Und
schon wieder einmal zeigt der Kalender eine „1“ - hohe Zeit für mich den
Blödmann des Monats zu küren.
Zum
Glück bewege ich mich in einem Umfeld und gehöre zu einer Generation, in der
ich sehr selten „haben sie überhaupt gedient?“ gefragt werde. Nein, ich diente niemals.
Wenn
es doch mal vorkommt, erkläre ich mit Genugtuung, wie wenig mit meinem Dienst irgendjemanden
gedient sei. Ich wäre ein völlig unbrauchbarer Soldat, bin weder mutig
noch kämpferisch und hadere massiv mit Gehorsam, Hierarchie und Uniformität. Mache
mir nichts aus Kameradschaft und Ritualen. Ich leide an Exzentrik und Widerspruchsgeist.
Und schließlich ist da noch die Sache mit der Gewalt: Töten lehne ich
prinzipiell ab.
Eine
Kaserne habe ich nie von innen gesehen. Aber das Soldat-Sein ist ein sehr
häufiger Topos in Literatur und Film, so daß ich mir als Leseratte durchaus
einen Eindruck verschaffen konnte.
Sven
Regeners Beschreibung seines Grundwehrdienstes in „Neue
Vahr Süd“ deckt sich dabei vollständig mit den Erzählungen,
die ich von meinen Altersgenossen kenne, die nicht verweigerten.
Sie schreien und schreien, dachte Frank
nun, während er auf seinem Bett saß und dabei zuschaute, wie Schmidt direkt vor
ihm stand und sich am Hintern kratzte und Leppert zu seinem Spind humpelte und
sich dabei eine Zigarette anzündete. Sie waren neun Leute auf der Stube, es gab
drei dreistöckige Betten, neun Spinde, neun Stühle, einen Tisch und einen
Aschenbecher. Der Raum roch nach Zigaretten, Alkohol und alten Socken. Sie
schreien und schreien und schreien, dachte er, sie können gar nicht anders, man
darf es nicht persönlich nehmen, das ist das ganze Geheimnis, dachte er. Dann
kam wieder jemand hereingestürmt, sah ihn da sitzen und fragte ihn brüllend, ob
er tot sei oder warum er sonst herumsäße wie ein Sack Mehl. Er brauchte nicht
zu antworten. Es war eine rhetorische Frage, und der Mann war gleich wieder
draußen. Frank stand auf und ging zu seinem Spind. Das war sicher nicht
persönlich gemeint, dachte er wieder, aber er wußte, daß das nicht viel zu bedeuten
hatte, das sind alles nur Mutmaßungen, dachte er, es ist eine fremde Welt, und
über die Motive und Absichten dieser Leute kann man nur spekulieren, dachte er
und öffnete den Spind. Alles schön und gut, dachte er dann und starrte in den Spind
hinein, alles schön und gut. Das Problem ist nur, daß man so eine furchtbare
Angst vor ihnen hat!
»Wenn es heißt ›3. Zug raustreten‹,
dann treten Sie aus den Stuben heraus und stellen sich auf dem Flur auf. Die
Fußspitzen berühren genau die zweite Fuge der Steinplatten. Das habe ich Ihnen
gestern gesagt, das sage ich Ihnen heute und das sage ich Ihnen morgen.
Übermorgen ist Freitag. Wenn Sie das bis dahin nicht begriffen haben, üben wir
das am Wochenende auch noch. Und raustreten heißt nicht schlendern, raustreten
heißt rennen, Männer. Ist das klar?«
Fahnenjunker Tietz stand direkt vor
Frank, als er das brüllte, und dann schaute er triumphierend nach links und
nach rechts den Flur hinunter.
