Sonntag, 16. Dezember 2012

Rückblicke



Jetzt bricht wieder die nervige Zeit der Jahresrückblicke an.
 In vielen Kategorien werden die besten und auffälligsten Gestalten 2012 gesucht.
 
Eine besonders harte Nuss ist die Wahl zum dümmsten Spruch des Jahres 2012, die der Ketzerpodcast durchführt.

Ich schließe mich dabei übrigens dem derzeit (sehr knappen) Mehrheitsvotum an und stimme ebenfalls für Thierse als verbaler Vollhonk des Jahres.
In der DDR gab es keinen Religionsunterricht an den Schulen, keine Militärseelsorge, keine öffentlichen Bekenntnisse. Und siehe da, das Ding ging unter!
(Wolfgang Thierse)

 Ein anderer Sieger eines Jahres-Polls ist Nordkoreas neuer Obermacker Kim Jong Un, der die bizarre Juche-Kommunistische Familiendiktatur nun in der dritten Generation leitet.

Die Wahl Kim Jong Uns zu Times „Man Of The Year“ stellte sich zwar bald als Hacker-Scherz heraus, aber gepasst hätte es. 
Nordkoreas Diktator Kim Jong Un erfreut sich im Internet offenbar großer Beliebtheit. Bei der Leserabstimmung zur "Person des Jahres 2012" auf der Internetseite des "Time"-Magazins erhielt Kim 5,6 Millionen Stimmen - und gewann damit mit großem Vorsprung. Die renommierte US-Zeitschrift teilte allerdings mit, dass das Ergebnis größtenteils auf Kampagnen verschiedener Hacker-Gruppen zurückzuführen sei. Diesen hätten den Diktator mit speziellen Klick-Programmen nach vorne gebracht.
(Spon 13.12.12)
  Warum auch nicht?

Das TIME-magazine hatte auch schon Arschgeigen wie Haile Selassie I. (1935), Hitler (1938), Stalin (1939), Ayatollah Khomeini (1979), Newt Gingrich (1995), George W. Bush (2000, 2004) und Marc Zuckerberg (2010) erwählt.

Kim Jong Un ist tatsächlich in den letzten zwölf Monaten weltweit gegenwärtig geworden. 
Dafür daß am Todestag seines Vater Kim Jong Il, dem 17.12.2011 noch niemand Jong Uns Namen kannte, hat sich der Nachwuchs-Diktator in einer beeindruckenden PR-Offensive in die Weltöffentlichkeit katapultiert!

Jeder Facebook-User kennt sein Gesicht, man klickt auch Blogs wie „Kim Jong Un looking at things.

Als the Onion ihn am 14.11.12 zum „Sexiest man alive“ hochjazzte, verbreiteten chinesische Nachrichtenagenturen die Meldung weiter.
The Onion is proud to announce that North Korean supreme leader Kim Jong-un, 29, has officially been named the newspaper’s Sexiest Man Alive for the year 2012.

With his devastatingly handsome, round face, his boyish charm, and his strong, sturdy frame, this Pyongyang-bred heartthrob is every woman’s dream come true. Blessed with an air of power that masks an unmistakable cute, cuddly side, Kim made this newspaper’s editorial board swoon with his impeccable fashion sense, chic short hairstyle, and, of course, that famous smile.

“He has that rare ability to somehow be completely adorable and completely macho at the same time,” Onion Style and Entertainment editor Marissa Blake-Zweibel said. “And that’s the quality that makes him the sort of man women want, and men want to be. He’s a real hunk with real intensity who also knows how to cut loose and let his hair down.”

The online version of China's Communist Party newspaper has hailed a report by The Onion naming North Korean dictator Kim Jong Un as the "Sexiest Man Alive" – apparently unaware it is satire.

The People's Daily ran a 55-page photo spread on its website Tuesday in a tribute to the round-faced leader, under the headline "North Korea's top leader named The Onion's Sexiest Man Alive for 2012."
 Ich bin mir nicht ganz sicher, ob es sinnvoll ist, sich über das Nordkoreanische Terrorregime lustig zu machen.

