Mittwoch, 18. Dezember 2019

Was ist los bloß mit den Leuten?


Da ich mitten in der Stadt wohne, ist eine der wenigen Annehmlichkeiten, die mir wichtig sind, mein Tiefgaragenplatz.
Es verschafft mir immer noch tiefe Befriedigung mit meiner Karre da hinein zu gleiten, während andere ewig nach einem Parkplatz suchend um den Block fahren. Daß mein Auto sicher das Schrottigste und Wertloseste in der Garage ist, könnte mir nicht egaler sein. Hauptsache, er hat es warm und trocken.
Heute Morgen musste ich zu einem Nachsorgetermins wegen meines Flunkens.
Ich kam aber nicht raus, weil ein Lieferwagen quer in der Einfahrt der Garage stand.
Das ist a) ärgerlich, wenn man es eilig hat und b) noch ärgerlicher, weil die Einfahrt so breit ist, daß man sich da draufstellen kann, ohne die dort Parkenden komplett zu blockieren.

Einige Menschen hupen in so einer Situation einfach so lange, bis der Fahrer des im Weg Stehenden genervt angetrabt kommt.
Ich tat das natürlich nicht, weil ich 1.) die Huperei unglaublich proletig finde, 2.) mich schon oft die Pest geärgert habe, wenn ich aus dem Schlaf gerissen wurde, weil irgendein Depp vor meinem Schlafzimmer die ganze Straße wach-hupt und 3.) handelte es sich um einen rumpeligen DPD-Van. Jeder weiß, daß von allen schlecht bezahlten Paketboten die Jungs von DPD am miesesten dran sind. An ihrem Elend sind wir idiotischen Verbraucher schuld, die keine zwei Meter mehr in den nächsten Laden gehen und selbst eine Rolle Klopapier oder einen Apfel bei Amazon bestellen. Natürlich ist die Nachbarschaft dadurch mit Paketlieferwagen vollgestopft.
Es gehört sich nicht seine schlechte Laune und schlechte Planung mit asozialer Huperei an den Schwächsten – den Lieferboten – auszulassen.
Nach fünf Minuten kam der arme Junge mit immer noch einem Berg Päckchen, die er nicht losgeworden war, auf dem Arm zurück und fuhr seine Karre aus dem Weg, so daß ich los konnte.

Hinter dem Ärztehaus, in das ich musste, befindet sich ein riesiger Parkplatz, der allerdings bis auf den letzten Zentimeter vollgestopft war.
Ich stopfte den Chip zurück in den Parkautomaten, fuhr wieder weg und entdeckte glücklicherweise gleich vor dem Haus eine Möglichkeit mein Auto abzustellen. OK; nicht gerade ganz legal, das gebe ich zu. Ein Ticket riskiere ich schon mal. Aber ich stelle mich niemals so hin, daß ich ein anderes Auto oder eine Einfahrt blockiere.
 So auch diesmal. Ich war zwar etwas sehr an eine Hauswand gepresst, aber mein fahrbarer Untersatz passte zentimetergenau so dahin, daß Fußgänger, Radfahrer und andere Autos ungehindert vorbei konnten.
Das ist nicht nur aus grundsätzlichen Erwägungen wichtig, weil ich kein rücksichtsloses Arschloch sein will, sondern weil Radfahrer ob ihres politischen Rückenwinds unfassbar aggressiv sind, sofort rumpöbeln, Stinkefinger zeigen oder auch handgreiflich gegen das Auto werden. Ich habe davon schon diverse Kratzer über eine ganze Autoseite abbekommen. Vor wenigen Wochen bekam ich mal fast einen Herzinfarkt, als ich an einer roten Ampel stand und plötzlich ein Radfahrer, der wegen der engen Straße nicht rechts an mir vorbei rollen konnte, anfing wie ein Irrer auf mein Wagendach zu trommeln.
Ein fürchterliches Klischee, Autofahrer vs Radfahrer, ich weiß, aber ich habe nun seit vielen Jahrzehnten einen Führerschein und schwöre, es ist eine ganz neue Qualität der Rad-Aggressoren, die man seit zwei, drei Jahren erlebt.

Da ich derzeit wirklich sehr gehbehindert bin, kaum lange Strecken zurücklegen kann und auch noch in ein Ärztehaus musste, dessen legale Parkplätze zugestopft waren, machte ich mir keine Gewissensbisse ob meiner kreativen Parkerei.
Als ich zurückkam hatte ich aber doch den obligatorischen Liebesbrief am Scheibenwischer.
Nicht das übliche Parkticket. Über die ärgere ich mich nicht; die Park-Hiwi-Polizisten tun auch nur ihren Job und die Bußgelder kommen der Allgemeinheit zu Gute.
Nein, diesmal war es wieder mal eine dieser anonymen Anwohner-Drohungen, die auch immer häufiger werden.

 
74 Jahre nach dem Ende der Gestapo und 30 Jahre nach der Auflösung der Stasi, kriechen wieder die Hobby-Denunzianten aus ihren Löchern.
Was ist eigentlich los mit solchen Menschen?

Offensichtlich handelt es sich dabei nicht nur um eine subjektive Beobachtung in meiner Umgebung. Nein, ich lese seit einiger Zeit von immer mehr Nachbarschaftsspitzeln, die mit gezückter App nur darauf warten die Polizei zu rufen.