»Fahnenjunker Heitmann und GUA Pilz
werden jetzt Ihre Stuben inspizieren«, fuhr er brüllend fort. »Wenn Ihr Name gerufen
wird, ist das schlecht für Sie. Dann rennen Sie in die Stube und tun, was man
Ihnen sagt.«
Die beiden genannten Männer stürmten in
eine Stube, erste Namen wurden gerufen. Frank fürchtete das Schlimmste, und nur
um irgendwas zu tun, schaute er hinunter, ob seine Fußspitzen auch wirklich an der
zweiten Fuge der Steinplatten waren. Dann schaute er wieder hoch, und sein
Blick traf den des Fahnenjunkers.
»Ist was? Haben Sie noch Fragen?«
»Nein.«
»Nein, Herr Fahnenjunker, heißt das.«
»Nein, Herr Fahnenjunker.«
»Also gleich nochmal: Wie heißt das?«
Das ist ihnen wichtig, dachte Frank,
daß man genau so redet, wie sie es wollen. Er fand das eigenartig. Noch
eigenartiger aber fand er die unglaubliche Unfreundlichkeit, mit der ihm und
seinen Leidensgenossen hier begegnet wurde.
»Wie heißt das?« brüllte Fahnenjunker
Tietz mit überschnappender Stimme.
Das ist seltsam, dachte Frank,
eigentlich müßten sie doch froh sein, daß man nicht verweigert hat.
»Was jetzt?« fragte er zerstreut.
»Was jetzt, Herr Fahnenjunker! Sie
sagen immer am Ende Herr Fahnenjunker, wenn Sie mit mir sprechen, haben Sie das
verstanden.«
Ich meine, wer ist noch so blöd und
geht zum Bund, dachte Frank, da müßten sie doch eigentlich über jeden froh
sein, der kommt, und ihn nett behandeln, wie ein rohes Ei eigentlich, dachte
er.
»Haben Sie das verstanden?!«
»Ja.«
»Wie?«
»Ja, Herr Fahnenjunker.«
»Jawohl, Herr Fahnenjunker, jawohl Herr
Fahnenjunker
heißt das. Ja ist was für Zivilisten,
Sie sagen jawohl, wenn Sie einen Befehl empfangen oder eine Frage bejahen.«
»Jawohl, Herr Fahnenjunker.«
»Wie heißen Sie noch mal?«
»Lehmann.«
»Lehmann, Herr Fahnenjunker. Genauer
gesagt: Pionier Lehmann, Herr Fahnenjunker. Sie sind jetzt Pionier, das ist Ihr
Dienstgrad, das ist Ihr neuer Vorname, das ist alles, was Sie hier haben. Also
nochmal: Wie heißen Sie?«
»Lehmann, Herr Fahnenjunker.«
»Pionier Lehmann. Also nochmal: Wie
heißen Sie?«
»Pionier Lehmann.«
»Na? Na?«
»Herr Fahnenjunker.«
»Na also.«
»Pionier Lehmann!« rief es aus Franks
Stube.
»Schon weg sein, schon wieder hier
sein«, brüllte Fahnenjunker Tietz. Frank lief in die Stube. Dort waren auch
schon Schmidt und Hoppe, Hoppe stand vor seinem Spind, hob Hemden vom Boden auf
und faltete sie neu zusammen, und Schmidt hing oben an dem dreistöckigen Bett
und zupfte an seiner Bettdecke herum. Im Raum stand Fahnenjunker Heitmann,
hatte die Hände in die Hüften gestemmt und wartete auf ihn.
»Was gibt’s denn?« fragte Frank.
»Was gibt’s denn?« kreischte Heitmann.
»Was gibt’s denn?
Ich höre wohl schlecht.«
Er machte eine kurze Pause, wie um
Frank die Möglichkeit zu geben, etwas zu sagen. Frank sagte nichts.
