Wie
lustig, nach 12 Jahren krachender Wahlniederlagen, kommt das legendär unfähige
WBH („Willy-Brandt-Haus“, vulgo Schlangengrube) auf die Idee zu analysieren, ob
es eigentlich irgendwelche Gründe dafür gibt, daß von den 20 Millionen
Menschen, die 1998 die Schröder-SPD gewählt haben mittlerweile zehn Millionen
schreiend weggelaufen sind.
Sind das
zufällige Schwankungen? Unterliegt die SPD höherer Gewalt? Sind 50% der Wähler
ausgewandert und haben ihre Staatsbürgerschaft abgegeben?
Man weiß
es nicht.
Nun also
der bahnbrechende neue Gedanke: Könnten die miserablen Wahlkämpfe und die
brutalen Klatschen durch den Wähler womöglich etwas mit der eigenen Performance
zu tun haben?
Spielt etwa die SPD bei den SPD-Wahlergebnissen auch eine Rolle?
Spielt etwa die SPD bei den SPD-Wahlergebnissen auch eine Rolle?
Das sind
diese Fragen, über die sich in den goldenen Jahren der Sozialdemokratie echte
Weitdenker auf dem Stuhl des Generalsekretärs Gedanken machten. Vor 1999 brauchten
die Herren noch nicht einmal diese martialischen Titel, sondern firmierten
unter „Bundesgeschäftsführer“: Hans-Jürgen Wischnewski, Egon Bahr, Holger
Börner, Günter Verheugen und Peter Glotz waren hochintelligente Analytiker,
welche die Partei stets so modern ausrichteten, daß sie an der Spitze des
Fortschritts stand.
Das Denken
im WBH wurde spätestens am 15.11.2005 mit dem Einzug Hubertus Heils
eingestellt. Nach vier Jahren führte er die SPD in die bis dahin schlimmste
Wahlniederlage. Heils Partei verlor gewaltige 11,2 Prozentpunkte und sackte auf
23,0% weg. Die letzte Wahl mit einem Spitzenkandidaten Schröder endete 2005
noch auf Augenhöhe mit der CDU, nämlich bei 34,2%.
Also
flog die SPD zu Recht aus der Regierung und verkündete sich in der Opposition
erneuern zu wollen.
Organisieren
sollte diesen inhaltlichen Wandel eine neue Generalsekretärin, die von 13.11.2009
bis 26.01.2014 amtierte und deren Name mir gerade nicht einfallen will. Sie
kam, glaube ich, aus der südwestlichen Provinz, war streng-gläubige Katholikin
und intellektuell sehr schlicht veranlagt.
Sie
debakulierte noch schlimmer als Heil durch diese vier Jahre, versagte dabei
Sarrazin aus der Partei zu werfen, warf dafür aber die Säkularen aus der
SPD, verhinderte einen kirchenkritischen Arbeitskreis in der Partei, klaute als
Walkampfslogan den Werbespruch einer ausbeuterischen Zeitarbeitsfirma und war
schließlich vom Wahltermin 2013 derart überrascht, daß sie weder den Kandidaten
kannte, noch ein Konzept entwickelt hatte. Stattdessen empfahl sie rote
Mützchen zu stricken und verkündete „Stricken für den Wechsel“ könne das Ruder
herumreißen.
Nach
dieser Performance kam die CDU/CSU bis auf einen Sitz an die absolute Mehrheit
heran; aber durch das Ausscheiden der Rösler-Lobbygruppe, wurde ein
Koalitionspartner gebraucht, so daß die SPD paradoxerweise wieder in die
Regierung einzog.
Nun
hätte man sich auf die Kernkompetenz der SPD besinnen können; „das Soziale“.
Denn nun
wurde wieder ein SPD-Mitglied Sozialminister und damit Hüter des mit Abstand
größten Etats im Kabinett.
Endlich
also wieder Gelegenheit in der Regierung zu zeigen was man kann und wie man
sich „für die kleinen Leute“ und Gerechtigkeit einsetzt.
Unglücklicherweise
besetzte den Posten eine streng gottesfürchtige Pfälzerin mit dem rhetorischen
Talent einer Ohrenmuschel, die sich als großer Merkelfan entpuppte, strikt das
umsetzte, was sie vorher vehement bekämpfte – also beispielsweise die alleinige
Finanzierung der Renten durch die Arbeitseinkommen. Selbstständige, Beamte,
Vermögende und Bundestagsabgeordnete entließ sie großzügig aus der Solidarität;
die tragen alle bis heute keinen Cent zur Finanzierung der Renten bei.
