Samstag, 3. Januar 2015

Die FDP Israels



Wenn man Amerikanern, die wirklich gar nichts über das politisches System in Deutschland wissen, erklärt wie Wahlen hier funktionieren, sind sie sehr über das unübersichtliche Parteienspektrum und das Verhältniswahlrecht verwundert.
Das sei doch höchst ungerecht, daß eine Minipartei wie die FDP dadurch über Jahrzehnte allein bestimmen könne wer die Regierung stelle, während eine viel größere Partei gar nichts zu sagen habe.

Wer seine Präsidenten direkt wählt, dabei ein Mehrheitswahlrecht benutzt und sie mit der ganzen gebündelten exekutiven Macht ausstattet, hat keinen Sinn für Koalitionsregierungen und Sondierungsverhandlungen.
Er versteht auch nicht Wahltaktik und das Bohei um Koalitionsaussagen.
Wer etwas Gerechtigkeitssinn hat, präferiert natürlich dennoch das Verhältniswahlrecht. Es sei denn, man hat sich als Betroffener selbst gerade über die FDP-Machenschaften geärgert; dann philosophiert man wie Helmut Schmidt schon mal über die Vorzüge eines Mehrheitswahlrechtes in Deutschland.

Die Mehrheitsbeschaffer-Funktion im klassischen Dreiparteiensystem hat die parasitäre Lobbyorganisation FDP erstaunlich lange am Leben erhalten. Im Jahr 2015 sitzt sie zwar immer noch in einigen Parlamenten, aber der Parteisterbeprozess ist unaufhaltsam im Gang.
Nur noch sechs Wochen, dann sind die Hepatitisgelben auch bei mir in Hamburg aus dem Parlament gelöscht.

Ein vergleichbar parasitäres Dauerregierungs-Dasein fristet die „Schas“ in Israel.

Die ultraorthodoxe Partei der "Sephardischen Tora-Wächter" spaltete sich vor 30 Jahren von der Agudat Jisra’el, die mehr von Aschkenasim dominiert war, ab.
Schas wurde kontinuierlich radikaler, lehnt inzwischen Verhandlungen mit den Palästinensern oder gar über den Status Jerusalems kategorisch ab. Und wie es sich für Ultraorthodoxe gehört, verdammt, verflucht und bekämpft Schas Homosexuelle.
Es ist vermutlich ein Israelisches Phänomen, daß das eigentlich nicht mehr zu steigernde Wort „orthodox“ (gr. ρθός orthos ,geradlinig, richtig, und δόξα doxa ,Glaube‘; also der RICHTIGE GLAUBE) noch in den Ausprägungen ultraorthodox und ultra-ultraorthodox existiert.
Jene Ultraorthodoxen Juden Jerusalems, die Frauen ohne Vollverschleierung mit Steinen bewerfen und Touristen mit Exkrementen übergießen, sind nämlich keineswegs eine homogene Gruppe, sondern in eine Mannigfaltigkeit aus verschieden strengen Ultraultraorthodoxen aufgefächert.
Die "Lev Tahor", hebr. reines Herz, bekannt als die "Taliban-Sekte" beispielsweise sind deutlich orthodoxer als ultraorthodox. Vor zwei Jahren berichtete der SPIEGEL über Naomi Machfud, eine sechsfache Mutter und "Lev Tahor"-Angehörige, sowie ihr Vorbild Bruria Keren.

Machfud, 30 Jahre, sechs Kinder, zwischen sich und die Welt eine Isolierschicht aus Stoff gezogen. Sie trägt: einen Wollumhang, eine Schürze, eine Bluse, drei bodenlange Cordröcke, einen schwarzen Rock, eine Hose. Sie hat ein schwarzes Wolltuch lose um den Kopf gewickelt, darunter sitzt ein enges, schwarzes Tuch, darunter ein blassrosa Kopftuch. Kein Haar schaut hervor, nur ein Paar Ohrringe, aber die nimmt sie ab, wenn sie das Haus verlässt.
Machfud ist Jüdin, mit einem Juden verheiratet und wohnt in einer Siedlung im Westjordanland. Aber sie kleidet sich, als würde sie in Afghanistan leben. "Taliban", so werden die Verschleierten in Israel genannt, sie selbst nennen sich Tuchfrauen. Machfud behauptet, sie seien Tausende, wahrscheinlicher ist, dass es ein paar Hundert dieser Frauen gibt, man sieht sie vor allem im ultraorthodoxen Stadtviertel Mea Schearim in Jerusalem, schwarze, unförmige Gestalten, an den Händen die Töchter, Miniaturausgaben ihrer selbst.
[…]  Bislang ist das vor allem in Jerusalem zu beobachten, in Beit Schemesch und Bnei Brak bei Tel Aviv, den ultraorthodoxen Herzkammern des Landes, aber zunehmend auch dort, wo säkulare Israelis leben.
[…] Sie fühle sich gut mit dem Kopftuch und all den Röcken, sagt Naomi Machfud. So gut, dass sie nicht mal im Sommer schwitze, bei 45 Grad. […] Am weitesten getrieben hat es Bruria Keren, am Ende trug sie 27 Lagen Stoff. Israel nennt sie "Mama Taliban", sie ist eine der Anführerinnen der Tuchfrauen. […] "Es fing an mit einem Mantel, dann waren es drei, Hosen kamen dazu, ein Rock darüber, am Ende waren es zehn Röcke und zehn Mäntel und Handschuhe", erzählt ihr Sohn, dessen Name nicht genannt werden soll. "Vor acht Jahren hat sie ihr Gesicht mit einem Schleier bedeckt, zuerst nur draußen, dann auch zu Hause, am Ende sogar beim Duschen. Seitdem habe ich ihr Gesicht nicht mehr gesehen. Sie hat im Bad ein Zelt errichtet, selbst die Wände durften sie nicht nackt sehen." Auch gesprochen hat sie nicht mehr, sie machte Gesten oder schrieb.
Und während seine Mutter immer tugendhafter wurde, hatte der Sohn mit seiner Schwester im Nebenzimmer Sex. Er war 15, sie war 12. […]