»Ist das Ihr Bett, oder ist das nicht
Ihr Bett? Ist das Ihr Name da auf dem Schild, oder ist das nicht Ihr Name.«
»Ja.«
»Jawohl, Herr Fahnenjunker.«
»Jawohl, Herr Fahnenjunker.«
»Na also. Da sind Falten drin, machen
Sie das glatt, aber ganz schnell, gleich ist Antreten.«
Frank trat ans Bett und beugte sich
runter. Da waren keine Falten zu sehen. Er zupfte trotzdem ein wenig an der
Wolldecke herum, wodurch überhaupt erst Falten entstanden. Er versuchte, sie
wieder wegzumachen, aber das war schwierig,
denn er mußte sich, um nicht
vornüberzufallen, am Bettpfosten festhalten, außerdem wackelte der ganze
Bettenturm, weil Schmidt ganz oben mit ähnlichen Problemen kämpfte.
»Hat er was gibt’s denn gesagt?« hörte
er hinter sich Fahnenjunker Tietz fragen.
»Hat er gesagt«, sagte Fahnenjunker
Heitmann.
»Mann, Lehmann, mit Ihnen werden wir
noch Freude haben«, sagte Fahnenjunker Tietz. Daß die beiden hinter ihm
standen, während er da unten herumfummelte, machte Frank aggressiv. Außerdem
wurde es mit den Falten durch sein Gezupfe und Gezerre immer schlimmer. Besser
wäre es gewesen, er hätte sich hingekniet, dann hätte er beide Hände frei
gehabt, aber das wollte er auf keinen Fall, nicht mit den beiden Fahnenjunkern im Rücken. »Das kann man
ja nicht mit ansehen«, höhnte Tietz. »Nun machen Sie mal hin, gleich ist
Antreten.«
Frank verlor den Halt, ließ den Pfosten
los und fiel aufs Bett. Vor lauter Ärger und Nervosität mußte er lachen.
»Was lacht der?«
»Ich glaub, mein Schwein pfeift.
Lehmann, wenn Sie so weitermachen, üben wir das am Wochenende.«
»Sie sollen mit dem Lachen aufhören!«
Frank lachte immer weiter. Es ist kein
fröhliches Lachen, es ist eher hysterisch, dachte er, und es ist nicht das
Klügste, was man tun kann, aber es füttert sich selbst, dachte er, erst lacht man,
weil alles so absurd ist, und dann muß man weiterlachen, weil die Lacherei auch
absurd ist, so geht das nicht, dachte er, das ist nicht klug, sowas nehmen die
persönlich. Er versuchte hochzukommen. Hinter ihm plumpste Schmidt auf den Boden.
Aus der Ferne waren Rufe zu hören.
»Aufhören, das ist der Befehl zum
Antreten«, brüllte Fahnenjunker Tietz.
Frank lachte und lachte. Mühsam kam er
hoch. Erst als er aufrecht vor Fahnenjunker Tietz und Fahnenjunker Heitmann
stand und in ihre Gesichter blickte, konnte er mit dem Lachen aufhören. Das ist
auch höchste Zeit, dachte er.
Schmidt stand mit dabei und starrte ihn
entgeistert an.
»Raus, raus!« schrie Fahnenjunker
Heitmann. »Alle beide!« Vom Flur her war zu hören, wie die anderen Rekruten losrannten,
nach unten, zum Antreten vor dem Kompaniegebäude.
»Wir sprechen uns noch«, schrie
Fahnenjunker Tietz. »Da kommt noch was nach, Lehmann. Und hören Sie auf zu grinsen,
Schmidt. Raus, sofort raus.«
Frank glaubte, aus der Stimme von
Fahnenjunker Tietz so etwas wie Panik herauszuhören, und das gefiel ihm.
»Raus, aber schnell!« schrie
Fahnenjunker Tietz.
Er scheißt sich ein, dachte Frank. Das
ist wichtig, darüber muß man mal nachdenken, dachte er, aber er wußte, daß
dafür jetzt keine Zeit war. Er mußte raus, aber schnell.
