Montag, 2. November 2015

Rosinenpicken



Das ist das Blöde, wenn man einer monotheistischen Religion angehört: Da es nur einen Gott gibt, kann man seine Autorität auch nicht in Frage stellen.

Rosinenpicken verbietet sich grundsätzlich, denn wenn man einige Lehren des einen Gottes ablehnt, stellt man ihn auch sofort insgesamt in Frage. Und genau das ist die Definition des Glaubens, daß man das eben nicht tut.

Es ist eine fundamentale religiöse Absurdität von anderen die Einhaltung bestimmter Forderungen aus Koran/Bibel/Thora zu verlangen, während man selbst solche Forderungen ignoriert.

Man kann nicht das Zinswesen akzeptieren, Schalentiere essen und Sklaverei verdammen, wenn man gleichzeitig aufgrund biblischer Texte beispielsweise Homosexualität verdammt.

Seine überragende Dummheit offenbarte Grünen-Religiot Volker Beck, als er am Bundestagsrednerpult mit der aufgeschlagenen Bibel in der Hand aus der Genesis zitierte, um die Penisbeschneidung zu rechtfertigen, während er die im gleichen Buch enthaltenen Forderungen nach Frauenunterdrückung, Sklaverei und Antisemitismus ablehnt.
Biblische Lehren haben sich als Schande erwiesen und somit ist das Gesamtkonzept Gott gescheitert.


Ein Christ, der nicht mit Sklaverei und Antisemitismus einverstanden ist, kann seine Bibel gleich wegwerfen, denn Gott hat seine Gebote gewiss nicht als unverbindliche Vorschläge verstanden.
Im Gegenteil, das Christentum lebt von DOGMEN, die eben nicht verhandelbar sind. Aufgrund dieser Dogmen wurden Millionen Menschen gequält und umgebracht.

Dem diametral entgegen gesetzt ist das Schmidt-Salomonsche Konzept des evolutionären Humanismus, welches besagt, daß sich unsere humanistischen Grundsätze in einem kontinuierlichen Wandel befinden.
Der Humanismus von vor 200 Jahren kannte keine Frauenrechte und Demokratie, vor 100 Jahren waren gleiche Rechte für LGBTs und die Ächtung der Prügelstrafe noch kein Thema. Gut möglich, daß im Jahr 2215 der Humanismus selbstverständlich Konzepte beinhaltet, die heute noch hochumstritten sind. Man denke an Tierrechte, Recht auf Selbsttötung, nationale Rechte, soziale Ungleichheiten und Ähnliches.

"Wir sind nicht die Krone der Schöpfung, sondern die Neandertaler von morgen". Die Giordano-Bruno-Stiftung vertritt die Position des „Evolutionären Humanismus“, die Mitte des letzten Jahrhunderts von dem bedeutenden Evolutionsbiologen und ersten Generaldirektor der UNESCO, Julian Huxley, formuliert wurde. […] Wie jeder konsequente Humanismus geht auch der Evolutionäre Humanismus von der Notwendigkeit und Möglichkeit der Verbesserung der menschlichen Lebensverhältnisse aus. Evolutionäre Humanisten treten entschieden für die Werte der Aufklärung, für kritische Rationalität, Selbstbestimmung, Freiheit und soziale Gerechtigkeit ein. Allerdings begreifen sie den Menschen nicht mehr als „Krone der Schöpfung“, sondern als unbeabsichtigtes Produkt der natürlichen Evolution, das sich nur graduell, nicht prinzipiell, von den anderen Lebensformen auf diesem „Staubkorn im Weltall“ unterscheidet.
 Als Kinder der Evolution sind auch wir bloß „Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will“ (Albert Schweitzer), was sich in einem verantwortungsvolleren Umgang mit der nichtmenschlichen Tierwelt niederschlagen sollte.
 Ethische Grundlage des evolutionären Humanismus ist das "Prinzip der gleichen Berücksichtigung gleichrangiger Interessen". Daher sind diskriminierende Ideologien wie Rassismus, Sexismus, Ethnozentrismus oder Speziesismus sowie sozialdarwinistische oder eugenische Konzepte [….] mit dem evolutionären Humanismus unvereinbar.
(gbs)

Es ist aber zu vermuten, daß Humanisten sich in ein paar Hundert Jahren – sofern es dann noch Menschen geben sollte – nicht so entsetzlich für ihre Ursprünge schämen müssen wie es Christen schon jetzt mit Blick auf die entsetzlichen Gräueltaten der Kirchengeschichte und den explizit Mensch- und Natur-feindlichen Lehren der Bibel tun müssen.

Als Humanist verstehe ich Kultur als Angebot, strebe nach Vielfalt.
Da ich prinzipiell undogmatisch bin und an keine allmächtige und unfehlbare Instanz glaube, kann ich im Gegensatz zu Frau Käßmann sehr wohl ein kulturelles Rosinenpicken betreiben. Anders als die debile BILD-Kolumnistin will ich niemanden meine Vorlieben aufdrängen.
Die Metapher für kulturelle Vielfalt ist üblicherweise das Essen.
Noch in den 1970er Jahren zeigte Wolfgang Menge in seiner genialen Serie „Ein Herz und eine Seele“ wie abwehrend und negativ der deutsche Spießer auf die ersten Pizzas reagierte.


