Mein
Gemüsemann versucht mir jetzt wieder ständig Granatäpfel zu verkaufen.
Ich mag
die sogar, aber kaufe sie so gut wie nie, weil ich die Frucht übermäßig
umständlich finde. Das spritzt immer so und anschließend klebt alles.
Er gibt
mir natürlich die besten Tipps. Er selbst pult die Kerne in einer Schüssel
unter Wasser ab und gießt es dann in ein Sieb.
OK, das
könnte ich natürlich auch mal probieren.
Aber bei
Granatäpfeln muß ich auch immer an die armen Juden denken.
Angeblich
hat jeder Granatapfel genau 613 Kerne und diese Anzahl entspricht genau den 613
Lebensregeln der Mitzwot, die bekanntlich Gott auf dem Berg Sinai Mose übergab.
Hätte
Gott sich nicht bei der Regelanzahl nach Apfel- oder Mandarinenkernen richten
können? Das wäre in der Praxis wesentlich einfacher für strenggläubige Juden.
(Nein,
es stimmt übrigens nicht, daß alle Granatäpfel genau 613 Kerne haben.)
Aber die
Juden machen ihrem Ruf besonders intelligent zu sein alle Ehre, indem sie die
Vielzahl der Regeln nutzen, um eine mit der anderen abzuschwächen.
Freitags
darf man nur Fisch essen. Und eben auch Hühnersuppe. Denn beim Kochen schwimmt
das Huhn ja im Wasser und alles was schwimmt, gilt laut einer anderen Regel als
Fisch.
Das ist
offenbar das gleiche Prinzip wie bei der deutschen Steuergesetzgebung. Es gibt
dermaßen viele Paragraphen zu Präzisierung, daß ein findiger Steuerberater sie
auch benutzen kann, um einige Sachverhalte unpräzise zu machen.
Das
Judentum ist eine eigenartige Religion.
·
Als
einziger abrahamitischer Zweig missioniert sie nicht und bekommt dafür von mir
extra Sympathiepunkte. Mission ist für mich das Hauptübel der Religionen.
·
Nur
das Judentum bringt neben Orthodoxen auch noch Ultra-Orthodoxe und
Ultra-Ultra-Orthodoxe hervor, obwohl mehr als orthodox gar nicht geht; denn die
Thora gilt im orthodoxen Judentum als autoritatives Wort Gottes und darf daher
nicht uminterpretiert werden.
·
Das
Judentum zählt ausdrücklich auch Nicht-Religiöse zu ihrer Religion.
Marcel
Reich-Ranicki verstand sich stets als 100%iger Jude, obwohl er durch und durch
Atheist war und kein bißchen an irgendeinen Gott glaubte.
Ich bin jüdisch
aufgewachsen. Aber wie die meisten Israelis bin ich völlig säkular. Atheist
trifft es am ehesten, ich mag Religion eigentlich nicht. Was ich sehr mag, ist
die jüdische Kultur, das ist etwas anderes, und mir liegt eine Menge daran, dem
verschlossenen, exklusiven, orthodoxen Judentum, das in Israel leider
bedenklich an Macht gewinnt, einen humanistischen, weltoffenen liberalen Umgang
mit dieser Kultur entgegenzusetzen. Zum Beispiel mag ich es sehr, mit meiner
kleinen Familie in Berlin das Schabbat-Abendessen zu feiern.
Bei 613
Regeln gibt es natürlich mehr oder weniger schwer einzuhaltende.
In jeder
erfolgreichen Religion werden nicht einzuhaltende Forderungen postuliert, denn
nur ein Gläubiger mit schlechtem Gewissen ist für die Obrigkeit leicht zu
gängeln. Daher ist das christliche Konzept generell die Sexualität zu verdammen –
vom Gedanken über Masturbation bis zum Geschlechtsverkehr - auch so genial.
Jeder verstößt
irgendwann dagegen und bedarf dann der Kirche, um nicht in der Hölle zu landen.
Der
Islam hatte aber auch eine brillante Kernidee, indem er ausgerechnet dort wo in
der Spätantike die besten und kostbarsten Weine gekeltert wurden mit einem
totalen Alkoholverbot Furore machte. Das war ungefähr so als ob man mit einem
sexlosen Puff Werbung macht.
Arabien in der
Spätantike, das ist kein Ort der Askese, Syrien und Palästina gelten zu dieser
Zeit als die Weinländer schlechthin. Ägypten, Mesopotamien - selbst das
trockenere Jemen hält sich auf seine hochwertigen Weine etwas zugute, 78
Rebsorten zählt der Geograf Ibn Rusta dort allein in der Region der heutigen
Hauptstadt Sanaa. Die Riojas und Merlots ihrer Zeit heißen al-Schamsi
("der Sonnige", dessen Gärung man durch Sonneneinstrahlung verstärkt
hat), al-Schamul ("vom Nordwind gekühlt") oder al-Qarqaf ("der
einen erbeben lässt").
Orient-Wein ist ein
kostbares Handelsgut. Er wird per Karawane exportiert, die syrische Stadt
Palmyra dient dabei als internationales Wein-Drehkreuz, wie in den islamischen
Überlieferungen, den Hadi-then, nachzulesen ist.
Aber
auch der Koran ist interpretierbar, weil es sich widersprechende Suren gibt –
und das obwohl Allah den Koran bekanntlich selbst diktiert hat.
So
dauerte es bis ins 19. Jahrhundert, um das heutige strenge Alkoholverbot im
Islam durchzusetzen.
Weit
über tausend Jahre zechten die Muslime weiter.
