Donnerstag, 8. September 2016

Umarmungsstrategie am Ende.



Es gibt diese Politiker wie Guido Westerwelle und Donald Trump, die mit wenig Detailwissen und ohne Aktenfresserei auskommen.
Ihnen geht es nicht um die Sache, sondern um Macht.
Im politischen Alltag sind sie sich selbst Fixstern und bewerten alle anderen danach, ob sie für oder gegen einen sind.
Sie oszillieren letztendlich nur zwischen beleidigen und beleidigt sein.
Niemand zog so über Sozialdemokraten und Grüne her, wie der gelbe Chefbeleidiger Guido Westerwelle bis er nach endlosen Jahren endlich sein erstes und einziges Regierungsamt errang: Vizekanzler aus dem Stand.
Noch nie vorher in einer Gemeinde, einer Stadt, einem Bundesland oder gar der Bundesregierung gearbeitet zu haben, kann dann zu einem Kollaps der Erwartungshaltung führen. Gaga-Guido, eben noch im quietschegelben Guidomobil unterwegs, erwartete daß das hohe Amt augenblicklich die ihm fehlende natürliche Autorität kompensierte.
Nun würden ihn alle nur noch unterwürfig und voller Respekt behandeln. Endlich würde man ihn als Zentrum des Universums anerkennen und ihm uneingeschränkt huldigen.
Na, das war eine harte Landung, als Westerwave feststellen mußte, daß einige Journalisten ihn weiterhin als nicht sakrosankt ansahen und es wagten ihn in Frage zu stellen.
Seine Reaktionen sind legendär.

Nein, ich will kein englisch sprechen, es ist Deutschland hier. Ich bin nicht als Tourist in kurzen Hosen hier, was ich sage, das zählt! Jetzt ist mal Schluß mit spätrömischer Dekadenz.

Wehe einer zeigte nicht endlich den Respekt, von dem Guido immer geträumt hatte! Dann wurde er fuchsteufelswild und teilte aus.

Mit dieser Methode kann man viel Aufmerksamkeit generieren und es womöglich weit nach oben bringen; das zeigt gegenwärtig auch Donald Trump.

Nicht so hilfreich sind solche Charaktereigenschaften, wenn man sachpolitisch vorankommen will und sich auch länger an der Macht halten will.

Angela Merkel ist zwar bezüglich ihrer kaum vorhandenen politischen Überzeugungen ganz ähnlich wie Westerwelle, aber dafür habituell das diametrale Gegenteil von ihm.
Abgesehen von der Grundeitelkeit, die jeder Spitzenpolitiker haben muß, ist Merkel nicht dafür bekannt Glamour anzustreben und auf Statussymbole erpicht zu sein.
Ihre ganze äußere Erscheinung ist eher unauffällig und man kann sich bei ihr kaum vorstellen, daß sie wie einst Westerwelle täglich bei Yellowpress- und BUNTE-Events auftaucht, wenn sie nicht muß.
Merkel kann man nicht beleidigen.
Größtmögliche Demütigungen, die Trump oder Westerwelle vor Zorn beben lassen würden, nimmt sie stoisch und regungslos hin.
Wir haben das zuletzt auf dem CSU-Parteitag im November 2015 erlebt, als Seehofer sie öffentlich vorführte.
Aber Merkel war schon immer so.
Als sie 2011 auf dem Weg nach Indien stundenlang im Iranischen Luftraum aufgehalten wurde, weil Teheran sie ärgern wollte, nahm sie ihre Verzögerung mit einem Achselzucken hin. Westerwelle wäre an ihrer Stelle ausgerastet und hätte sofort den Iranischen Botschafter einbestellt.
Die Kanzlerin sparte sich die Energie und freute sich darüber ein, zwei Stündchen länger schlafen zu können.

Es ist schlau von Merkel sich nicht von unnützen Cortisol-Ausschüttungen irritieren zu lassen; das wird ihr manchen Verhandlungserfolg ermöglicht haben.

Ihre Methode stößt aber auch an Grenzen, denn in ihrem Job geht es ganz ohne Machtwort nicht.

Typen wie Erdogan und Obama nutzen Merkels stoisches Wesen aus, um ihr auf der Nase herumzutanzen. Immerhin so viel Rückgrat zu haben, daß sie zur Armenienresolution stünde, wäre schon nett.

Und immer wieder Crazy Horst.
Er ist natürlich stinksauer darüber, daß sie ihn immer an sich abtropfen lässt und sich nicht genügend aufregt.
Die CDU-Chefin verhält sich gegenüber dem CSU-Chef so wie eine Kindergärtnerin auf Valium gegenüber einem schwer ADHS-gestörten Gör auf Ritalin-Entzug.
Seehofer stichelt, kreischt und stampft. Er bettelt um Aufmerksamkeit und von ihr kommen nur sanfte wolkige Ermahnungen.

