Donnerstag, 11. April 2019

Der junge Wilde sieht alt aus.


Dieser junge Wilde galt immer als Person mit ganz viel Zukunft in der CDU.
Aus einer Arbeiterfamilie stammend arbeitete sich der konservative Katholik hoch, machte Abitur, studierte, wurde Jurist, lebt „unkonventionell als Junggeselle“, spricht neben Deutsch fließend Englisch, Französisch und Niederländisch.
Er stammt aus einem Mini-Landesverband, so daß er auch Landesebene keine Konkurrenz hat und gehörte schon in den 1990ern zur legendären „Pizza-Connection“, die noch während der Rotgrünen Bundesregierung austüftelte, wie CDU und Grüne dereinst in ein politisches Bett steigen könnten.
Andere CDU-Mitglieder waren Hermann Gröhe, Armin Laschet, Norbert Röttgen, Ronald Pofalla, Eckart von Klaeden, Julia Klöckner und Kristina Schröder, die wohl nicht zufällig später alle Minister oder Ministerpräsidenten wurden.
Für die Grünen flirteten Matthias Berninger, Cem Özdemir, Volker Beck, Andrea Fischer, Oswald Metzger, Rezzo Schlauch, Katrin Göring-Eckardt und Anja Hajduk mit den Konservativen.
Merkel gefällt so ein Parteisoldat, der ungehindert von ideologischen Festlegungen alles mitmacht.
Der Mann wird nicht vom lästigen Privatleben abgelenkt, ist für alles einsetzbar, kann seine eigenen Ambitionen zügeln und ist 110% loyal und verschwiegen gegenüber der Parteichefin.
Kein Wunder, daß Peter Altmaier im Eiltempo die Karriereleiter im Schatten der Kanzlerin emporraste: Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister des Innern, Bundesminister für besondere Aufgaben und Chef des Bundeskanzleramt, Bundesumweltminister, interimsweise auch Bundesfinanzminister und schließlich Bundesminister für Wirtschaft und Energie.

Während dieser Dauerkarriere ist durchaus Zeit vergangen und da der gute Mann in zwei Monaten 61 Jahre alt wird, kann man ihn auch nicht mehr zu den „Jungen“ in der CDU/CSU-Fraktion zählen, wenn der 26-Jährige Philipp Amthor als neuer Star-Abgeordneter der CDU durch die Medien zieht und der 38-Jährige Minister Spahn täglich Aufmerksamkeit generiert.
Altmaier müsste für den letzten Karriereschritt, das Bundeskanzleramt, dringend durchstarten. Er ist nur vier Jahre jünger als Merkel und muss zugreifen, wenn sie demnächst in Rente geht.
Dafür sollte er im CDU-Kernressort Wirtschaft brillieren, die verloren gegangene Bedeutung des Amtes aus der Ehrhardt- und Schiller-Zeit zurückholen.
So könnte er innerhalb der Partei doppelt Punkte machen, weil Christdemokraten immer noch schmollen, dafür das Finanzressort abgegeben zu haben.

Der Plan wäre gut. Nur scheitert Altmaier grandios an der Umsetzung, hat es vermocht Links und Rechts, Wirtschaft und Gewerkschaften gegen sich aufzubringen und sogar die Kanzlerin, deren treuester Diener er ist, macht sich öffentlich über ihn lustig, weil er es nicht schafft seine Staatssekretärsposten zu besetzen.

Als Wirtschaftsminister klebt dem Saarländer das Pech wie Scheiße am Schuh.
Noch nicht mal der bereits eine Dekade während Daueraufschwung hält.
Im Januar hatte die Bundesregierung noch mit einem Prozent Wirtschaftswachstum 2019 gerechnet. Nun halbiert der Minister die Prognose auf 0,5 Prozent.
Als der zuständige damalige Bundesinnenminister de Maizière total an der Flüchtlingsintegration scheiterte und nur noch seine Unfähigkeit demonstrierte, entzog ihm Merkel die Zuständigkeit und übertrug diesen ureigenen Innenminister-Bereich an Altmaier.
Nun ergeht es ihm umgekehrt selbst so. Der Bundesminister für Wirtschaft und Energie ist so offensichtlich außerstande die Energiewende zu managen, daß Vizekanzler Scholz den ganzen Bereich Energie kurzerhand an sich zog.
Mehr kann man den amtierenden Minister kaum demütigen.
Scholz ist zwar an der Parteibasis unbeliebt und wird mutmaßlich ebenfalls nie Kanzler werden, aber er kann es sich leisten den Energieminister niederzuwalzen, weil ihm niemand seine Kompetenz bestreitet. Kaum ein Journalist schwärmt von Scholz, aber niemand würde seine Intelligenz, seinen Fleiß und seine Fähigkeiten negieren.
Altmaier hat hingegen gar keine Freunde mehr, weil er unerklärlicherweise rein gar nichts aus seinem Job macht.

