Montag, 13. August 2012

Christenkultur




Filmfan bin ich wirklich nicht.
Nicht, daß ich es keine guten Filme gäbe, aber diese Blockbuster-Manie ist mir ein Rätsel. 
Zuletzt war ich 1990 im Kino.
Außerdem bin ich nun mal ein Leser und als solcher erlebt man bei Romanverfilmungen so gut wie immer herbe Enttäuschungen.
Eins der Bücher, die vom vielen Lesen schon so zerfleddert sind, daß sie nur noch von Tesastreifen zusammengehalten werden, ist James Clavells „Shogun“ von 1975.
Nicht gerade Weltliteratur, aber sehr spannend und lehrreich.
 Habe ich als Teenager sicher 10 mal gelesen.
 Und dann kam diese unsäglich schlechte Verfilmung mit Richard Chamberlaine als John Blackthorne von 1980. Grottig.

Clavells Kunstgriff ist es die Roman-Handlung aus der Sichtweise Dutzender Erzähler zu beleuchten. 
Der Leser setzt sich mit der Zeit ein Gesamtbild aus den vielen Perspektiven und Denkweisen der Akteure zusammen.
Die Zentralfigur Yoshi Toranaga ist nicht nur der mächtige strippenziehende und brutale Herrscher, sondern er ist auch komplex, überraschend und sogar sympathisch.

Blackthorne, der Europäer, der ohne Vorkenntnisse im frühen 17. Jahrhundert nach Japan kommt, ist von allen Akteuren der Unwissendste.
 Was natürlich auch daran liegt, daß er kein Japanisch spricht und dies erst mühsam lernen muß.

 Für die TV-Version kehrte Regisseur Jerry London die Perspektiven um. 
Er machte Blackthorne, also Richard Chamberlaine zur zentralen Figur, während Toranaga-Darsteller Toshirō Mifune auf einen eindimensionalen Despoten reduziert wird.

Konnte nicht klappen.

In der Clavell-Version gibt es einen interessanten Kniff.
 Sowohl Japaner, als auch Europäer halten die jeweils andere Seite für fürchterlich unzivilisierte Barbaren. 
Diese Wertung wird (scheinbar) durch das Erleben der anderen immer wieder bestätigt.

Ohne sich dessen richtig bewußt zu werden, übernimmt aber Blackthorne im Laufe des Romans die Japanische Sichtweise und hadert immer mehr mit seinen Christlichen Wurzeln und kulturellen Wertvorstellungen.

Der hochperverse, sadistische, verbrecherische, sexuell unersättliche und mörderische Papst Alexander VI, der berüchtigte Borgia, teilte kurzerhand die Welt in zwei Hälften.
Er unterwarf per Federstrich ganze Kontinente dem Katholizismus.
Die Linie, die die spanische von der portugiesischen Zone trennt verläuft nach der heutigen Landkarte ungefähr entlang der Westgrenze Brasiliens. Das heißt: Spanien wird der Süden und Westen Südamerikas, ganz Mittelamerika und ganz Nordamerika zugewiesen - Portugal der Bereich des heutigen Brasilien.
Die Chuzpe, mit der das Mini-Europa mal eben den Planeten und alle seine Ressourcen zwischen zwei katholischen Königen aufteilt, ist bemerkenswert.
 Auch die Japaner staunten nicht schlecht, als sie im 16. Jahrhundert  erfuhren offiziell zu Portugal zu gehören.

Man stelle sich das ganze umgekehrt vor: Die gesamte Welt wäre vom Tenno beispielweise zwischen Japan und Korea aufgeteilt worden. 
Ob die Europäer des Mittelalters das wohl freudestrahlend akzeptiert hätten und bereitwillig all ihre Edelsteine und Edelmetalle nach Fernost verschifft hätten und ihre Religion aufgegeben hätten?

In „Shogun“ ist einer der größten Schocker, den Briten und Holländer erleben müssen das ständige Baden der Japaner. 

Hygiene ist im Christlichen Europa unbekannt und sogar verboten!

Bis ins 19. Jahrhundert wurden Schlösser ohne sanitäre Anlagen gebaut. 

Die Apotheose der höfischen Hochkultur, der Sonnenkönig Ludwig XIV in seinem gigantischen Schloss Versailles, kam noch ohne Toiletten aus. 
Die Hochadeligen kackten einfach in die Ecken und pissten an die Wand. 
Gegen den bestialischen Körpergeruch gab es Schminke, Puder und Parfüm. 

So war das in Europa. 
Die Buddenbrooks, durch Thomas Mann weltberühmt geworden, stanken noch wie die Pest. 

