Samstag, 11. Juli 2015

Fakten und Fiktionen



Wie verkündete es neulich der CDU-Fraktionschef und Heckler-und-Koch-Lobbyist Kauder?
In Brüssel wird wieder deutsch gesprochen.
Und leider spricht man in Deutschland auch deutsch.


Die Deutschen wollen keine linke Regierung am Tisch und setzen alles daran Syriza aus Brüssel zu vertreiben.
Mittlerweile lügen auch die SPD-Großkopferten Gabriel und Schulz nach Herzenslust – offensichtlich hoffen sie damit bei den schlecht informierten und xenophoben Wählern in Deutschland zu punkten.

Prof. Gesine Schwan (SPD), Politikwissenschaftlerin: „Die Gläubiger wollen ein für allemal verhindern, dass eine alternative Wirtschaftspolitik zum Zuge kommt, das ist ganz klar. Und das ist ganz schlimm, denn wenn diese Wirtschaftspolitik, die jetzt betrieben wird, nicht zugunsten der Menschen geht, dann ist das schlimm für die Menschen. Und daraus erklärt sich auch die Härte des Kampfes. Denn an Griechenland zeigt sich, ob die Europäer offen bleiben können für andere politische Optionen angesichts dieser Schuldensituation oder ob sich eine bestimmte Wirtschaftspolitik, eben die der Austerität, durchsetzt nur durch Sparen wachsen, die bisher nach meinem Eindruck nirgends wirklich Erfolg hatte.“

Prof. Thomas Piketty, Paris School of Economics: „Wir müssen anfangen, unsere Irrtümer einzusehen. Wenn wir eine so schlechte wirtschaftliche Performance haben und doppelt so hohe Arbeitslosenzahlen wie in den Vereinigten Staaten, dann weil wir eine viel zu strenge Sparpolitik betrieben haben.“

Demokratie ist inzwischen weniger gefragt, unter Merkels perfiden Ägide zählt nur neoliberales Diktat.
Merkel  und Lagarde entwickeln sich mehr und mehr zu den Totengräberinnen Europas.
Erstere vertritt ein Land, das bis heute das im WK-II von Griechenland geraubte Geld nicht zurückzahlen will, das nach dem ersten und zweiten Weltkrieg nur durch gewaltige Schuldenschnitte wieder auf die Beine kam und stammt zudem aus der DDR, die auch niemals die eigenen Schulden zurückgezahlt hätte, wenn nicht ein anderer Staat eingegriffen hätte.
Letztere war zu doof, um bei der ENA angenommen zu werden und scheiterte als französische Ministerin.

Zu Wochenbeginn ist im Wall Street Journal ein ausführlicher Beitrag über die deutsche Rolle in der EU erschienen, der auch die Folgen der Berliner Krisenpolitik scharfsichtig analysiert. Der Autor des Beitrags zeichnet in groben Zügen zunächst nach, wie die Bundesrepublik in den vergangenen Jahren zur dominierenden Macht der EU geworden ist. Jahrzehntelang habe es ein "Tandem aus Frankreich und Deutschland" gegeben, das in Brüssel den Ton angegeben habe, heißt es in dem Text; deutsch-französische Kompromisse hätten, weil sie von stark divergierenden Standpunkten aus erzielt worden seien, die übrigen EU-Staaten gewöhnlich integrieren können. Seit Deutschland nun allein dominiere, sei diese Integrationskraft nicht mehr gegeben. Berlins Macht schaffe stattdessen neue Spannungen in der EU, die gegen "die anschwellende Dominanz eines ihrer Mitglieder" zu kämpfen habe. Spätestens mit dem griechischen "Nein" vom vergangenen Sonntag seien "die Gefahren, die aus Deutschlands Aufstieg für das europäische Projekt resultieren, deutlich geworden" - aus einem einfachen Grund.
Denn mit jeder Krise, deren Lösung die deutsche Kanzlerin dominiert habe, sei vielen Menschen in der EU die Botschaft vermittelt worden, dass gänzlich "ungeachtet der Lippenbekenntnisse zu einem gemeinsamen 'Europäischen Projekt' die Deutschen und gesichtslose Bürokraten in Brüssel den Takt vorgeben", heißt es weiter im Wall Street Journal.. Gelinge es nicht, die Griechenland-Krise in nächster Zeit einzudämmen, werde der Widerstand gegen "die deutsche Macht in Europa" wohl weiter wachsen. Ähnlich wie die Rolle der Vereinigten Staaten die ganze Welt polarisiere, "polarisiert die deutsche Macht Europa", schreibt der Autor. Dabei gehe der Riss durch alle Länder.