Diese
aberwitzige Stupidität der sinnlosen Regeln. Das Geschrei, die Strafen, die
Schikane. Das sind einerseits dankbare
Topoi für Satire aller Art, aber auch bitterer Ernst. Armee-Führungen weltweit begeistern
sich für die Idee, einen jungen Menschen „erst einmal zu brechen“, um ihn dann
als uniformen, angepassten, Befehlsempfänger wieder aufzubauen. Mit tödlichen
Nebenwirkungen.
Vergewaltigungen unter Soldaten sind traurige Normalität.
[….] Bei
den US-Streitkräften sind in den vergangenen zehn Jahren mindestens 100.000
Männer pro Jahr Opfer sexueller Übergriffe geworden. Wie die New York Times unter
Berufung auf Zahlen des US-Verteidigungsministeriums berichtete, waren allein
2018 etwa 7.500 Männer von sexueller Belästigung, versuchter Nötigung bis hin
zu Vergewaltigung betroffen. Die Opfer seien meist jünger als 24 Jahre und
hätten einen niedrigen Dienstgrad.
Die Zahl der registrierten weiblichen Opfer ist dem Bericht zufolge mit 13.000 im Jahr 2018
höher als die der Männer. Jedoch sagt das nichts über das tatsächliche
Verhältnis, da man nicht weiß, wie viele Opfer die Vorfälle nicht anzeigen. Nur
einer von fünf betroffenen Männern meldete Übergriffe – bei den Frauen seien es
dagegen 38 Prozent. Viele Betroffene müssten die Armee verlassen und hätten dann Schwierigkeiten, im Alltag wieder Fuß zu fassen,
hieß es weiter. [….]
(ZEIT, 12.09.2019)
Die psychische,
physische und sexuelle Gewalt unter Soldaten führt wiederum zu Myriaden
Suiziden in Uniform.
(…) Mich interessiert „das Soldatische“ aus
soziokultureller Perspektive, ich habe gern Wolf Schneiders „Soldaten“
gelesen und bin auch fasziniert vom psychologischen Aspekt des streng
hierarchischen Drills unter Männern, der bekanntlich in den großen Armeen so
gravierend ist, daß es in Russland und den
USA zu mehren Soldaten-Selbstmorden jeden Tag kommt. […….]
[Um] Andrej
Sytschow […..das] Leben zu retten,
mussten die Ärzte beide Beine und seine Genitalien amputierten. Gewalt unter Kameraden gehört zur russischen Armee wie Gleichschritt und
Schießübungen. Erpressung, Prügel, Folter und Vergewaltigung sind an der
Tagesordnung. Die Soldaten sind sich selbst die größten Feinde. Der Volksmund nennt die Misshandlungen von Rekruten durch ältere
Soldaten "Djedowschtschina", "Herrschaft der Großväter".
Wer Erniedrigung und Schmerz im ersten Dienstjahr übersteht, gibt diese
Grausamkeiten an nachfolgende Rekruten weiter. [….] Das Komitee der Soldatenmütter, eine
Menschenrechtsorganisation, die gegen die Missstände kämpft, registriert jedes
Jahr etwa 2000 Todesfälle in der Armee - in Friedenszeiten. Ein großer Teil
lasse sich auf Misshandlungen zurückführen. Im vergangenen Jahr haben nach
Angaben der Militärstaatsanwaltschaft 341 Soldaten ihrem Leben freiwillig ein
Ende gesetzt. Auslöser soll nach Expertenmeinung auch hier in den meisten Fällen die
brutale Quälerei gewesen sein. Die Dunkelziffer der Gewaltfälle dürfte noch
weit höher liegen. [….]
(O. Bilger, SZ vom
11.11.2008)
In Deutschland gibt es "Djedowschtschina" vermutlich
nicht in dieser extremen Form und in Amerika bringen sich die Soldaten statt
während der Grundausbildung, überwiegend erst nach den Militäreinsätzen selbst
um.[ ….]
Von den aktiven US-Soldaten begeht durchschnittlich einer pro
Tag Suizid. Nach der
Dienstzeit steigt die Selbstmordrate um das 20-fache.
