Dienstag, 12. Juni 2018

Andrea Nahles – die parteitaktische Blitzbirne.


Wie lustig, nach 12 Jahren krachender Wahlniederlagen, kommt das legendär unfähige WBH („Willy-Brandt-Haus“, vulgo Schlangengrube) auf die Idee zu analysieren, ob es eigentlich irgendwelche Gründe dafür gibt, daß von den 20 Millionen Menschen, die 1998 die Schröder-SPD gewählt haben mittlerweile zehn Millionen schreiend weggelaufen sind.
Sind das zufällige Schwankungen? Unterliegt die SPD höherer Gewalt? Sind 50% der Wähler ausgewandert und haben ihre Staatsbürgerschaft abgegeben?
Man weiß es nicht.
Nun also der bahnbrechende neue Gedanke: Könnten die miserablen Wahlkämpfe und die brutalen Klatschen durch den Wähler womöglich etwas mit der eigenen Performance zu tun haben?
Spielt etwa die SPD bei den SPD-Wahlergebnissen auch eine Rolle?
Das sind diese Fragen, über die sich in den goldenen Jahren der Sozialdemokratie echte Weitdenker auf dem Stuhl des Generalsekretärs Gedanken machten. Vor 1999 brauchten die Herren noch nicht einmal diese martialischen Titel, sondern firmierten unter „Bundesgeschäftsführer“: Hans-Jürgen Wischnewski, Egon Bahr, Holger Börner, Günter Verheugen und Peter Glotz waren hochintelligente Analytiker, welche die Partei stets so modern ausrichteten, daß sie an der Spitze des Fortschritts stand.
Das Denken im WBH wurde spätestens am 15.11.2005 mit dem Einzug Hubertus Heils eingestellt. Nach vier Jahren führte er die SPD in die bis dahin schlimmste Wahlniederlage. Heils Partei verlor gewaltige 11,2 Prozentpunkte und sackte auf 23,0% weg. Die letzte Wahl mit einem Spitzenkandidaten Schröder endete 2005 noch auf Augenhöhe mit der CDU, nämlich bei 34,2%.
Also flog die SPD zu Recht aus der Regierung und verkündete sich in der Opposition erneuern zu wollen.
Organisieren sollte diesen inhaltlichen Wandel eine neue Generalsekretärin, die von 13.11.2009 bis 26.01.2014 amtierte und deren Name mir gerade nicht einfallen will. Sie kam, glaube ich, aus der südwestlichen Provinz, war streng-gläubige Katholikin und intellektuell sehr schlicht veranlagt.


Sie debakulierte noch schlimmer als Heil durch diese vier Jahre, versagte dabei Sarrazin aus der Partei zu werfen, warf dafür aber die Säkularen aus der SPD, verhinderte einen kirchenkritischen Arbeitskreis in der Partei, klaute als Walkampfslogan den Werbespruch einer ausbeuterischen Zeitarbeitsfirma und war schließlich vom Wahltermin 2013 derart überrascht, daß sie weder den Kandidaten kannte, noch ein Konzept entwickelt hatte. Stattdessen empfahl sie rote Mützchen zu stricken und verkündete „Stricken für den Wechsel“ könne das Ruder herumreißen.


Nach dieser Performance kam die CDU/CSU bis auf einen Sitz an die absolute Mehrheit heran; aber durch das Ausscheiden der Rösler-Lobbygruppe, wurde ein Koalitionspartner gebraucht, so daß die SPD paradoxerweise wieder in die Regierung einzog.

