Sonntag, 24. Juni 2012

Weltfremd



Im Moment versuche ich gerade ein Auto zu kaufen.
Natürlich gibt es Menschen, denen es gefällt zu handeln, auf Messen, bzw Gebrauchtwagenmärkte zu fahren, die zahlreichen Internetportale durchzusuchen.
 Ich finde das hingegen zum Brechen. 

Ich habe auch keine Ahnung von Autos.

Erstaunlich ist aber wie meinungsfreudig der Otto Normalverbraucher beim Thema Automarken ist. Jeder haut sofort seine vorgeblichen Insiderinformationen raus über Marken, die man nun wirklich nicht kaufen dürfe, weil die nur Schrottkarren fabrizierten.
Hingegen baue die Marke XY nur sehr gute Autos. 
Anfangs fragte ich noch interessiert nach, worauf denn diese Einschätzung fuße. Ziemlich schnell stellte sich aber immer raus, daß die selbst ernannten Auto-Experten noch weniger darüber wußten als ich.
Prinzipiell konstatiere ich eine enorme Vorliebe für deutsche Autos.  Daß Wagen aus heimischer Produktion der Konkurrenz aus Japan, Korea oder gar Italien überlegen wären, scheint Konsens zu sein.
Meine Einwürfe über verschlafene Entwicklungen - Rußpartikelfilter, Hybridantriebe, CO2-Redutionen - die stets aus anderen Nationen kamen, drangen nicht durch. 
Auch die Frage nach dem fast immer deutlich höheren Preis der fahrbaren Untersätze aus Bayern oder Wolfsburg prallte lediglich auf Unverständnis.
 Das wichtigste sei schließlich der WIEDERVERKAUFSWERT. 
Mein jetziges Auto (zehn Jahre alt, Italiener) wäre nämlich bestimmt noch 30% mehr wert, wenn es ein Deutscher wäre.
Aha. Also zählen ein paar Hundert Euro  extra nach zehn Jahren mehr, als sich zehn Jahre lang jeden Tag unwohl zu fühlen mit einem Auto, das man nicht leiden kann.
Die Diskussionen sind glücklicherweise für mich schnell zu beenden, da ich politisch denke.
 Mal was von Naomi Klein gehört?
Man soll seine Verbrauchermacht nutzen!  Und wann gibt man als Geringverdiener schon mal so viel Geld auf einmal aus, wie für ein Auto?
So einen Batzen werde ich garantiert nicht an eine Firma überweisen, an deren Spitze drei bayerische Multimilliardäre hocken, die jährlich sechsstellige Summen an die CDU spenden. 
Oder der österreichische Milliardär Ferdinand Piëch. Oder an eine Firma, die unter der Ägide des Merkel-Berater Jürgen Schrempp Zigtausende Arbeitsplätze vernichtete.

Außerdem fahren in Deutschland mehr als vier Millionen GOLFs auf der Straße. Ich will doch kein Auto, das jeder andere auch hat.

Also keine deutschen Autos. Niemals.
Es gibt aber eine weitere Merkwürdigkeit beim Kauf eines Autos:
 Die Vertragshändler hassen es sich von ihren Autos zu trennen und empfinden Kunden daher als echte Belästigung. 
Wie jeder Mensch des Jahres 2012 versuchte ich zunächst im Internet ein paar Informationen einzuholen. Schon das ist nicht leicht.   
Die Webseiten sind teilweise grottig schlecht gemacht. Der Car-Konfigurator funktionierte einwandfrei nur bei Honda und Toyota. Üblicherweise wird der Preis eines Neuwagens aber als Staatsgeheimnis betrachtet.
 Broschüren? Gedruckte Broschüren mußten her.
 Die kann man glücklicherweise im Internet bestellen.
 Üblicherweise verlangen sie dabei die Beantwortung eines länglichen Fragenkatalogs inklusive Einverständniserklärung der Verwendung aller Daten bis hin zu Blutgruppe und Penisgröße.
Aber was soll’s? Immerhin könnte ich dann in Ruhe zu Hause rumblättern und vergleichen.

Dachte ich.

Tatsächlich reagierten auf online-Anfragen nur zwei Firmen.
 In einem Fall kam ein Brief aus der Zentrale, daß die Kataloge derzeit bedauerlicherweise vergriffen wären; ich sollte doch in einigen Wochen noch mal nachfragen.

Lediglich Hyundai schickte einen dicken Packen Kataloge. 
Zwar nicht genau zu den Modellen, die mich interessierten, aber immerhin. 
Pluspunkt für die Koreaner. Weiterer Vorteil: Niemand kennt das Model „Veloster“. 
Selbst die echten Auto-Cracks, die entsprechende Zeitschriften abonniert haben, zuckten mit den Schultern. 
Ja! Genau so was will ich haben!

