Samstag, 27. April 2024

Nächster NIMBY-Fall in Hamburg

Es sollte eigentlich nicht wieder vorkommen, aber der Hamburger Senat wird mutmaßlich erneut Flüchtlinge in Zelten unterbringen müssen.

Anders als von Union und AfD hetzerisch behauptet, liegt das weder an offenen Grenzen, der Ampel und explodierenden Asylbewerberzahlen, sondern am angespannten Wohnungsmarkt in einer knapp Zwei-Millionen-Stadt, die rotgrün-regiert immer, mehr als andere Bundesländer boomt und daher wächst.

[….] Bislang hat es irgendwie geklappt: Die Stadt hatte ehemalige Gewerbeobjekte angemietet und umgebaut, dazu Hotels und Hostels. Doch jetzt macht sie sich auch wieder auf die Suche nach Standorten für Zelte, um Geflüchtete und Asylbewerber unterzubringen. Zuerst hatte das Hamburger Abendblatt darüber berichtet.

Insgesamt sollen durch 25 winterfeste Zelte zusätzlich 250 Plätze geschaffen werden, heißt es in dem Schreiben der Sozialbehörde. "Es muss auch in Betracht gezogen werden, öffentliche Parks und Festplätze für die Unterbringung zu nutzen. Es muss jede in Betracht kommende Fläche und Immobilie genutzt werden, um Obdachlosigkeit zu verhindern," steht dort. Dies sei allerdings nur eine Option. Zunächst sollen Zelte bei bestehenden Einrichtungen aufgebaut werden, um deren Infrastruktur zu nutzen, hieß es aus der Sozialbehörde am Dienstag.

Hintergrund für die dramatische Lage ist nicht so sehr die Zahl der in Hamburg neu ankommenden Menschen. Die ist sogar eher rückläufig. Auch die Zahl der untergebrachten Menschen bleibt seit Monaten relativ konstant bei einer Zahl von rund 47.000. Problem ist vielmehr, dass die Stadt auch in diesem Jahr viele Unterkünfte schließen muss und Mietverträge für Hotelzimmer im März und April auslaufen. Für diese Plätze wird Ersatz gebraucht. Grund für den Bedarf ist auch, dass Menschen oft viel länger in den Unterkünften leben, als geplant, weil es einfach zu wenig Wohnraum gibt.  [….]

(NDR, 26.03.2024)

Knapp 50.000 Menschen, also einer pro 40 Einwohner, sollten für eine so reiche Stadt, die an gravierendem Arbeitskräftemangel leidet, eigentlich auf 755,3 km² Fläche zu verteilen sein.  Es wirkt auch auf den ersten Blick so, als wären die Unterkünfte über das gesamte Stadtgebiet verteilt.

Die Karte zeigt es.

Allein, das Bild täuscht beim genaueren Hinsehen. Der Senat versucht alle Stadtteile gleichmäßig einzubeziehen. Aber während normale und ärmere Stadtteile diese Pflichten akzeptieren, gibt es dort, wo gehäuft Superreiche wohnen, auch ein Heer von Anwälten, die gegen solche Entscheidungen vorgehen. Blankenese und insbesondere die Sophienterrasse in Harvestehude waren widerliche Beispiele, die bundesweit Schlagzeilen machten.

Nein, man habe ja gar nichts gegen Flüchtlinge, aber bitte nicht zwischen den Millionen-Villen. Die umliegenden Geschäfte wären schließlich viel zu teuer für die Schlauchboot-Habenichtse.

(…..) 2014 begannen einige Anwohner der Sophienterrasse, gelegen im allerfeinsten Stadtteil Harvestehude gegen eine geplante Flüchtlingsunterkunft zu stänkern.  Statt wie sonst üblich den Verfall der eigenen Grundstückspreise zu beklagen, wurden die Harvestehuder noch einen Schritt perfider und argumentierten scheinbar mit den armen Flüchtlingen mitfühlend, daß diese sich bei ihnen gar nicht ernähren könnten, weil alles viel zu teuer wäre. Lieber sollten die Heimatvertriebenen in die randständigeren Stadtbezirke, wo es aufgrund der Armut auch mehr Lidls und Aldis gäbe.

