Dienstag, 21. Januar 2014

Sozialromantiker.



In der neunten Klasse hatte ich das erste Mal Politik-Unterricht.
Das war ein Wahlpflichtfach. Wir mußten uns zwischen Religion und Politik entscheiden.
Schon damals war ich überzeugter Atheist. Mit der Kirche hatte ich nichts am Hut; insbesondere nach meinen traumatisch schlechten Erfahrungen im evangelischen Konfirmandenunterricht, den ich aus eigenem Antrieb zu riesengroßen Überraschung meiner Eltern besuchen wollte.
Mann, war DAS schlecht. Lauter desinteressierte geldgeile Schüler, die sich von der ersten Stunden an gegenseitig erzählten welche Reichtümer sie zur Konfirmation erwarteten und ein Pfarrer, der es als außerordentlich störend empfand, daß mit mir ein UNGETAUFTER in seinem Kurs saß, der Fragen stellte und auf Widersprüche hinwies.
Recht schnell trennten wir uns im gegenseitigen Einverständnis.
Also Politikunterricht. Aus zwei Gründen: Religion fand ich doof und Politik interessierte mich brennend; es war ja dich hochpolitische Zeit der Nachrüstungsdemonstrationen.
„Pershing II“, „SALT“(Strategic Arms Limitation Talks), „START-Abkommen“ (Strategic Arms Reduction Treaty) waren damals ganz normale Schulhofthemen, die ich so interessiert diskutierte, wie heutzutage Jugendliche die Z-Promi-Votings beim RTL-Kakerlakenfressen im Dschungel verfolgen.

Natürlich war das die FALSCHE Entscheidung. Ich hätte unbedingt Religion wählen sollen. Mit Politik kam ich ja ohnehin immer in Kontakt. Das hätte ich mühelos auch ohne schulisches Unterrichtsfach begreifen können.
Mit der religiösen Praxis habe ich aber bis heute keinerlei Berührungspunkte und mußte als Erwachsener sehr viel Energie dafür aufwenden das System Kirche zu durchschauen. Als Hamburger Jung ist es nicht so leicht zu begreifen welche Titel die verschiedenen katholische Prälaten tragen, wieso sie mit nassen Klobürsten rumfuchteln, weswegen ihre Handtäschchen brennen und welches die prinzipiellen Unterschiede zwischen Handkommunion und kniender Mundkommunion sind.

Da ich auf einer konservativen Schule war, ging es aber auch in Politik hoch her. Es dauerte meist nicht sehr lange, bis mir erst vorgeworfen wurde für sozialistische Umverteilung zu stehen und dann die Empfehlung „Dann geh doch nach Drüben, wenn Du Kommunismus so toll findet!“ folgte.
Die zukünftigen Doppelhaushälftenbesitzer mit JU-Aufkleber aus dem Vorort waren wirklich sehr besorgt, daß Bundeskanzler Helmut Schmidt ihnen „alles weg“ nehmen würde. Lieber tot als rot.
Das einzige, das noch schlimmer als Helmut Schmidt erschien, waren die Bürgerschrecks um Jutta Ditfurth und Thomas Ebermann.
Die Pubertierenden in Pastellfarben machten sich echte Sorgen.
Die Russen, die Roten und Radikalen standen unmittelbar davor ihre bürgerliche Zukunft zu zerstören.
In 15 Minuten steh‘n die Russen auf dem Kurfürstendamm.
Oder wie es auf englisch hieß:

In Europe and America, there's a growing feeling of hysteria
Conditioned to respond to all the threats
In the rhetorical speeches of the Soviets
Mr. Krushchev said we will bury you
I don't subscribe to this point of view
It would be such an ignorant thing to do
If the Russians love their children too

Die Zeiten waren irgendwie einfach und übersichtlich.
Es gab die Schüler mit den Lacoste-Polohemden und Popperfrisuren, die zum 18. Geburtstag einen BMW bekamen und dann gab es solche, die wie ich aussahen und gar kein Auto hatten. Meine Freundin hatte allerdings einen 1b-Führerschein, einen Roller und eine Mod-Kutte. Da konnte man sich mit dem Fahrrad gut dran festhalten und sich dann auch recht fix fortbewegen. Glücklicherweise gab es damals noch nicht dieses hysterische Verhältnis zu Fahrradhelmen. Das wäre bei meiner Frisur völlig unmöglich gewesen.
Die Popper hätten gut Helme tragen können. Aber die hatten ja BMWs.
Wenn die geahnt hätten, daß einmal eine Frau aus der DDR, die vorher als FDJ-Sekretärin gearbeitet hatte, dauernd zur Bundeskanzlerin gewählt würde, hätten viele Popper aus Hamburg-Poppenbüttel ihre JU-Ausweise verbrannt.

Nach den Prognosen, die ich in der neunten und zehnte Klasse Politikunterricht hörte, müßte sich unter SPD-Herrschaft mittlerweile eine ruinöse Planwirtschaft ausgebreitet haben, die zur weitgehenden Verelendung und Verarmung und Verödung Deutschlands geführt hätte.
Und dann auch noch die DDR-Kanzlerin und der DDR-Präsident.
Erstaunlich eigentlich, daß die Russen uns nicht überrannt haben.
Erstaunlich eigentlich, daß noch nicht der Staatsozialismus ausgebrochen ist.


Die wachsende soziale Ungleichheit untergräbt demokratische Prozesse – in reichen wie in armen Ländern: Wohlhabende Eliten weltweit beeinflussen die Politik zu ihren Gunsten und manipulieren wirtschaftliche Spielregeln in ihrem Sinne.

Das ist das Ergebnis eines Berichtes zur Einkommens- und Vermögensungleichheit, den Oxfam kurz vor Beginn des Weltwirtschaftsforums in Davos veröffentlicht hat.

·        Ein Prozent der Weltbevölkerung besitzt fast die Hälfte des Weltvermögens.
·        Die 85 reichsten Menschen besitzen ebenso viel wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung (3,5 Milliarden Menschen) zusammen.
·        In den USA steht die geschwächte Finanz-Regulierung in engem Zusammenhang mit einem enormen Vermögenszuwachs des obersten einen Prozents der Bevölkerung. Sein Anteil am Gesamteinkommen ist inzwischen so groß wie zuletzt vor der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre.
·        In Europa wurden Sparmaßnahmen auf dem Rücken der Einkommensschwachen und des Mittelstandes durchgesetzt, unter großem Druck der Finanzmärkte, deren reiche Investoren von staatlichen Rettungsmaßnahmen für die Banken profitierten.
·        In Afrika missbrauchen internationale Unternehmen – besonders aus dem Rohstoffsektor – ihren Einfluss, um Steuern und Abgaben zu vermeiden und beschneiden dadurch die Ressourcen, die den dortigen Regierungen zur Armutsbekämpfung zur Verfügung stehen.
·        ….