"Auf jedem
Schiff, das dampft und segelt, gibt es einen, der die Sache regelt - und das
bin ich."
(G.W.
4. Mai 2001)
Heute
Nachmittag, ich war immer noch ohne Internet, mußte ich mir aus dem
schrecklichen „NTV“ aktuelle Nachrichten besorgen und geriet in eine
Sondersendung zum Tode Guido Westerwelles.
Übermäßig
überrascht war ich nicht, denn schon vorletzte Woche hatte ich mehrfach
gelesen, daß Westerwelle zurück ins Krankenhaus mußte und auf der
Intensivstation läge. Das ist, auch ohne irgendwelche medizinischen Details zu
wissen, ein ganz schlechtes Zeichen für einen Menschen mit Leukämie.
Der
NTV-Moderator (Michael Weber? Ich kenne mich nicht so aus bei den privaten deutschen
Nachrichtensendern) telefonierte mit Westerwelles Vorvorgänger, dem
Ex-Außenminister und Ex-FDP-Parteichef Klaus Kinkel.
Eine
Frage zielte darauf, ob der heute Verstorbene ein guter Außenminister gewesen
sei oder ob er nicht eher das Amt geschrumpft hätte. Er hätte doch lieber
Finanzminister werden sollen 2009.
Kinkel,
wahrlich kein diplomatischer Mensch, der in seiner Amtszeit mit
Tobsuchtsanfällen in Jerusalem oder der peinlichen Schal-Verweigerung mit dem
Dalai Lama aufgefallen war, ließ sich immerhin nicht auf das Niveau herab.
Er
kritisiere seinen Nachfolger nicht an dessen Todestag und im Übrigen habe er
selbst zusammen mit Genscher 2009 Westerwelle geraten das Außenamt zu
beanspruchen.
Faire
Geste Kinkels.
So viel
Pietät muß schon sein, daß man nicht im Fernsehen wenige Stunden nach so einer
Todesnachricht heftig nachtritt.
Und klar
ist es für den hinterbliebenen Ehemann Mronz großer Mist.
(Mist
ist es übrigens auch, wenn einige Politkollegen immer noch peinlich das Wort „Ehemann“
vermeiden und stattdessen betont nur von „Lebensgefährten“ sprechen.)
Die
Karriere Westerwelles endete tatsächlich tragisch. Vom größten Wahlerfolg der
FDP aller Zeiten (2009 fast 15% bei der Bundestagswahl) durch die erste
Regierungsamtsübernahme die eigene Partei erstmals aus dem Parlament zu kegeln
(2013 waren es nur noch 4,8% bei der Bundestagswahl), dann eine fiese
Krebsdiagnose zu bekommen und während man zusieht wie ausnahmslos alle
FDP-Ministerkollegen als Lobbyisten richtig Kasse machen, langsam zu sterben, ist
schon brutal.
In den
TV-Rückblicken wurden zwar Westerwelles Peinlichkeiten aufgelistet – Guidomobil,
Spaßwahlkampf 2002, BigBrother-Trash-TV, Projekt 18 auf den Schuhsohlen,
Weigerung englisch zu sprechen, etc – aber dann folgte gebetsmühlenartig das Preisen
seiner Talente. Ausnahmepolitiker, größtes Talent der letzten 20 Jahre, bester
Bundestagsredner, professionellster Wahlkämpfer.
Einer der begabtesten,
umstrittensten, erfolgreichsten Politiker der letzten zwei Jahrzehnte ist tot.
Ja, man
soll nicht schlecht über Tote reden.
Das
bedeutet aber nicht, daß man völlig frei Belobigungen erfinden muß.
Die
Lobhudeleien von heute machen vielmehr klar wie es überhaupt dazu kommen
konnte, daß ein Mann mit einer Partei ganz ohne Programm, ohne seriöse
Strategie, deren einziges Ziel es war gegen Millionen-Spenden Lobbyforderungen
durchzusetzen, zum Vizekanzler Deutschlands werden konnte.