Das
Christentum ist eigentlich eine Säuferreligion, oder wie soll man sonst eins
der bekanntesten Wunder Jesu interpretieren?
Bei der Hochzeit
zu Kana war der Alk ausgegangen (Joh 2,1-12) und Jesus von Nazareth als Gast ist
schon so angepisst, daß er seine Mami Maria wütend an grölt, als sie ihn bittet
zu helfen.
Schließlich
verwandelt er aber den Inhalt der Wasserfässer für die rituelle Waschung in
besten Stoff, so daß alle weiterzechen können.
Auch im
Christentum wurde man mit den Jahrhunderten strenger, führte das Gebot der
Mäßigung ein. Ganz aufhören mit dem Alkohol wie zum Beispiel die Mormonen, kann
man aber nicht, weil man im Gottesdienst Messwein verwendet, um dem bizarren Kannibalen-Kult
um Jesu Körper zu huldigen.
Aber
eben nur einen Schluck.
Nor
oinen wönzigen Schlock.
Das
Judentum als die älteste der drei Religionen ist entsprechend noch die Trinkfreudigste.
Selbst
die Säkularen, wie der Berliner DJ Cobretti, schätzen die Saufgelage, wie sie
beim Purim-Fest sogar Pflicht sind.
Purim, ein freudiger
Gedenktag, dessen Beachtung nicht biblisch vorgeschrieben ist, wird am 14. Adar
(bzw. Adar II) zur Erinnerung an die Errettung der Juden in Persien gefeiert,
die im Buch Esther beschrieben ist. [….]
Purim ist als freudiger Gedenktag ein
Arbeitstag. Als Besonderheit des synagogalen Rituals ist vor allem zu erwähnen,
daß sowohl nach dem Abendgebet als auch morgens nach der Toravorlesung das Buch
Esther gelesen wird. [….] Bereits im Buch Esther wird von der Festlegung
berichtet, daß der Freude über die Rettung durch ein Festmahl, durch
gegenseitiges Beschenken mit Speisen und durch Spenden für die Armen Ausdruck
verliehen werden soll. An Purim ist es
erlaubt, viel zu trinken, sogar sich zu betrinken, denn im Buch Esther ist das
Mahl, das man zur Erinnerung an das Ereignis einnehmen soll, als Trinkgelage
bezeichnet.
[….][….]
Tja, das
ist die offizielle Beschreibung.
In der
Praxis heißt es eher Komasaufen.
Die Geschwister meines
Vaters kamen einst als bettelarme Einwanderer aus Libyen nach Israel, als
orientalische Juden. Es gibt eine Redensart in Israel: Als diese Gruppe kam,
waren alle Türen schon verschlossen. Nur nicht die Tür zur Synagoge. So sind
sie orthodox geworden, ernste, ergriffene Leute. Als Kind in Israel war ich
fasziniert davon, wie sie zum Purim-Fest trotzdem völlig ausflippen können. Da
sah ich die Verwandten plötzlich betrunken, sie sangen Lieder, alberten herum
wie kleine Kinder, weil der Talmud einen dazu ermuntert, bei dieser Gelegenheit
einen draufzumachen.
Daß
orthodoxe Juden alle Hemmungen verlieren, überrascht wenig, wenn man die
entsprechenden Regelungen streng einhält.
Auch bei
anderen Festen müssen sie sich ordentlich einen hinter die Binde gießen und so
entwickelt sich die Leber eines Strengreligiösen entsprechend kräftig.
Wenn mit dem
Pessach-Abendessen des Auszugs der Juden aus Ägypten gedacht wird, dann stehen
für jeden Erwachsenen vier Gläser Wein auf dem Speiseplan. Wenn mit dem
jüdischen Tu-bi-Schwat-Fest im Frühjahr die wiedererwachende Natur begrüßt
wird, sollen die Gäste ihre vier Gläser sogar in wechselnden Farben trinken: Es
beginnt mit Weißwein, dann folgt eine Rotwein-Weißwein-Mischung, die mit jedem
Becher dunkler wird. Das soll die Natur ehren für ihren Wandel von Winter
(weiß) zu Sommer (rot).
Juden
sind also geübte Trinker und müssen den üblichen Weinkonsum gelegentlich auch
gottgewollt bis zum Exzess treiben.
Interessanterweise
beschäftigen sich Koran und Talmud schon mit Promillegrenzen.
Was ist
angemessener Alkoholkonsum, ab wann beginnt der Vollrausch?
Aus den
widersprüchlichen Koran-Stellen destillieren die anfangs vorherrschenden
Koran-Exegeten kein strenges, sondern nur ein abgestuftes Alkohol-Verbot. Ein
Mittelweg. Geistige Getränke seien zulässig - solange man nicht betrunken werde.
Dem Gedanken nach führen die Gelehrten damit eine Art Promillegrenze ein. Wann
beginnt Trunkenheit? In dem Moment, da man zwischen Himmel und Erde nicht mehr
unterscheiden könne, so lautet eine gängige Definition dieser Zeit; womit die
Schwelle durchaus recht hoch liegt, recht liberal.
(Die
jüdische Lehre definiert den Vollrausch übrigens auf ähnliche Weise: als den
Zustand, in dem man nicht mehr unterscheiden kann zwischen einem Fluch und
einem Lob; bloß dass diese Definition nicht eine Sünde umschreibt, sondern die
Zielmarke beim Purim-Fest.)
Holla,
die Waldfee. Vollrausch als von Gott befohlene Zielmarke.
Wieso
gibt es im Vergleich zum prüden Christentum und zum abstinenten Islam nur so
wenig Juden?