Als guter Demokrat sollte man möglichst kritisch mit allen
Eliten umgehen und keineswegs blind für die Fehler der Volksvertreter aus den
eigenen Reihen sein.
Von der Seitenlinie zu kritisieren ist allerdings sehr viel
leichter als selbst zu gestalten. Wenn Politiker endlos kreißen und wieder nur
ein winziges Ei gelegt haben, kommen daher sofort die „zu wenig, zu spät, zu
mutlos, zu halbherzig, zu halbherzig“-Kommentare, ohne genau zu erklären wer
oder was eigentlich die Vergrößerung des Eis genau verhindert hat. Es folgen
sprachliche Diminutive wie „Klimapäckchen“ und wer würde sich nicht darüber
ärgern wenn nach jahrelanger Erkenntnis einer essentiellen Notwendigkeit immer
noch kein Schritt wider die Altersarmut, für einen Rüstungsexportstopp oder
echten Klimaschutz unternommen wurde.
Gelegentlich darf man aber schon darauf hinweisen, daß in
Westeuropa nicht wie in der chinesischen Diktatur per order di mufti entschieden
wird, daß Partikularinteressen und individuelle Rechte berücksichtigt werden. Kompromisse gefunden
werden müssen. Das ist viel umständlicher als in einer Autokratie, in der sich
der Herrscher nicht mit juristischen Einsprüchen, kritischer Presse und
Umweltschutz plagen muss.
Man setzt sich leichter durch wenn man statt einer
20%-Partei eine 100%-Partei ohne Opposition und Rechtsstaat ist.
Gelegentlich machen Politiker aber viel aus wenig.
Olaf Scholz zum Beispiel ist extrem durchsetzungsfähig und
schuf während der Megakrise 2008/2009 ganz unspektakulär im Hintergrund die
wesentlichste Ursache weswegen Deutschland besser als alle andere Länder
durchkam: Das ausgeweitete Kurzarbeitergeld. Er bewahrte uns vorm Absturz und
wurde zum Dank vom Urnenpöbel in die Opposition geschickt und durch die
FDP-Rösler ersetzt.
Seit Olaf Scholz Vizekanzler ist, zeigt er, daß er nicht der
Mann für „zu wenig, zu spät, zu mutlos, zu halbherzig, zu halbherzig“-Päckchen
ist, sondern wiederum effektiv und mutig agiert.
Erst kam das Bazooka-Finanzpaket und nun das Konjunkturprogramm,
welches alle Erwartungen übertrifft.
[……] Der 130-Milliarden-Wumms
Mehrwertsteuer runter, Zuschüsse für Familien rauf - das gewaltige
Konjunkturprogramm der Großen Koalition ist eine positive Überraschung. [……]
Wiederholtes prägt sich besser ein,
deshalb betonte Vizekanzler Olaf Scholz mehrfach, was für ihn im Vordergrund
steht bei der Ausrichtung des Konjunkturpakets. "Wumms", sagte der
Vizekanzler einmal, zweimal, insgesamt dreimal. "Wir wollen mit Wumms aus
der Krise kommen".
Den Zweck des von der Großen Koalition beschlossenen Konjunkturpakets
fasst das recht treffend zusammen: Bislang hat die Bundesregierung in der
Coronakrise als eine Art Bundes-Versicherung agiert, die für allerlei Schäden
aufkommt, den Verlust von Aufträgen oder Arbeitsplätzen etwa.
Jetzt soll es um etwas anderes gehen, Phase zwei. Gebraucht wird der
Startschuss für die ökonomische Aufholjagd. "Wumms", eben. […..]
Sogar die Grünen sind beeindruckt.
[…..] Das Konjunkturpaket der Bundesregierung ist besser als erwartet.
Gemessen an früheren Konjunkturprogrammen ist dieses Paket ein Fortschritt.
[…..]
(Fraktionsvorsitzenden Katrin
Göring-Eckardt und Anton Hofreiter, 04.06.20)
Man merkt ganz deutlich weswegen es so essentiell wichtig
ist die SPD in der Groko zu haben; sie vermochte es nicht nur den Durchmarsch
der CDU-KFZ-Lobbyisten aus den Reihen der ehemaligen
Kanzleramts-Staatsminister zu verhindern, die einseitig
Steuerzahlermilliarden an die Topverdiener verschieben wollten, während die Multimilliardäre ihre Milliarden-Dividenden einstreichen
und dennoch Staatshilfen verlangen.
Hört hört, BMW, Mercedes uind Porsche bissen sich die Zähne
an den Koalitionären aus.
Wer sich für 80.000 Euro eine S-Klasse leisten kann, bekommt
nicht noch eine 5.000-Euro-Prämie dazu
geschenkt.