[….] Es ist ein regelrechter "Shitstorm", der gerade über Peter Altmaier hinwegfegt. Und es ist eine Mischung aus Enttäuschung, Fundamentalkritik am Kurs des Wirtschaftsministers und politischen Machtkämpfen.
Hinter den Kulissen ist die Unzufriedenheit über den CDU-Politiker seit längerem groß. Nun bricht die Kritik öffentlich aus. [….]

Diese Woche verließ der CDU-Spitzenbeamte Jörg Semmler (46) das Wirtschaftsministerium, der treue Adlatus, der dem Minister auch schon in den beiden vorherigen Ministerjobs gedient hatte.
Niemand wunderte sich; es hieß nur noch „die Ratten verlassen das sinkende Schiff“. Altmaier spielt in den Zukunftsüberlegungen der CDU keine Rolle mehr; seine Landsfrau AKK ignoriert ihn.

[….] Am Wochenende verpassten die Familienunternehmer (BMW, Miele, Oetker) dem Wirtschaftsminister eine Breitseite. Der Verband hat Altmaier zu seiner 70-Jahr-Feier Anfang Mai nicht eingeladen.
Und zwar mit voller Absicht: „Altmaier hat das Wirtschaftsministerium beschädigt“, sagte Verbandspräsident Reinhold von Eben-Worlée [….]. Die CDU enttäusche ihre bisherigen Unterstützer.
In der Union dürften bei diesen Worten die Alarmglocken schrillen. Die Familienunternehmer sind das Rückgrat der deutschen Wirtschaft – und sie sind treue Unionsspender. Riesengroß waren die Hoffnungen der Firmenchefs, als die CDU erstmals nach Jahrzehnten [….]  wieder das Wirtschaftsministerium an sich riss. Altmaier sah sich als legitimer Enkel von Ludwig Erhard, dem früheren Kanzler und Vater des Wirtschaftswunders. Doch seitdem ist bei Altmaier eingetreten, was bereits in seiner Zeit als Umweltminister (2012–2013) zu beobachten war: große Worte, eher wenig dahinter. [….]

Die liberalere Süddeutsche Zeitung tutet in dasselbe Horn; Altmaier zeige keinen Einsatz.

[….] Die Kritik an Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier wird immer lauter. Gleich mehrere Wirtschaftsverbände stellten sich zuletzt offen gegen den CDU-Politiker. Und in der Tat: Altmaier agiert nicht gerade glücklich, sondern macht einiges falsch, er sorgt in der Wirtschaft für Frust statt für Zuversicht. Das ist verhängnisvoll, gerade wenn ein wirtschaftlicher Abschwung mit unvorhersehbaren Folgen droht.
Statt der Wirtschaft in diesen schwierigen Zeiten demonstrativ den Rücken zu stärken, zieht er Ärger und - berechtigte - Kritik des Mittelstands auf sich. Das ist fatal: Denn die starke deutsche mittelständische Wirtschaft ist es, die den Wohlstand hierzulande sichert. Hier entstehen die Arbeitsplätze, hier gibt es Innovationen, hier wird weltweit exportiert. Es ist nicht gut, wenn gerade diese Unternehmen mangelnde Unterstützung und nicht eingehaltene Versprechen anmahnen. Altmaier müsste vielmehr genau diese Unternehmen unterstützen, er sollte ihre Wettbewerbsfähigkeit mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln fördern. [….]

Sogar die stockkonservative WELT schließt sich auf den konservativen Wirtschaftsminister ein. Altmaiers „Performance schade der Union“, die Kritik an ihm sei berechtigt.

Der SPIEGEL sieht Altmaier sogar schon als armen Gemobbten.