Nun hätte man sich auf die Kernkompetenz der SPD besinnen können; „das Soziale“.
Denn nun wurde wieder ein SPD-Mitglied Sozialminister und damit Hüter des mit Abstand größten Etats im Kabinett.
Endlich also wieder Gelegenheit in der Regierung zu zeigen was man kann und wie man sich „für die kleinen Leute“ und Gerechtigkeit einsetzt.
Unglücklicherweise besetzte den Posten eine streng gottesfürchtige Pfälzerin mit dem rhetorischen Talent einer Ohrenmuschel, die sich als großer Merkelfan entpuppte, strikt das umsetzte, was sie vorher vehement bekämpfte – also beispielsweise die alleinige Finanzierung der Renten durch die Arbeitseinkommen. Selbstständige, Beamte, Vermögende und Bundestagsabgeordnete entließ sie großzügig aus der Solidarität; die tragen alle bis heute keinen Cent zur Finanzierung der Renten bei.
Und so kann eine vom Staat bezahlte Ex-Bischöfin wie Käßmann im stolzen Alter von 60 Jahren ihre B9-Pension genießen, ohne selbst irgendwie dazu beizutragen, daß Geringverdiener entlastet werden, die mindestens bis 67 arbeiten und sich oft bis zu ihrem Lebensende durch Hiwi-Jobs wie Zeitungsaustragen etwas dazu verdienen müssen, um ihre Mieten bezahlen zu können.
Wie hieß diese unselige Sozialministerin noch? Ganz bekannter Name. Leicht pyknische Gestalt, Faible für Vulgärsprache, große Narbe auf der Stirn, fanatische Faschings-Feierin, Papst-Bewunderin.
Ich komme nicht drauf.

Naja, nun ist jedenfalls eine Andrea Nahles Partei- und Fraktionschefin.
Endlich ein neuer Name. Sie verfiel nun also auf diesen Einteinschen Gedanken, Experten zu befragen, ob es womöglich eine Mitschuld der SPD am Bundestagswahlergebnis 2017 von 20,5% und dem folgenden weiteren demoskopischen Abstieg gab.
Also ich konnte es mir, ehrlich gesagt nicht vorstellen, schließlich hatte der Parteivorsitzende extra für die Wahlkampfkoordination vom 02.06.2017 bis zum 08.12.2017 Hubertus Heil erneut zum Generalsekretär der Partei erhoben.
Dieser hatte sich ja schon in der Zeit 2005-2009 so großartig bewiesen, indem er das schlechteste Bundestagswahlergebnis aller Zeiten für die SPD holte. Und, das muss man ihm neidlos anerkennen; er lieferte! Holte 2017 erneut das schlechteste Wahlergebnis aller Zeiten, unterschritt sogar noch seine Kellerwert von 2009 um 2,5 Prozentpunkte.
Wenn man jetzt wirklich zynisch und destruktiv wäre, würde man diesen sich vielfach als Superversager bewiesenen Heil mit einem großen prestigeträchtigen SPD-Kern-Ministerium betrauen, um der Partei endgültig den Todesstoß zu geben.
Heil würde wieder abtauchen und strikt darauf achten, daß kein Wähler merkt, daß ein Sozi auf dem größten Geldhaufen der Bundesregierung sitzt und damit direkten Einfluss auf die Portemonnaies der SPD-Stammwähler hat. Das wäre vielleicht verrückt…
Aber ich schweife ab.
Nun liegt also das Analyse-Ergebnis vor und tatsächlich, oh Wunder, man kann es kaum glauben: Die SPD hat Fehler im Wahlkampf gemacht.
Ich fasse es nicht, es sind sogar mehrere Probleme identifiziert worden:

[…..] "In der öffentlichen Wahrnehmung ist die SPD zum Sanierungsfall geworden", heißt es in der Analyse, die Parteichefin Andrea Nahles am Montag vor Journalisten kommentierte, bevor der Parteivorstand darüber diskutierte. Nahles macht sich ausdrücklich nicht alle Befunde der Studie zu eigen, teilt aber zentrale Thesen. "Es fehlte ein klarer Kurs", sagte sie über die Kampagne 2017. […..] Auch organisatorische Defizite will Nahles angehen. "Das Willy-Brandt- Haus leidet an konträren Kraftzentren", sagte sie. Bis zum Sommer soll die Parteizentrale deshalb so neu organisiert werden, dass sie nicht nur in Wahlkampfzeiten, sondern ständig kampagnenfähig ist. Danach wird eine Beratungsagentur die Abläufe untersuchen. Unzufrieden ist Nahles zudem mit der Fähigkeit der Partei zur "strategischen Kommunikation". Die sei "nicht auf der Höhe der Zeit".
Auch aus den späten Ausrufungen der Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück 2012 und Martin Schulz 2017, die der Bericht im Kapitel über die Wahlkampagne des vergangenen Jahres unter dem Titel "Schiffbruch mit Ansage" als Kardinalfehler einstuft, will die Parteichefin ihre Lehren ziehen. "Wir wollen die Spitzenkandidatur früher und geordneter klären, als das bisher der Fall gewesen ist." Wann die Entscheidung fallen soll, wollte Nahles aber nicht verraten. [….]

