Donnerstag, 4. Juni 2020

Meckerstopp

Na klar, ich verabscheue die deutschen Rechten, die amerikanische GOP. Immer wieder dresche ich aber auch auf die linke Opposition, die Grünen, die US-Demokraten oder meine eigene Partei ein.
Als guter Demokrat sollte man möglichst kritisch mit allen Eliten umgehen und keineswegs blind für die Fehler der Volksvertreter aus den eigenen Reihen sein.

Von der Seitenlinie zu kritisieren ist allerdings sehr viel leichter als selbst zu gestalten. Wenn Politiker endlos kreißen und wieder nur ein winziges Ei gelegt haben, kommen daher sofort die „zu wenig, zu spät, zu mutlos, zu halbherzig, zu halbherzig“-Kommentare, ohne genau zu erklären wer oder was eigentlich die Vergrößerung des Eis genau verhindert hat. Es folgen sprachliche Diminutive wie „Klimapäckchen“ und wer würde sich nicht darüber ärgern wenn nach jahrelanger Erkenntnis einer essentiellen Notwendigkeit immer noch kein Schritt wider die Altersarmut, für einen Rüstungsexportstopp oder echten Klimaschutz unternommen wurde.

Gelegentlich darf man aber schon darauf hinweisen, daß in Westeuropa nicht wie in der chinesischen Diktatur per order di mufti entschieden wird, daß Partikularinteressen und individuelle Rechte  berücksichtigt werden. Kompromisse gefunden werden müssen. Das ist viel umständlicher als in einer Autokratie, in der sich der Herrscher nicht mit juristischen Einsprüchen, kritischer Presse und Umweltschutz plagen muss.
Man setzt sich leichter durch wenn man statt einer 20%-Partei eine 100%-Partei ohne Opposition und Rechtsstaat ist.

Gelegentlich machen Politiker aber viel aus wenig.
Olaf Scholz zum Beispiel ist extrem durchsetzungsfähig und schuf während der Megakrise 2008/2009 ganz unspektakulär im Hintergrund die wesentlichste Ursache weswegen Deutschland besser als alle andere Länder durchkam: Das ausgeweitete Kurzarbeitergeld. Er bewahrte uns vorm Absturz und wurde zum Dank vom Urnenpöbel in die Opposition geschickt und durch die FDP-Rösler ersetzt.
Seit Olaf Scholz Vizekanzler ist, zeigt er, daß er nicht der Mann für „zu wenig, zu spät, zu mutlos, zu halbherzig, zu halbherzig“-Päckchen ist, sondern wiederum effektiv und mutig agiert.
Erst kam das Bazooka-Finanzpaket und nun das Konjunkturprogramm, welches alle Erwartungen übertrifft.

[……] Der 130-Milliarden-Wumms
Mehrwertsteuer runter, Zuschüsse für Familien rauf - das gewaltige Konjunkturprogramm der Großen Koalition ist eine positive Überraschung. [……] Wiederholtes prägt sich besser ein, deshalb betonte Vizekanzler Olaf Scholz mehrfach, was für ihn im Vordergrund steht bei der Ausrichtung des Konjunkturpakets. "Wumms", sagte der Vizekanzler einmal, zweimal, insgesamt dreimal. "Wir wollen mit Wumms aus der Krise kommen".
Den Zweck des von der Großen Koalition beschlossenen Konjunkturpakets fasst das recht treffend zusammen: Bislang hat die Bundesregierung in der Coronakrise als eine Art Bundes-Versicherung agiert, die für allerlei Schäden aufkommt, den Verlust von Aufträgen oder Arbeitsplätzen etwa.
Jetzt soll es um etwas anderes gehen, Phase zwei. Gebraucht wird der Startschuss für die ökonomische Aufholjagd. "Wumms", eben. […..]

Sogar die Grünen sind beeindruckt.

[…..] Das Konjunkturpaket der Bundesregierung ist besser als erwartet. Gemessen an früheren Konjunkturprogrammen ist dieses Paket ein Fortschritt. […..]
(Fraktionsvorsitzenden Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter, 04.06.20)

Man merkt ganz deutlich weswegen es so essentiell wichtig ist die SPD in der Groko zu haben; sie vermochte es nicht nur den Durchmarsch der CDU-KFZ-Lobbyisten aus den Reihen der ehemaligen Kanzleramts-Staatsminister zu verhindern, die einseitig Steuerzahlermilliarden an die Topverdiener verschieben wollten, während die Multimilliardäre ihre Milliarden-Dividenden einstreichen und dennoch Staatshilfen verlangen.

