Freitag, 23. Mai 2025

Zufälle in Hamburg

Sie müssen wirklich nicht mehr den Flur gründlich saugen“ jammerte ich heute um 17.00 Uhr meiner Putzfrau entgegen. Ein halbes Jahrhundert habe ich ganz allein meinen Kram aufgeräumt und meine Räume geputzt. Aber seit Anfang dieses Jahres lasse ich mir nun 14-täglig dabei helfen, weil meine Knochen und Gelenke so morsch sind, daß ich mich nicht bücken kann. Hinknien sowieso nicht, wegen der Schrauben im Bein. Aber man muss auch mal die Stellen in Küche und Bad sauber machen, die nur kriechend zu erreichen sind. Habituell fremdele ich noch sehr damit, jemanden hinter mir her putzen zu lassen. Also machte ich mich wieder einmal heute Morgen um vier Uhr daran, alles abzuwaschen, die Küche zu wienern und das Bad auf Hochglanz zubringen. Ein Grund ist das Schamgefühl; ich will nicht, daß jemand hier Schmutz sieht. Ein Grund ist der latente Wunsch, von einer Fachkraft gelobt zu werden. Es gefällt mir irgendwie, wenn sie reinkommt, sich erst mal mit dem frisch bereitgestellten Kaffee genüsslich hinsetzt und anerkennend  sagt: „muss nix putzen alles so schön sauber“. Ein Grund ist der naive Glaube, um die ganze Aktion herum zu kommen, wenn nicht so viel zu tun ist.

Das klappt nur nie, denn auch wenn es schön sauber aussieht, findet sie mit sicherem Blick noch Dinge, die einer gründlichen Reinigung bedürfen.

Heute kam sie strahlend mit einem merkwürdig in V-Form gebogenen 60 Zentimeter breiten Teil aus der Küche, welches dringend abgeschrubbt werden musste. Ich hatte das noch nie gesehen und schwor, das stamme nicht aus meinem Haushalt.

„Do-och“ triumphierte Doralice: Bei der ihrer Inspektion des Tauwasser-Ablauflochs in der Tauwasser-Ablaufrinne im Kühlschrank, welches hinter einem Einlegeboden verborgen ist und nur detektiert werden kann, wenn es verstopft ist und sich Wasser im Kühlschrank sammelt, fand sie hinter dem Einlegeboden darüber, eine weitere verborgene Tauwasser-Ablaufrinne mit Siebfunktion, die irgendwelche Krümel auffängt, bevor sie das untere Loch zusetzen. Das ganze Ding ist sogar zwecks besserer Reinigung demontierbar. Wat nich oans givt. Sie war ganz begeistert und meinte, sie hätte schon so viele Kühlschränke von innen gründlich gereinigt und sowas habe sie noch nie gesehen; wie praktisch das doch sei. Bauknecht weiß was Frauen wünschen.

Ich kann es aber durchaus verstehen, denn mir geht es ähnlich mit meinem Toplader, dessen Waschmittel- und Weichspülerfächer man komplett herauslösen kann, um sie in der Badewanne gründlich sauber zu machen.

Der vorherige Toplader konnte das nicht und man musste sich zwecks Ent-Ekelung mit Zahnbürsten und Q-Tipps kopfüber darin zu schaffen machen.

So ging es munter weiter; die obere Besteckschublade meines antiken Buffets von meiner Oma, hat sich offenbar verzogen, so daß ein gewisser Abrieb entsteht, der als ultrafeiner Holzstaub im hinteren Teil der darunter liegenden Schublade abgelagert wird und meine sehr selten verwendeten Küchenutensilien, wie Schöpfkelle, Dosenöffner oder Maiskolbenhalter, zart umhüllt. „Geht das nicht“ verkündete Doralice. Und dann ging es los; alle Schubladen raus, der gesamte Inhalt abgewaschen und unter lautstarken Vorwürfen - „brauchst du nix!“ – wieder einsortiert. Um 17.00 Uhr hatten ich nicht nur keine Lust, sondern auch keine Zeit mehr, weil ich noch in zwei Geschäfte zum Einkaufen musste, die um 18.00 Uhr schließen.

Aber ich habe keine Chance, mich gegen sie durch zusetzen. Wenn sie meint, etwas müsse getan werden, füge ich mich eben. Wenn auch widerwillig.

So ist es jeden zweiten Freitag; daß wir zusammen, quasi im Laufschritt, meine Wohnung verlassen. Sie geht zum Bus, der sie in zehn Minuten zum Hauptbahnhof bringt und ich klappere Kiosk, Gemüsemann und Bäcker ab.