Die
Journaille war um die Jahrtausendwende so extrem dem Neoliberalismus verfallen,
daß damals auch STERN und SPIEGEL geradezu manisch gegen die vermeidlich viel
zu linken und zu staatsgläubigen Schröder und Fischer anschrieben.
"Wer dem Volk
anstrengungslosen Wohlstand verspricht, lädt zu spätrömischer Dekadenz
ein"
(G.W.
11. Februar 2010 zur Hartz IV-Debatte)
Alle
wollten wie heute die US-Republikaner den Staat abschaffen, alle öffentlichen
Betriebe privatisieren, kommunale Versorger verkaufen, Spekulanten und
Börsianer ins Land holen.
"Hier steht die
Freiheitsstatue dieser Republik."
(G.W.
15. Juni 2007 auf dem Stuttgarter Bundesparteitag zur Einschwörung seiner
Partei auf den Liberalismus)
Das
Kundengeschäft der deutschen Banken wurde geschliffen, Service und Kleinsparer
wurden durch Filialschließungen vergrault und dafür gab sich nicht nur die
Deutsche Bank voll und ganz dem Investmentbanking hin.
Staatliche
Rentenversicherung war out, jeder sollte privat vorsorgen. Im großen Maßstab
wurden dem deutschen Michel geraten Telekom-Aktien zu kaufen, sich Maschmeyers
AWD-Finanzprodukte zuzulegen.
Immer
dramatischer warnten Gabor Steingart (SPIEGEL) und Hans-Ulrich Jörges (STERN)
vor dem Untergang Deutschlands, wenn nicht bald Merkel und Westerwelle die
Regierung übernähmen und die totale Marktliberalisierung in Gang setzten.
Ich bin
fest davon überzeugt, daß kein Politiker Deutschland im letzten
Vierteljahrhundert so massiv geschadet hat wie Guido Westerwelle.
Die
radikale Chancenungleichheit, das stetige Auseinanderdriften von arm und reich,
die gewaltige Vermögenskonzentration, der Verfall der Infrastruktur, die katastrophale
Unterversorgung der Schulen und kommunalen Sozialeinrichtungen, die falsche
Weichenstellung in der Energiepolitik, Forcierung der Rüstungsexporte, die
generelle Lobby- und Beraterhörigkeit – all das was zu den Hauptproblemen
unserer Zeit führte, geht zurück auf die Westerwelle-Ideologie.
In
diesem Blog habe ich hundertfach das katastrophale Versagen Westerwelles
als Außenminister und Vizekanzler beschrieben, das will ich aus Pietätsgründen
nicht ausführlich in Erinnerung rufen.
Es ist
in Ordnung Westerwelle heute in einem günstigen Licht darzustellen, mitfühlend
zu sein und zu versuchen seine positiven Seiten herauszuarbeiten.
Aber das
sollte schon so einigermaßen an der Realität orientiert sein.
Der völlig frei drehende Ulf Poschardt liefert mal wieder ein Meisterstück
der Parallel-Realität ab:
Der ewig Unterschätzte
veränderte die Republik!
Er polarisierte immer:
Guido Westerwelle erfand die FDP neu, war einer der besten Oppositionsführer
und ein wegweisender Außenpolitiker.
[….]
Als offen schwuler Vizekanzler war er Teil des
wohl progressivsten Kabinetts der Bundesrepublik: mit einer Frau als Kanzlerin
(Tochter eines Kommunisten, kinderlos, Naturwissenschaftlerin), einem
Schatzkanzler im Rollstuhl, einem Vietnamesen als Youngster.
[….]
Am
Höhepunkt seines Wirkens hatte er bei der Bundestagswahl unglaubliche 14,6
Prozent für die FDP erkämpft. Das war die Rendite für seine Jahre als
Oppositionsführer, virtuos, rhetorisch brillant, bei Regierung wie der
Konkurrenz gefürchtet.
[….]
Wir Deutschen werden ihn vermissen. Er
hat viel für dieses Land getan.
