Es passierte das, was immer passiert, wenn ein frommes
Kirchenmitglied aus der Provinz intelligent ist, sich bildet und hinaus in die
große Welt geht: Sie wurde ungläubig.
Nicht nur das, wie jeder anständige Mensch empörte sie sich
über die ungeheuerlichen Machenschaften ihrer Kirche.
[…..] Die Argumente gegen die Kirche gehen mir leichter von der Hand. Der
sexuelle Missbrauch und seine Aufarbeitung erbosen mich am meisten. Als ich mit
Opfern sprach, war ich erschüttert, wie institutionalisiert die Übergriffe
stattfanden. Ein Betroffener sagte: »Ich glaube an Gott, aber sein
Bodenpersonal ist grottenschlecht.« Die Heuchelei dieser Institution widert
mich an, dieser Größenwahn! All das Leid, die unmenschliche Ignoranz gegenüber
wehrlosen Kindern, die trägen Versuche der Wiedergutmachung.
Doch nach außen hin die Moral hochhalten, sexuelle Bedürfnisse
missbilligen, Verhütung verteufeln. Die Frau als untergeordnetes Geschlecht
ansehen, sie von sämtlichen Ämtern ausschließen. Auch das bringt mich zum
Schäumen. Weil diese apodiktischen Grundsätze rückständig und fernab der Lebensrealität
sind. Ja, ich empfinde sie sogar als menschenfeindlich. Als aufgeklärte Frau
muss es schwerfallen, die Überzeugungen dieses Männervereins zu akzeptieren.
[….]
Da ich schon eine Generation älter als die Autorin bin, kann
ich all die Argumente schon singen.
Um sich vor Wut zu schütteln, muss man nur an einem
beliebigen Tag wie heute die Medien verfolgen. Dieser ganze Blog ist voll mit
den ungeheuerlichen Verbrechen der katholischen Kirche.
Einige willkürlich ausgewählte Meldungen nur aus dieser
Woche:
1.)
Kinderficker Theodore Kardinal McCarrick
konnte so lange unbehelligt bleiben, weil er Papst und Kurie bestach.
[…] Der wegen Missbrauchs entlassene Ex-Kardinal Theodore McCarrick hat laut "Washington Post" über Jahre Hunderttausende Dollar an Kleriker gespendet. Auch Papst Benedikt XVI. soll profitiert haben.
[…] Der wegen Missbrauchs entlassene Ex-Kardinal Theodore McCarrick hat laut "Washington Post" über Jahre Hunderttausende Dollar an Kleriker gespendet. Auch Papst Benedikt XVI. soll profitiert haben.
[…]McCarrick soll demnach zwischen 2001 und 2018 knapp 200 Schecks im Wert
von insgesamt rund 600.000 Dollar an mächtige Kleriker geschickt haben, von
denen einige mit innerkirchlichen Ermittlungen in seinem Missbrauchsfall
betraut waren. Der ehemalige Erzbischof von Washington soll zwischen
1970 und 1990 zahlreiche Priesteramtskandidaten und mindestens zwei
Minderjährige sexuell missbraucht haben. Wegen eines Übergriffs auf einen
Messdiener im Jahr 1971 wurde er im Juni 2018 suspendiert und schied kurz
darauf aus dem Kardinalsstand aus. […]
Unter den Empfängern sollen aber auch zwei Päpste gewesen sein: Johannes Paul
II. habe zwischen 2001 und 2005 rund 90.000 Dollar erhalten, heißt es in dem
Zeitungsbericht, der sich auf Bankdokumente beruft. Benedikt XVI. soll 291.000
Dollar bekommen haben - den Großteil davon im Jahr 2005, einen Monat nach
seinem Amtsantritt. [….]
2.)
[…] Spektakulärer Mord in Frankreich. […]
In Frankreich steht ein Teenager im Verdacht, einen 91 Jahre alten
Geistlichen aus Rache brutal getötet zu haben. Der Leichnam des katholischen
Priesters namens Roger Matassoli war bereits am 4. November in seinem Haus […] entdeckt worden. […]
Gerichtsmediziner hatten bei dem Geistlichen im Ruhestand Tod durch
Ersticken festgestellt. Unter anderem war ein Kruzifix in die Kehle gerammt
worden. […] Verantwortlich für die
Tat soll ein 19-Jähriger namens Alexandre V. sein. […] „Dieser Mann hat eine ganze Familie geschreddert“, sagte Alexandres
Vater, der Stephane genannt wurde, der Zeitung „Le Parisien“ über Matassoli.