Der Fall machte bundesweit Schlagzeilen und der Hamburger Senat bekam große Probleme sich durchzusetzen, weil die Anwohner der Sophienterrasse die besten und teuersten Anwälte in Marsch setzten.   Die vermögenden Xenophoben scheiterten allerdings gerade wegen ihrer Macht und Professionalität. Der relativ neue SPD-Senat konnte schon aus Prinzip nicht nachgeben und zudem begannen sich eine Reihe Harvestehuder für ihre klagenden Freunde zu schämen. Wer will schon gern das Image als fremdenfeindlicher Schnösel mit seiner Adresse verbunden wissen?
In der Folge setzten sich viele Anwohner ganz besonders intensiv für die zukünftigen Flüchtlinge in der Unterkunft Sophienterrasse ein.

Nun, nachdem die Nachbarn die Neu-Harvesterhuder kennengelernt haben, ist es auf einmal doch vorstellbar, daß eine afghanische Familie durch das edle Pöseldorf-Center spaziert. Die Integration ist zur Erfolgsgeschichte geworden. Man hilft und versteht sich. Der Verein Flüchtlingshilfe Harvestehude ist besonders aktiv und effektiv. 190 Flüchtlinge wohnen nun in dem Nobelstadtteil und alle sind zufrieden. Pro Flüchtling gibt es zwei freiwillige Helfer.

[….] "Die Vorurteile nehmen automatisch ab"

Der Widerstand gegen ein Flüchtlingsheim im noblen Hamburg-Harvestehude war entschlossen. Eine Studie zeigt nun: Plötzlich sind die meisten Anwohner froh über die Nachbarn.  [….] Die Ansichten der Anwohner sind enorm positiv, die Zustimmung zu dem dortigen Flüchtlingsheim liegt bei mehr als 80 Prozent. Ein Viertel der Befragten findet es sogar gut, dass die Menschen hierherkommen, damit ihre Nachbarn mal mit der Realität konfrontiert werden. [….] Ein Großteil der Harvestehuder sieht schlichtweg die Verpflichtung, etwas für die Schutzsuchenden zu tun.[….]

(Prof Jürgen Friedrichs, 22.02.2017)

Eine Erfolgsgeschichte zweifellos, aber auch eine Geschichte mit erstaunlich wenig Strahlkraft.  (….)

(Reiche Hamburger, 31.05.2017)

Die kleinere Harvesterhuder Arschgeigenfraktion war letztendlich aus ihrer Sicht dennoch „erfolgreich“, da sie sich ein Aus der Einrichtung im Jahr 2024 festschreiben ließen.  Das schien 2015 noch weit weg zu sein.

Aber nun ist es so weit. Das Erfolgsmodell wird beerdigt und einige Superreiche können nun vertraglich festgeschrieben ein halbes Jahrhundert ohne Konfrontation mit der sozialen Realität genießen.

[….] Dennoch bleibt es dabei - die Flüchtlingsunterkunft in der Sophienterrasse in Harvestehude wird im September 2024 geschlossen. So steht es in der Antwort des Senats auf eine Anfrage der Bürgerschaftsabgeordneten Carola Ensslen (Die Linke). Auf die Schließung hatte sich die Stadt in einem Nachbarschaftsvertrag mit Anwohnerinnen und Anwohnern geeinigt. "Im Rahmen eines gerichtlichen Vergleichs mit der Nachbarschaft wurde eine Nachbarschaftsvereinbarung geschlossen, die eine endgültige Beendigung der Nutzung zum 26. September 2024 vorsieht." Zudem darf in den kommenden 50 Jahren dort auch keine soziale Einrichtung einziehen. Und es gebe in Harvestehude aktuell auch keine für eine Unterkunft geeignete Fläche und kein Gebäude, heißt es. Das bedauere die Flüchtlingshilfe Harvestehude. Die mehr als 200 Ehrenamtlichen wollen aber weiter Geflüchtete unterstützen. Gerade wirtschaftlich starke Stadtteile müssten Verantwortung übernehmen. "Der Ausschluss einer sozialen Nutzung ist eine Ohrfeige für alle, die sich für ein solidarisches Zusammenleben einsetzen", so das Statement.  [….]