[….] Roughly 20 veterans a day
commit suicide nationwide, according to new data from the Department of
Veterans Affairs — a figure that dispels the often quoted, but problematic, “22
a day” estimate yet solidifies the disturbing mental health crisis the number
implied.
In 2014, the latest year available, more than
7,400 veterans took their own lives, accounting for 18 percent of all suicides
in America. Veterans make up less than 9 percent of the U.S. population. [….]
(Military Times, 07.07.2016)
Ganz offensichtlich haben Soldaten untereinander eine
sehr fragwürdige Art miteinander
umzugehen. (….)
(Militär und so, 20.09.2018)
Im Jahr
2025 zu leben, bedeutet aber auch, um die Notwendigkeit einer funktionieren
Bundeswehr zu wissen. Die in Deutschland tut es offensichtlich nicht.
Damit
komme ich endlich zum Blödmann des Monats.
Die Zahal
sind die Impudenz des Monats September 2025.
Die Israelischen
Verteidigungsstreitkräfte (hebräisch צְבָא הַהֲגָנָה לְיִשְׂרָאֵל ‚Armee der Verteidigung Israels‘, Zwa
ha-Hagannah lə-Jisraʾel; hebräisches Akronym: Zahal) bestehen
aus 220.000 Männern und
Frauen; sowie etwa einer halben Million Reservisten.
Die Zahal
gilt als beste Armee der Welt, der Sieg im Sechstage-Krieg, vom 5. bis 10. Juni
1967, wird größter Sieg mindestens des 20. Jahrhunderts, wenn nicht aller
Zeiten, angesehen.
Es war nach
dem Unabhängigkeitskrieg 1948/49, sowie der Suez-Krise, der dritte große
Auftritt der Zahal und begann mit einem gewaltigen Aufmarsch der ägyptischen
Armee an Israels Südgrenze.
Israel
konnte 300 Ägyptische Kampfjets zerstören, bevor diese überhaupt in der Luft
waren, die vollständigen Kontrolle über den Luftraum erlangen und eroberte
binnen einer Woche den Gazastreifen und die Sinai-Halbinsel von Ägypten, sowie
das Westjordanland mit Ostjerusalem von Jordanien und die Golan-Höhen von
Syrien.
Sie ließ
sich zwar beim Jom-Kippur-Krieg (6. bis zum 25. Oktober 1973) von Ägypten,
Syrien und weiteren arabischen Staaten überraschen, siegte aber auch dort.
Weltweiten
Ruhm brachte die Operation Entebbe in der Nacht zum 4. Juli 1976, als Israelische
Elitesoldaten auf dem Flughafen von Entebbe in Uganda ein entführtes Passagierflugzeug der Air France in nur 90 Minuten
befreiten. Drei Geiseln, alle neun Entführer, 20 Ugandische Soldaten und der
Israelische Befehlshaber wurden getötet.
102
überwiegend israelische Geiseln und die Air-France-Besatzung wurden unverletzt
gerettet und ausgeflogen.
Natürlich
bin ich kein Experte für die Israelische Armee und entnehme mein Wissen auch
hier weitgehend aus der Literatur.
Bei Ron Leshem habe ich von
einem ganz anderen Umgangston unter Israelischen Soldaten
gelesen. Die Hierarchie wird weniger zelebriert und so können einfache Soldaten
mit hohen Offizieren locker kommunizieren.
Ich erinnere mich an rührende Szenen, als im Libanonkrieg die in „Wenn
es ein Paradies gibt“ beschriebene Einheit kontinuierlich von den Golanhöhen
aus beschossen wird und sich junge Rekruten so sehr fürchten, daß sie in den
Armen ihres Vorgesetzten einschliefen.
Ob das repräsentativ ist, weiß ich nicht. Kürzlich habe ich das Buch noch einmal gelesen und bin
immer noch beeindruckt. Es sind harte Kerle, die schreckliches erleben und
schreckliches tun, aber untereinander Menschen bleiben. Der Kommandant
beschreibt in dieser Szene, wie er einen verstörten Mitkämpfer wieder aufbaut,
nachdem ihrem besten Freud gerade vor ihren Augen der Kopf weggeschossen wurde.