Das Volk hat da recht wenig zu lachen.
Ein Kasernenstaat, in dem 22 Millionen Menschen eingesperrt sind, davon 1,2 Millionen als Soldaten. Sechs Millionen stehen als Reservisten bereit. Schon 1978 schätzte die CIA, dass 12 Prozent der Männer zwischen 17 und 49 Jahren regulären Armeedienst leisteten: »Ein Höchst stand«, bilanzierte die CIA, »den nur Israel übertrifft.« Die forcierte Hochrüstung unter der »Armee zuerst«-Politik erniedrigte das Volk buchstäblich:

Laut einer Studie von UN und EU aus dem Jahr 2002 ist ein siebenjähriger Nordkoreaner im Schnitt 20 Zentimeter kleiner und 10 Kilo leichter als sein Landesbruder im Süden. Und es ging immer rasanter bergab. Die Wirtschaft schrumpfte seit Mitte der neunziger Jahre innerhalb von zehn Jahren um 40 Prozent. Fluten (1995/96) und Dürren (1997) von biblischem Ausmaß – mit verursacht durch die Abholzung der Wälder – führten zum Hungertod von zwei Millionen Menschen. Hunderttausende suchten Rettung in China. Auch heute treibt die Hoffnung auf ein besseres Leben Nordkoreaner über die Grenze, obwohl auf Flucht Lager, Folter oder Todesstrafe stehen. Etwa 200 000 Menschen vegetieren im Gulag; die früheren 14 Lager sind zu sechs Strafkolonien zusammengelegt worden. Rund die Hälfte der Opfer sind politische Gefangene, für die Sippenhaft gilt. Wer zu fliehen versucht, hat die öffentliche Hinrichtung im Beisein eingesperrter Verwandter zu gewärtigen.
 (DIE ZEIT 13.12.12)
 Neben dem PR-Coup um seine Person hat Kim Jong Un auch einen großen politischen Erfolg zu verzeichnen, indem es ihm erstmals gelang so eine Art Interkontinentalrakete zu starten.
Zwar ist er technisch noch Lichtjahre davon entfernt die USA oder Europa tatsächlich mit einem Atomsprengkopf zu treffen, aber allein die Vorstellung läßt den Westen so sehr schlottern, daß Nordkorea nun ein gewaltiges Verhandlungspfand in der Hand hat. 
Eine Rakete des Typs Unha-3 hat "ein Objekt" in den Erdorbit gebracht, wie es das Nordamerikanische Luft- und Weltraum-Verteidigungskommando (Norad) formulierte.

[…] Nordkoreas Raketenstart [hat] den Westen doppelt überrascht. Anders als beim letzten Raketentest, zu dem sogar die internationale Presse geladen war, hat Pjöngjang diesmal auf großes Tamtam verzichtet - und sogar technische Probleme und eine Verschiebung des Starts vorgetäuscht. Zudem ist es einigermaßen verblüffend, dass es den Ingenieuren von Diktator Kim Jong Un überhaupt gelungen ist, den Start im vierten Anlauf pannenfrei hinzubekommen. […]

"Dieser Start stärkt die Glaubwürdigkeit der Nordkoreaner, wenn sie behaupten, mit ihren Raketen die USA treffen zu können", sagte James Schoff vom Carnegie Endowment for International Peace. "Das kann man jetzt nicht mehr so einfach abtun."
 Unsereins steht immer wieder fassungslos vor dem Kim-Regime und wundert sich, daß es so einen grotesken Kult in der echten Realität gibt.

Vom Himmel gefallen ist die politische Situation in Korea aber nicht.

1000 Jahre lang bildete die Halbinsel Korea ein einheitliches Königreich, welches sich immer wieder Angriffen aus Japan und der Mandschurei erwehren mußte.

