Freitag, 20. November 2020

Schockwellen bis an die Elbe

Es fällt mir immer noch schwer mir vorzustellen wieso jemand in Deutschland im Jahr 2020 immer noch zahlendes Mitglied der römisch-katholischen Kirche ist, wenn man nicht dazu gezwungen wird, weil man auf einen Kindergarten-, Heim- oder Arbeitsplatz in einer zu 96-100% staatlich finanzierten Einrichtung unter katholischer Trägerschaft ist.

Wer es wissen wollte, konnte schon immer wissen was für ein moralisch verkommener krimineller Verein das ist.

Seit gut zehn Jahren aber wird so öffentlich, so umfassend über den zutiefst bestialischen und sadistischen Kindesmissbrauch in allen Bistümern berichtet, daß nun auch diejenigen, die fest ihre Augen verschließen wollten, informiert sind. Vom Kaplan bis zum Papst haben sich alle Geistlichen, die Hirten und Oberhirten, die Seelsorger aktiv daran beteiligt die Sextäter zu schützen, die Opfer zu hintergehen, die Taten zu vertuschen, die Staatsanwaltschaften zu täuschen und die psychisch schwer gezeichneten Überlebenden der Vergewaltigungen nach Jahren und Jahrzehnten erneut zu demütigen.

In der perfidesten Form zeigt sich die deutsche RKK gerade am Beispiel Köln.

Erzbischof-Eminenz-Metropolit-Kardinal Woelki kündigte vollmundig eine Studie über den sexuellen Missbrauch der Priester seines Erzbistums an, warb damit um Vertrauen bei den Opfer-Vertretern und als ihm die Ergebnisse nicht passten, hinterging er die Opfer auf perfide Weise ein weiteres mal und entschloss sich dazu lieber seine Mitbrüder im Amt, die Täter zu schützen.

Die Presse ist schlecht, die Opfervertreter ziehen sich aus dem Betroffenenrat zurück, nachdem ihnen Woelki so klar zu verstehen gibt, daß ihm ihr Leid völlig egal ist und er lieber die Täter, die sie missbrauchten, psychisch quälten und physisch misshandelten unterstützt.

Selbst die aktivsten und kirchenfreundlichsten Katholischen Laien sind entsetzt.

[…..] "Sexualisierte Gewalt ist seit langem ein strukturelles Problem in der katholischen Kirche", heißt es in der endgültigen Version. "Täter und Täterinnen sind nicht nur diejenigen, die aktiv missbrauchen, sondern auch alle, die vertuschen, verharmlosen und eine offene und transparente Aufdeckung der Taten behindern." Am Freitag hat die Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) diesen Text mit großer Mehrheit beschlossen. Die Debatte um den Umgang der katholischen Kirche mit sexualisierter Gewalt ist mit voller Wucht zurück - und sie hat auch das ZdK durchgerüttelt. […..] In dem beschlossenen Papier des ZdK heißt es entsprechend: "Aktuell sind wir Zeuginnen und Zeugen intransparenter Vorgänge im Erzbistum Köln. Wir fordern, diese vollständig offen zu legen und insbesondere die Ergebnisse aus dem Gutachten der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl zugänglich zu machen." […..]

(Annette Zoch, 20.11.20)

Die Männer, die Kardinal Woelki erneut missbrauchte, können ihre Illusionen von einer lernfähigen RKK begraben.

Ich kann nur staunen wie ruhig die als Kinder vergewaltigen Patrick Bauer und Karl Haucke im Interview mit der Süddeutschen Zeitung argumentieren.

Wieso setzen sie sich überhaupt noch mit der Täterorganisation an einen Tisch?

[…..] Das Erzbistum Köln beauftragte eine unabhängige Untersuchung zur sexualisierten Gewalt, dann verhinderte es deren Veröffentlichung. Ehemalige Mitglieder des Betroffenenbeirates stimmten zu - unter Druck wie sie heute sagen.  […..]  Doch offenbar wurde der Betroffenenbeirat überrumpelt und unter Druck gesetzt. Heute erheben seine ehemaligen Sprecher Patrick Bauer und Karl Haucke schwere Vorwürfe. […..]

Patrick Bauer: […..]. Ich habe dem Kardinal jetzt geschrieben, dass wir offenbar ein unterschiedliches Verständnis von Vertrauen und Augenhöhe haben. […..]

Karl Haucke: Es ist eine Riesenenttäuschung. Ich bin in den Beirat gegangen, um anderen Betroffenen zu helfen. Nach einem Suizidversuch war ich insgesamt 15 Monate in der Psychiatrie, hatte etliche Therapien hinter mir. Danach habe ich gemerkt: Ich will nicht bis zum Lebensende Opfer sein. Ich wollte konstruktiv mit dem Thema umgehen und habe Kardinal Woelki gesagt, ich gebe der Kirche eine zweite Chance. Er hat das offenbar so interpretiert, ich ergreife Partei für ihn. Ich wollte aber parteilich für Betroffene sein. […..]

Haucke: Patrick, mich hast du damals bei der Frühjahrsversammlung der Bischöfe in Mainz erreicht. Ich habe deiner Presseerklärung auch zugestimmt. Ich habe Kardinal Woelki geglaubt. Ich war ganz sicher, der ist an Aufklärung interessiert. Das hat sich dann verändert. Wir hatten den Sommer über mindestens zwei Gespräche mit dem Generalvikar und dem Kardinal. Ich habe gemerkt, wie ich immer häufiger in ihre Augen schaute und mich fragte: Können diese Augen lügen? Und ganz instinktiv wuchsen meine Zweifel. […..]