[…]
Ich zog ihn hoch zu mir. Es wird wieder, versicherte ich, wir passen einer
auf den anderen auf, Ich bin hier, du bist hier. Das kommt in Ordnung. Er
senkte den Blick. lch ließ nichtlocker. „Vertraust du mir?“, Sein Gesicht war
ganz nah. „Vertraust du mir? Ich will, dass du mir sagst, ob du mir vertraust.“
Er sah mich wieder an. Und dann passierte es. „Ich bin bereit, für dich zu
sterben“, sagte er. Kauerte da vor meinen Augen, ganz nah, und sagte: „Ich bin
bereit, für dich zu sterben“. Einfach so, direkt ins Gesicht. Überleg mal, was
es bedeutet, so etwas zu sagen, „ich bin bereit, für dich zu sterben.“ Was
sollst du ihm antworten? Was du auch sagst, es würde nichtig klingen, bedeutungslos.
Sollte ich sagen, dass ich bereit wäre, in einem nächsten Leben für ihn zu
sterben? Das klang doch idiotisch,
Also, was machst du in solch einer Situation? Ihn in den
Arm nehmen, küssen, ihm sagen: „Ich hab dich lieb.“ Seine Augen waren feucht,
glitzerten, drangen mir in die Seele. Er lag wie ein kleiner Junge vor mir. Ich
legte meine Hände auf seine Wangen, streichelte ihn. […]
(„Wenn
es ein Paradies gibt“, 2005)
An dieser
Stelle empfehle ich auch Ron Leshems Text „Feuer Israel und der 7. Oktober Was am 7. Oktober geschah – ein
einzigartiges Buch über den Tag, der alles veränderte.“, der am 30.04.2024
erschien.
Leshem,
geboren 1976, ist nicht nur ein großartiger Journalist, sondern ein
hervorragender Romanautor.
Er beschreibt
die Zahal nicht als Fan, aber realistisch.
Die Armee
ist im besten Sinne ein Schmelztiegel, die extrem heterogen zusammengesetzt
ist. Männer, Frauen, ultraorthodoxe Religiöse, metrosexuelle Großstädter,
Freigeister, Säkulare und sehr viele Einwanderer aus allen Ländern der Welt,
die kein Wort hebräisch sprechen.
Israel
betrachtet diese Diversität als Stärke, erkennt die unterschiedlichsten Talente.
Die Zahal ist ein Integrationsverein, der nebenher die schlagkräftigste Armee
der Welt, die bestausgebildeten Kämpfer und die zweifellos professionellsten
Geheimdienste stellt.
Eine große ARTE-Dokumentation widmet sich dem Thema.
Wenn schon
Armee, dann israelische Armee.
Aber unter
Scharon und Netanjahu ist etwas fürchterlich kaputt gegangen.
Aus der
humansten Armee der Welt wurde eine Kriegsverbrecherin.
[…]
Fast jeden Tag werden Palästinenser getötet, nur weil sie um Hilfe anstehen.
