In der neunten Klasse
hatte ich das erste Mal Politik-Unterricht.
Das war ein
Wahlpflichtfach. Wir mußten uns zwischen Religion und Politik entscheiden.
Schon damals war ich
überzeugter Atheist. Mit der Kirche hatte ich nichts am Hut; insbesondere nach
meinen traumatisch schlechten Erfahrungen im evangelischen Konfirmandenunterricht,
den ich aus eigenem Antrieb zu riesengroßen Überraschung meiner Eltern besuchen
wollte.
Mann, war DAS schlecht.
Lauter desinteressierte geldgeile Schüler, die sich von der ersten Stunden an
gegenseitig erzählten welche Reichtümer sie zur Konfirmation erwarteten und ein
Pfarrer, der es als außerordentlich störend empfand, daß mit mir ein
UNGETAUFTER in seinem Kurs saß, der Fragen stellte und auf Widersprüche
hinwies.
Recht schnell trennten wir
uns im gegenseitigen Einverständnis.
Also Politikunterricht.
Aus zwei Gründen: Religion fand ich doof und Politik interessierte mich
brennend; es war ja dich hochpolitische Zeit der Nachrüstungsdemonstrationen.
„Pershing II“, „SALT“(Strategic
Arms Limitation Talks), „START-Abkommen“ (Strategic Arms Reduction Treaty)
waren damals ganz normale Schulhofthemen, die ich so interessiert diskutierte,
wie heutzutage Jugendliche die Z-Promi-Votings beim RTL-Kakerlakenfressen im
Dschungel verfolgen.
Natürlich war das die
FALSCHE Entscheidung. Ich hätte unbedingt Religion wählen sollen. Mit Politik
kam ich ja ohnehin immer in Kontakt. Das hätte ich mühelos auch ohne
schulisches Unterrichtsfach begreifen können.
Mit der religiösen Praxis
habe ich aber bis heute keinerlei Berührungspunkte und mußte als Erwachsener
sehr viel Energie dafür aufwenden das System Kirche zu durchschauen. Als
Hamburger Jung ist es nicht so leicht zu begreifen welche Titel die
verschiedenen katholische Prälaten tragen, wieso sie mit nassen Klobürsten
rumfuchteln, weswegen ihre Handtäschchen brennen und welches die prinzipiellen
Unterschiede zwischen Handkommunion und kniender Mundkommunion sind.
Da ich auf einer
konservativen Schule war, ging es aber auch in Politik hoch her. Es dauerte meist nicht
sehr lange, bis mir erst vorgeworfen wurde für sozialistische Umverteilung zu
stehen und dann die Empfehlung „Dann geh doch nach Drüben, wenn Du Kommunismus
so toll findet!“ folgte.
Die zukünftigen
Doppelhaushälftenbesitzer mit JU-Aufkleber aus dem Vorort waren wirklich sehr
besorgt, daß Bundeskanzler Helmut Schmidt ihnen „alles weg“ nehmen würde.
Lieber tot als rot.
Das einzige, das noch
schlimmer als Helmut Schmidt erschien, waren die Bürgerschrecks um Jutta Ditfurth
und Thomas Ebermann.
Die Pubertierenden in
Pastellfarben machten sich echte Sorgen.
Die Russen, die Roten und
Radikalen standen unmittelbar davor ihre bürgerliche Zukunft zu zerstören.
In 15 Minuten steh‘n die
Russen auf dem Kurfürstendamm.
Oder wie es auf englisch hieß:
In Europe and America, there's a growing feeling of hysteria
Conditioned
to respond to all the threats
In
the rhetorical speeches of the Soviets
Mr.
Krushchev said we will bury you
I
don't subscribe to this point of view
It
would be such an ignorant thing to do
If
the Russians love their children too
Die Zeiten waren irgendwie
einfach und übersichtlich.
Es gab die Schüler mit den
Lacoste-Polohemden und Popperfrisuren, die zum 18. Geburtstag einen BMW bekamen
und dann gab es solche, die wie ich aussahen und gar kein Auto hatten. Meine
Freundin hatte allerdings einen 1b-Führerschein, einen Roller und eine
Mod-Kutte. Da konnte man sich mit dem Fahrrad gut dran festhalten und sich dann
auch recht fix fortbewegen. Glücklicherweise gab es damals noch nicht dieses
hysterische Verhältnis zu Fahrradhelmen. Das wäre bei meiner Frisur völlig
unmöglich gewesen.
Die Popper hätten gut
Helme tragen können. Aber die hatten ja BMWs.
Wenn die geahnt hätten,
daß einmal eine Frau aus der DDR, die vorher als FDJ-Sekretärin gearbeitet
hatte, dauernd zur Bundeskanzlerin gewählt würde, hätten viele Popper aus
Hamburg-Poppenbüttel ihre JU-Ausweise verbrannt.
Nach den Prognosen, die
ich in der neunten und zehnte Klasse Politikunterricht hörte, müßte sich unter
SPD-Herrschaft mittlerweile eine ruinöse Planwirtschaft ausgebreitet haben, die
zur weitgehenden Verelendung und Verarmung und Verödung Deutschlands geführt
hätte.
Und dann auch noch die
DDR-Kanzlerin und der DDR-Präsident.
Erstaunlich eigentlich,
daß die Russen uns nicht überrannt haben.
Erstaunlich eigentlich,
daß noch nicht der Staatsozialismus ausgebrochen ist.
Die wachsende soziale Ungleichheit
untergräbt demokratische Prozesse – in reichen wie in armen Ländern:
Wohlhabende Eliten weltweit beeinflussen die Politik zu ihren Gunsten und
manipulieren wirtschaftliche Spielregeln in ihrem Sinne.
Das ist das Ergebnis eines Berichtes zur
Einkommens- und Vermögensungleichheit, den Oxfam kurz vor Beginn des
Weltwirtschaftsforums in Davos veröffentlicht hat.
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Ein Prozent der Weltbevölkerung besitzt fast die
Hälfte des Weltvermögens.
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Die 85 reichsten Menschen besitzen ebenso viel wie die
ärmere Hälfte der Weltbevölkerung (3,5 Milliarden Menschen) zusammen.
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In den USA steht die geschwächte Finanz-Regulierung in
engem Zusammenhang mit einem enormen Vermögenszuwachs des obersten einen
Prozents der Bevölkerung. Sein Anteil am Gesamteinkommen ist inzwischen so groß
wie zuletzt vor der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre.
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In Europa wurden Sparmaßnahmen auf dem Rücken der
Einkommensschwachen und des Mittelstandes durchgesetzt, unter großem Druck der
Finanzmärkte, deren reiche Investoren von staatlichen Rettungsmaßnahmen für die
Banken profitierten.
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In Afrika missbrauchen internationale Unternehmen –
besonders aus dem Rohstoffsektor – ihren Einfluss, um Steuern und Abgaben zu
vermeiden und beschneiden dadurch die Ressourcen, die den dortigen Regierungen
zur Armutsbekämpfung zur Verfügung stehen.
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