Und so
kann eine vom Staat bezahlte Ex-Bischöfin wie Käßmann im stolzen Alter von 60
Jahren ihre B9-Pension genießen, ohne selbst irgendwie dazu beizutragen, daß
Geringverdiener entlastet werden, die mindestens bis 67 arbeiten und sich oft
bis zu ihrem Lebensende durch Hiwi-Jobs wie Zeitungsaustragen etwas dazu
verdienen müssen, um ihre Mieten bezahlen zu können.
Wie hieß
diese unselige Sozialministerin noch? Ganz bekannter Name. Leicht pyknische
Gestalt, Faible für Vulgärsprache, große Narbe auf der Stirn, fanatische
Faschings-Feierin, Papst-Bewunderin.
Ich
komme nicht drauf.
Naja,
nun ist jedenfalls eine Andrea Nahles Partei- und Fraktionschefin.
Endlich
ein neuer Name. Sie verfiel nun also auf diesen Einteinschen Gedanken, Experten
zu befragen, ob es womöglich eine Mitschuld der SPD am Bundestagswahlergebnis
2017 von 20,5% und dem folgenden weiteren demoskopischen Abstieg gab.
Also ich
konnte es mir, ehrlich gesagt nicht vorstellen, schließlich hatte der
Parteivorsitzende extra für die Wahlkampfkoordination vom 02.06.2017 bis zum 08.12.2017
Hubertus Heil erneut zum Generalsekretär der Partei erhoben.
Dieser
hatte sich ja schon in der Zeit 2005-2009 so großartig bewiesen, indem er das
schlechteste Bundestagswahlergebnis aller Zeiten für die SPD holte. Und, das
muss man ihm neidlos anerkennen; er lieferte! Holte 2017 erneut das schlechteste
Wahlergebnis aller Zeiten, unterschritt sogar noch seine Kellerwert von 2009 um
2,5 Prozentpunkte.
Wenn man
jetzt wirklich zynisch und destruktiv wäre, würde man diesen sich vielfach als
Superversager bewiesenen Heil mit einem großen prestigeträchtigen SPD-Kern-Ministerium
betrauen, um der Partei endgültig den Todesstoß zu geben.
Heil
würde wieder abtauchen und strikt darauf achten, daß kein Wähler merkt, daß ein
Sozi auf dem größten Geldhaufen der Bundesregierung sitzt und damit direkten
Einfluss auf die Portemonnaies der SPD-Stammwähler hat. Das wäre vielleicht
verrückt…
Aber ich
schweife ab.
Nun
liegt also das Analyse-Ergebnis vor und tatsächlich, oh Wunder, man kann es
kaum glauben: Die SPD hat Fehler im Wahlkampf gemacht.
Ich fasse
es nicht, es sind sogar mehrere Probleme identifiziert worden:
[…..]
"In der öffentlichen Wahrnehmung ist
die SPD zum Sanierungsfall geworden", heißt es in der Analyse, die
Parteichefin Andrea Nahles am Montag vor Journalisten kommentierte, bevor der
Parteivorstand darüber diskutierte. Nahles macht sich ausdrücklich nicht alle
Befunde der Studie zu eigen, teilt aber zentrale Thesen. "Es fehlte ein
klarer Kurs", sagte sie über die Kampagne 2017. […..] Auch organisatorische Defizite will Nahles
angehen. "Das Willy-Brandt- Haus leidet an konträren Kraftzentren",
sagte sie. Bis zum Sommer soll die Parteizentrale deshalb so neu organisiert
werden, dass sie nicht nur in Wahlkampfzeiten, sondern ständig kampagnenfähig
ist. Danach wird eine Beratungsagentur die Abläufe untersuchen. Unzufrieden ist
Nahles zudem mit der Fähigkeit der Partei zur "strategischen
Kommunikation". Die sei "nicht auf der Höhe der Zeit".
Auch aus den späten
Ausrufungen der Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück 2012 und Martin Schulz 2017,
die der Bericht im Kapitel über die Wahlkampagne des vergangenen Jahres unter
dem Titel "Schiffbruch mit Ansage" als Kardinalfehler einstuft, will
die Parteichefin ihre Lehren ziehen. "Wir wollen die Spitzenkandidatur
früher und geordneter klären, als das bisher der Fall gewesen ist." Wann
die Entscheidung fallen soll, wollte Nahles aber nicht verraten. [….]