Erschossen von israelischen Soldaten oder Rockern, wer weiß das schon. Das
Grauen ist Normalität geworden. Aufmerksamkeit schafft höchstens noch mehr
Grauen. Und auch daran mangelt es ja nicht. Ein Chirurg der Universität Oxford
erzählte kürzlich, dass Teenagern von israelischen Soldaten gezielt in die
Hoden geschossen worden sei, als eine Art Zielübung. Gaza sei derzeit die „Hölle auf Erden“, schwante es
selbst dem Bundesaußenminister Johann Wadephul am Dienstag. Wer dieses
Höllenfeuer veranstaltet, blieb dagegen unklar, als sei es eine Art
Naturgewalt, der durch nichts beizukommen sei. Schon gar nicht durch Sanktionen
oder die Anerkennung eines Staates Palästinas. Fast zwei Jahre lang tobt der
Krieg nun in Gaza. Was als berechtigte Verteidigung nach dem Terror der Hamas
begann, hat sich zu einem endlosen Grauen entwickelt. Gaza wird in einer Reihe
stehen mit Ruanda, Darfur, Srebrenica und dem Schicksal der Rohingya. Und es
geht ja immer weiter. Gerade hat Ministerpräsident Benjamin Netanjahu den Sturm
auf Gaza-Stadt befohlen, Hunderttausende Palästinenser wurden vertrieben, ohne
zu wissen wohin, um die „letzte Bastion“ der Hamas zu stürmen. [….]
(Bernd Dörries, 25.09.2025)
Bei
Erwachsenen feuern Angehörige der Zahal als Schießübung in die Hoden. Kinder- und Babyleichen werden mit gezielten Kopfschüssen
aufgelesen.
[…]
Berichten zufolge sind seit
Kriegsbeginn mehr als 50.000 Kinder getötet oder verletzt worden (Stand
Juni 2025). Laut dem Jahresbericht des
UN-Generalsekretärs über Kinder in bewaffneten Konflikten
wurden allein im vergangenen Jahr, also 2024 mehr als 8.000 schwere
Kinderrechtsverletzungen in Israel und Palästina dokumentiert – so viele wie in
keiner anderen Region weltweit, seitdem der Überwachungsmechanismus für schwere
Kinderrechtsverletzungen vor 20 Jahren eingerichtet wurde. [….]
(Unicef)
Immerhin,
schon vor einem Jahr begannen Angehörige der Zahal zu Protestieren und sich zu
verweigern.
[….]
Max Kresch will nicht mehr kämpfen. Der drahtige 28-Jährige steht auf dem
Vorplatz des Tel Aviver Kunstmuseums. Statt Uniform trägt er Jeans und T-Shirt,
vor dem nächsten TV-Interview steckt er sich eine gelbe Schleife an den Kragen:
das Symbol für die Forderung nach einer Rückkehr der von der Hamas entführten
Geiseln. „Für dieses Land und diese Regierung bin ich nicht mehr bereit mein
Leben zu opfern“, sagt er. Zusammen mit ihm haben 129 andere Reservisten und
Wehrdienstleistende Anfang Oktober einen Brief unterschrieben, so lange nicht
mehr zum Dienst zu erscheinen, bis ein Abkommen zur Freilassung der Geiseln und
für ein Ende des Krieges geschlossen wird. Seitdem hört das Telefon von Max
Kresch kaum noch auf zu klingeln.
Dass 130 Soldaten ihren Dienst verweigern, während die
Kämpfe gegen die Hisbollah im Libanon immer mehr an Fahrt aufnehmen und ein
Krieg mit dem Iran jederzeit beginnen könnte, das sorgt für Diskussionen in
Israel. Israelische Medien haben Vorrang bei Interviewanfragen, sagt Kresch in
sein Handy. „Wir wollen laut sein und widersprechen, in einer Zeit, in der
viele es sich nicht trauen.“
[…] Das bisherige Versagen der Regierung, die Geiseln zurückzubringen, sei
nur „the straw that broke the camels back“, also in etwa: der Tropfen, der das
Fass zum Überlaufen brachte, sagt Kresch. Die Unterzeichner seien teils
zermürbt von ihren Erlebnissen im Krieg, teils geschockt von der politischen
Stimmung in ihren Einheiten oder auch schlicht desillusioniert von der
Tatsache, dass das Ziel dieses Kriegs zunehmend schwer auszumachen scheint.
„Wir, die wir mit Hingabe gedient und dabei unser Leben riskiert haben, geben
hiermit bekannt, dass wir unseren Dienst nicht fortsetzen können“, schreiben
sie. […]
(Felix Wellisch, 25.10.2024)