Leider ist der der unartige Bayer aber nicht nur der zappelige kleine Horst, den man ignorieren kann, sondern wesentlicher Teil der Bundesregierung, der sich nicht aussitzen läßt.
An ihm scheitert Merkel.

Ihre gestrige Mahnung gen Bayern - "Politiker, die wie wir hier Verantwortung tragen, sollten sich in ihrer Sprache mäßigen" – verhallte nicht nur ungehört, sondern trieb den Irren aus Ingolstadt regelrecht zur Weißglut.

Nun flippt die CSU noch mehr aus und überholt die AfD von rechts.

[….] Gerade erst hatte die Bundeskanzlerin zur verbalen Mäßigung aufgerufen. Da kommt die CSU mit Forderungen um die Ecke, die nichts anderes als eine Ohrfeige sind.
Keine 24 Stunden hat es gedauert, bis Horst Seehofer Kanzlerin Angela Merkel zeigt, was er von ihrer gestrigen Aufforderung zur Mäßigung hält: Rein gar nichts. Das Papier, das der CSU-Parteivorstand am Wochenende zur Flüchtlingspolitik beschließen soll, ist jetzt an die Öffentlichkeit gelangt. Es ist kein Papier der Mäßigung. Es ist ein AfD-Nachplapper-Papier.
Die Forderungen reichen von einer gesetzlichen Obergrenze von 200 000 Flüchtlingen pro Jahr, über Transitzonen an der Grenze, der Zurückweisung von Ausländern ohne Bleiberecht bis hin zur Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft, einem Burka-Verbot und einem "Einwanderungsbegrenzungsgesetz".
Alles gipfelt in der Aussage: "In Zukunft muss gelten: Vorrang für Zuwanderer aus unserem christlich-abendländischen Kulturkreis." Und: "Wer auf Burka und Niqab nicht verzichten möchte, sollte sich ein anderes Land aussuchen." Das klingt nach mitternächtlichem Bierzeltbesuch. Grölende Zustimmung ist garantiert. Krachlederner lässt sich eine Position jedenfalls kaum vertreten.
CSU "Deutschland muss Deutschland bleiben" Video
[….] Seehofers CSU aber macht es ganz wie die AfD, die sich auch nicht um Fakten und Evidenz schert. [….] Wer mit solchen Vorschlägen die politische Debatte zu bestimmen versucht, der stärkt am Ende die AfD, aber nicht die eigene Position. [….] Das Papier der CSU ist in seinen Forderungen und - fast noch schlimmer - in seiner Tonalität, ein Eingeständnis, dass die AfD doch irgendwie recht hat. Und dass schon was dran ist an den oft irrationalen Sorgen und Ängsten vieler Menschen. [….]



Mit Seehofer kann man nicht vernünftig sein.
Da hilft nur ein Macht-Showdown, den Merkel aber nicht wagt.
Daran könnten beide untergehen. Nun ist die Regierung doch noch ernsthaft in Gefahr geraten.


[….] Der Moment des Innehaltens ist sehr kurz geblieben. Gerade mal einige Stunden schafften es am Mittwoch die Merkel-CDU, die Oppermann-SPD und die Hasselfeldt-CSU, zurückhaltender, bescheidener, leiser aufzutreten. Einen Augenblick lang konnte man die Hoffnung haben, die gegenseitigen Anschuldigungen seien endlich dem Versuch gewichen, den Rechtspopulisten der AfD nicht durch die Desavouierung der eigenen Koalitionspartner immer mehr Zulauf zu verschaffen. 24 Stunden später zeigt sich: Diese Hoffnung ist eine Illusion geblieben.
Dass die CSU am Donnerstag ein Papier zum Umgang mit Flüchtlingen präsentierte, das in der Tonlage aggressiv daherkam, unterstreicht, wie zerstritten CDU, CSU und SPD mit der größten Herausforderung seit der Wiedervereinigung umgehen. Die Koalition, die sich große Koalition nennt, ist im Ringen um gute Politik zum Zwerg verkommen. Ihre Unversöhnlichkeit richtet sich dabei längst gegen sie selbst. Was in harmloseren Zeiten noch als parteipolitisches Scharmützel belächelt werden konnte, hat durch die Erfolge der AfD eine ganz andere Bedeutung bekommen. Jetzt scheint sich zu bestätigen, was die Rechtspopulisten behaupten: dass die in Berlin es eh nicht mehr können. Dass die Koalition das zulässt, ist zum Verzweifeln. [….]