Sein eigener Vater, also der Großvater von Alexandre, habe sich das Leben
genommen, nachdem er von dem Missbrauch durch den Priester erfahren habe.
Roger Matassoli war bereits zuvor des Missbrauchs an zahlreichen Jungen
zwischen den Jahren 1960 und 2000 beschuldigt worden. Mehrere Männer haben sich
mittlerweile geoutet. Trotzdem soll der Priester über vier Jahrzehnte von der
Kirche gedeckt worden sein. Ein juristisches Verfahren oder eine Aufarbeitung
durch die Kirche gab es offenbar nie.
Nach Bekanntwerden der Vorwürfe bereits im Jahr 1967 war er stattdessen
von der Diözese Clermont in eine andere nach Saint-Andre-Farivillers versetzt
worden. Schließlich wurde er nach Agnetz im Nordwesten Frankreichs geschickt.
Bis 2018 blieb er auf der Gehaltsliste der Diözese Beauvais. […]
3.)
[…] Mindestens 175 Missbrauchsfälle bei den Legionären Christi
Mitglieder des katholischen Ordens Legionäre Christi haben in den
vergangenen acht Jahrzehnten Kinder sexuell missbraucht. Verantwortlich seien
33 Priester und Diakone, heißt es in einem Untersuchungsbericht.
Die Opfer waren der Untersuchung zufolge zumeist Jungen im Alter
zwischen elf und 16 Jahren. […] Aus
dem Bericht geht hervor, dass 18 der 33 beschuldigten Männer immer noch Teil
der Organisation sind. […]
4.)
[…] Rom Es ist ein trauriger Rekord: In diesem Jahr wurden weltweit etwa
1000 Fälle von sexuellem Missbrauch durch Geistliche gemeldet. Die Behörde im
Vatikan, die solchen Vorwürfen nachgehen soll, ist angesichts dieser
Entwicklung unterbesetzt. „Im Moment stehen wir vor einem regelrechten Tsunami
von Fällen, vor allem aus Ländern, aus denen wir bisher nie etwas gehört
hatten“, sagt John Kennedy, Leiter der Disziplinar-Abteilung der Kongregation
für die Glaubenslehre. […] Seit 2001
hat die Glaubenskongregation schon 6000 Fälle bearbeitet. Trotzdem gibt es
einen erheblichen Rückstau – 2000 Vorwürfe konnten bisher nicht überprüft
werden. Mit nur 17 festen Mitarbeitern ist die Behörde schlicht überlastet.
[….]
Welcher denkende und mitfühlende Mensch möchte da noch gern
in der Kirche bleiben?
Christina Fleischmann gehört auch nicht dazu. Zumal sie die
strenge Kirchentreue in ihrer Jugend keineswegs genoss, sondern eher darunter
litt.
[…..] Oft fühlte ich Beklemmung in der Kirche, diesem großen, kalten Raum mit
seinen Heiligenfiguren, die vorwurfsvoll leidend auf mich herabschauten. Auf
mich in meinen herausgeputzten Sonntagskleidern. Die Gläubigen saßen steif und
andächtig in den unbequemen Holzbänken, zum Orgelspiel leierten sie ihre
Lobgesänge, meine Großmutter neben mir besonders laut. […] Sicher prägte die strenge Haltung unseres
Dorfpfarrers mein Bild von der katholischen Kirche. Neben ihm immer dieselben
beiden Ministranten. […] Kurz vor der Erstkommunion zählte ich ihm im
Beichtstuhl meine Sünden auf, die ich mir vorher zurechtgelegt hatte: Ich habe
meinen Bruder geärgert, zu meinen Eltern war ich nicht immer brav. Zur
Absolution sollte ich ein paar Vaterunser und Ave Maria beten. Mit dem letzten
»Amen« fühlte ich mich von einer Last befreit, die ich zuvor nicht gespürt
hatte. Den endlos langen Predigten unseres Pfarrers wollte ich nicht folgen,
ich fand sie langweilig, weil sie nichts mit meiner kindlichen Welt gemein
hatten. Um die Zeit rumzukriegen, blätterte ich im Liederbuch und schaute mir
Heiligenbilder an. Diese Gottesdienste hatten nichts Fröhliches, keine Liebe
erfüllte den Raum, Lachen oder Klatschen waren verboten, die Schafe hatten zu
schweigen und zu lauschen.