(Die
WELT, 18.03.2016)
Aber ein
Wort noch zu Westerwelles Homosexualität.
Ihn
jetzt auch a posteriori zu einem Vorkämpfer für Schwulenrechte zu machen,
schlägt dem Fass den Boden aus.
Westerwelle
stimmte im Bundestag stets gegen Homorechte, ließ die geouteten Politiker von
Beust und Wowereit demonstrativ im Regen stehen und entdeckte das Thema „Schwulsein“
erst als er es als Keule gegen seine Kritiker benutzen konnte, denen er
Homophobie unterstellte.
Bevor sich Guido Westerwelle offiziell geoutet
hatte, wußte „man“ schon lange, daß er schwul ist.
Das
war insofern relevant, als die FDP und Guido selbst - übrigens bis heute - im
Bundestag gegen gleiche Rechte für Homosexuelle stimmten.
Als
Rot/Grün vor 12 Jahren die sogenannte „Homoehe“ erlaubte, sagte der Abgeordnete
Westerwelle „Nein“.
Er
sitzt auch jetzt einträchtig in einer Koalition, die gegen Ehegattensplitting
und Adoptionen bei gleichgeschlechtlichen Paaren stimmt.
Nur
outen kann man ihn nicht mehr, um seine Glaubwürdigkeit zu unterminieren. Es
kennt sowieso jeder „Herrn Mronz“ und die Glaubwürdigkeit der Liberalen wurde
schon vor Jahren restlos entsorgt.
Geradezu
ätzend polemisch wird Broder bei der Bewertung von Guidos Entschluß künftig seinen Herrn Mronz nicht mehr in
Länder mitzunehmen, die homophobe Gesetze haben.
Denn:
Denn:
"Wir wollen den Gedanken der Toleranz in der Welt befördern. Aber wir wollen auch nicht das Gegenteil erreichen, indem wir uns unüberlegt verhalten." Man muss diesen Satz nicht zweimal lesen, um zu begreifen, was in ihm steckt: Toleranz ist eine feine Sache, aber wir sollten es mit ihr nicht zu weit treiben. Das ist mehr als eine der üblichen Politiker-Sprechblasen, es ist moralisches Harakiri in Zeitlupe, eine Schande.
(H.M. Broder am Freitag, den 13. August)
Recht hat er, der Broder.
Das Schlimme an Guido Westerwelle ist nämlich nicht nur seine Politik, seine Arroganz, sein beständiges Mäandern zwischen beleidigen und beleidigt sein.
Nein, ganz übel ist es auch, daß er eine Sache, die glücklicherweise KEIN Thema ist, nämlich ob er lieber mit Männlein oder Weiblein unter der Bettdeckle liegt, mutwillig wieder zum Popanz aufbaut.
Broder hat Recht - wieso nimmt Guido auf einmal übergroße Rücksicht auf Leute, die Homosexuelle gerne an Baukränen aufhängen?
Auch das Thema Homo-Toleranz, das man in einem einigermaßen liberalen Umfeld eigentlich klar bewerten können sollte, verhunzt Guido.
Westerwelle war es selbst der die „Homophobie-Keule“ rausholte, als er ZU RECHT dafür kritisiert wurde, daß er auf Dienstreisen ständig seine engsten Geschäftsfreunde und Familie mitnahm.
Vorbehalte gegen Schwule hatten mit der Kritik an Guidos Nepotismus-Eskapaden gar nichts zu tun.
Also sollte der Mövenpickmann das auch nicht da hinein mischen.
Das ist so wie eine Frau, die fälschlich einen Mann der Vergewaltigung bezichtigt, echten Vergewaltigungsopfern ins Gesicht schlägt, weil sie potentiell dafür sorgt, daß ihnen nicht geglaubt wird.