1910 annektierte Japan ganz Korea und beutete es als Kolonie aus. Die Grausamkeiten der Besatzungsarmee waren extrem - aber Japan konnte sich das Vorgehen leisten, da es eine geheime Übereinkunft gab,
„die 1905 zwischen dem US-Kriegsminister und späteren Präsidenten William H. Taft und Japans Außenminister geschlossen worden war. Darin billigte Washington, dass Asiens neue, dynamische Großmacht Japan die Herrschaft über Korea an sich riss. Als Gegenleistung erkannte Tokio das koloniale Regime der USA über die Philippinen an.“
(DIE ZEIT 13.12.12)
 Diese eigenartigen Asiaten galten Amerika als Verhandlungsmasse, die keine eigenen Rechte besaßen. Dementsprechend konnte man sie meucheln und ausbeuten - gedeckt und für gut befunden von den beliebtesten US-Präsidenten und der bis heute geltenden Verfassung.
Spanien hatte einst die Philippinen kolonialisiert und christianisiert.
Allerdings erdreisteten sich die Unterjochten vor rund 100 Jahren unabhängig werden zu wollen und riefen 1898 die Republik aus.
Das brachte die USA auf den Plan - so ging es ja nun nicht, daß Nicht-Weiße plötzlich machen was sie wollen - die Amerikaner erklärten den Krieg. Von 1899 bis 1902 killten sie dann etwa eine Million Philippinos (20 % der Gesamtbevölkerung) und das Land wurde zur amerikanischen Kolonie.
So dehnte sich das christlich-imperiale Amerika tief in den Pazifik aus.
The land oft he free.
Noch heute haben die USA Hoheitsrechte über 23 Militärstützpunkte auf den Philippinen.
Mit Farbigen kann man es ja machen.
Beim Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg - was sich tatsächlich als ein Segen für Europa heraus stellte - gab es also große amerikanische Flottenstützpunkte auf Hawaii und den Philippinen.
Dort lebten reiche Amerikaner ein HERRLICH koloniales Leben.
In der Navy war alles klar geregelt:
Schwarze durften dienen, servieren, putzen und Kohlen schaufeln. Nicht aber mit den Weißen zusammen arbeiten. Schwarze Offiziere waren verboten, Schwarze und Gelbe saßen hinten im Bus.
Nach dem Beginn des Kriegs im Pazifik (Pearl Harbor, 7. Dezember 1941) war in den USA klar, wie man mit diesen „Gelben“ umzugehen hatte - sie wurden weggesperrt.
Alle. Auch die Amerikaner.
Rasse allein war das Kriterium, um Menschen zu enteignen, zu entwürdigen und entrechten.
Etwa 120.000 Japan-stämmige Menschen - davon 62 % amerikanische Staatsbürger wurden in War Relocation Centers zusammen gepfercht.
Eine Kriegs-Umsiedelungs-Behörde sorgte dafür, daß niemand diesen Lagern entkam.
Die Christen in Gods Own Country fanden das nicht im Geringsten verwerflich und so dauerte es bis 1992 (!!!!), daß eine Entschuldigung ausgesprochen wurde.
Der große Superpräsident Ronald Reagan, die Ikone der Freiheit („Tear down this wall, Mr. Gorbatschow“) mochte so einen Satz nicht über die Lippen bringen.
 Bekanntlich verstanden sich die pazifischen Co-Kolonialmächte Japan und USA nicht immer. 

Am 10. August 1945, nachdem Amerika soeben auch Nagasaki mit einer Atombombe ausradiert hatte, beschlossen ein paar untergeordnete Militärs in Washington Japans ehemaligen Kolonien mit der Sowjetunion zu teilen. 
Willkürlich zog man am 38. Breitengrad eine Grenze.

