Freitag, 8. September 2017

Deutschland retten oder die Partei retten?



Wenn man ein kleines bißchen weiter als bis zur Nasenspitze denkt, muß man sich als Sozi überlegen, ob wir noch mal Merkels kleiner Juniorpartner werden wollen, oder ob man nicht zum Erhalt einer Restselbstachtung diesmal in die Opposition geht.
Ganz ohne Regierungsverantwortung könnten sich die Sozis von der CDU emanzipieren und in Ruhe ganz neue Konzepte überlegen.

Eigentlich hatte ich ja versprochen meine Partei vor der Wahl nicht mehr schlecht zu reden.  
Aber nach dem desaströsen TV-Duell ist es weniger Defätismus, denn Realismus, sich auf weitere vier Jahre Merkel und einen neues SPD-All-time-low einzustellen.
Der Rückstoß auf 20% ist laut neuester Umfragen eingeläutet.

 […..] Nun liegen die ersten Nach-Duell-Umfragen vor, und für die SPD hat sich eher wenig bewegt. Allenfalls nach unten.
Damit gehen auch den begabtesten sozialdemokratischen Schönrednern so langsam die Ideen aus, wie genau man das mit dem Umschwung in den letzten beiden Wochen noch hinbekommen könnte. Stattdessen wird an der Parteispitze und drumherum immer intensiver über den Wahlabend und die Zeit danach sinniert.
Drei Hauptszenarien zeichnen sich dabei ab, sie bemessen sich an den Ergebnissen jener beiden Männer, die vor Schulz die Bürde des Merkel-Herausforderers getragen haben, Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück. […..]

Meiner Ansicht nach sind Hickmanns Überlegungen völlig richtig und wenn es nicht parteischädigendes Verhalten wäre, würde ich glatt empfehlen die Linke zu wählen, um das Bundestagswahlergebnis dem SZ-Kommentar entsprechend so ausfallen zu lassen, daß Martin Schulz gleich mit weggefegt wird.

Wie jeder weiß habe ich mich regelmäßig an Sigmar Gabriel gerieben und ihn immer wieder äußerst scharf für seinen Zickzack-Kurs kritisiert.
Ich habe aber allerdings auch immer betont, daß er durchaus seine guten Momente hat und blitzgescheit ist.

Mr. 100% Martin Schulz ist sicher stetiger und verlässlicher, bodenständiger vermutlich sogar grundehrlich.
Ich befürchte nur langsam, daß er nicht das schlaueste Kerlchen ist.
So viel los ist nicht in seinem Oberstübchen, wenn er es nicht schafft große Zukunftsthemen wie Digitalisierung, Medienpolitik oder Altersarmut auch nur anzusprechen – geschweige denn überzeigende Konzepte zu haben, let alone die Fähigkeit seine Ideen auch noch so kommunizieren zu können, daß Teile des Souveräns davon mitgerissen werden.

Ein Wahlergebnis unter der Steinmeierschen Horrormarke von 2009 (23% = - 11,2%-Punkten gegenüber dem letzten Schröder-Ergebnis von 2005) würde das Thema Schulz schließen. Einige Monate später würde sich niemand mehr an ihn erinnern. Ein neuer Chef, Fraktionsvorsitzender und möglicherweise Oppositionsführer müßte her.
Vielleicht Heiko Maas?

Langfristig wäre es wohl das Beste für die Partei.
Außerdem müßten Grüne oder FDP als Merkels Homunculus einspringen und sich von der ewigen Kanzlerin schrumpfen lassen.

Langfristig wäre es aber schlecht für den R2G-Block, wenn sich die Grünen, welche jetzt schon die CDU doppelt so lieb haben wie die SPD endgültig ins schwarzgelbe Lager driften.

Grüne, die sich endgültig auf frommen Kretschmann-Palmer-Göring-Kirchentag-Kurs begeben und vier Jahre üben sich mit CSU-Ministern zu paaren, wären der Todesstoß für eine linkere Regierung in der Zukunft.
Besser wäre es, R, R und G säßen alle in der Opposition und könnten schon mal üben gemeinsam zu agieren.

In dem Fall müßte Merkel aber mit dem selbstverliebten über alle Maßen schönen Christian-Alexander Lindner regieren.
Vermutlich würde sie die FDP wie alle ihre vorherigen Koalitionspartner auch eindampfen. Das wäre aber der einzig positive Effekt in Richtung Wahl 2021.

Für Deutschland wäre das aber nicht so angenehm, wenn Rechtsaußen-Lindner was zu sagen hätte.

Großspender aus Industrieverbänden und Lobbyorganisationen wissen schon wieso sie ihre Millionen den Schwarzen und Gelben zuschieben.


