Donnerstag, 21. Oktober 2021

Ohrenschmerzen

Das war ein Spaß, wenn ich in der Grundschule Besuch hatte und die Bücher mit den Namensbedeutungen aus dem Regal meiner Mutter zog.

In Norddeutschland kümmert man sich traditionell wenig darum, was der eigene Name eigentlich heißt. Namenstage sind unbekannt, werden nicht gefeiert und so war es ein großer Spaß zum ersten mal zu hören, daß Claudia „die Hinkende“, Erik „der alleinige Herrscher“, Sebastian „der Erhabene“, Eckhard „die spitze Schneide“, Lea „die Kuh“, Felix „der Glückliche“, Irene „die Friedliche“, Thorsten „der Stein“ oder Horst „der im Dickicht“ bedeuteten.

Vielfach haben sich die Namen so verselbstständigt und verändert, daß die eigentliche Herkunft geradezu konstruiert wirkt.

Natürlich würde ich meinem Kind, Hund oder Kanarienvogel* keinen Namen geben, der die Zugehörigkeit zu einer Religion ausdrückt – Christian oder Mohammed.

*Meine vier Vögel, zwei Kanaris und zwei Gouldian-Finken, hießen Erwin, Karl-Heinz, Günther und Hertha. Für kleine Piepsis ist das OK.

Wichtig an Namen ist mir ein angenehmer Klang. Dafür braucht es mindestens zwei Silben und keine harte Endung wie Veit oder Kurt.

Abscheulich sind generell Modenamen und alle, die lautmalerisch wie Körperfunktionen (schlucken, schmatzen, furzen, übergeben, röcheln) klingen: Ulf! Jörg! Utz! Hägar. Ortrud. Allmuth. Olaf. Birgitt.

Die sind schlimm. Generell sollte man Häufungen von U, R und möglichst auch O vermeiden.

Gudrun. Ursula. Cordula

Abgesehen von Namen für Menschen, gibt es auch noch einige andere Worte, die auf mich so abstoßend wirken, daß ich mir sofort die Ohren zuhalten muss.

Phonetische Folter. Worte, die einfach durch ihren Klang, abgesehen von jedweder Bedeutung, Ohrenschmerzen erregen.

Noch schlimmer wird es dadurch, daß die meisten Menschen diese Sensibilität nicht besitzen und daher die Folter-Ausdrücke ungeniert immer und immer wieder in die Unterhaltung einwerfen. Dabei sind es doch nur so wenig deutsche Worte, die dieses augenblickliche akustische Ekelgefühl auslösen:

Schlemmen, schlecken, schlucken, Schlüpfer, Bemme, Bua, Stulle.

Grauenvoll.

Ich denke, diese Begriffe waren es, die Kate Bush in „Experiment  IV“ besang.

(….) They told us all they wanted

Was a sound that could kill someone from a distance

So we go ahead and the meters are over in the red

It's a mistake in the making

From the painful cries of mothers to a terrifying scream

We recorded it and put it into our machine

They told us all they wanted

Was a sound that could kill someone from a distance

So we go ahead and the meters are over in the red (….)

(K.B. Exp 4)

Schlimme Worte sind das.

[….] Some thoughts have a certain sound that being the equivalent to a form.

- Through sound and motion, you will be able to paralyze nerves, shatter bones, set fires, suffocate an enemy, or burst his organs.

- We will kill until no Harkonnen breathes Arrakeen air.  [….]

(Muad'Dib/Dune)

Ein Wort dieser allerhöchsten Widerlichkeits-Kategorie lernte ich erst vor wenigen Tagen. BUBERL-Republik; oder die Buberln.

Das ist schlimmer als Bemme und kommt schon fast an Schlecken heran.

Allerdings ist in diesem Fall neben der Trommelfell-toxischen Phonetik auch die Bedeutung hochgradig abscheulich.

[….] Bunga-Bunga-Weltreisen, Sushi auf nacktem Frauenkörper oder Prostituierte für den Vorstand: Über die Macht, die Gier und den Sex gibt es viele unglaubliche Geschichten, und alle sind wahr. Das System wird getragen von: den Buberln. [….] Richtig an die Zwölf genagelt aber hat es erst der ganz und gar köstliche Thomas Schmid in der SMS an seinen Kanzler: "Ich bin einer deiner Prätorianer der keine Probleme macht sondern löst." Man hat derlei lange Zeit tatsächlich für Fiktion gehalten, geeignet, einen eskalierenden Plot auf Netflix oder immerhin 3 Sat nach vorn zu treiben. So grob geschnitzt konnte es im richtigen Leben ja kaum zugehen, nicht wahr? Wofür man sich im Nachhinein das sonnige Köpfchen tätscheln möchte. Niedlich, Liebes, und nun wach auf.  Die männliche Unterwerfung ist in erster Linie taktischer Natur, aber sie hat auch etwas Lustvolles. Ein ehemaliger Topmanager, der mit Seinesgleichen (Schrempp, Zumwinkel, Reitzle, Burda) dem Alphatier der Berge einmal pro Jahr auf einen Viertausender folgte, sprach von Reinhold Messner als "unserem Leitwolf". Er sagte wörtlich: "Die Abende, wo wir dann von ihm hören wollen, wie es war am Everest, wie es war bei der Durchquerung der Antarktis - da werden wir zu Kindern. Da sagen wir: Bitte, Reinhold, erzähl uns was!" Über einen anderen Mann, dessen breitbeiniges Egoshootertum einen mal eingeschüchtert hatte bis zur Selbstverleugnung, erfuhr man später, dass er sich mehrmals jährlich nach München stahl, um sich für einen Teil seines großen Geldes von einer Domina heftig auspeitschen zu lassen.  Vielleicht sind Männer, die sich so lange erniedrigt haben, um endlich auch andere erniedrigen zu können, von sich selbst angewidert. Vielleicht sucht der traurige Anteil in ihnen nach Strafe, Buße, Vergebung. In diesem Fall liefe der Selbstekel beim Weg an die Spitze also stets fein säuberlich nebenher. Es muss sich gut anfühlen am oberen Ende der Nahrungskette, als Mann. All die Kriecher, die winseln, wo vor ein paar Jahren noch du gewinselt hast. All die Prätorianer, die den Stiefel lecken, den gerade noch du geleckt hast. Die Frauen erst, die jetzt endlich tun müssen, was du taufrisches Ex-Würstchen sagst, wie geil ist bitte das?! [….]

(Tanja Rest, SZ, 21.10.2021)