Aber warum sollte Putin sich das antun? Das braune Sachsen?
[….] Die Region wurde häufiger durch rechte Umtriebe bekannt. 1997 etwa wurde hier die größte rechtsextreme Kameradschaft gegründet: die Skinheads Sächsische Schweiz mit bis zu 120 Mitgliedern. 2001 wurde die Gruppe verboten, sie spukte aber im Untergrund weiter. 2004 holte die NPD bei der Landtagswahl 11,8 Prozent und zog in den Landtag ein. Später, nach der Flüchtlingskrise 2015, ging der Bundestagswahlkreis an die damalige AfD-Chefin Frauke Petry, auch 2021 gewann ein AfD-Mann. In den Gemeinden der Region holte die selbst ernannte Alternative hohe Wahlergebnisse. [….]
Zwei Meldungen dieses Winters:
[….] Antisemitische Vorfälle nehmen stark zu
Seit dem Überfall der Hamas auf Israel ist die Zahl antisemitischer Vorfälle in Deutschland stark gestiegen. Im Schnitt gebe es 29 Vorfälle pro Tag, berichtet der Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus.
Die Zahl antisemitischer Vorfälle in Deutschland ist seit dem Angriff der Terrororganisation Hamas auf Israel am 7. Oktober drastisch angestiegen. Der Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (RIAS) dokumentierte einem Bericht zufolge vom 7. Oktober bis zum 9. November 994 solcher Vorfälle. Das sind im Schnitt 29 Fälle am Tag - und damit mehr als viermal so viele wie der Jahresdurchschnitt 2022. Damals waren es sieben pro Tag. […]
[….] AfD in Sachsen "gesichert rechtsextremistisch"
Der sächsische Verfassungsschutz hat den Landesverband der AfD als "gesichert rechtsextremistisch" eingestuft. Nach Thüringen und Sachsen-Anhalt ist es der dritte AfD-Landesverband mit einer solchen Bewertung.
Das Landesamt für Verfassungsschutz in Sachsen hat die AfD im Freistaat als gesichert rechtsextremistisch eingestuft. Eine mehrjährige juristische Prüfung habe "unzweifelhaft" ergeben, dass der AfD-Landesverband "verfassungsfeindliche Ziele" verfolge, erklärte Verfassungsschutzpräsident Dirk-Martin Christian in Dresden. "An der rechtsextremistischen Ausrichtung der AfD Sachsen bestehen keine Zweifel mehr", so Christian. Zuvor hatte der Verfassungsschutz die sächsische AfD vier Jahre lang beobachtet, zunächst als Prüffall und seit Februar 2021 als sogenannten Verdachtsfall. In der Zeit sei eine Vielzahl von Äußerungen und politischen Forderungen, insbesondere von hohen Funktionären und Mandatsträgern der Landespartei sowie der Kreisverbände, also von Personen mit einem hohen Repräsentationsgrad, gesammelt worden, so Christian. [….]
Was machen nun die 40.000 Einwohner der sächsischen Stadt Pirna aus dieser Gemengelage, in der die antisemitischen Übergriffe rasant zunehmen und eine Nazi-Partei vor der Tür steht?
Die Pirnesen denken sich, „Nazis? Geil, damit hatten wir ja schon 1933-1945 enormen Erfolg“ und wählen den AfD-Kandidaten Tim Lochner zu ihrem Oberbürgermeister.
[….] Für Opfer des NS-Regimes ist der Wahlausgang in Pirna bestürzend. Hoch über der Stadt, in einer ehemaligen Festung, befand sich die berüchtigte Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein. Getarnt als Heil- und Pflegeanstalt wurden hier zwischen 1940 und 1941 13.700 vorwiegend psychisch Kranke und Menschen mit geistiger Behinderung ermordet.
Die Anstalt hatte im Keller eine eigene Gaskammer, in der die Kranken mit Kohlenmonoxid erstickt und dann in einem eigens eingebauten Krematorium verbrannt wurden. Die Asche der Opfer landete wahlweise auf einer Deponie oder wurde den Elbhang hinuntergeschüttet. Auch mehr als tausend Häftlinge aus Konzentrationslagern wurden hier umgebracht. Im Ortsteil Mockethal errichteten die Nazis 1945 zudem ein Außenlager des KZ Flossenbürg mit dem Decknamen »Dachs VII«. [….] Nach der Wahl in Pirna teilte die sächsische Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes nun mit, der Wahlsieg Lochners lasse sie »schockiert, traurig und wütend zurück«. Man sei »maximal besorgt« und sehe die antifaschistische Gedenk- und Erinnerungsarbeit in Gefahr: »Wie kann ein Oberbürgermeister einer faschistischen Partei am 27. Januar oder 9. November glaubhaft Einladender oder Schirmherr für Gedenkaktionen sein?« Aus Sicht des Verbandes sei »dies nicht möglich«. [….]