Ganz offensichtlich sind alle abrahamitischen Religioten zu unvorstellbarer Geisteskrankheit fähig.

Und das Verhältniswahlrecht macht es möglich, daß in Israels Knesset fast immer die Schas in der Regierung sitzt.

Bedauerlicherweise will es das Koalitionsgerangel so, daß stets die Ultra-Religiösen von der Schas-Partei das Zünglein an der Waage spielen.

(Schas = A Sephardic-Haredi party, whose original name was "Sephardi Keepers of the Torah", that was established toward the elections for the Eleventh Knesset in 1984, as a protest against the peripheral representation of Sephardim within the Agudat Yisrael list.)

Verrückt; obwohl sich 70% der Israelis als „säkular“ empfinden, sind immer die schlimmen Fundis in der Regierung.
 Auch in der gegenwärtigen Bibi-Regierung stellt Schas gleich vier Minister.

Bei den letzten Knesset-Wahlen im Februar 2009 erhielt die Schas elf Sitze.
 Ihre Abgeordneten Chaim Amsellem, Ariel Atias, David Azoulay, Amnon Cohen, Yitzhak Cohen, Yakov Margi, Avraham Michaeli, Meshulam Nahari, Yitzhak Vaknin, Eliyahu Yishai und Nissim Zeev achten peinlich genau darauf, daß den Palästinensern keine Zugeständnisse gemacht werden.

Rabbi Ovadia Jossef, das geistliche Oberhaupt der orthodoxen Schas-Partei in Israel wählt seine Worte so, daß gelegentlich sogar das Weiße Haus scharf protestiert.

Jossef hatte in seinem wöchentlichen Gebet in Jerusalem am Samstagabend gesagt, dass die Palästinenser "von unserer Welt verschwinden" sollten. "Möge die Pest sie befallen", sagte der Rabbi weiter.
(AFP 30.08.2010)

Noch viel verrückter sind die Privilegien der ultrareligiösen Bürger Israels. 
Rabbiner befinden ganz allein über Standesangelegenheiten (eine Zivilehe oder gar Scheidung gibt es nicht in Israel!), Ultraorthodoxe müssen nicht zur Armee und arbeiten auch nicht.

 Sie werden einfach vom Staat durchgefüttert und drücken der großen Majorität der Säkularen zum Dank dafür immer extremere Anweisungen aufs Auge. 

So müssen Frauen in vielen Jerusalemer Bussen hinten sitzen, sich quasi verschleiern, dürfen in der Armee nicht mehr singen, etc, pp.

Ultraorthodoxe Männer machen ihr ganzes Leben nichts anderes außer in Thoraschulen zu hocken, ihre Frauen zu schwängern und Leute anschwärzen, die sich nicht ebenso verhalten.
Beten, Poppen und Pöbeln.

Das ist in etwa so, als ob man in Deutschland die Piusbrüder von allen staatlichen Pflichten befreite, ihnen Alimente zahlte und sie dafür allein das Recht hätten Standesbeamte zu sein.

In Israel gibt es bekanntlich eine strenge Wehrpflicht:
 Jeder muß in die Armee: Männer drei Jahre und Frauen zwei Jahre.

Doch die Ultra-Orthodoxen trotzten einst dem Staatsgründer David Ben Gurion eine Ausnahmeregelung ab. Er gestand ihnen die freie Wahl zu, ob sie den Dienst an der Waffe verrichten oder lieber ganztags in den Jeschiwot, den Thora-Schulen, die heiligen Schriften studieren wollen.
Damals, im Jahre 1948, erschien das verkraftbar. Es handelte sich um lediglich 400 Ausnahmefälle, und überdies argumentierten die Religiösen, sie würden Israels Sicherheit betend befördern - durch die Pflege des Bundes zwischen Gott und seinem auserwählten Volk. Im Laufe der Jahre aber stieg die Zahl der Ausnahmegenehmigungen auch wegen der enorm hohen Geburtenraten der Ultra-Orthodoxen steil an: 2011 waren es bereits 71000 Jeschiwa-Studenten, die sich vom Wehrdienst hatten befreien lassen.