Hört hört, BMW, Mercedes uind Porsche bissen sich die Zähne an den Koalitionären aus.
Wer sich für 80.000 Euro eine S-Klasse leisten kann, bekommt nicht noch eine  5.000-Euro-Prämie dazu geschenkt.
Das Konjunkturpaketgeld bleibt auch nicht wie sonst üblich über den Weg von Soli/Lohn/Einkommen-Steuersenkungen der wohlhabenderen Hälfte der Bevölkerung vorbehalten, während die ärmeren 50%, die gar keine solchen Steuern zahlen außen vor bleiben.
Nein, diesmal geht es an die Mehrwertsteuer und hilft damit in erster Linie den Ärmeren, die ohnehin nichts sparen können.

[……] Die größte Überraschung ist die Entscheidung der Regierung, vom 1. Juli bis 31. Dezember 2020 die Mehrwertsteuer von 19 auf 16 Prozent zu senken und den reduzierten Satz von sieben auf fünf Prozent. Mit einem Kostenvolumen von etwa 20 Milliarden Euro ist das die Einzelmaßnahme, die den Staat am meisten kostet.
Bringt sie auch etwas? Die Mehrwertsteuer unterscheidet sich deutlich von anderen Steuern, etwa der Einkommensteuer. Weil sie auf Waren und Dienstleistungen erhoben wird, zahlt sie praktisch jeder Verbraucher in Deutschland. Von einer Senkung profitiert also erst einmal die breite Masse, vom Sozialhilfeempfänger bis zum Gutverdiener. 
[……] Nicht ganz unerheblich ist dabei, ob Unternehmen die Steuersenkung wirklich an die Kunden weitergeben und die Preise senken - oder die Gelegenheit nutzen, eigene Margen zu erhöhen.
Laut dem Ökonomen Christian Odendahl hat Großbritannien mit einer ähnlichen Maßnahme in der vergangenen Krise experimentiert und damit gute Erfahrungen gemacht. 75 Prozent der Senkung wurden an die Kunden weitergegeben, 25 Prozent flossen in höhere Margen der Firmen.
Die Senkung der Mehrwertsteuer könnte sich auch deshalb als kluger Zug erweisen, weil davon vor allem kleine und mittlere Einkommen profitieren, die einen Großteil ihres Geldes für Konsumausgaben aufwenden. Denn das ist ein Kernproblem von Konjunkturprogrammen insgesamt: Das Geld soll nicht nur ankommen bei Bürgern, die es brauchen, sondern auch bei solchen, die es zügig wieder ausgeben. Sonst verpufft die Wirkung. […..]

Also heute wird nicht über die Bundesregierung gemeckert.
Das haben sie – natürlich auf Druck der SPD – gut gemacht.

Aber nicht nur das; ich muss, nachdem ich gestern schon mit Bauchschmerzen gegen meinen Willen Saskia Esken halbherzig lobte, gleich am folgenden Tag noch einmal ein Lob, diesmal ein ziemlich Dickes, an sie aussprechen.
Offenbar hatte sie bei den Verhandlungen zum Konjunkturpaket kräftig mitgewirkt.

[……] Als Esken und ihr Mitvorsitzender Norbert Walter-Borjans im März hundert Tage im Amt waren, hagelte es Häme: "Keinen kümmert's", schrieb der "Tagesspiegel". Die Sozialdemokratie leiste es sich heute, "ihre Vorsitzenden zu vergessen". Zoten und Sottisen und Untergangsprognosen über die SPD und ihre Vorsitzenden bekommen verlässlich billigen Beifall.
Nun: Die Partei lebt. Sie ist in der Regierung. Und sie stellt die Fähigeren in der Ministerriege. Oder wann hat man das letzte Mal ernst zu nehmende und Wortbeiträge oder gar substanzielle politische Handlungen von Andreas Scheuer, Julia Klöckner oder Anja Karliczek wahrgenommen?
Auch das nun weithin gelobte 130-Milliarden-Konjunkturpaket gibt es in dieser Form nur, weil die SPD den größten Unfug verhindert hat. Es ist das umfangreichste Volumen seit der Nachkriegszeit, das der Staat aufgrund einer Krise investiert. Soviel Vernunft hat dieser Koalition kaum noch jemand zugetraut, und diese Vernunft ging nicht von der Unionsseite aus.
Eine zentrale Figur hinter diesem Konjunkturpaket ist Esken. Sie machte beispielsweise von Anfang an klar, dass es mit ihr keine Kaufprämie für Autos mit Verbrennungsmotor geben werde. Damit positionierte sie sich nicht nur gegen den CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmaier und den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann von den Grünen (ja, den Grünen), sondern auch gegen ihren eigenen Parteifreund Stephan Weil, der als niedersächsischer Ministerpräsident und VW-Aufsichtsrat die langjährigen Versäumnisse von Volkswagen mit Milliarden Euro kaschieren wollte. [….]

Es geschehen noch Zeichen und Wunder.
Werden die beiden Erzkonkurrenten Esken und Scholz etwa noch sowas wie ein politisches Dreamteam?