Als ich gegen 18.30 Uhr wieder zu Hause war, kurz die News screente, musste ich sofort Doralice hinterher telefonieren. GEHT ES IHNEN GUT?
12 bei einem Messerattentat Verletzte am Hauptbahnhof. Ja, bei ihr ist alles OK; sie geriet direkt in den Polizeieinsatz und konnte sich zum dem Bahnsteig der S3 durchschlagen.

[….] Schwere Gewalttat am Hamburger Hauptbahnhof: Am Freitagabend hat eine Frau (39) gegen 18 Uhr zahlreiche Menschen auf einem überfüllten Bahnsteig mit einem Messer angegriffen und zum Teil lebensgefährlich verletzt. Die mutmaßliche Täterin wurde bereits festgenommen. Der Bahnhof wurde zum Teil geräumt. Aktuell sind die Bahnsteige zu vier Gleisen sowie der Südsteg gesperrt.

Wie die Feuerwehr der MOPO sagte, wurden nach bisherigem Stand 17 Verletzte behandelt. Vier von ihnen befinden sich Lebensgefahr. Zuerst war von sechs lebensgefährlich Verletzten die Rede gewesen.

Nach MOPO-Informationen erlitt ein 40-jähriger Mann einen Stich in den Brustkorb. Er wurde in der Asklepios-Klinik Altona notoperiert. Sein Zustand soll nach der OP stabil sein. [….]

(HH MoPo, 23.05.2025)

Zum Glück bin ich so verweichlicht, mich nicht gegen ihr Ansinnen, noch meinen Flur zu saugen, wehren zu können. Hätte sie einen Bus früher bekommen, wäre sie der irren Furie womöglich buchstäblich ins Messer gelaufen.

AfD, Dobrindt und der Urinduscher frohlockten aber zu früh. Es wäre ihnen so ein herrlicher innerer Reichsparteitag gewesen, wenn ein böser Islamist aus Afghanistan oder Syrien der Täter gewesen wäre. Hach, was hätte man dann wieder genüsslich hetzen und sein xenophobes Süppchen kochen können.


Aber es war halt „nur“ eine deutsche Frau mit Psychose. Adelheid Streidel 2.0.

Da lohnen sich kaum Brennpunkte und Bundestagssondersendungen. Da muss man nicht um die Opfer weinen und sich lautstark bei Springer, Maischberger und Nius inszenieren, um strengere Gesetze zu fordern.

Und so knallen seit 22.30 Uhr über mir fröhlich die Kanonenschläge des Japanischen Kirschblütenfestes. Kein Grund, sich den Spaß verderben zu lassen.

[….]  »Ich habe Schreie gehört«, erinnert sich Sophie an den Moment der Tat. Dann seien Leute losgerannt. »Ich habe eine Frau gesehen und dachte, sie rennt am vollen Gleis entlang und schafft sich mit Armbewegungen Platz, damit sie durchkommt.« Die Frau habe »agitiert« gewirkt, habe geschrien.

Ein Mann neben ihnen, der von der Frau getroffen worden sei, habe sich gekrümmt, so die 25-Jährige. »Dann haben wir das Blut gesehen«, sagt Corbinian, 28. Zwanzig Meter hinter ihnen habe jemand der Frau ein Bein gestellt und sie überwältigt.

Sophie, die nach eigenen Angaben ein abgeschlossenes Medizinstudium hat, erzählt, sie habe einen Verband dabeigehabt und habe dem Mann einen Druckverband angelegt. Ihr gehe es noch gut, sagt sie. »Mal gucken, wie es morgen ist. Ich war schon gestresst von der Ersthilfe.« [….] Die Polizei hat nun erste Informationen zur Tat bestätigt: Demnach handelt es sich bei der Festgenommenen um eine 39 Jahre alte deutsche Staatsbürgerin. Sie handelte offenbar allein, es gibt den Ermittlern zufolge Hinweise auf einen psychischen Ausnahmezustand der Frau. Es gebe keine Hinweise auf ein politisches Motiv.

Die Frau habe sich von einer Streife widerstandslos festnehmen lassen. Ein Messer sei sichergestellt worden. Gegen 18 Uhr waren laut Polizei mehrere Notrufe eingegangen. […]

(SPON, 23.05.2025)

Der Hamburger Hauptbahnhof ist mit 550.000 Menschen täglich, einer der höchstfrequentierten Bahnhöfe Europas. Zur Rushhour gibt es immer ein extremes Gedrängel. Sicherheit kann es da nicht geben.