Die Koreaner selbst waren zu dem Zeitpunkt begeistert davon die verhassten Kolonialmächte von der östlichen Nachbarinsel loszuwerden. 
Man hätte sich gerne wieder selbst gehört.
 Man hätte sogar demokratisch gewählt - aber, und das ist ein großes ABER: Die Ergebnisse müssen schon passen.
Amerika akzeptiert nur Demokratien, die genehme Wahlergebnisse generieren. Wenn wie in Palästina die Hamas oder wie in Algerien die FIS* gewinnen, dann will der Westen doch keine Demokratie und unterstützt stattdessen lieber Besatzungsarmeen oder Militärdiktaturen. 
* (1991 hatte das algerische Militärregime die algerischen Wahlen abgebrochen, als sich ein Sieg der Islamischen Heilsfront (FIS) abzeichnete. Die fundamentalistische FIS forderte einen Gottesstaat und ist in Algerien verboten.
„Tried it once, didn’t like it!“ war dann das einhellige Fazit des Maghreblandes.)
 Auch in Korea drohten 1945 nicht-amerikagenehme Ergebnisse.
Spontan formierten sich überall im Lande lokale Selbstverwaltungsorgane. Am 6. September beschlossen ihre über 1000 Delegierten in Seoul die Gründung der Volksrepublik Korea, um sich den ankommenden Amerikanern wieder als selbstständiger Staat zu präsentieren. Die neue Regierung war linksorientiert, aber legitimiert. Auch im südlichen Teil wünschten sich 70 Prozent der Bevölkerung den Sozialismus, 14 Prozent bevorzugten den Kapitalismus, nur 7 Prozent den Kommunismus. Das ergab noch 1946 eine Umfrage der US-Militärregierung. Am 8. September 1945 führte Generalleutnant John R. Hodge seine US-Truppen nahe Seoul an Land. Zur Begrüßung schickte ihm die neue Regierung drei Englisch sprechende Koreaner entgegen. Doch der Kommandeur hatte den Befehl, keine Repräsentanten einer provisorischen Regierung zu empfangen. Das US-Militär zog in Seoul ein und übernahm sogar Beamte der bisherigen japanischen Besatzer für die Verwaltung. Zum zweiten Mal fühlten sich die Koreaner von Amerika verraten. […] [Franklin D. Roosevelt] hielt das 1910 von Japan annektierte Korea für »nicht reif genug«, sich selbst zu regieren. Deshalb gewann er die Briten und die Chiang-Kai-shek- Regierung in China 1943 dafür, die Halbinsel 20 bis 30 Jahre lang von den Großmächten verwalten zu lassen. Mit welcher »Reife« die USA selbst dieses Projekt angingen, ließ ihr damaliger Außenminister Edward Stettinius erkennen, als er noch 1945 einen Untergebenen bat, ihm zu zeigen, wo Korea liege. Die Aufteilung zerreißt eine alte Nation, die ihren einheitlichen Staat rund neun Jahrhunderte vor den Vereinigten Staaten bildete.
(DIE ZEIT 13.12.12)
Daß Kim Jong Uns Großpapa Kim Il Sung als Major der Roten Armee und Chef der nördlichen Besatzungszone auf die Anweisungen Stalins pfiff und sich erdreistete der Kolonialmacht USA zu widersprechen und Korea den Koreanern zurückgeben wollte, entsetzte die Amis!
Ein selbstständiges Korea hätte die USA um ihre schöne Kriegsbeute betrogen.
Die 40 Jahre von Japan unterdrückten und drangsalierten Koreaner sollten keinesfalls frei und demokratisch leben dürfen!
Dafür überzogen sie die Halbinsel mit Krieg. Und was für einen! 
Die Bilanz des Krieges war schrecklich: drei Millionen Tote, fünf Millionen Flüchtlinge und eine Million bis heute getrennte Familien. Es gab weder einen Sieger noch einen Frieden, nur den Waffenstillstand von Panmunjeom am 27. Juli 1953; Grenze blieb der 38. Breitengrad.

Der Friedensbruch durch Kim Il Sung hatte für die USA fast alle Waffen geheiligt. Der Krieg war gerade zwei Wochen alt, als US-General Douglas Mc Arthur, der die UN-Truppen in Korea führte, nach nuklearen Sprengsätzen rief. Er bekam sie nicht. Stattdessen ließ die Air Force Tausende Tonnen Napalm auf Nordkorea regnen. Schließlich mahnte selbst Englands Premier Winston Churchill: Niemand habe sich bei der Erfindung von Napalm vorstellen können, dass es einmal über eine ganze zivile Bevölkerung »versprüht« werden würde. Städte sanken in Schutt und Asche, große Dämme wurden bombardiert (was seit 1949 als Kriegsverbrechen galt). 1952 war vor allem die nördliche Hälfte dem Erdboden gleichgemacht. Die Menschen lebten, wohnten, lernten, produzierten im Untergrund. Es war vor allem dieser Krieg – und die darauf folgende jahrelange Stationierung von US-Atomraketen in Südkorea –, die den Wunsch der Kims bestimmte, Land und Regime durch Nuklearwaffen zu sichern.
(DIE ZEIT 13.12.12) 
Es ist nicht zu rechtfertigen, wie drei Generationen Kim-Diktatoren ihr eigenes Volk quälen.
 Aber daß es eine ausgeprägte Feindschaft gegenüber Kolonialmächten im Allgemeinen und Amerika im Besonderen gibt, ist psychologisch zu verstehen.
Die Kims haben gesehen, wie Amerika mit missliebigen Ländern umgeht, die wie der Irak oder Afghanistan KEINE Atomwaffen haben.
Sicher gegen erneute von Amerika aufgezwungene Kriege ist man nur mit Massenvernichtungswaffen.
Das haben Kim Jong Il und Kim Jong Un verstanden.
Das ist aber auch ein naheliegender Schluß Achmadinedschads.

Kim Jong Un ist sicher kein Sympath und ich bemitleide ihn nicht, weil er zum Gespött der Satiriker wird.
Aber da findet eben auch Weltpolitik statt, die man erst nehmen muß.