Lindner wird aber von zwei Trieben beherrscht; einerseits seiner überbordenden grenzenlose Linder-Begeisterung und andererseits dem Drang rechtspopulistische xenophobe Sprüche abzulassen.

(….) Die FDP suche nun ihren Platz weit rechts der Mitte zwischen CDU/CSU und AfD.

Wieder muß ich Jörges zustimmen; die Christian-Linder-Partei (CLP) wird rapide unsympathischer.
Ungeniert feuert der Chef aus der rechten Ecke.

[…..] In einem Interview mit dem Magazin "Stern" wendet sich Linder recht offensichtlich an die Menschen am rechten Rand des Wählerspektrums. "Warum sind so viele Deutschtürken keine Verfassungspatrioten?", fragt Lindner darin. Deutschland sollte beginnen, sich "offensiver zu seinem großartigen liberalen Grundgesetz zu bekennen".
Der FDP-Chef befand in diesem Zusammenhang außerdem: Der türkischstämmige Fußballer Mesut Özil soll vor Spielen der Nationalmannschaft die deutsche Hymne mitsingen.
Lindner kritisierte zudem die Flüchtlingspolitik der Bundesreagierung. "Unsere Zuwanderungspolitik benötigt eine Generalinventur", sagte er dem "stern". "Wer bleibt, den müssen wir uns aussuchen. Da sollte das Ziel der Integration viel stärker die deutsche Staatsangehörigkeit sein."
Das Interview von Lindner sorgte in den sozialen Medien schnell für Wirbel. Vor allem der Satz über Mesut Özil missfiel vielen Lesern. "Leute zwingen, eine Hymne zu singen - ist das liberal?", fragte etwa einer. […..]

Die FDP in der Nähe der AfD scheint zu funktionieren. Petrys Umfragezahlen werden kleiner, die FDP kratzt schon wieder an den 10%.
Braun kommt immer an in Deutschland.

Bezeichnenderweise verwendet der eher linke Grüne Jürgen Trittin heute die gleiche Wortwahl wie CDU-General Tauber vor vier Monaten:



   [….] CDU-Generalsekretär Peter Tauber hat FDP-Chef Christian Lindner scharf attackiert. Zwei Tage nach dem Dreikönigstreffen der Liberalen, bei dem Lindner die Union erneut wegen ihrer Flüchtlings- und Sicherheitspolitik kritisiert hatte, warf Tauber dem FDP-Chef überhebliches Verhalten vor. Das provoziere ein erneutes Scheitern der Liberalen wie bei der Wahl 2013.
Damals hatte die FDP bei der Bundestagswahl nur 4,8 Prozent der Stimmen geholt und ist seitdem nicht mehr als Fraktion im Bundestag vertreten. "Der Grund, warum die FDP damals aus dem Bundestag geflogen ist, war nicht die CDU, sondern sie selbst", sagte Tauber der Bild am Sonntag. "Und mit seinem selbstherrlichen Auftreten tut Herr Lindner gerade alles dafür, dass sie es wieder nicht schafft. Dann wäre die FDP erledigt."
Lindners Auftreten erinnere ihn an den stellvertretenden Parteichef der Alternative für Deutschland, sagte Tauber: "Er redet teilweise wie Herr Gauland von der AfD. Der einzige Unterschied besteht darin, dass er statt eines abgewetzten Tweed-Sakkos einen überteuerten Maßanzug trägt." […..]
Das ist schon eine sehr ekelige Allianz mit den Rechten, die Türkei-Basher Lindner anstrebt.
Von taz bis WELT, von Linke bis CSU stehen Medien und Parteien in Deutschland ausnahmsweise zusammen, wenn es um die Menschenrechtsverstöße unter Präsident Erdoğan geht. Einheitlich fordert man die Freilassung Deniz Yücels und all der anderen inhaftierten Journalisten in der Türkei.
Aber rechts von der CSU, bei denen, die Lindner anvisiert sieht das anders aus. (…..)

Ausländer-Raus-Lindner auf einer Koalitionsbank mit den völkisch tickenden CSU-Ministern, einem geradezu bösartigen Ausländerhasser de Maizière, der seit Jahren systematisch xenophobe Vorurteile schürt und einem AfD-affinen CDU-Star Spahn, der Merkel als Parteichefin und Kanzlerin ablösen will.
Das klingt wie eine K.O.alition aus der Hölle.

Wer auch nur ein kleines bißchen Herz für die Schwachen, Armen und Ausgegrenzten in unserer Gesellschaft hat, sollte sich wünschen, daß die SPD jeden Stolz runterschluckt und auch mit einem Ergebnis um 20% wieder mit Merkel ins Koalitionsbettchen hüpft.
Schon allein, um die übelsten Lindner-Schweinereien zu verhindern.