Die kultivierten hanseatischen Ratsherren in Lübeck und Hamburg führten Flakons mit Kräuterdüften mit sich, weil sie als wandelnde Stinkbomben sonst ohnmächtig geworden wären.

"Die Menschen stanken nach Schweiß und nach ungewaschenen Kleidern; aus dem Mund stanken sie nach verrotteten Zähnen, aus ihren Mägen nach Zwiebelsaft und an den Körpern, wenn sie nicht mehr ganz jung waren, nach altem Käse und nach saurer Milch und nach Geschwulstkrankheiten." Das Paris des 18. Jahrhunderts, das Patrick Süskind in seinem Roman "Das Parfüm" schildert, scheint ein recht geruchsintensiver Ort gewesen zu sein.
[…] Als die Pest in Europa wütete, befürchteten die Menschen, die Krankheitserreger könnten über Poren in die Haut eindringen. Folglich wuschen sie sich nicht mehr, um die Poren so zu schützen. Statt mit Wasser und Seife reinigten sich die Menschen mit Tüchern und Puder. Am Ende des Mittelalters wurde dem Geruch sogar ein Schutz vor Krankheiten nachgesagt - ein strenger Körpergeruch stand stellvertretend für strotzende Gesundheit. Einige Parfums dieser Zeit enthielten sogar tierische und menschliche Fäkalien.
 (scinexx)

Die Japaner in Clavells Roman taten das einzig Richtige mit den verwahrlosten Stink-Europäern, die da nun eintrafen und ihnen von der überlegenen Christlichen Moral erzählten. 
Sie packten sie, zogen sie aus, verbrannten die Klamotten und schrubbten die Männer gründlich ab.
Da wußten die Christen, daß sie von Barbaren umzingelt waren - denn ein guter Christ badete nur zweimal in seinem Leben.
 Bei seiner Geburt und dann erst wieder beim Leichenwäscher.

Sauberkeit, Wasser und Körperpflege war schon deswegen im Christentum unmöglich, weil sie der Verteufelung des Körpers widersprachen.
 Die Japaner in ihren vielen Badehäusern zogen sich natürlich täglich NACKT aus, um ins Bad zu gehen. 
Ein klares Zeichen für hochgradiges Barbarentum diagnostizierten die Christlichen Eroberer.

Nacktheit war mindestens genauso teuflisch wie Sauberkeit.

Wilhelm, der Abt des Klosters Hirsau, verfasste im 11. Jahrhundert die peniblen Regeln für das Leben als Benediktiner.

Jeder Novize hatte einen persönlichen custos, der ihn überall hin begleitete - auch nachts auf den Abtritt. Der Hirsauer Abt sah sich, offenbar aufgrund von schlechten Erfahrungen, genötigt, den Bettgang der Jünglinge penibel zu regeln: 'Der Novize setzt sich, noch mit der Kutte bekleidet, auf das Bett, streift seine Schuhe ab, wobei er die Hände auf beiden Seiten behält und nicht etwa in Richtung der Füße ausstreckt und auch nicht das eine Bein auf das Knie legt. Dann zieht er beide Beine gleichzeitig hoch und legt sie ins Bett. Dann zieht er, im Bett sitzend, die Kutte aus, jedoch erst, nachdem er die Bettdecke bis zu den Ellenbogen hochgezogen hat.' Rädle liest aus den Constitutiones eine grundsätzliche Sexualangst heraus.    Die Strafen waren drakonisch. Sie reichten von der Auspeitschung des entblößten Oberkörpers mit Ruten bis zu öffentlicher Zurschaustellung.
(SZ 13.08.12)

Der aberwitzige Aufwand, der in gebildeten Schichten Ende des 19.  / Anfang des 20. Jahrhunderts getrieben wurde, um sich angezogen zu baden, wird erstklassig in Stefan Zweigs Meisterwerk „Die Welt von Gestern“ beschrieben. 