 [….] Thomas Enders, der an diesem Mittwoch als langjähriger Airbus-Chef abtritt [….]  ist bei Weitem nicht der Einzige, der den wirtschaftspolitischen Ideen von Altmaier widerspricht. Für seine Positionen erntet der Minister derzeit in einer Weise Kritik von Unternehmensvertretern wie es Vertreter der traditionell wirtschaftsfreundlichen CDU nicht gewohnt sind. Mittlerweile geht es dabei nicht mehr nur um Sachfragen. Zunehmend richten sich die Einwände auch gegen Altmaier als Person, der fast schon wie ein Mobbingopfer der Wirtschaftsbosse wirkt.
"Der Wirtschaftsminister hat kein Konzept - weder für die Energiewende noch für die Wirtschaft insgesamt", sagt Oliver Zander, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall. "Der Minister muss entschieden mehr tun, um die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland zu stärken", sagt Dieter Kempf, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI). [….] Das Industriepapier ist nicht die erste Idee, mit der Altmaier für Stirnrunzeln sorgt. So erklärte er kurz nach seinem Amtsantritt im SPIEGEL, die deutsche Wirtschaft könne noch 20 Jahre lang ein Wachstum von zwei bis 2,5 Prozent erzielen. Das widerspricht allerdings der gängigen Erfahrung mit Konjunkturzyklen. [….] Nicht von Erfolg gekrönt waren bislang auch Altmaiers stete Rufe nach einer kompletten Abschaffung des Solidaritätszuschlags oder einer Unternehmensteuerreform. [….] "Ich werde mit den Beteiligten reden und auf sie zugehen", sagte er dem SPIEGEL auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos. Das Treffen wurde bereits von der FFF-Ikone Greta Thunberg aufgemischt. Doch Altmaier wirkte nicht sonderlich beeindruckt.
Einen Tag später stand der Wirtschaftsminister in Berlin dann vor einer Schar von Jugendlichen, die ihn nicht zu Wort kommen ließen und aufforderten, zurück an die Arbeit zu gehen. Der sonst so joviale Altmaier verlor schließlich die Fassung und blaffte einen Mitarbeiter an. "Das war 'ne Scheißidee!", sagte er. Eine Einschätzung, zu der Altmaier auch mit Blick auf sein Industriekonzept noch kommen könnte. [….]

Der Wirtschaftsminister hat es vermocht seine eigene Partei dazu zu bringen kollektiv nach einem anderen Wirtschaftsminister zu rufen. Merz soll es richten.
Springer und Funke trommeln ungeniert für den steinreichen Lobbyisten, der es in seiner eigenen Politlaufbahn stets zielsicher vermochte völlig falsch zu liegen.
Der arme alte Altmaier soll nun durch eine Älteren, den 63-Jähirgen Merz ersetzt werden?
Jetzt tut mir Altmaier leid.

(…..) Merz, der auch im Herbst 2018 noch genau so einen Unsinn von sich gibt wie vor 15 Jahren, ist gedanklich seit seiner großen Zeit in der Bundespolitik einfach stehengeblieben.


[….] Jetzt sind Experten gefragt. Merz könnte Bundeskanzler werden. Ein Sprecher von Innensenator Andreas Geisel (SPD) wollte „nicht alles kommentieren“, was auf Regionalkonferenzen der CDU gesagt wird. Tom Schreiber (SPD), Fachmann seiner Fraktion im Abgeordnetenhaus für Polizeithemen, sagt: „Es ist immer problematisch, wenn der Merz im Dezember ausbricht. Der Vorschlag zeugt davon, dass Merz null Ahnung davon hat. Das kann man unter Klamauk verbuchen.“ [….]

Er sieht die Wirtschafts- und Sozialpolitik noch genauso durch die radikal neoliberale Brille wie vor 20 Jahren:
Sozialausgaben radikal kürzen, alle Regulierungen abschaffen, Steuerrecht ausmisten und massiv von unten nach oben umverteilen, damit die Unternehmer investieren.

So steht es auch in seinen Prä-Finanzkrise-Büchern „Mut zur Zukunft. Wie Deutschland wieder an die Spitze kommt“ (2002), „Nur wer sich ändert, wird bestehen. Vom Ende der Wohlstandsillusion“ (2004), „Mehr Kapitalismus wagen – Wege zu einer gerechten Gesellschaft“ (2008), in denen er Düsteres prognostizierte.