Bauer: Wir wurden völlig überrannt. […..]

Haucke: Ich halte das heute für eine gezielte Irreführung.[…..]

[SZ:] Was wusste da der Betroffenenbeirat über die Münchner Untersuchung?

Haucke: Nichts. Aber die Erkenntnisse müssen toxisch sein aus Sicht des Erzbistums. Sonst würden sie sich nicht derart der Kritik der Öffentlichkeit und dem Zorn vieler Betroffener aussetzen, um das zu unterdrücken. Deshalb war ihnen auch unsere Unterstützung so wichtig. […..]  Wir wurden in Geiselhaft genommen. Ich quäle mich gar nicht so sehr mit der Frage, wann welcher Jurist was wie bewertet, oder ob Kardinal Woelki etwas versprochen und dann nicht gehalten hat. Mich treibt die Verbindung um zwischen meinem tatsächlichen Missbrauch durch einen Priester vor 50 Jahren und dem, was ich jetzt erlebt habe. Für mich ist das eine Retraumatisierung. Es geht mir sehr schlecht. Das hat jemand mit mir angestellt, der mir vorher Zusammenarbeit auf Augenhöhe angeboten hat. […..] Bauer: Bis vorletzte Nacht habe ich kaum mehr als drei, vier Stunden geschlafen. Ich liege wach und grüble. Es ist eine Katastrophe. Mir ist an diesem Sonntagabend bewusst geworden, was passiert ist. […..]

(SZ, 20.11.20)

Woelki versucht offensichtlich seinen Vorgänger und Großzampano Kardinal Meisner (1933-2017) zu schützen.

Meisner, der Erzkatholische war nicht nur ein enger persönlicher Freund zweier Päpste, wortmächtiger Islamhasser, Misogyner, Homophober, Milliarden-Jongleur und NS-Vergleicher, sondern auch eine Ein-Mann-Kaderschmiede.

Systematisch setzte er die dunkelkatholischen Hardliner seiner Schule in Machtpositionen in ganz Deutschland.

Matthias Heinrich, Weihbischof in Berlin wurde von Meisner zum Priester geweiht.

Der Berliner Erzbischof Heiner Koch wurde von Meisner zum stellvertretenden Generalvikar in Köln ernannt.

Der Hamburger Erzbischof Heße war Meisners Generalvikar.

Der heutige Kölner Erzbischof Woelki war Meisners Weihbischof in Köln.

Norbert Trelle, emeritierter Bischof von Hildesheim war ebenfalls Meisners Weihbischof in Köln.

Auch Friedhelm Hofmann, emeritierter Bischof von Würzburg ist ein Meisner-Gewächs, wurde 1992 von ihm zum Kölner Weihbischof geweiht.

Die Liste ließe sich fortsetzen; Meisner war derartig gut mit dunkelkatholischen Kreisen des Vatikans vernetzt, daß er all seine Schäfchen zu Bischöfen und Erzbischöfen machen konnte.

Auch der hochumstrittene Hamburger Erzbischof Heße, der sich zwar in der Katholischen Diaspora befindet, dafür aber das flächenmäßig größte deutsche Bistum leitet ist ein Meisner-Schüler und durch dessen Protektion in sein Amt gekommen.

Wie zu erwarten, hat er es sich wie sein ehemaliger Chef, der trotz heftiger Proteste 1987 aus Berlin kommend gegen alle Regeln von Woytila nach Köln geschickt wurde, in Rekordzeit maximal unbeliebt gemacht.

Das ist gewissermaßen der Signature-Move der Meisner-Jünger.

Nun gibt es aber erst einmal einen kleinen Karriereknick. Obschon ihn Kollege Woelki offensichtlich schützen will und den ganz großen Schmutz zurückhält.

[…..] Die Vertuschungsvorwürfe gegen den Hamburger Erzbischof Stefan Heße im Zusammenhang mit Fällen sexualisierter Gewalt haben jetzt erste personelle Konsequenzen: Heße lässt sein Amt als Geistlicher Assistent des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) ruhen. Er nehme nicht an der am Freitag beginnenden Vollversammlung teil und werde "pausieren", sagte Heße laut Teilnehmern am Donnerstagabend bei einer außerordentlichen Online-Sitzung des ZdK.   Der Druck auf den Erzbischof war auch innerhalb des ZdK zuletzt enorm gestiegen: Die mitgliederstarke Arbeitsgemeinschaft der katholischen Organisationen Deutschlands (AGKOD) hatte Heße zuvor aufgefordert, sein Amt ruhen zu lassen. Die AGKOD vertritt 125 katholische Organisationen. […..] Im Erzbistum Köln beschäftigte man sich am Mittwoch auch noch mit anderen Fragen: Laut einem Bericht des Kölner Stadt-Anzeigers hat das Erzbistum zeitweise die Internetseite der Katholischen Hochschulgemeinde Köln (KHG) stillgelegt. Grund ist ein Positionspapier, in dem die KHG unter anderem das Auftreten kirchlicher Amtsträger als "unerträglich" kritisiert und einen konsequenten Umgang mit Missbrauchstätern fordert.   Das Erzbistum teilte mit, es sei an kritischer Auseinandersetzung interessiert, auf Grundlage dieses Papiers sei aber kein sachlicher Dialog möglich. Den KHG-Mitarbeitern drohten arbeitsrechtliche Konsequenzen. Am Donnerstag war die Seite wieder zugänglich, allerdings ohne Positionspapier. [……]

(Annette Zoch, SZ, 19.11.2020)