Ich meine zu beobachten, daß sich die Merkel-Gabriel-kritischen Stimmen inzwischen doch häufen.
Zu offensichtlich verabreicht insbesondere Schäuble der griechischen Wirtschaft immer weiter Rattengift.
Genau die „Medizin“, die Syrizas christdemokratische und sozialdemokratische Vorgänger brav exekutiert hatten und damit Griechenland ruinierten.
Wenn es Merkel und ihrem fanatischen Finanzminister gelingen sollte Europa kaputt zu machen und zig Millionen Menschen zur Freude der Banker ins soziale Elend zu stürzen, können sie nicht a posteriori behaupten, es nicht besser gewußt zu haben.
Es mangelt nicht an mahnenden Stimmen

Berliner Blockierer.  Es spricht viel dafür: Deutschlands Regierung unternimmt zurzeit fast alles, um Griechenland aus dem Euro zu werfen. Denn wenn es stimmt, dass Merkel ohne den IWF kein Rettungspaket schnüren will, der aber auf einen Schuldenschnitt besteht, den Merkel wiederum kategorisch ablehnt, dann lässt sich daraus eigentlich nur ein Schluss ziehen: Selbst wenn die griechische Regierung auf den Knien nach Brüssel rutschen würde (was sie längst tut), wären Merkel und Schäuble kaum bereit, Griechenland in der Euro-Zone zu halten.
Die martialische Spar-Rhetorik der letzten Wochen wäre damit entlarvt: Als politisches Schmierentheater auf Kosten der griechischen Bevölkerung. Die wahren Blockierer, das lehren uns die letzten Tage, sitzen eben nicht in Athen sondern in Berlin.
Der Traum des deutschen Finanzministers von einem wohlhabenden "Kerneuropa" – er scheint zum Greifen nah. Dass Griechenlands Rentner oder Spaniens junge Arbeitslose sich dafür nichts kaufen können. Das gehört offenbar zum eiskalten Zynismus dieses Kalküls.
(Georg Restle, WDR, 10.07.2015)

[Brüssel und Berlin] hielten die Krisenstaaten mit Notkrediten zahlungsfähig, und zwangen sie, ihre Ausgaben radikal zurückzufahren. Zugleich definierten sie die Finanzkrise, die aus der maßlosen Kreditvergabe der Banken entstanden war, zu einer Staatsschuldenkrise um und dehnten das Sparkorsett mit ihrem „Fiskalpakt“ auf die ganze Euro-Zone aus.
Und um das zu rechtfertigen, beriefen sie sich auf eine Theorie, die schon seit 70 Jahren widerlegt ist. Es sei „ein Irrtum, zu meinen, dass Austerität dem Wachstum und der Schaffung von Jobs schadet“, behauptete etwa Trichet im Juli 2010. Das „größere Problem“ sei vielmehr „der Mangel an Vertrauen bei Haushalten und Unternehmen, dass die staatliche Haushaltspolitik nicht nachhaltig ist“.
Heute, fünf Jahre später, ist klar: Es ist genau anders herum. Mit jedem Euro, den die Staaten sparten, verloren sie bis zu 1,50 Euro an Wirtschaftsleistung, stellten Forscher des Internationalen Währungsfonds (IWF) schon 2012 fest. Im Ergebnis investierten die Unternehmen immer weniger, dafür stiegen die Schuldenquoten und die Arbeitslosigkeit. Und weil alle Euro-Länder gleichzeitig ihre Ausgaben kappen, fällt die europäische Wirtschaft weiter zurück.
Doch merkwürdig: Alle Verantwortlichen weigern sich rundheraus, diesen eindeutigen empirischen Befund anzuerkennen. Und das selbst im Fall Griechenland. Nachdem die Wirtschaft dort bereits um volle 25 Prozent geschrumpft ist, fordern Finanzminister Schäuble und seine Kollegen gemeinsam mit IWF-Chefin Lagarde und EZB-Chef Draghi weitere Kürzungen, welche die Rezession um noch einmal zehn Prozent verschärfen würde. Diese demonstrative Ignoranz nährt einen schlimmen Verdacht: Es geht Europas Regenten gar nicht um Prosperität. Stattdessen missbrauchen sie das Spardiktat als Machtinstrument, um den Rückbau des Wohlfahrtsstaats zu erzwingen. Draghi behauptete schon 2012, „das europäische Sozialmodell“ sei „vergangen“. Und so wurden in den Krisenstaaten Tarifverträge und Arbeitnehmerrechte abgeschafft, die Renten- und Gesundheitssysteme zur Minimalversorgung eingedampft und die Gewerkschaften völlig marginalisiert.