Also das
klingt logisch.
Schuld
ist ein anderer, der jetzt nicht mehr dabei ist. Nämlich der zum Zeitpunkt der
Bundestagswahl beliebteste Politiker Deutschlands, Bundesaußenminister Gabriel.
Das ist
ja klar; die Wähler hassen die beliebtesten Politiker; auf Platz eins der
Zustimmungsliste zu stehen, kann der Partei nur schwer schaden.
Die
anderen drei Punkte sind schon schwerer zuzuordnen.
Organisatorische
Defizite? Wer sitzt
denn schon ewig im WBH und hatte von 2009-2014 Zeit die Kommunikationswege zu
erneuern?
Strategischen
Kommunikation? Wer
war dieser unfähige Generalsekretär, der 2013 Steinbrück ohne Konzept, mit
fröhlichen Strickvideos untergehen ließ?
Es fehlte ein klarer
Kurs? Eigenartig.
Wer war den bloß die letzten vier Jahre vor der Wahl im Kernministerium der SPD
Ressortchef und hätte mit klarer sozialer Politik beweisen können für welchen
Kurs die SPD steht?
Ich
komme wieder nicht drauf, aber gut, daß jetzt die Nahles Chefin ist.
Die hat
ja bekanntlich nie Fehler gemacht.
Den
Schwarzen Peter hat Sigmar Gabriel.
Frau
Nahles bestimmt jetzt die Richtung, setzt auf Nationalismus und Xenophobie.
Das begeistert die alten SPD-Stammwähler.
[…..]
Geradezu erschreckend leicht fällt der
SPD in ihrer Fehleranalyse die Suche nach Sündenböcken. Da darf niemand auf
Nestwärme hoffen. Das bekommen Nahles' Vorgänger Sigmar Gabriel und Martin Schulz
zu spüren. Alarmierend ist nicht die Kritik im Bericht, natürlich kann niemand
die beiden von Verantwortung freisprechen. Alarmierend ist der Ton, vor dem
Nahles die Betroffenen auch nicht in Schutz nimmt. Über Gabriel fällt das
Urteil vernichtend aus, gerade so, als habe er sich die Partei im Jahr 2009 zur
Beute gemacht. Überzeugend ist das nicht. Andrea Nahles gehört seit Jahren zum
Parteiestablishment, sie war Generalsekretärin an Gabriels Seite. Souveräner
wäre es gewesen, früher einzugreifen, statt jetzt zuzulassen, wie mit dem Finger
auf Gabriel gezeigt wird.
An Schulz lässt sich
vieles kritisieren, allerdings nicht, dass es ihm an Respekt vor der Aufgabe
als Kanzlerkandidat gefehlt habe, wie es im Bericht steht. Das Gegenteil ist
der Fall. Der Respekt vor der Aufgabe hat ihn klein gemacht. [….]
[…..]
Man kann den gewesenen Vorsitzenden
einiges nachsagen, aber dass beispielsweise Gabriel allein für alle
Versäumnisse oder Ärgernisse oder Fehler verantwortlich wäre, das dann doch
nicht. Verantwortlich sind alle, die seit Jahren im Parteivorstand sitzen,
darunter Andrea Nahles, darunter Olaf Scholz. Sie alle hätten ausreichend Möglichkeiten
gehabt, alles anzusprechen, alles zu ändern.
Dass die neue Führung
die alte, Gabriel und Schulz, nicht zur Fehleranalyse eingeladen hat, zeigt,
welcher Geist vorherrscht. Taktik regiert. Man kann das eine Verrohung der
Sitten nennen. Zumal sich einiges gegen die Analyse einwenden ließe. Wenn
Gabriel oder Schulz offen sprächen … Was sie nicht tun. Das gehört sich auch
nicht für Genossen, die es bleiben wollen. Außerem wäre es nicht zielführend.
Nur so viel als Anspielung: Ein Autor hat den NRW-Wahlkampf gemanagt, der mit
der Abwahl endete; und der hatte sich mit Gabriel überworfen. Ein weiterer
steht auch nicht eben Gabriel nahe, sondern gilt als Nahles-Mann. Daneben war
er von Niedersachsens Ministerpräsident im Zuge einer Affäre um die Vergabe
öffentlicher Aufträge als Staatssekretär entlassen worden.
Unabhängig von
alledem: 17 Prozent in Umfragen heute sind nicht mehr Gabriel (oder Schulz)
anzulasten. […..]