Sonntag, 1. September 2019

Impudenz des Monats August 2019


Und schon wieder einmal zeigt der Kalender eine „1“ - hohe Zeit für mich den Blödmann des Monats zu küren.

Es sind, wie könnte es anders sein, die neuen Nazis in den Ost-Bundesländern.

Also diesen Monat kann sich kein Ossi darüber beklagen zu wenig Aufmerksamkeit zu bekommen, nicht gehört zu werden.

Reporter, Politologen, Soziologen und natürlich auch Politiker schwärmen schon das ganze Jahr aus, befragen jeden einzelnen Sachsen und Brandenburger persönlich und verbreiten ihre Erkenntnisse wohlwollend.

Sie fühlen sich abgehängt, mit Denk-Tabus belegt, minderbeachtet und möchten, daß man sich mehr um sie kümmert.

[….] An der Straße treffen wir Florian. Er lebt von 1.500 Euro, sagt er, ist freiberuflicher Handwerker. Sein Vater arbeitete hier in der LPG und verlor seine Stelle nach der Wende. Die Familie zerbrach.
Florian: „Wir haben Berlin versorgt über Jahrhunderte und die haben uns einfach vergessen. Wir mussten … Die Turnhalle ist zu, Gemeinde kein Geld mehr, Kita ist zu, Grundschule ist zu. Dann muss ich ein Auto haben und muss die Kinder rüber, verstehst du? So und das ist nun mal historisch. Die haben uns einfach vergessen. Und dann erzählen mir Politiker, sie könnten nichts tun. Wer hat denn die Macht im Land, verdammte Scheiße? Und deshalb AfD, weil das sind die einzigen, die uns ernst nehmen hier. Und ich habe lieber ne Partei, wo die Inhalte noch so sind, weil sie neu ist, hab ich kein Problem.“
AfD aus Protest, Programm egal. Märkisch-Oderland ist AfD-Land. In einigen Ortschaften erreichte sie über 40 Prozent bei den Europawahlen. Die Partei gibt sich als der neue Kümmerer, neuerdings auch mit sozialen Parolen. Der Kandidat kommt aus Bayern. Blicken lässt er sich nur selten, hören wir. Viele Versprechungen, koste es was es wolle. [….]

Sie, „die Ossis“ sind dabei in Wahrheit nur ungefähr jeder Vierte.
75% wählen nicht AfNPD!
Die Gebildeten und Anständigen, die Urbanen und Erfolgreichen tun es weniger, die sogenannten „Abgehängten“, die Zurückgebliebenen in sterbenden dünn besiedelten Landstrichen sind umso mehr von Gefühlen dominiert:
Sie möchten endlich wieder an die Hand genommen werden und nicht mehr eigenverantwortlich sein. Sie wollen einen Nanny-Staat, verklären die DDR, die Wohnungen, Jobs, Absicherung, Krankenversicherung garantierte.
Dezent vergessen werden dabei der allgegenwärtige Mangel und die Tatsache, daß sich die DDR selbst die vergleichsweise niedrigen sozialen Standards (Wohnungen ohne Klo, kein Telefon, kein Auto, keine Auswahl in den Läden, kein internationales Fernsehen oder Musik) nicht leisten konnte und spektakulär pleiteging.

Über jede soziale oder Verteilungsfrage kann und darf man nicht nur diskutieren, sondern darüber wird auch diskutiert.

Aber ich staune über die Chuzpe mit der Ossis insbesondere in Sachsen meinen ihre sozialen Anliegen wären bei ganz Rechts gut aufgehoben, obwohl die AfD entweder gar keine Konzepte hat oder aber marktradikale Positionen vertritt, die die Abgehängten sehr viel schlechter dastehen ließe.
Mit der LINKEN gibt es eine Partei, die viel sozialere Politik propagiert. Aber die ist in 30 Jahren Sachsen noch nie in die Regierung gewählt worden. Seit Helmut Kohl 1990 wählen die Ossis auf Bundesebene schwarz und wundern sich, daß keine rote Politik gemacht wird, so daß sie es jetzt mit braun versuchen.