Das Konjunkturpaketgeld bleibt auch nicht wie sonst üblich
über den Weg von Soli/Lohn/Einkommen-Steuersenkungen der wohlhabenderen Hälfte
der Bevölkerung vorbehalten, während die ärmeren 50%, die gar keine solchen
Steuern zahlen außen vor bleiben.
Nein, diesmal geht es an die Mehrwertsteuer und hilft damit
in erster Linie den Ärmeren, die ohnehin nichts sparen können.
[……] Die größte Überraschung ist die Entscheidung der Regierung, vom 1. Juli
bis 31. Dezember 2020 die Mehrwertsteuer von 19 auf 16 Prozent zu senken und
den reduzierten Satz von sieben auf fünf Prozent. Mit einem Kostenvolumen von
etwa 20 Milliarden Euro ist das die Einzelmaßnahme, die den Staat am meisten
kostet.
Bringt sie auch etwas? Die Mehrwertsteuer unterscheidet sich deutlich
von anderen Steuern, etwa der Einkommensteuer. Weil sie auf Waren und
Dienstleistungen erhoben wird, zahlt sie praktisch jeder Verbraucher in
Deutschland. Von einer Senkung profitiert also erst einmal die breite Masse,
vom Sozialhilfeempfänger bis zum Gutverdiener.
[……] Nicht ganz unerheblich ist dabei, ob Unternehmen die Steuersenkung
wirklich an die Kunden weitergeben und die Preise senken - oder die Gelegenheit
nutzen, eigene Margen zu erhöhen.
Laut dem Ökonomen Christian Odendahl hat Großbritannien mit einer
ähnlichen Maßnahme in der vergangenen Krise experimentiert und damit gute
Erfahrungen gemacht. 75 Prozent der Senkung wurden an die Kunden weitergegeben,
25 Prozent flossen in höhere Margen der Firmen.
Die Senkung der Mehrwertsteuer könnte sich auch deshalb als kluger Zug
erweisen, weil davon vor allem kleine und mittlere Einkommen profitieren, die
einen Großteil ihres Geldes für Konsumausgaben aufwenden. Denn das ist ein
Kernproblem von Konjunkturprogrammen insgesamt: Das Geld soll nicht nur
ankommen bei Bürgern, die es brauchen, sondern auch bei solchen, die es zügig
wieder ausgeben. Sonst verpufft die Wirkung. […..]
Also heute wird nicht über die Bundesregierung gemeckert.
Das haben sie – natürlich auf Druck der SPD – gut gemacht.
Aber nicht nur das; ich muss, nachdem ich gestern schon mit Bauchschmerzen gegen meinen Willen Saskia Esken
halbherzig lobte, gleich am folgenden Tag noch einmal ein
Lob, diesmal ein ziemlich Dickes, an sie aussprechen.
Offenbar hatte sie bei den Verhandlungen zum Konjunkturpaket
kräftig mitgewirkt.
[……] Als Esken und ihr Mitvorsitzender Norbert Walter-Borjans im März
hundert Tage im Amt waren, hagelte es Häme: "Keinen kümmert's",
schrieb der "Tagesspiegel". Die Sozialdemokratie leiste es sich
heute, "ihre Vorsitzenden zu vergessen". Zoten und Sottisen und
Untergangsprognosen über die SPD und ihre Vorsitzenden bekommen verlässlich
billigen Beifall.
Nun: Die Partei lebt. Sie ist in der Regierung. Und sie stellt die
Fähigeren in der Ministerriege. Oder wann hat man das letzte Mal ernst zu
nehmende und Wortbeiträge oder gar substanzielle politische Handlungen von
Andreas Scheuer, Julia Klöckner oder Anja Karliczek wahrgenommen?
Auch das nun weithin gelobte 130-Milliarden-Konjunkturpaket gibt es in
dieser Form nur, weil die SPD den größten Unfug verhindert hat. Es ist das
umfangreichste Volumen seit der Nachkriegszeit, das der Staat aufgrund einer
Krise investiert. Soviel Vernunft hat dieser Koalition kaum noch jemand
zugetraut, und diese Vernunft ging nicht von der Unionsseite aus.
Eine zentrale Figur hinter diesem Konjunkturpaket ist Esken. Sie machte
beispielsweise von Anfang an klar, dass es mit ihr keine Kaufprämie für Autos
mit Verbrennungsmotor geben werde. Damit positionierte sie sich nicht nur gegen
den CDU-Wirtschaftsminister Peter Altmaier und den baden-württembergischen
Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann von den Grünen (ja, den Grünen),
sondern auch gegen ihren eigenen Parteifreund Stephan Weil, der als
niedersächsischer Ministerpräsident und VW-Aufsichtsrat die langjährigen
Versäumnisse von Volkswagen mit Milliarden Euro kaschieren wollte. [….]
Es geschehen noch Zeichen und Wunder.
Werden die beiden Erzkonkurrenten Esken und Scholz etwa noch
sowas wie ein politisches Dreamteam?