Es war immerhin Guido selbst, der 2008 (!) damit herausplatzte, wie er das Thema Homophobie auf die Agenda als AA-Chef setzen würde:
"Wenn ich mir ein solches Amt nicht zutrauen würde, hätte ich nicht Vorsitzender der FDP werden dürfen," sagte er in einem Gespräch mit dem stern. Westerwelle wäre der erste bekennende Schwule, der das Außenamt leiten würde. Ein Hindernis sieht der FDP-Chef darin nicht: "Die ganz große Mehrheit der Bevölkerung hat überhaupt kein Problem mit meinem Privatleben. Es würde unserer Außenpolitik übrigens gut anstehen, wenn sie diesen Geist der deutschen Toleranz in andere Länder tragen würde".
Im stern-Interview sprach Westerwelle sich explizit dafür aus, jenen Staaten die Entwicklungshilfe zu streichen, die Frauen als Menschen zweiter Klasse behandelten "oder wo Männer und Frauen hingerichtet werden, nur weil sie homosexuell sind". Deutsche Außen- und Entwicklungspolitik müsse "immer auch die Vermittlung von freiheitlichen Werten sein".
(STERN-Interview 9. Dezember 2008)
Tja, selbst Schuld Herr Außenminister - nun müssen Sie sich auch mal an den Worten messen lassen.
Wie eigentlich alle FDP-Versprechen, außer der Milliarden-Beglückung des Barons von Fincks und reicher Erben, ist auch die homophile AA-Politik nur Makulatur.
Das ist eben nur Guido Westerwelle, ein zufällig schwuler Typ, der fast immer lügt, wenn er seinen Mund aufmacht und eine geradezu abstoßende Persönlichkeit hat.
Wenn Guido Homophobie wittert, sollte er sich vielleicht erst einmal an seine Wunschkoalitionspartner von CDU und CSU wenden.
Westerwelle gibt vor für Schwulenrechte einzutreten, dabei hat er im Bundestag gegen das rot/grüne Lebenspartnerschaftsgesetz gestimmt.
Nun sitzt er als Vizekanzler an der Seite einer Kanzlerin, die seinerzeit vor das Bundesverfassungsgericht zog, um gegen die sogenannte „Homoehe“ (rot/grüne Lebenspartnerschaftsgesetz) zu klagen.
Noch heute sperrt Merkel sich gegen die „Homo-Adoption“.
Guido sitzt also im Kabinett mit Leuten zusammen, die ihm nicht die gleichen Rechte zugestehen, wie ihnen selbst.
Anders als in Riad oder Teheran, müßte er aber in Berlin nicht fürchten gehängt zu werden, wenn er dagegen protestierte.
Am 23. Oktober 2009 erklärte die bayerische Justizministerin Beate Merk voller Empörung, daß es auch Grenzen geben müsse!
"Es kann nicht sein, dass ein homosexuelles Paar ein Kind adoptiert.
Da ist der Rubikon überschritten!"
Das bizarre Alpenvolk hat nämlich noch im Jahr 2009 eine Regierung, die ein Normenkontrollverfahren beim Bundesverfassungsgericht anzettelte, um die böse Homoehe zu verhindern.
"Insbesondere eine Volladoption durch Lebenspartner wird es mit mir nicht geben", kündigte Merk an.
Homos sind nämlich bähbäh weiß die CSU.
In eine Koalition mit der FDP gezwungen, mußte Justizchefin Merk die in Karlsruhe anhängige Klage zwar widerstrebend zurückziehen, aber die Christsozialen vergaßen nicht klarzustellen, wie sie die Causa sehen:
“Ich glaube, dass die Ehe zwischen Vater und Mutter, dass die Familie mit Vater und Mutter die Zukunft ist, nicht etwas anderes, das ist die Moderne, und nicht eine Fehlentwicklung, die sich hoffentlich bald wieder legen wird.”
(Unions-Bundestags-Fraktionsjustizexperte Norbert Geis)
Schwule und Lesben sind eine „Fehlentwicklung“, also unnatürlich - soweit der K.O.alitionspartner von Guido Westerwelle.
Kein Problem für den obersten Diplomaten Deutschlands, der nun auch im Ausland nicht mehr „provozieren“ will.
(Guido ist `ne Tunte, Guido ist schwul! 14. August
2010)