Dienstag, 18. Dezember 2012

Theoretisches.....



Zu den schöneren Erinnerungen meines Studienbeginns gehört „die große AC“.
Angewandte und anorganische Chemie im großen Hörsaal A der Anorganischen Chemie.
Ich glaube, der Saal ist deutlich größer als das Audimax und im Gegensatz zu den rumpeligen Geisteswissenschaftlern funktionierte alles. Da waren keine Stühle kaputt, keine Bänke beschmiert. Die Licht- und Tonanlage waren topp.
Der Prof war einer der beliebtesten des Fachbereichs, weil er Vorlesungen so gestaltete, wie sie am Anfang sein sollten. Leicht genug, daß jeder folgen konnte, strukturiert, brillantes ordentliches Tafelbild und dazu gab es auch noch lustige Anekdoten. Das Beste waren natürlich die Experimente, die stets spektakulär waren und erstaunlicherweise immer klappten.
 Nachdem ich einmal eine Geschichtsstudentin und später einen Romanistikstudenten mitgenommen hatte, um ihnen zu zeigen, was ich geboten bekam, saßen immer wieder „Artfremde“ in unseren Reihen, die aus reinem Vergnügen zusahen.
(So eine Vorlesung ist natürlich noch viel entspannter, wenn man nicht in wöchentlichen Kolloquien über den Stoff ausgequetscht wird und nicht nachmittags im Labor selbst knallen, kochen und stinken mußte.)

In der allerersten Stunde wurden die verschiedenen Atommodelle vorgestellt.
Ein Teilchenmodell hatte schon vor 2500 Jahren Demokrit postuliert.
Dalton (1803), Philipp Lenard (1903), Hantaro (1904), Rutherford (1911), Bohr (1913), Bohr-Sommerfeld (1916) und weitere hatten die Theorien immer mehr verfeinert und durchdacht.

Es ist pädagogisch sinnvoll so anzufangen. Es gibt einen hübschen historischen Überblick über die eigene wissenschaftliche Disziplin und zeigt ganz nebenbei exemplarisch wie die Wissenschaft funktioniert.
Genaue Beobachtung der Natur und der Versuch diese Beobachtungen zu verstehen, zu beschreiben, indem man eine Theorie entwickelt, welche entsprechende Voraussagen machen kann.

Tatsächlich gelang es immer wieder, lange bevor man die Technik besaß irgendetwas wirklich sichtbar zu machen eine Vorstellung zu entwickelen, wie etwas aussehen müßte, um so zu reagieren, wie man es beobachtet.

Die Natur bleibt aber immer der Maßstab. 
Wenn etwas anders reagiert, als es nach der Theorie sollte, ist die Theorie falsch. Ein anderes Denkmodell muß her. Dabei gilt: Das Bessere ist der Feind des Guten.
So nähert man sich kontinuierlich immer mehr der Realität an, bis sie direkt beobachtet werden kann (und damit die Theorie bewiesen wird), weil man ein so ausgefeiltes Rasterelektronenmikroskop entwickelt hat, daß man atomare Strukturen direkt beobachten kann.
Oder aber es gibt eine solche Fülle von Belegen für eine Theorie und keine einzige Beobachtung, die der Theorie widerspricht, daß man sie als wahr erachten kann. 
Die Evolution ist so eine gesicherte „Theorie“.

Bis heute finde ich die Kombination aus theoretischer Wissenschaft mit ihrer praktischen Anwendung höchst faszinierend.

Weniger begeistern mich die eher empirischen Wissenschaften wie die Ökonomie, bei der sich einzelne Denkschulen ihr Weltbild aufgrund sehr weniger spezieller Parameter zurecht zimmern. Diese Parameter sind oft noch nicht einmal objektiv messbar, sondern nun durch Umfragen oder Stichproben abzuschätzen.
Deswegen funktioniert Wirtschaftswissenschaft auch so schlecht in der echten Realität.
Man hängt oft Moden an, die man mit der Realität verwechselt. 

Als vor 20 Jahren alle Wirtschaftsjournalisten und Ökonomen neoliberal dachten, galt es quasi als gesichert, daß totale Flexibilisierung und Deregulierung bei gleichzeitiger Steuersenklung und Privatisierung wie in GB und USA ein dauerhaftes stabiles Wachstum zum Wohle aller generieren würden.
Für die 1998 frisch ins Amt geplumpste Schröder-Fischer-Regierung gab es daher auch de facto keine Alternative, als Erleichterungen für die ach so strangulierten Unternehmer und Investoren zu schaffen. 
Bis auf ein paar ganz wenige linke Spinner, die niemand ernst nahm, gab es keine Zweifel daran, daß nur diese Methode Erfolg verspräche. 
Drastische Steuersenkungen und Steuerfreiheit für Aktiengewinne sollten ein Schlaraffenland für dynamisches Unternehmertum schaffen.