(NDR, 01.09.2023)

Es ist der blanke Irrsinn, soziale Arschgeigigkeit in der übelsten Form.

 

(….) Noch leben dort, wohlbehütet, 167 Menschen. Aber 2024 wird die Unterkunft ganz geschlossen. Eine Nachwirkung der konservativen Anwalts-Proteste von 2015.

[….] Die Kläger sorgten sich damals um den Wert ihrer Villen. Im Januar 2016 zogen die ersten Bewohner ein, ab September 2024 ist Harvestehude dann wieder flüchtlingsfrei, [….]  Neben der strengen zeitlichen Begrenzung ließen die Kläger sich noch einen speziellen Passus in den Nachbarschaftsvertrag schreiben: Sobald die Flüchtlinge ausgezogen sind, darf an dem Standort 50 Jahre lang keine „sonstige soziale oder gesundheitliche“ Nutzung erfolgen. Der Gebäudekomplex, in dem einst das Kreiswehrersatzamt residierte, ist Eigentum der Stadt – das sie nun aber trotz großer Not für nichts nutzen darf, was irgendwie sozial angehaucht ist. So ein Zugeständnis an die Villenbewohner ist in Hamburg einmalig, wie die Sozialbehörde auf MOPO-Anfrage bestätigt. [….] Hendrikje Blandow-Schlegel ist fassungslos über den 50-Jahre-Passus: „Wie kann man eine städtische Fläche für Jahrzehnte der sozialen Nutzung entziehen? Da kann keine Kita, kein Altenheim, keine Beratungsstelle entstehen. Nichts. Das ist unmoralisch und ein Skandal.“ Die Anwältin und Ex-SPDBürgerschaftsabgeordnete gehört zu der großen Mehrheit von Harvestehudern, die sich mit viel Engagement um die neuen Nachbarn gekümmert haben. [….]

(Hamburger Morgenpost, 01.09.2023) (….)

(Natürlich gibt es hier auch Arschlöcher, 09.09.2023)

Nicht so zentral wie Harvestehude, im Westen Hamburgs an der Elbe, wohnen Menschen mit viel Geld auf großen Grundstücken in Klein Flottbek. Schon bei den ersten Meldungen zur Planung einer Flüchtlingsunterkunft, bereiteten die schwarzgelben Wähler Klagen vor.

Ganz vorn dabei, ist die bei der letzten Landtagswahl an der 5%-Hürde gescheiterte FDP, die als asozialer Millionärslobbyfortsatz mal wieder die widerlichste Seite der Politik aufführt. Die Flüchtlinge sollten doch lieber in den armen Stadtteil Iserbrook ziehen, meint die FDP.