"Auf der Grundlage monatelanger Verhandlungen bin ich [= Varoufakis –T.] davon überzeugt, dass der deutsche Finanzminister will, dass Griechenland aus der Währungsunion herausgedrängt wird, um die Franzosen das Fürchten zu lehren und sie zu zwingen, sich seinem Modell einer Eurozone zu unterwerfen, in der strenge Disziplin herrscht." Varoufakis nennt das "Schäubles Modell einer Zuchtmeister-Eurozone". Der Deutsche wolle "klare Verhältnisse schaffen, auf die eine oder andere Weise".

Wehe dem Volk, das eine Regierung wählt, auf der nicht Merkels Segen ruht. Es wollte ja schon einmal ein griechischer Premierminister ein Referendum abhalten, Georgios Papandreou, im Oktober 2011. Es kam dann nicht dazu, Papandreou wurde von den eigenen Leuten um sein Amt gebracht. Aber erst mal waren die Deutschen fuchsteufelswild. Als sie von der Sache Wind bekamen, stoppten sie die Zahlung einer fälligen Tranche - einfach so. Und als sie sich eines Besseren besonnen hatten, formulierte Angela Merkel persönlich die Frage, die dem griechischen Volk vorgelegt werden sollte.
In der Eurokrise agieren wir mit geradezu kaiserlicher Selbstgerechtigkeit. [….] Längst haben Ökonomen, die nicht dem zerstörerischen Austeritätsdogma anhängen, den Weg aus der Krise gezeigt: Die Schulden von Staaten müssen nicht zurückgezahlt werden. Eine Mischung aus Inflation, Sondersteuern auf Privatvermögen und Schuldenschnitten löst das Problem. Piketty: "Europa wurde auf dem Vergessen der Schulden und dem Investieren in die Zukunft gegründet." Und nicht auf Merkels protestantischer Idee der ewigen Buße.
Die Europäische Integration war auch gedacht als Projekt der Einhegung Deutschlands. Und langsam könnte uns dämmern: So abwegig war es damals nicht, vor dem Wiedererwachen eines dunklen deutschen Nationalismus zu warnen. Die europäischen Staaten, die bei der Niederwerfung Griechenlands jetzt mit Merkel gemeinsame Sache machen, könnten das eines Tages bereuen. Was wir heute mit den Griechen machen, kann morgen den Franzosen blühen. [….]

Bereits heute soll Premier Alexis Tsipras einen neuen Hilfsantrag in Brüssel vorlegen. Am Donnerstag soll ein neues Spar- und Reformprogramm stehen. Sollten die Konditionen nicht bis ins Detail bis Freitag Morgen um 8.30 Uhr erfüllt werden, werde man Griechenland aus dem Euro werfen, droht EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Der Grexit sei schon bis ins Detail vorbereitet.
So spricht man nicht mit Partnern, sondern mit Feinden. Aus diesen Beschlüssen spricht keine historische Vernunft, sondern der Wunsch nach Rache – dafür, dass sich Tsipras über den Willen der Euro-Granden hinweggesetzt und sein Volk zu einem „Nein“ hingerissen hat. Es sollte ein „Nein“ zu Ultimaten und Pressionen aus Brüssel sein - Brüssel antwortet mit neuen Ultimaten.
Gutes kann aus dieser Politik nicht erwachsen.
(Eric Bonse taz 08.07.2015)