Blöd nur, daß sich die Realität eben nicht an diese allgemein akzeptierten Theorien hielt.

Blöd nur, daß all die als „Orakel“ und „Gurus“ in den Himmel der Weisheit gehobenen Ökonomen offenbar in ihrem Theoriewahn weite Teile der Realität ausgeblendet hatten. 

Psychologie, Zukunftsängste, Dotcom-Blase, Immobilienblase, Kriege, internationale Krisen, Naturkatastrophen, und vieles andere mehr hatten die schöne neoliberale Theoriewelt als untaugliches Konstrukt aus dem Wolkenkuckucksheim entlarvt.
Die großen wirtschaftlichen Zusammenbrüche im Jahr 2000 und 2008 hatte niemand voraus gesehen.

Das Erstaunliche an Ökonomen ist, daß sie nicht wie Chemiker oder Physiker in dem Fall zu dem Schluß kamen „gut, unsere Theorie taugt offensichtlich nichts, wir müssen neue Denkmodelle entwickeln“.
Im Gegenteil, sie hielten hartnäckig an den soeben widerlegten Modellen fest und spülten noch 2009, als wir schon voll von der durch Deregulierungen geschaffenen Finanzkrise getroffen waren, die neoliberale Deregulierungspartei FDP mit Rekordergebnis in die Bundesregierung.

Das ist in etwa so, als ob man einem Kranken, der an schwerer Anämie leidet, einen Arzt aus dem Mittelalter heranschafft, der ihn dauernd zur Ader läßt.

Deutschland krankt an sozialer Kluft, daran, daß es keine Aufstiegsmöglichkeiten gibt. 
Nirgendwo in den OECD-Staaten hängt Bildung so sehr vom Portemonnaie der Eltern ab; nirgendwo herrscht einer Kinderfeindlichere Einstellung, nirgendwo werden Reiche so schnell reicher und nirgendwo herrscht eine krassere Ungerechtigkeit zwischen den Geschlechtern.
Nach gut drei Jahren Schwarzgelb sind die Probleme schlimmer denn je, da neoliberale Fundis in der Regierung weiterhin aktiv das Geld zu den Habenden schaufeln.

Es kann kein Zufall sein, dass Deutschland in diesen Tagen konsequent auf den letzten Plätzen landet, wenn soziale Studien den Vergleich zu anderen Ländern anstellen. Wirtschaftlich scheint Deutschland ein Musterschüler, in Sachen Sozialkompetenz jedoch ein Komplettversager zu sein.

Unter 34 OECD-Ländern liegt Deutschland auf dem drittschlechtesten Rang, was das Lohngefälle zwischen Männern und Frauen betrifft, so eine neue Studie der Organisation. Bei den Einkommen beträgt die Gehaltslücke durchschnittlich 22 Prozent - das ist eine bittere Erkenntnis. Richtig finster sieht es dann beim Rentengefälle zwischen Mann und Frau aus. Hier liegt Deutschland in der Statistik auf dem allerletzten Platz.

Es ist kein Zufall, dass in diversen Studien zur ökonomischen und sozialen Lage der Geschlechter fast identische Gründe für Deutschlands Dasein am unteren Ende der Skala angegeben werden. Die OECD benennt ausdrücklich den Mangel an qualifizierter, liebevoller und bezahlbarer Kinderbetreuung (der die Frauen in schlechter bezahlte Teilzeitjobs treibt) sowie die fehlende Gleichstellung der Geschlechter - exakt so argumentiert auch das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung in seiner soeben veröffentlichten Untersuchung zur konstant niedrigen Geburtenrate.

 Ökonomen und Schwarzgelbe halten es mit Theorien wie Theologen.

Das ist, verglichen mit der Naturwissenschaft, genau der umgekehrte Weg: 
Hier steht am Anfang das Dogma, die Ideologie ist also die Konstante. 
Erst anschließend wird beobachtet und wenn sich die Realität nicht in das Dogma fügt, wird sie entweder manipuliert oder ignoriert.

Das funktioniert erstaunlich gut und hält lange vor. 
Über Jahrhunderte konnten religiöse Machthaber das Dogma des Geozentrismus aufrecht erhalten, indem sie die gegenteiligen Befunde, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit für den Heliozentrismus‘ sprachen, als Ketzerei verurteilten.

Im Jahr 2012, über 200 Jahre nach der Geburt von Charles Darwin glauben die Hälfte der Amerikaner immer noch an den Creationismus und wehren sich gegen Evolution.