[…..]  Die FDP bekommt für die angebliche Eitelkeit ihres Spitzenkandidaten viel Spott ab. Wichtiger wäre es, sich ernsthaft mit dem auseinanderzusetzen, was die Partei im Programm hat. Keine guten Aussichten für unsere Zukunft. […..] Jetzt ist das Lesen des Wahlprogramms wahrscheinlich selbst für die Verfasser eine eher überraschende Übung. Sonst stünden bei der FDP nicht so sprachliche Verirrungen drin wie, dass es einen "dauerhaften Einstieg in eine regelmäßige Anpassung" des Steuertarifs geben soll - versuchen Sie mal, in einen Bus dauerhaft einzusteigen. Da hätte ja zumindest vorher nochmal jemand drüberlesen können. Na gut, wir wissen, was gemeint ist.
Wir wollen auch nicht kleinlich meckern, wenn die Liberalen ihre Wirtschaftskompetenz mit der Gaga-Weisheit darzulegen versuchen, dass man ja "nicht mehr ausgeben kann als man hat" - und an anderer Stelle im Programm eifrig den Erwerb vom Häusle propagieren, was der gemeine Deutsche in der Regel ja nicht vom Sparbuch zahlt, sondern großteils auf Kredit kauft. Also mit Geld, das er noch nicht (selber erwirtschaftet) hat. Sonst bräuchten wir ja auch keine Banken.
[…..] Vieles klingt mehr nach festgefahrenen Reflexen als nach Analyse
Umso bizarrer wirkt, was im FDP-Programm wie anno dazumal noch zu lesen ist - obwohl es durch die Realität längst überholt ist:
    Da arbeiten ganze Denkfabriknetzwerke mittlerweile an der Idee, dass neue Technologien, wie etwa bei Elektroautos, doch nicht immer so automatisch am Markt entstehen - und manchmal staatliche Hilfe brauchen. Die FDP - ist dagegen.
    Da hegen selbst frühere Anhänger Zweifel, ob der Emissionshandel ohne Eingriffe funktioniert. Die FDP fordert: den Ausbau.
    Da plädieren selbst Konservative wie Wolfgang Schäuble für eine Steuer auf Finanzgeschäfte, weil das viele Turbulenzen verhindern würde. Die FDP: dagegen.
    Da gibt es zunehmend Indizien dafür, dass Finanzkrisen vor allem von Schuldenwellen bei Privatleuten kommen. Die FDP kämpft lieber (nur) gegen Staatsschulden - und für mehr Immobilienkauf.
[…..] Bei keinem anderen Drama raubt einem die Zeitversetzung der Lindner-Liberalen so den Atem wie bei allem, was mit Krise und Zukunft des Euro zu tun hat. Hier liest sich das Programm eher wie bei den D-Mark-Nostalgikern der ersten AfD-Generation.
    Da haben Spanier, Iren und Portugiesen in den vergangenen Jahren eindrucksvoll gezeigt, dass es besser ist, Staatsdefizitziele pragmatisch zu handhaben, statt die Wirtschaft aus lauter falschem Regeldogma kaputtzusparen - alle drei Länder wachsen seither wieder. Was macht die FDP? Fordert stahlharte Regeltreue - dazu schärfere Sanktionen. Gaga.
    Da hat sich seit 2008 eindrucksvoll gezeigt, wie dringlich es in akuten Finanzkrisen ist, Ländern beizustehen, um irre Panikspiralen zu stoppen; und dass das auch Job der Notenbank ist. Global Konsens. Lehre der FDP? Die Nichtbeistandsklausel stärken, bloß nicht helfen.
[…..][…..] Hätten die Liberalen mit diesem Programm in den vergangenen Jahren regiert (und alle anderen hätten sich mit neuen Logos und so beschäftigt) - die deutsche Wirtschaft steckte heute in einer dramatischen Krise. Dann wäre die Finanzmarktpanik auf alle möglichen anderen Länder übergesprungen und hätte am Ende auch die deutsche (Export-)Wirtschaft ruiniert.  [….]

Mir graust es schon vor einem SPD-Mitgliederentscheid in acht Wochen.

Wollen wir trotz eines dramatischen schlechten Ergebnisses noch einmal Merkels Steigbügelhalter spielen und uns dafür von allen linkeren Kräften prügeln lassen in der Gewissheit bei zukünftigen Wahlen noch mieser abzuschneiden?
NEIN!
Wollen wir die widerliche FDP an die Macht lassen, die womöglich Europas komplette Wirtschaft ruiniert, die letzten solidarischen Mechanismen ausradiert und fleißig von unten nach oben umverteilt?
Auch NEIN.

Das wird mal wieder ein gewaltiges Krötenschlucken in einer No-Win-Situation.
Ja, man muss eben Masochist sein, um ein SPD-Parteibuch zu haben.