Generell staut sich aber immer mehr Wut gegen die Ultras und ihre Privilegien an.

Die Schas ist also so etwas wie die FDP Israels.
Irgendwie kam sie immer in die Knesset und meistens koalierte sie sich dann auch in die Regierung.

    1992: 4,9 % – 6 Sitze. Regierungsbeteiligung mit der Arbeitspartei
    1996: 8,7 % – 10 Sitze. Regierungsbeteiligung mit dem Likud
    1999: 13,0 % – 17 Sitze. Wechsel zu Baraks Arbeitspartei, schließlich 2001 unterstützte Schas Ariel Scharons Likud-Regierung.
    2003: 8,2 % – 11 Sitze Schas in der Likud-Regierung
    2006: 9,5 % – 12 Sitze Regierungsbeteiligung Ehud Olmert/Kadima-Partei
    2009: 8,5 % – 11 Sitze vier Minister unter Bibi Netanjahu.
    2013: 8,8 % – 11 Sitze Minister unter Bibi Netanjahu.
    2006: 9,5 % – 12 Sitze Minister unter Bibi Netanjahu.
    2009: 8,5 % – 11 Sitze Minister unter Bibi Netanjahu.
    2013: 8,8 % – 11 Sitze

Seit März 2013 ist die Schas ungewöhnlicherweise in der Opposition. Das soll sich aber bald wieder ändern.
Genügend Irre, die sie wählen, gibt es sicher.
Möglicherweise zerlegen sich die Ultraorthodoxen allerdings durch ihre eigene Blödheit selbst und eifern auch im Untergang der FDP nach.
Dabei will Netanjahu nach den Wahlen am 17.03.2015 unbedingt wieder mit der Schas regieren.

 [….]  Machtkämpfe und Intrigen, die heimlichen Schmutzkampagnen und offenen Schlammschlachten, mit denen sich Israels mächtigste religiöse Partei im Wahlkampf selbst zerlegt. Mittendrin steht ausgerechnet der heiligengleich verehrte Rabbi Ovadia Josef, der vor gut einem Jahr verstorbene "spirituelle Anführer".  [….] Ovadia Josefs Stimme aus dem Totenreich hat das Schmierenstück in Gang gesetzt. Genau genommen war es eine Videoaufnahme aus dem Jahr 2008, die einem Fernsehsender zugespielt worden war. Der Rabbi beschimpfte darin den Schas-Chef Arye Deri als "gefährlich" und als "Dieb", er sehe in ihm eine Gefahr für die Partei und er wirft ihm obendrein unbotmäßige "Unabhängigkeit" vor. Nur wegen heftigen Drucks von außen habe er den Hallodri an die Parteispitze befördert, erklärte da Ovadia Josef - und lobte als leuchtendes Gegenbeispiel zu Deri den früheren Innenminister Eli Jischai.
Das Video gewährt einen seltenen Blick ins Innenleben der Schas-Partei, die von Ovadia Josef sektenähnlich geführt worden war. [….]
Arye Deri ist charismatisch und gerissen [….] wegen Betrugs und Amtsmissbrauchs wurde er zu vier Jahren Haft verurteilt, knapp zwei saß er ab, anschließend durfte er für sieben Jahre kein öffentliches Amt mehr ausüben. [….] Rivale Eli Jischai hatte sich in den Jahren ohne Deri still nach oben gedient, grau seine Ämter verrichtet und dabei immer den "Maran" im Blick gehabt, den Meister und Lehrer, wie Ovadia Josef von seinen Anhängern bis heute genannt wird. Jischai muss es als enorme persönliche Kränkung empfunden haben, von Deri wieder verdrängt zu werden. [….] Deri [….] warf Jischai vor, für seine "kleinkarierten persönlichen Interessen" auf der Ehre Ovadia Josefs herumzutrampeln. In tiefem Schmerz über diese "Blasphemie" erklärte er in einem sogleich für die Medien vervielfältigten handschriftlichen Brief erst seinen Rücktritt vom Parteivorsitz, dann legte er auch noch sein Knesset-Mandat nieder.
Die Wirkung war bei allem Pathos vermutlich kühl kalkuliert. Der parteieigene "Rat der Thora-Weisen" lehnte Deris Rücktritt vehement ab, seine Anhänger schlugen vor seinem Haus in Jerusalem ein Zeltlager auf, um ihn umzustimmen, und auch die Familie von Ovadia Josef formierte sich zu seiner Verteidigung. Die Söhne eilten zum Grab und warfen von dort aus Jischai vor, ihren Vater heimlich gefilmt zu haben. [….]

Man streitet sich munter weiter. Ihre elf Sitze im März zu halten, gilt inzwischen als utopisch.