Noch viel erschreckender als diese sagenhafte Doofheit der Ossis (gemeint ist immer die deutliche Minderheit, die der völkischen AfD nachrennt und mit Pegida marschiert), ist aber die bornierte Geschichtsblindheit, mit der sie ausgerechnet am 01.09.19, also dem 80stgen Jahrestag des Überfalls der Nazis auf Polen, in dessen Folge die Deutschen ein Fünftel der polnischen Bevölkerung, 27 Millionen Bürger der Sowjet Union, sechs Millionen Juden und weltweit mehr als 60 Millionen Menschen töteten oder deren Tod mittelbar verursachten, wieder offen Nazi-affine Parteien unterstützen.

Der völkisch-nationalistische Andreas Kalbitz, Landesvorsitzender und Fraktionsvorsitzender der AfD Brandenburg, sowie mächtiger Strippenzieher des ultrarechten „Flügels“ der Partei, hat nicht nur eine NPD-Vergangenheit, sondern passt sich auch optisch an Heinrich Himmler an.



Wir kennen das von Bernd Höcke, der sich auch ungeniert bei Goebbels und Hitler bedient, teilweise identische Formulierungen benutzt und von der daraus resultierenden Empörung profitiert.

 AfD wählende Ossis sind wie Trumpwähler. Sie stimmen nicht trotz der offensichtlichen Hetze und des Rassismus‘ für den „Flügel“, sondern gerade deswegen.
Nein, die Mehrheit der Ossis ist nicht so, aber jeder Vierte ist dennoch abartig viel.
Niemand kann behaupten, er wüßte nicht für was für eine Partei er heute in Sachsen und Brandenburg gestimmt hat.


Wer in den Landstrichen mit dem mit Abstand geringsten Ausländeranteil auf rassistischen Hasse gegen Zuwanderer setzt; wer bei nahezu vollständiger Abwesenheit von Juden dem Antisemitismus frönt, ist vermutlich für keine Partei mehr zu erreichen.

[….] Extremismus schadet der AfD nicht: Der Brandenburger AfD-Landeschef Andreas Kalbitz inszeniert sich gerne als freundlicher Mann von nebenan. Seine Teilnahme an einem Fest der rechtsextremen "Heimattreuen Deutschen Jugend"? Da sei er nur Gast gewesen. Seine Reise zu einem Neonazi-Aufmarsch in Athen? Habe bei ihm kein "weiteres Interesse" geweckt.
Dabei sollte eigentlich allen Brandenburgern klar sein, mit wem sie es da zu tun haben: Kalbitz war mehr als die Hälfte seines Lebens im rechtsextremen Milieu unterwegs. Heute ist er eines der Gesichter im völkischen "Flügel" innerhalb der AfD.
Auch der AfD-Landesverband in Sachsen gilt als besonders rechts. Doch die beiden Wahlen zeigen ganz deutlich: Bei einem großen Teil der Bevölkerung gibt es keine Hemmschwelle, eine Partei zu wählen, die sich an der Grenze zum Rechtsextremismus bewegt. Im Gegenteil: Die AfD ist - trotz oder wegen ihrer Radikalität - zu einem entscheidenden Faktor im Osten geworden. [….]

Ich meine, man macht es sich zu leicht, mit der Binsen-Feststellung „die Politik“ müsse sich mehr um die Abgehängten kümmern, den besorgten Bürgern zuhören. Dafür wird heute Michael Kretschmer von links bis rechts gefeiert. Er habe den Sachsen zugehört und mit allen gesprochen.
Dabei wird aber vergessen, daß Kretschmer selbst ein xenophober Rechtsaußen ist, daß sein CDU-Landesverband deutliche Überschneidungen zur rechten Szene hat und daß die AfD in seinem Bundesland so stark ist wie in keinem anderen.