Ich empfehle wärmstens das Kapitel „Eros Matutinos“

Als Karikaturen belachen auch die naivsten Menschen von heute diese sonderbaren Gestalten von gestern - als unnatürlich, unbequem, unhygienisch, unpraktisch kostümierte Narren; sogar uns, die wir unsere Mütter und Tanten und Freundinnen in diesen absurden Roben noch gekannt haben, die wir selbst in unserer Knabenzeit ebenso lächerlich gewandet gingen, scheint es gespenstischer Traum, daß eine ganze Generation sich widerspruchslos solch einer stupiden Tracht unterwerfen konnte. Schon die Männermode der hohen steifen Kragen, der >Vatermörder<, die jede lockere Bewegung unmöglich machten, der schwarzen schweifwedelnden Bratenröcke und der an Ofenröhren erinnernden Zylinderhüte fordert zur Heiterkeit heraus, aber wie erst die >Dame< von einst in ihrer mühseligen und gewaltsamen, ihrer in jeder Einzelheit die Natur vergewaltigenden Aufmachung! In der Mitte des Körpers wie eine Wespe abgeschnürt durch ein Korsett aus Fischbein, den Unterkörper wiederum weit aufgebauscht zu einer riesigen Glocke, den Hals hoch verschlossen bis an das Kinn, die Füße bedeckt bis hart an die Zehen, das Haar mit unzähligen Löckchen und Schnecken und Flechten aufgetürmt unter einem majestätisch schwankenden Hutungetüm, die Hände selbst im heißesten Sommer in Handschuhe gestülpt, wirkt dies heute längst historische Wesen >Dame< trotz des Parfüms, das seine Nähe umwölkte, trotz des Schmucks, mit dem es beladen war, und der kostbarsten Spitzen, der Rüschen und Behänge als ein unseliges Wesen von bedauernswerter Hilflosigkeit. Auf den ersten Blick wird man gewahr, daß eine Frau, einmal in eine solche Toilette verpanzert wie ein Ritter in seine Rüstung, nicht mehr frei, schwunghaft und grazil sich bewegen konnte, daß jede Bewegung, jede Geste und in weiterer Auswirkung ihr ganzes Gehabe in solchem Kostüm künstlich, unnatürlich, widernatürlich werden mußte. Schon die bloße Aufmachung zur >Dame< - geschweige denn die gesellschaftliche Erziehung - das Anziehen und Ausziehen dieser Roben bedeutete eine umständliche Prozedur, die ohne fremde Hilfe gar nicht möglich war. Erst mußten hinten von der Taille bis zum Hals unzählige Haken und Ösen zugemacht werden, das Korsett mit aller Kraft der bedienenden Zofe zugezogen, das lange Haar - ich erinnere junge Leute daran, daß vor dreißig Jahren außer ein paar Dutzend russischer Studentinnen jede Frau Europas ihr Haar bis zu den Hüften entrollen konnte - von einer täglich berufenen Friseuse mit einer Legion von Haarnadeln, Spangen und Kämmen unter Zuhilfenahme von Brennschere und Lok-kenwicklern gekräuselt, gelegt, gebürstet, gestrichen, getürmt werden, ehe man sie mit den Zwiebelschalen von Unterröcken, Kamisolen, Jacken und Jäckchen so lange umbaute und gewandete, bis der letzte Rest ihrer fraulichen und persönlichen Formen völlig verschwunden war. Aber dieser Unsinn hatte seinen geheimen Sinn. Die Körperlinie einer Frau sollte durch diese Manipulationen so völlig verheimlicht werden. […]  Im freien Meer quälten sie sich mühsam vorwärts in schweren Kostümen, bekleidet vom Hals bis zur Ferse, in den Pensionaten und Klöstern mußten die jungen Mädchen, um zu vergessen, daß sie einen Körper besaßen, sogar ihr häusliches Bad in langen, weißen Hemden nehmen. Es ist durchaus keine Legende oder Übertreibung, daß Frauen als alte Damen starben, von deren Körper außer dem Geburtshelfer, dem Gatten und Leichenwäscher niemand auch nur die Schulterlinie oder das Knie gesehen.[…]   Ein junges Mädchen aus guter Familie durfte keinerlei Vorstellungen haben, wie der männliche Körper geformt sei, nicht wissen, wie Kinder auf die Welt kommen, denn der Engel sollte ja nicht nur körperlich unberührt, sondern auch seelisch völlig >rein< in die Ehe treten. >Gut erzogen< galt damals bei einem jungen Mädchen für vollkommen identisch mit lebensfremd; und diese Lebensfremdheit ist den Frauen jener Zeit manchmal für ihr ganzes Leben geblieben. Noch heute amüsiert mich die groteske Geschichte einer Tante von mir, die in ihrer Hochzeitsnacht um ein Uhr morgens plötzlich wieder in der Wohnung ihrer Eltern erschien und Sturm läutete, sie wolle den gräßlichen Menschen nie mehr sehen, mit dem man sie verheiratet habe, er sei ein Wahnsinniger und ein Unhold, denn er habe allen Ernstes versucht, sie zu entkleiden. Nur mit Mühe habe sie sich vor diesem sichtbar krankhaften Verlangen retten können.
(Stefan Zweig 1942)

Noch zu Adenauers Zeiten erklärte das Generalvikariat Köln:


Nackt duschen widerspricht katholischer Moral.