Also das klingt logisch.
Schuld ist ein anderer, der jetzt nicht mehr dabei ist. Nämlich der zum Zeitpunkt der Bundestagswahl beliebteste Politiker Deutschlands, Bundesaußenminister Gabriel.
Das ist ja klar; die Wähler hassen die beliebtesten Politiker; auf Platz eins der Zustimmungsliste zu stehen, kann der Partei nur schwer schaden.

Die anderen drei Punkte sind schon schwerer zuzuordnen.

Organisatorische Defizite? Wer sitzt denn schon ewig im WBH und hatte von 2009-2014 Zeit die Kommunikationswege zu erneuern?

Strategischen Kommunikation? Wer war dieser unfähige Generalsekretär, der 2013 Steinbrück ohne Konzept, mit fröhlichen Strickvideos untergehen ließ?

Es fehlte ein klarer Kurs? Eigenartig. Wer war den bloß die letzten vier Jahre vor der Wahl im Kernministerium der SPD Ressortchef und hätte mit klarer sozialer Politik beweisen können für welchen Kurs die SPD steht?

Ich komme wieder nicht drauf, aber gut, daß jetzt die Nahles Chefin ist.
Die hat ja bekanntlich nie Fehler gemacht.
Den Schwarzen Peter hat Sigmar Gabriel.
Frau Nahles bestimmt jetzt die Richtung, setzt auf Nationalismus und Xenophobie. Das begeistert die alten SPD-Stammwähler.

[…..] Geradezu erschreckend leicht fällt der SPD in ihrer Fehleranalyse die Suche nach Sündenböcken. Da darf niemand auf Nestwärme hoffen. Das bekommen Nahles' Vorgänger Sigmar Gabriel und Martin Schulz zu spüren. Alarmierend ist nicht die Kritik im Bericht, natürlich kann niemand die beiden von Verantwortung freisprechen. Alarmierend ist der Ton, vor dem Nahles die Betroffenen auch nicht in Schutz nimmt. Über Gabriel fällt das Urteil vernichtend aus, gerade so, als habe er sich die Partei im Jahr 2009 zur Beute gemacht. Überzeugend ist das nicht. Andrea Nahles gehört seit Jahren zum Parteiestablishment, sie war Generalsekretärin an Gabriels Seite. Souveräner wäre es gewesen, früher einzugreifen, statt jetzt zuzulassen, wie mit dem Finger auf Gabriel gezeigt wird.
An Schulz lässt sich vieles kritisieren, allerdings nicht, dass es ihm an Respekt vor der Aufgabe als Kanzlerkandidat gefehlt habe, wie es im Bericht steht. Das Gegenteil ist der Fall. Der Respekt vor der Aufgabe hat ihn klein gemacht. [….]

[…..] Man kann den gewesenen Vorsitzenden einiges nachsagen, aber dass beispielsweise Gabriel allein für alle Versäumnisse oder Ärgernisse oder Fehler verantwortlich wäre, das dann doch nicht. Verantwortlich sind alle, die seit Jahren im Parteivorstand sitzen, darunter Andrea Nahles, darunter Olaf Scholz. Sie alle hätten ausreichend Möglichkeiten gehabt, alles anzusprechen, alles zu ändern.
Dass die neue Führung die alte, Gabriel und Schulz, nicht zur Fehleranalyse eingeladen hat, zeigt, welcher Geist vorherrscht. Taktik regiert. Man kann das eine Verrohung der Sitten nennen. Zumal sich einiges gegen die Analyse einwenden ließe. Wenn Gabriel oder Schulz offen sprächen … Was sie nicht tun. Das gehört sich auch nicht für Genossen, die es bleiben wollen. Außerem wäre es nicht zielführend. Nur so viel als Anspielung: Ein Autor hat den NRW-Wahlkampf gemanagt, der mit der Abwahl endete; und der hatte sich mit Gabriel überworfen. Ein weiterer steht auch nicht eben Gabriel nahe, sondern gilt als Nahles-Mann. Daneben war er von Niedersachsens Ministerpräsident im Zuge einer Affäre um die Vergabe öffentlicher Aufträge als Staatssekretär entlassen worden.
Unabhängig von alledem: 17 Prozent in Umfragen heute sind nicht mehr Gabriel (oder Schulz) anzulasten. […..]