesregierungen hin, wie man auch am 24.09. mustergültig sah.

Herzogs berühmte Ruckrede, gehalten vor genau 20 Jahren, ist in Wahrheit ein journalistischer Popanz.
Sie wurde von der veröffentlichten Meinung gefeiert, blieb aber völlig ohne Effekt in der öffentlichen Meinung.
Ich gehe jede Wette ein, daß kein Pegidiot auf der Straße den Begriff „Ruckrede“ kennt.
Es ist geradezu lächerlich wie seitdem jeder Bundespräsident mit der jährlichen „Berliner Rede“ versucht den großen Effekt zu erzielen; wie jeder Journalist nach den folgenden 19 ruckelnden Reden die Worte auf ihre Bedeutsamkeit abklopfte.
Das liegt in der Natur der Establishment-Bundespräsidenten und der minimalen Macht des Amtes.
Es ist auch von den Bundestagsparteien keineswegs gewünscht, daß der Bundespräsident die Demokratie in Deutschland wirklich wachruckelt.
Daher wurden gute und prädestinierte Kandidaten, wie meine große Favoritin gar nicht erst in Erwägung gezogen.

Nach neun Monaten im Schlafwagen, in denen Steinmeier die AfD phlegmatisch geschehen ließ, nie eingriff, wenn zukünftige Bundestagsabgeordnete mit echtem NS-Vokabular den braunen Mob auf den Straßen anheizten, von „Entsorgung in Anatolien“ und „Stolz auf die Vernichtungszüge der Wehrmacht“ faselten, sprach er heute also zum Tag der deutschen Einheit.

Unfassbar, aber wahr – nach 20 Jahren bemühen die politischen Kommentatoren immer noch den ausgelutschten alten Herzog-Begriff, der damals falsch war und heute erst recht falsch ist.

[….] Tag der Deutschen Einheit - Steinmeiers Ruck-Rede
Lange galt Bundespräsident Steinmeier als abgetaucht. Bleibendes hat man kaum vernommen, seit er im Amt ist. Am Tag der Deutschen Einheit fand er aber Worte zu Themen wie Heimat und Flüchtlinge, die nachhallen könnten. [….]

Der heutige Feiertag ist ein Selbstbeweihräucherungstag von Politikern und Journalisten, der für alle anderen entweder zum Ausschlafen taugt, oder da er dieses Jahr auf einen Dienstag fällt gern als vier-Tage-Wochenende für einen Kurzurlaub genutzt wird.
Niemand hört oder liest die Reden, die heute beim zentralen Mainzer Festakt gehalten wurden.

Ich kann leider auch nicht guten Gewissens empfehlen die Rede zu lesen.
Es ist eben Steinmeier und kein Begnadeter Rhetor wie Helmut Schmidt oder eine geniale Analytikerin wie Herta Müller.

Er betont den Minimalkonsens der Politik und zeigt, daß er nicht in der Lage ist out of the box zu denken. Potzblitz, er stellt eine Spaltung der Gesellschaft fest. Nicht nur in Ost und West, sondern auch reich und arm. Diese Zustandsbeschreibung kenne ich seit 20 Jahren. Als sehr frommer Mann garniert er das mit vielen freundlichen Appellen.
Dazu hagelt es so viele Allgemeinplätzchen, daß man förmlich vor sich sieht, wie Steinmeiers Redenschreiber dieses Konglomerat aus Redundanzbausteinen zusammensetzten. Einen Effekt wird die Rede sicher nicht haben.