So zwang mir die Messe eineinhalb Stunden pro Woche eine
Bedeutungsschwere auf, die mich einschüchterte. Ich fühlte mich klein,
schlecht, unwohl in meiner Haut. Doch meinen Eltern war es wichtig, sonntags in
die Kirche zu gehen. Sie meinten, das gehöre zur guten Erziehung. […]
In dem Essay aus dem vorletzten SZ-Magazin, aus dem ich hier
zitiere, geht Fleischmann der Frage nach wieso sie eigentlich immer noch
zahlendes Mitglied der RKK ist und es nicht fertig bringt tatsächlich
auszutreten.
Für den Artikel machte sie sich auf die Reise, um Pro- und
Contra-Argumente einzusammeln.
Hätte sie mich gefragt, den alten Sack, der sich schon einige
Jahrzehnte länger mit der Kirche beschäftigt, wäre sie sicherlich nicht
ausgerechnet zu Margot Käßmann gegangen, um sich dort den Rat zu holen Kirchenmitglied
zu bleiben, damit der „bürokratische und institutionalisierte“ Apparat Kirche
von Innen reformiert werde.
Offenbar weiß Fleischmann nicht um die gravierenden
intellektuellen Unzulänglichkeiten der Botschafterin des nach Hitler
zweitschlimmsten Antisemiten (Luther), die in sagenhafter Einfältigkeit
massakrierten, vergewaltigten und vertriebenen Opfern zuruft „Man kann nie
tiefer fallen als in Gottes Arme.“
Fleischmanns vom Religionspsychologen Sebastian Murken
übernommene Idee einer Pro-und-Contra-Liste Kirche mag schon eher zielführend
sein, aber ihre Pro-Seite der Tabelle spricht leider auch für eine zu schwache
Durchdringung der Materie.
Pro:
Vermittlung moralischer Ideale
soziales Engagement weltweit
Gemeinschaftsgefühl
Familientradition
Contra:
tatsächlich gelebte Moral
sexueller Missbrauch, Umgang damit
undurchsichtige Strukturen
Männerverein
Unterordnung der Frau
Ablehnung von Sexualität
Die moralischen Ideale mussten allesamt gegen den
erbitterten Widerstand der Kirche von Humanisten und Aufklärern erkämpft
werden.
Kirchenmoral hingegen sind Sklaverei, Misogynie, drastischer
Antisemitismus, Rache, Kinderschlagen, Ungleicheit.
Und wem soziales Engagement wichtig ist, der sollte sein
Geld dringend anderen Organisationen geben, denn nirgendwo ist die Quote so
mies wie bei den Kirchen, die über 90% des Geldes für sich und ihre eigene Prunksucht
behält.
Ich begann mich, wie so oft, schon über diesen zu wenig
substantiellen Artikel zu ärgern.
Aber immerhin, mir gefiel die Definition der Punkte, die sie
als „Gemeinschaftsgefühl und Familientradition“ subsummiert.
Etwas von dem ich, Darwin sei Dank, verschont blieb.
Etwas von dem ich, Darwin sei Dank, verschont blieb.
[…..] Präverbale
Prägung. So erklärt es der Religionspsychologe Sebastian Murken. Noch bevor wir
zu sprechen lernen, verbinden wir demnach mit der Kirche vertraute Geräusche,
Gerüche und damit ein Gefühl von Heimat. Dagegen anzukämpfen sei schwierig.
»Diese Prägung setzt sich tief im Gehirn fest. Sie kann über das Kognitive, die
Großhirnrinde, kaum gelöscht werden«, sagt Murken. In jungen Jahren setze sich
der Einfluss der Kirche fort: mit Erstkommunion und Firmung, die noch vor der
rebellischen Phase der Jugend stattfinden.
Klingt nach systematischer Gehirnwäsche, denke ich. [….]
Präverbale Prägung.
Ein schöner Terminus Technicus, noch dazu alliteriert, den
ich gern in meinen Wortschatz übernehme.