Wer so rechtsextremen Typen wie Kalbitz und Höcke hinterherläuft, offene Verehrung für die Nazis zeigt und revanchistisch über den zweiten Weltkrieg denkt, ist für Demokratie und menschlichen Anstand verloren.
Diese Leute werden nicht durch „kümmern“ oder großzügige Sozialpolitik auf einmal zu besseren Menschen.
Ich kann das ewige Mantra von der „Wählerbeschimpfung“ nicht mehr hören. Im Gegensatz zu dem was 99% der AfD-Wähler laut Infratest-dimap-Analyse denken, daß nämlich ihre Partei das ausspricht, was man nicht sagen darf, ist das Kritisieren des Souveräns tatsächlich ein Tabu.
„Der Wähler“ wird immer ernst genommen, öffentlich üben sich abgestrafte Politiker in Demut, erklären „verstanden“ zu haben „besser zu werden“ und den Bürgern „zuzuhören“.
Ich sage dazu: Nein! Wer AfD wählt, tut das nicht weise und verdient deswegen schon gar keine besondere Aufmerksamkeit.
Ich meine, nun sollte man nicht noch mehr den AfD-Positionen hinterherlaufen, sondern ganz im Gegenteil endlich nicht nur die AfD-Politiker, sondern auch „das Pack“, das sie wählt kritisieren.
Ihr fühlt euch schlecht? Ihr fühlt euch ausgegrenzt? Ihr fühlt euch alleingelassen?
All das ist verständlich und verdient Gehör. Aber wer am Jahrestag des Überfalls auf Polens, das direkt neben Brandenburg und Sachsen liegt Nazis wählt, sollte nicht hofiert, sondern verdammt werden.

Zerrieben von dem Kopf an Kopf Rennen um den ersten Platz, einer blamablen Groko-Performance, einem Vakuum im Willy-Brand-Haus, Medien, die nur auf Grüne und AfD fixiert sind, sowie einer Linken, die jede noch so unfinanzierbare soziale Wohltat versprach, blieb die Sachsen-SPD erledigt zurück, abgeschlagen bei demütigenden 7,7%.
Das ist einerseits angesichts der Umstände und der völlig fehlenden Machtperspektive nicht verwunderlich. Es zeigt aber auch, daß bei Plebisziten wie einer Landtagswahl letztendlich auch eine Diktatur der Inkompetenz stattfindet.
Stundenlang habe ich mir am heutigen Wahlabend das Personal angesehen.
Zwei Personalien waren auffällig:

1.) Im Gegensatz zu allen anderen Parteispitzen ließ sich Annegret Kramp-Karrenbauer gar nicht blicken.
Sie tut ganz im Merkel-Stil so, als habe sie gar nichts mit Politik zu tun, will nicht mit schlechten Bildern und Ergebnissen assoziiert werden.
Die Unions-Parteivorsitzende ist völlig untergetaucht.

2.) Der mit Abstand sympathischste, kompetenteste und nebenbei auch noch attraktive Politiker des Ostens ist Martin Dulig, stellvertretender sächsischer Ministerpräsident und SPD-Chef.
Seit Jahren lobe ich ihn immer wieder, bewundere ihn und seine gesamte Familie für den Einsatz gegen den Rechtsextremismus.
Er ist ein wirklich Guter, ein Politiker, wie man ihn sich nur wünschen kann.  Gerechtigkeit gibt es aber nicht, wenn der Urnenpöbel entscheidet und mit Hunderttausenden Stimmen aus dem Nichtwählerlager für Nazis stimmt.
Dulig holte das schlechteste Landtagswahlergebnis aller Landesverbände seit 1949, unter acht Prozent.

[…..] Dulig: Wir sind coolster Landesverband
SPD-Spitzenkandidat Martin Dulig gibt sich nach dem schlechten Ergebnis für seine Partei kämpferisch. Auf der SPD-Wahlparty in Dresden sagte er: "Wir haben das schlechteste Wahlergebnis - wir sind aber der coolste Landesverband." Die sächsischen Sozialdemokraten hätten über die Jahre gelernt demütig zu sein und immer wieder aufzustehen. [….]

Zwei weitere Erkenntnisse des Wahlabends:
Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine haben der LINKEN mit ihrem völkischen Ansatz schwer geschadet, weil wie immer, wenn Parteien rechts blinken, doch nur das Original gewählt wird. Die AfD holte in Sachsen und Brandenburg Rekordergebnisse. Die Linken fliegen aus der Postdamer Regierung und sind ind beiden Ländern gerade mal eben noch knapp zweistellig. Minus 7,9 Prozentpunkte in Brandenburg und minus 8,6 Prozentpunkte in Sachsen.
Kleiner Trost des Abends – auch der immer wieder braun blinkende Lindner machte die Erfahrung, daß sich rechts blinken und gegen Grüne pesten nicht lohnt.
Die FDP scheiterte bei beiden Wahlen an der 5%-Hürde.