[…] Die Diagnose, die Merz in dem Buch [Vom Ende der Wohlstandsillusion] macht […]: Deutschland erlebe einen "historischen Niedergang"; die "Position der Exporteure auf den Weltmärkten verschlechtert sich ständig"; der Staat steckt in der "Schuldenfalle"; der Sozialstaat belohnt Faulheit; die "Überregulierung" des Arbeitsmarkts ist "schlicht eine Katastrophe", ebenso wie das böse Tarif- und Verbändekartell; die Lohnfindung ist "verkrustet"; dazu kommt, dass die Unternehmen ohnehin keinen einstellen, weil der Kündigungsschutz zu streng ist; unser Steuersystem ist schlechter als das von Gambia und Uganda; und überhaupt arbeiten wir zu kurz, und die Eliten verstehen nicht den Zusammenhang zwischen Leistung und Lohn; und die Gutmenschen haben uns zu bequem werden lassen.
Was es braucht, schien für Merz ebenso klar: die Deutschen müssen (fast) alle irgendwie verzichten. Und "länger arbeiten". Und flexibler. Und im Normalfall ohne Wohltaten vom Staat auskommen. Und ihre Rente am Kapitalmarkt gefälligst selbst verdienen. Für über 50-Jährige sollte es am besten gar keinen Kündigungsschutz mehr geben. Die Leute müssen ihren "Konsum beschränken" (damit - angeblich dann - mehr Geld für die Unternehmen übrig bleibt). Abgesehen davon braucht es weniger teure Beamte. Und weil "die Marktwirtschaft ihre Überlegenheit längst bewiesen hat", muss natürlich irgendwie (fast) alles den Märkten überlassen werden. [….]

Es gibt zwei Probleme an dieser hanebüchenen, einseitigen Sichtweise.

Zum einen hält Merz an diesen Rezepten und Prognosen bis heute fest und zeigt damit Starrsinn und Realitätsblindheit.
Zum anderen haben sich alle seine düsteren Unkenrufe als völlig falsch erwiesen. Nichts trat davon ein, obwohl Angela Merkel in 13 Jahren das Gegenteil einer Reformerin war und keine der radikalen Merz-Forderungen umsetze.
Hätte Merz Recht behalten, wäre Deutschland inzwischen untergegangen.

[….] Wenige Monate nach Merz' düsterem Gequassel über den angeblich so heillos verkrusteten Arbeitsmarkt begann die Arbeitslosigkeit in Deutschland zu fallen - bis heute fast ohne Unterbrechung. Und trotz des angeblich so furchtbaren Kündigungsschutzes haben deutsche Unternehmen mehr als fünf Millionen zusätzliche Stellen geschaffen.
All das, ohne dass sich in der kurzen Zeit noch viel geändert hätte, im Merz'schen Sinn. Kein radikal vereinfachtes Steuersystem. Keine Bierdeckelsteuerberechnung. Bis heute nicht. Im Gegenteil: im Frühjahr 2005 kündigte Gerhard Schröder Neuwahlen an, womit monatelang eigentlich nichts mehr groß entschieden wurde; und im Herbst - vor genau 13 Jahren - kam mit Angela Merkel die Kanzlerin, die das Nicht-groß-Reformieren zum Markenzeichen gemacht hat.
[….] Ein Teil der Forderungen, die Ultras wie Merz damals stellten, klingen mittlerweile bizarr, wo klargeworden ist, dass auch ohne Merz' Träume schon viel zu viel öffentliche Gelder gekürzt wurden - und jetzt überall die Infrastruktur kippt. Ziemlich gaga klingt im Nachhinein auch der damalige Befund, dass deutsche Exporteure angeblich immer weniger wettbewerbsfähig wurden (weil wir zu teuer und zu faul sind); dafür haben deutsche Exporteure zu viel Gutes zu bieten. In Wirklichkeit gab es schon zu der Zeit, als Merz sein Buch schrieb, einen historisch einmaligen Exportaufschwung.
Und wir haben in der Zeit, wenn überhaupt, zu wenig konsumiert, nicht zu viel, wie es Merz damals fehldiagnostizierte: sonst hätte Deutschland nicht seit Jahren jetzt dieses brisant gefährliche Ungleichgewicht zwischen Export und Import, das die nächste Krise auslösen könnte - und Donald Trump jetzt Vorwände für Wirtschaftskriegsspiele liefert. Ziemlich viel ökonomischer Unsinn. [….]

Das ist also das Wirtschaftssuperhirn, dem die CDUler nun begeistert nachlaufen?

Zehn Jahre Politik gingen an Friedrich Merz spurlos vorbei. Er klammert immer noch an seinen altbackenen und längst von der Realität widerlegten Rezepte und ist zudem auch noch polittaktisch so unfähig, daß er simple und vorhersehbare Attacken nicht parieren kann.
Rechte Publizisten wie Jan Fleischhauer geben sich große Mühe ihr einstiges Idol hochzuschreiben und AKK zu verhindern. (……)