[….] Es ist die vermeintliche Jagd nach dreisten Falschparkern - immer mehr Privatpersonen beteiligen sich daran, spielen Sheriff in den Städten. [….]  Die Zahl der Privatpersonen, die Falschparker melden, nimmt offenbar massiv zu. Laut dem WDR hat sich die Zahl der Meldungen in Aachen innerhalb eines Jahres verdreifacht, auch in Düsseldorf stieg sie von unter 7000 auf fast 12.000 innerhalb eines Jahres. [….]

Kleine miesen Petzen sind das, die mich besser verstehen lassen, wie es in den 1930er Jahren funktionierte, daß die Gestapo mit Myriaden anonymen Meldungen über angebliche Juden in der Nachbarschaft und deren Besitztümer überflutet wurden.
Das obrigkeitshörige, uniformgeile Denunzianten-Gen steckt offenbar unausrottbar in den Deutschen.
Kann man sich das aus Italien oder Spanien vorstellen, daß Anwohner mit dem Zollstock ausmessen, ob ein Auto womöglich drei cm auf dem Radweg steht und dann gierig die Polizei anrufen?
Was ist denn mit „mind your own business!” geworden?

Ich spreche wohlgemerkt nicht von rücksichtslosen Parkern, die andere blockieren, Durchfahrten versperren, oder – was ich besonders hasse – mit einem Auto zwei Parkplätze besetzen.
Nein, ich meine die Aggressivität wider die Rücksichtsvollen, die ihre Karre zwar nicht ganz legal, aber doch so hinpressen, daß niemand gestört wird.

[…..] Anwohner, Fußgänger und andere Autofahrer […..] greifen deshalb zur Selbstjustiz, wie der SWR am Beispiel der Großstadt Stuttgart berichtet. Demnach komme es immer häufiger vor, dass Privatpersonen Autofahrern selbstgebastelte Knöllchen an die Windschutzscheibe stecken. Auf diesen falschen Strafzetteln steht dann beispielsweise „Scheiße geparkt!“ oder ähnlich lapidare Sprüche. Der Kreativität scheinen da keine Grenzen gesetzt zu sein. Der SWR berichtet zudem von einem Fall, bei dem eine Falschparkerin einen Zettel bekommen hat, auf dem vermerkt war, dass man ein Foto von dem Fahrzeug gemacht und einen Zeugen parat habe, um die Falschparkerin anzuzeigen. […..]

Wir sprechen hier über eine Nation, in der unzählige Versuche gezeigt haben, wie alle Passanten penibel wegsehen, wenn jemand sexuell belästigt, xenophob bepöbelt wird oder medizinische Hilfe braucht.

[….] Eine 25 Jahre alte Frau ist auf einem S-Bahnhof bei München von einem Mann attackiert und misshandelt worden. Zahlreiche Passanten hätten dies beobachtet, seien der Frau aber nicht zu Hilfe geeilt, teilte die Polizei am Dienstag mit. Der mutmaßliche Täter wurde gefasst, ermittelt wird auch gegen einen unbekannten Mann wegen unterlassener Hilfeleistung. [….]

Aber bei Ordnungswidrigkeiten, die man aus der Anonymität maßregeln kann, werden einige Deutsche ganz eifrig.

[….] In einer kleinen Straße im Münchner Norden herrscht Zwietracht: Ein Mann aus dem Landkreis Freising zeigt regelmäßig Falschparker an und hält damit Polizei wie Anwohner auf Trab.
[….]  "Das war hier mal eine langweilige Anwohnerstraße", sagt Thomas Nindl. Er meint das positiv, im Sinne von: unaufgeregt, ordentlich, ruhig. Seit einigen Monaten ist das anders. Anwohner brüllen sich auf offener Straße an oder klemmen auf Zettel geschriebene Beschimpfungen an Windschutzscheiben. "Du blöde Amsel kannst nicht Auto fahren, hat einer meine Frau durch die Windschutzscheibe angeschrien", berichtet Nindl, 55-jähriger Ingenieur.
Seit einigen Monaten herrscht Unfrieden in dieser gut 450 Meter langen Wohnstraße in Freimann, an deren Südende sich das bekannte Metropol-Theater befindet. Auslöser dafür ist ein einziger Mann, der noch nicht einmal dort wohnt. "Gesehen hat den noch niemand. Aber der fährt hier durch und macht Fotos von den Nummernschildern", sagt Nindl. Und die schickt er per Mail an die Polizei. [….]

Überall in der Bundesrepublik poppen diese Möchtegern-Petzen aus ihren Löchern und halten die Polizei auf Trab.

[….]  Weit über 500 gestellte Anzeigen, drei Dienstaufsichtsbeschwerden, zwei Polizeieinsätze – und das alles in rund zwei Jahren: In diesen Zahlen lässt sich der Knöllchen-Streit an der Schulstraße zusammenfassen. Anwohner Thomas Hausmann steht dazu: Er fotografiert aus seiner Sicht falsch abgestellte Fahrzeuge auf der schmalen Straße und schickt die Fotos direkt an die Stadt. Sein Ziel: Er will eine freie Zufahrt zu seiner Auffahrt – ohne groß rangieren zu müssen. [….]

Zivilcourage mangelhaft, aber das Erbe von zwei totalitären Überwachungsstaaten und einem Heer williger anonymer Helfer und Tippgeber ist offenbar fest in der Teutonen-DNA verankert.

Internet, soziale Medien und Klugtelefone haben uns zu einer eierlosen Gaffergesellschaft gemacht. Helfen will keiner. Aber zugucken und natürlich petzen und anonyme Hinweise an die Polizei geben, wenn man anderen schaden kann.