[….] Auf dem Parkplatz des Botanischen Gartens in den Elbvororten war bislang nicht viel los. Das könnte sich ändern: Dort soll eine Flüchtlingsunterkunft entstehen. Die Stadt sagt, grundsätzlich müssten alle geeigneten Immobilien für die Flüchtlingsunterbringung in Anspruch genommen werden. Auf dem Besucherparkplatz des als Loki-Schmidt-Garten bekannten Botanischen Gartens in Klein Flottbek soll nach den Wünschen der Hamburger Sozialbehörde für fünf Jahre eine Flüchtlingsunterkunft errichtet und betrieben werden. Die Unterkunft soll 144 Plätze in sechs zweigeschossigen Wohncontainern bieten. [….] Die bisherigen Maßnahmen reichten angesichts „der sehr starken Auslastung des Gesamtsystems weiterhin nicht aus und die Sozialbehörde prüft daher in allen Bezirken Möglichkeiten der kurzfristigen Realisierung weiterer Standorte sowohl im Regelsystem als auch für Interim- und Notkapazitäten“, heißt es. „Hierfür müssen grundsätzlich alle geeigneten Immobilien in Anspruch genommen werden.“ [….] Die FDP-Bezirksabgeordnete und Vize-FDP-Landeschefin Katarina Blume fordert hingegen die Prüfung einer alternativen Fläche an der nahen Osdorfer Landstraße, die sich in städtischem Besitz befindet und aktuell nicht genutzt wird. […..]

(Denis Fengler, 26.04.2024)

Flüchtlinge? Nicht bei uns!“ lautet also das Motto der hepatitisgelben NIMBY-Frau Blume am botanischen Garten.

[….] SPD, Grüne, Linke und CDU sind dafür. Einzig die Altonaer FDP stellt sich gegen den Standort: Der Parkplatz sei zu klein: „Es gibt keine Außenflächen für einen Spielplatz und zur Begegnung mit den Nachbarn“, sagt die Abgeordnete Katarina Blume, die selbst in der Nähe wohnt. Die Stadt besitze im benachbarten Iserbrook ein besseres Grundstück: „Dort gibt es keine Nachbarn, aber [….] ein Nahversorgungszentrum.“ Die Fläche ist zwar an den Kinderzirkus “Mignon“ verpachtet, der aber keine Jugendarbeit mehr betreibe, so Blume. Ursula Steinbach vom Kinderzirkus “Mignon“ weist das zurück: „Es erschließt sich uns nicht, wie Frau Blume zu ihrer Einschätzung kommt.“ […..]

(MoPo, 26.04.2024)

Die FDP zeigt also auf kommunaler und Landes-Ebene denselben Charakter wie ihre Minister im Bund: Destruktiv, abstoßend, amoralisch, menschenfeindlich.

[…..]  Eine Unterkunft für Obdachlose in Niendorf, ein geplantes Flüchtlingsheim in Flottbek, Nachverdichtung für Wohnraum ebenfalls in Niendorf: Drei Probleme der Stadt, die auf Widerstand bei den vorwiegend wohlhabenden Anwohnern stoßen. Sie fürchten sich um ihre Sicherheit, vor baulichen Veränderungen im Viertel und um die Werte ihrer Grundstücke. Das ist nicht nur ignorant, es macht mich wütend.  [….] In Flottbek bringen Anwohner ihre Anwälte bereits in Stellung und die FDP möchte gerne, dass die geplante Flüchtlingsunterkunft auf dem Parkplatz des Loki-Schmidt-Gartens auf die andere Seite der Osdorfer Landstraße verlegt wird. Nach Iserbrook. Das hat nicht nur den Vorteil, dass die Geflüchteten etwas weiter weg sind von den ansässigen Villenbesitzern, sondern auch, dass die Kinder anderen Schulen zugeteilt werden. Und wir reden hier über eine Unterbringung von etwas mehr als 120 Flüchtlingen. Zum Vergleich: Allein die Unterkunft am Vogelhüttendeich in Wilhelmsburg hat deutlich über 500 Plätze. Ohnehin gibt es in Wilhelmsburg mehr Unterkünfte als in den gesamten Elbvororten zusammen. [….] In Niendorf haben sie rote Schals als Zeichen des Protests an ihre Einfamilienhaus-Gartenzäune geknotet. Man möchte ihnen zurufen: Nehmt doch bitte FDP-Gelb. Das wäre wenigstens ehrlich!  […..]

(MoPo, 25.04.2024)

Wenn ich die FDP nicht ohnehin schon maximal verachten würde..