 Mit Verve kämpfen dieser Papst und Milliarden Religiöse weltweit gegen Homosexualität, die sie als un-NATÜRlich bezeichnen und für die Zerstörung der Gesellschaft verantwortlich machen. Dabei ist längst erwiesen, daß Homosexualität sogar absolut natürlich ist und bei allen Spezies vorkommt, daß sie einen evolutionären Nutzen hat, indem sie das Fortbestehen der Gene über Nichten und Neffen garantiert, wenn zu viele eigene Nachkommen die Ressourcen überfordern würden.
 Entsprechendes gilt bei Menschen: Schwule und Lesben sind ökonomisch deutlich leistungsfähiger und finanzieren durch ihre Steuern überdurchschnittlich stark die nächste Generation. Außerdem verbessern sie durch Vererbung die ökonomischen Bedingungen ihrer Neffen und Nichten, welche ohne schwule Onkel und lesbische Tanten schlechtere Voraussetzungen für ihre eigene Brut hätten.

Der Papst kann sich radikal gegen die offensichtliche Realität und Vernunft stellen, indem er beispielsweise behauptet Kondome verschlimmerten das AIDS-Problem und in den HIV-verseuchtesten Landstrichen der Erde gegen Safer Sex wettert.

Statt so einen Mann in eine Gummizelle zu stecken oder besser wegen Beteiligung am Totschlag nach Den Haag zu zerren, wird er aber im Bundestag mit standing ovations geehrt.

Aktuellstes Beispiel einer ideologisch gewonnenen „Theorie“ ist die hartnäckige Mehrheit der Amerikaner, die an freien Waffenbesitz glaubt.
 Nur er könne zur Sicherheit führen, obwohl die Realität mit einer hundertfach höheren Mordrate als in  Europa das Gegenteil beweist.

Great point by Keith Boykin (broadcaster, author and commentator) in response to Texas representative Louie Gohmert's suggestion that if the principal of Sandy Hook had had a gun, she could have taken off the attacker's head. Paraphrasing Keith: Adam Lanza's mom had guns--did they protect her? Guns are often turned on those who own them/have them in their households.

 Hartnäckig glaubt auch eine große Mehrheit der Amerikaner an die abschreckende Wirkung der Todesstrafe, obwohl die Anzahl der Gewaltverbrechen ein vielfaches der Rate in Europa beträgt - also Ländern, die alle die Todesstrafe abgeschafft haben.

Zum Schluß eine nette Theorie, die angeblich auch nicht bewiesen ist und der heftig widersprochen wird.

Ich lege mich aber schon aufgrund meiner jahrelangen Beobachtungen der politischen und religiösen Prozesse auf dieser Welt fest:

Die Theorie stimmt!

"Ich würde wetten, dass ein durchschnittlicher Bürger aus dem Athen vor 3000 Jahren, der plötzlich in unserer Zeit auftauchen würde, einer der hellsten und intellektuellsten Köpfe wäre. Mit einem guten Gedächtnis, einer großen Palette von Ideen und einem klaren Blick für das Wesentliche." Mit diesem Szenario beginnt der US-amerikanische Entwicklungsbiologe Gerald Crabtree einen zweiteiligen Fachartikel im Magazin "Trends in Genetics".

Crabtree stellt in dem Aufsatz die These auf, dass die Menschen bereits vor Jahrtausenden ihren intellektuellen Zenit erreicht hatten. Mit der Entwicklung eines sesshaften Lebensstils und verbesserten Überlebensbedingungen ging es langsam bergab. Denn seitdem konnten sich Mutationen im Erbgut ansammeln, die den Intellekt beeinträchtigen.
(Nina Weber 13.11.12)
 
Werden die Menschen immer dümmer?   Mit dieser Prognose verunsicherte US-Forscher kürzlich seine Spezies.

[…] Heiße Diskussionen um die Tendenz der Intelligenzentwicklung löste kürzlich der US-Forscher Gerald Crabtree aus. Der Entwicklungsbiologe von der kalifornischen Stanford University behauptete im Fachblatt "Trends in Genetics", dass die durchschnittliche Intelligenz des Menschen allmählich schwinde. Seine Theorie: Um zu Überleben und etwa bei der Jagd erfolgreich zu sein, war einst Intelligenz entscheidend. Wer nicht clever genug vorging, verhungerte. Nur die Schlauesten überlebten und vererbten ihre Intelligenz weiter. Rund 2000 bis 5000 Gene seien verantwortlich für die menschliche Intelligenz, so Crabtree.

Abwärts ging es vor einigen Tausend Jahren: Der Mensch ließ sich in größeren Gruppen nieder. Die Stärkeren fütterten die Schwächeren mit durch. Intelligenz war nicht mehr so entscheidend für das Überleben. Stattdessen rückte etwa die Widerstandskraft gegen Krankheiten in den Vordergrund. Weil dieser Selektionsdruck nachließ, begann die durchschnittliche Intelligenz langsam zu schwinden. Das gehe bis heute so, behauptet Crabtree.

Kein Crab!