[….] Nach Überzeugung der Verfassungsschützer wird auch der Landesverband Sachsen vom früheren Flügel und dessen geistigem Vater und Anführer Björn Höcke aus Thüringen dominiert. In Sachsen verstoßen zahlreiche inhaltliche Positionen nach Auffassung der Verfassungsschützer gegen die Grundprinzipien der freiheitlich demokratischen Grundordnung, etwa die in Artikel 1 des Grundgesetzes verankerte Menschenwürde. Entsprechend sorgenvoll reagierte das Internationale Auschwitz-Komitee am Montag auf den Wahlausgang. Das Ergebnis sei "ein bitteres Signal an alle Repräsentantinnen und Repräsentanten der demokratischen Parteien", erklärte Exekutiv-Vizepräsident Christoph Heubner. Dies sei möglich, wenn sich die demokratischen Parteien nicht auf ein gemeinsames Vorgehen einigen könnten und der AfD das Feld überließen. [….]
Die AfD sieht sich also im „Vorbürgerkrieg“ und will im Jahr 2024 die demokratischen Strukturen der Bundesrepublik Deutschland einreißen.
[….] „Jetzt liebe Freunde, jetzt liebe Freunde ist der Ernstfall offenkundig, jetzt sind wir in das Stadium des Vorbürgerkriegs eingetreten.“ [….]
(Bernd Höcke (AfD), 06.11.2023)
Dieses debil-autodestruktive Vorhaben könnte gelingen, da in Süd- und Ostdeutschland der Urnenpöbel mehrheitlich dafür sein Kreuz macht.
Gefragt sind in dieser Lage die Konservativen – CDU, FDP, FW und CSU – an ihnen läge es, nicht schon wieder mit den Nazis zu paktieren. Aber sie versagen. Sie küssen den Braunen erneut die Hintern.
Die Strategie der Deutschen gegenüber des Anschwellens des Nationalsozialismus aus Süd und Ost besteht einerseits aus Schweigen oder Kleinreden.
Und andererseits aus selbst auf den Zug ins Verderben aufzuspringen und rechtsradikale Narrative zu verbreiten, wie es beispielsweise Friedrich Merz tut.
[….] Mitten in einer aufgeregten Brandmauerdebatte gab er kurz vor der Sommerpause ein Fernsehinterview, in dem er so klang, als stelle er es seiner Partei frei, in den Kommunen mit der AfD zusammenzuarbeiten. In den Führungsgremien der CDU löste das eine Krisenstimmung aus, die ein Betroffener als „beispiellos“ beschrieb. [….] Merz hat mit Blick auf ukrainische Flüchtlinge von „Sozialtourismus“ gesprochen und arabischstämmige Kinder „kleine Paschas“ genannt. Er hat die CDU als „Alternative für Deutschland mit Substanz“ bezeichnet und die Grünen als „Hauptgegner“ in der Regierung. Es gab Proteststürme nach seiner Bemerkung, dass Migranten den „deutschen Bürgern“ die Termine beim Zahnarzt wegnähmen und dass Kreuzberg nicht Deutschland sei. Und dass er jederzeit bereit ist, die Länderchefs seiner eigenen Partei öffentlich abzukanzeln, wenn er sich angegriffen fühlt, davon wissen Hendrik Wüst in Nordrhein-Westfalen und Kai Wegner in Berlin ein Klagelied zu singen. [….]
(Boris Herrmann und Robert Roßmann, SZ, 15.12.2023)
Die Konservativen in Deutschland sind um Kampf gegen den Rechtsextremismus nicht bloß unsicherer Kantonisten, sondern Helfershelfer der Faschisten, die das tumb-desinteressierte Volk in die falsche Richtung schubsen.
[….] Vielen Wählerinnen und Wählern, und dies ist Grund zwei für Lochners Erfolg, scheint es herzlich egal zu sein, wer die Geschicke ihrer Stadt lenkt. Eine Wahlbeteiligung von knapp über 50 Prozent zeigt das Desinteresse eines großen Teils der Bevölkerung, selbst wenn es um die eigene Stadt geht und nicht um das ferne Dresden oder Berlin. Drittens war der AfD-Kandidat erfolgreich, weil es den anderen Parteien nicht gelungen ist, sich auf eine Gegenkandidatin oder einen -kandidaten zu einigen. So nahmen sich Freie Wähler und CDU-Bewerberin gegenseitig die Stimmen weg, denn in Sachsen dürfen in der zweiten Runde einer Kommunalwahl alle Kandidaten noch einmal antreten. So reichten Lochner 38,5 Prozent zum OB-Sessel. Das ist weniger ein Erfolg der AfD als eine Niederlage der demokratischen Parteien. Und das ist die beunruhigende Nachricht für das anstehende Wahljahr. [….]
[….] Die Normalisierung der AfD trifft dabei offenkundig auf eine massive Demokratiemüdigkeit. In Pirna beteiligte sich gerade einmal die Hälfte der Wahlberechtigten am ersten Wahlgang, in der entscheidenden zweiten Runde stieg dieser Anteil um nicht einmal vier Prozentpunkte auf 53,8 Prozent.
Kommunalwahlen leiden häufig unter niedriger Wahlbeteiligung, dieser Fall deutet dennoch auf ein weitergehendes Problem: Einerseits ist es offenbar vielen, die nicht mit der AfD sympathisieren, schlicht egal, wer ihre Stadt in den kommenden Jahren regiert. Und andererseits schreckt die Radikalität der AfD zu wenige Menschen ab – und das schließt die Entscheiderinnen und Entscheider in den Parteien ein, die sich angesichts der alarmierenden Gemengelage nicht zusammenraufen wollten. [….]