[…]""Tag der Deutschen Einheit?"" werden Sie fragen: ""Wieso eigentlich nur einmal im Jahr? Deutsche Einheit ist doch jeden Tag"" – 365 Tage im Jahr und das seit 27 Jahren. […]
Liebe Jugendliche, Ihnen gehört die Zukunft dieses Landes! [Bitte 5 Euro ins Phrasenschwein!]
Fragen Sie – gerade in diesem Jahr – nach dem Staatsmann, nach dem deutschen Europäer hier aus Rheinland-Pfalz, der die historische Gunst der Stunde ergriffen und das Einigungswerk politisch ermöglicht hat: Helmut Kohl, der vor drei Monaten verstorben ist.
Das ist das Deutschland, in das Sie geboren wurden – ein Deutschland, das einen weiten Weg zurückgelegt hat. [Bitte 5 Euro ins Phrasenschwein!]
[…] Meine Damen und Herren, unser Weg muss ein Weg in Frieden und Freundschaft mit den europäischen Nachbarn bleiben, und nie wieder ein Rückweg in den Nationalismus sein! [Bitte 5 Euro ins Phrasenschwein!]
[…] Heute, am 3. Oktober stellen wir fest: Ja, die deutsche Einheit ist politischer Alltag geworden. Die große Mauer quer durch unser Land ist weg. Aber am 24. September wurde deutlich: Es sind andere Mauern entstanden, weniger sichtbare, ohne Stacheldraht und Todesstreifen – aber Mauern, die unserem gemeinsamen ""Wir"" im Wege stehen. [Bitte 5 Euro ins Phrasenschwein!]
[…] Nicht alle, die sich abwenden, sind deshalb gleich Feinde der Demokratie. [Bitte 5 Euro ins Phrasenschwein!]
Wir sind ein vielfältiges Land. […][Bitte 5 Euro ins Phrasenschwein!]
Argumente statt Empörung brauchen wir auch und gerade bei dem Thema, das unser Land in den letzten zwei Jahren so bewegt hat wie kein anderes – Flucht und Migration. […][Bitte 5 Euro ins Phrasenschwein!]
Die Not von Menschen darf uns niemals gleichgültig sein. Und unser Grundgesetz garantiert den Schutz vor politischer Verfolgung, aus guten, in Deutschland auch historischen Gründen, an die wir uns erinnern müssen. […]
Wir müssen uns ehrlich machen […][Bitte 5 Euro ins Phrasenschwein!]
 Ich bin sicher, wenn Politik sich dieser Aufgabe annimmt, gibt es eine Chance, die Mauern der Unversöhnlichkeit abzutragen, die in unserem Land gewachsen sind.
[…]  Wenn einer sagt ""Ich versteh mein Land nicht mehr"", dann gibt es etwas zu tun in Deutschland […] Denn verstehen und verstanden werden – das will jeder – und das braucht jeder, um sein Leben selbstbewusst zu führen. Verstehen und verstanden werden – das ist Heimat.
[…]Diese Sehnsucht nach Heimat dürfen wir nicht denen überlassen, die Heimat konstruieren als ein ""Wir gegen Die""; […]  [Bitte 5 Euro ins Phrasenschwein!] Die Sehnsucht nach Heimat – nach Sicherheit, nach Entschleunigung, nach Zusammenhalt und Anerkennung –, die dürfen wir nicht den Nationalisten überlassen. [Bitte 5 Euro ins Phrasenschwein!]
[…] Natürlich wurden auch Fehler gemacht in den Jahren nach 1990 – und es gibt keinen Grund, darüber zu schweigen. […][Bitte 5 Euro ins Phrasenschwein!]
 Wer in Deutschland Heimat sucht, kommt in eine Gemeinschaft, die geprägt ist von der Ordnung des Grundgesetzes und von gemeinsamen Überzeugungen. […]  [Bitte 5 Euro ins Phrasenschwein!]
 was mich so zuversichtlich macht, sind die Millionen anderen, die anpacken, die sich für das Gelingen und den Gemeinsinn in unserem Land täglich einsetzen.
Die – ohne, dass sie’s müssten – nach den kranken Nachbarn schauen, die im Altersheim vorlesen oder Flüchtlingen beim Ankommen helfen. Die Alleinerziehenden vielleicht einen freien Nachmittag schenken […]