Auf meinen Wunsch nach einer Probefahrt im Hyundai-Veloster meldete sich eine sehr bayerische Stimme aus einem Callcenter bei mir. Mit vielen rollenden „r“s suchte die freundliche Dame den nächsten Hyundai-Händler in meiner Nähe. Sehr nett.
 Nur, daß ich den selbstverständlich schon längst über die Internetseite gefunden hatte. Man werde meinen Wunsch weiterleiten. 
Eine Woche verging.
Schon lange wunderte ich mich nicht mehr über das Desinteresse am Autoverkauf. Also fuhr ich einfach mal hin. Telefonisch oder online erreicht man ohnehin nichts.

Zunächst einmal: Der erste Eindruck des kleinen 2+1-Türers ist viel unauffälliger als ich dachte. Kommt geradezu bescheiden daher. Also nach dem dreht sich garantiert niemand auf der Straße um. Den haben sie im Prospekt echt viel poppiger photographiert als er ist.
Der wirkt erst mal ein bißchen so wie irgendein Golf. Erst auf den zweiten Blick sieht man, daß er anders ist. Ist auch recht klein. Flach.
 Dieses Understatement fand ich ja schon mal richtig klasse.
Dann kam der große Moment mit der Tür. Ich bin schließlich alles andere als ein Zwerg mit kurzen Beinen. Und tatsächlich: Die Fahrertür ist richtig lang. Bequemes Einsteigen und wenn ich drin sitze und nach links gucke, habe ich völlig freie Sicht und nicht nur die B-Säule im Blickfeld wie bei Viertürern.
Klasse. 
Auch das Cockpit gefiel mir wesentlich besser als erwartet. Im Katalog wirkt der Touchscreen des Bordcomputers und all das Chrom so dominierend. In echt wirkt das viel gefälliger und bescheidener. Design: Like!  Gefällt mir optisch.

Man kann den Sitz auch ganz weit zurück machen und auf der rechten Seite ist auch alles PRIMA. Die Rückbank ist durchaus zu benutzen. Die hintere Tür ist gar nicht so schmal wie ich dachte.

Dann kam auch tatsächlich mal so ein pyknisches kleines dickes Etwas in einem extrem schlecht sitzenden Anzug auf mich zu und wollte wissen, ob ich Hilfe bräuchte.

Da habe ich als erstes rausgehauen, ob es sicher so sei, daß Glasdach nur mit Ledergarnitur ginge, oder ob ich das auch unabhängig voneinander bekommen könnte. 
(Sonderausstattungen sind nur in Paketen erhältlich. Will man eine Sache unbedingt haben, muß man ein Dutzend sinnloser anderer Gimmicks dazu bestellen)
Hat ihn völlig überfordert, der Gedanke.
Hilflos wankte er zu seinem Chef, konnte sich aber nicht recht ausdrücken. Hinterherlatschenderweise assistierte ich dann, indem ich meine Frage noch mal stellte. Aber der Chef-Geront stierte weiter auf irgendwelche Unterlagen und würdigte mich nicht eines Blickes. 
Hat starr nach unten geglotzt und nur schulterzuckend mit dem Kopf gewackelt.
UNHÖFLICH. Also echt. 
Wenn schon nicht begrüßen, so könnte er doch einen Kunden wenigstens mal ansehen!
Der kleine Dicke fummelte dann den Prospekt aus einer Schublade und fing an zu blättern. 
Hilfreich war das nicht, denn DEN Katalog habe ich ja längst und aus dem stammten nämlich meine Informationen. 
Schließlich kam der mollige Midget zu dem Schluß, das ginge offenbar nicht - Glasdach ohne Leder. 
Er ließ auch keinerlei Verständnis dafür erkennen, daß ich nur das eine wollte. 
Wer will denn freiwillig Ledersitze? Im Winter sind die arschkalt (im wahrsten Sinne des Wortes) und im Sommer verbrennt man sich erst und klebt dann fest.