Zu der Zeit war meine Familie aus NY nach Deutschland gekommen und ich erinnere mich noch, daß meine Eltern immer auf der Suche nach bestimmten Lebensmitteln waren, die es hier kaum gab.
Scallions und romaine lettuce kamen damals gerade erst auf.
Ich war darauf trainiert nach Frühlingszwiebeln Ausschau zu halten und wir kaufen jedes Bund Scallions, das wir fanden.
Die tollsten Pakete aus den USA enthielten damals „Muffins“. Wir bekamen die sehr selten, weil man sie aufgrund der Haltbarkeit als Luftpost schicken mußte und das war sehr teuer.
Ich erinnere mich aber noch genau an die damaligen Verpackungen und wie wir uns regelrecht darum prügelten, wer das erste Muffin aus dem Toaster essen durfte. Vor etwa 20 Jahren (?) trauten wir unseren Augen kaum, als es auf einmal in hiesigen Supermärkten auch „Toastis“ von Harry gab, die wie Muffins schmeckten. Natürlich nicht so gut, aber immerhin. Noch länger dauerte es bis zur großen Freude meines Vaters Pastrami in den deutschen Wursttheken auftauchte – zu spät für mich; ich war da schon lange Vegetarier.
Inzwischen gibt es kaum noch Lebensmittel, die ich aus Amerika vermisse. Das Angebot in Deutschland ist groß geworden. Lediglich Lawry's seasoned salt muß ich mir noch aus den USA schicken lassen, weil ich dafür keine Alternative in Deutschland finde.

Nun ist Amerika nicht der Inbegriff der kulinarischen Kultur.
Erheblich wichtiger sind der asiatische, italienische, französische, arabische und türkische Einfluß auf das deutsche Essen.
Ohne türkische Antipasti und italienischen Balsamico und Mozzarella, ohne Sojasoße und französische Käse würde ich vermutlich verhungern.
Dabei bin ich durchaus ein „picky eater“ und mag alles Mögliche nicht.
Die meisten Waren des von mir bevorzugten Asia-Marktes VINH-LOI Hamburg rühre ich lieber nicht an. Aber das Angebot ist so reichhaltig, daß ich doch regelmäßig dahin fahre und immer mal wieder etwas Neues ausprobiere.
Das ist aber gerade das Kennzeichen kultureller Vielfalt, daß man nicht alles mag, vieles vielleicht sogar als regelrecht abstoßend empfindet.

Vor einigen Jahren eröffnete bei mir um die Ecke ein hübsches gemütliches portugiesisches Café. Die Inhaber waren wunderbare Leute, die ich liebend gern unterstützt hätte.
Leider kann ich portugiesische Backware nichts ausstehen. Zu trocken, zu süß und dann auch noch voll mit diesen widerlichen Sukade-artigen Gummiobst-Klumpen. Ekelhaft.
Zum Einjährigen veranstaltete die Betreiber ein öffentliches Grillen für die Nachbarschaft. Eigentlich wunderbar, nur leider haben die meisten Portugiesen diese unerklärliche Vorliebe für Bacalhau, der natürlich auf die Grills gelegt wurde und die ganze Gegend in einen unfassbaren Gestank hüllte.
Ich wäre beinahe kollabiert und lief mit grünem Gesicht um mein Leben.
Erstaunlich, aber wahr: Andere Menschen empfinden das anders als ich. Das Grillfest war gut besucht. Offenbar gibt es sogar Deutsche, die nicht augenblicklich Brechreiz bekommen, sondern das Zeug sogar essen.

Es sind Angebote, die nebeneinander her existieren können – in Parallelwelten.
Parallelgesellschaft ist übrigens ein zu Unrecht negativ konnotierter Begriff.
Ich schätze Parallelgesellschaften. Man kann sich zwischen ihnen bewegen und die einem extrem Widerstrebenden links liegen lassen.

So eine Parallelgesellschaft ist für mich beispielswiese die Schlager- oder Volksmusikszene.
Das sind Megatrends, die ganz große Hallen füllen und Millionen CDs verkaufen.
In Hamburg rotten sich im Sommer sogar Myriaden geistig Retardierte zum „Schlagermove“ zusammen.
Wenn so etwas stattfindet, muß man flüchten.
Jeder Hamburger hat schon Kölner und Düsseldorfer erlebt, die zur Karnevalszeit aus ihren Städten hierher fliehen, weil sie die Massen Geistesgestörter nicht ertragen können.
Aber das ist die natürliche Kehrseite eines kulturellen Angebotes, von dem wir alle viel mehr profitieren, als wir erleiden müssen.
Natürlich würde kein Biodeutscher heute noch seine Nahrungsaufnahme auf schwäbische Kutteln, bayerische Weißwurst, Hamburger Labskaus und Hessischen Äppelwoi beschränken.
Wir sind nicht nur dankbar für die vielen Alternativen, sondern haben sie in unseren täglichen Speiseplan integriert.
Was für ein Glück, daß die Geschmäcker verschieden sind und nicht alle immer nur Isländischen Hákarl, Pfälzischen Saumagen, Schottischen Häggis oder Schwedisches Surströmming essen, sondern ständig kulturell beeinflusst werden.

Natürlich praktiziere ich das Rosinenpicken keineswegs nur beim Essen, sondern generell.

Ohne angelsächsische Rockmusik, Italienische Opern, russische Literatur, Isländischen Pop, Schweizer Uhren, Belgische Schokolade, Japanische Elektronik, amerikanische Drama-Serien, Syrische Seifen, französisches Kino, Iranische Pistazien, Israelische Pomelos, Indische Software oder Italienisches Design will man nicht mehr auskommen.