Da er dann weiter teilnahmslos neben mir stand, ergriff ich die Gesprächsinitiative erneut und fragte, ob es möglich wäre mal ein paar Meter zu fahren, damit ich ein Gefühl bekäme.
„Jetzt??? Aber unser Veloster hat ja gar keine Nummernschilder!“
Da ich aber nicht wegging, erklärte er sich bereit rote Nummernschilder dran zu machen und damit ich einmal um die Ecke fahren könnte - aber „nur ganz kurz“, damit sich das nicht auf dem Km-Stand bemerkbar mache. (?)
Herr Daniel, so hieß der Typ, trollte sich also und in der Zwischenzeit habe ich sämtliche Hyundais angesehen, die da noch rumstanden. Die sind durch die Bank weg viel netter als ich dachte.
 Auch das große Coupé Genesis. Und der „neue i30“ gefällt mir ebenfalls wesentlich besser als die meisten Golf-Klasse-Autos.
Von innen sind die richtig schön gemacht, gute Verarbeitung, übersichtliche Bedienung, kein Schnickschnack und trotzdem peppig. Ganz nett. Es wurde nur auf die Dauer etwas langweilig in einer kleinen Halle um kleine koreanische Karren herum zu mäandern.
Mittlerweile wartete ich aber schon 15 Minuten und machte mich erst mal auf die Suche nach dem verwirrten Pykniker, den ich auch schnell draußen erspähte. 
Da war ein Veloster auf so einem schrägen Präsentiergestell montiert und Dicki glotze unter der Motorhaube rum.
Rote Schilder konnte ich aber nicht sehen.
Schließlich stellte sich raus; das Ding war tot. Batterie alle und er bekam den einfach nicht an.
Obwohl der auf beiden Seiten eine fette Werbung „VELOSTER - PROBEFAHREN JETZT“ drauf gemalt hatte.
„Nö, das geht jetzt nicht. Da müßten wir einen Termin machen.“
Ich wollte den aber irgendwie schon mal starten und willigte ein. Einzige Möglichkeit Samstag 12.00 Uhr.
Ob es an einem Wochentag ginge?
„Nein, wir haben ja schon eine Probefahrt mit einem Kunden am Samstag und wollen ja nicht zweimal das Auto extra fertig machen!“
Daraufhin habe ich mich noch mal zu dem Ausstellungsveloster begeben und gebeten den Kofferraum mal aufzumachen. War auch ein Problem - denn das geht nur im Strom und die Batterie war abgeklemmt. Hat der dicke Daniel aber hinbekommen. Das sah auch alle gut aus. Die hintere Hälfte des Dachs ist serienmäßig verglast und das klappt auch alles mit hoch, wenn man hinten aufmacht. Echt klasse. Also von wegen „schlechte Sicht“ oder gar „Schießscharte“ - wie alle auf deutsche Autos fixierten Tester gewarnt hatten. Das haben die schlauen Koreaner schon durchdacht.
Nur: Das Dach ist eben NIEDRIG und ich stoße, wenn ich gerade sitze, genau mit dem Kopf an die Decke.
Schlau wie ich bin, dachte ich, daß es bei einem Glasdach womöglich zwei oder drei Zentimeter mehr Platz sein könnten, weil da drunter ja keine Verkleidung mehr ist. Wußte aber Herr David nicht. Und sie hatten auch keinen da.
„Bekommen Sie denn vielleicht mal einen Veloster mit Glasdach?“
Wieder großes Schulterzucken. Also auf dem Plan stünde nichts.
Daraufhin habe ich dann den Sa-12.00 Uhr-Termin wieder abgesagt, weil es ja keinen Sinn macht ein Auto probe zu fahren, von dem ich jetzt schon sagen kann, daß es zu klein ist und ich nicht drin sitzen kann.
 Da war Herr Daniel froh. 
Spart eine Batterie.
Inzwischen war ich auch dermaßen genervt von diesem billardkugelköpfigen Blödmann, daß ich sowieso keinen Bock mehr hatte da ein Auto zu kaufen.

Auf dem Weg zu Hyundai mußte ich übrigens tanken und habe bei der Gelegenheit das Auto mal kurz in so eine Billigwaschanlage gestellt - (zehn Jahre gab es nur die teure Cosy-Wash-Methode, um den Lack zu schonen. Aber jetzt ist ja wohl egal), weil der wirklich extrem klebrig und schäbig aussah.
In frisch gewaschen sieht mein altes Auto gar nicht mehr schäbig und klapperig aus. 
Und durch den TÜV ist er auch ohne Mängel gekommen - obwohl es ein Italiener ist.

Wieso wollte ich eigentlich ein Neues haben?
Daran waren nur die Deutschen Schuld, die mir einredeten man müsse ein Auto immer nach spätestens vier Jahren verkaufen. Stichwort „Wiederverkaufswert“.
Also wollte ich mein Auto in Zahlung geben, solange ich noch etwas dafür bekomme.

Tatsächlich ist es aber jetzt schon „wertlos“, wie mir ein Besuch bei einem zweiten Händler bestätigte.
Da es aber keinen Sinn macht etwas WERTLOSES zu verkaufen, lasse ich den Autokaufplan jetzt fallen. 

Ich wußte ja schon lange, daß es schwer ist Geld einzunehmen. 
Nun habe ich gelernt, daß es auch schwer ist Geld auszugeben.