Nur noch zehn Tage bis zur US-Wahl und wie zu erwarten, werden uns inzwischen auch in den deutschen Medien täglich Zahlen um die Ohren gehauen. Jeder Hobbyschreiberling eines beliebigen Regionalblattes ergeht sich in Prognosen und weiß genau, was Kamala Harris alles falsch macht.
Das nervt schon wegen der Anmaßung. Natürlich finde ich auch nicht alles gut, was die Demokraten machen. Aber eine professionelle, finanziell wohlausgestattete Wahlkampfmaschine mit hunderten Fulltime-Spezialisten darf man Harris durchaus zutrauen.
Sie ist nicht auf Ratschläge aus der Lokalredaktion des Trierer Volksfreundes angewiesen.
Aber dann diese Scheiße mit den „national polls“ – Trump 47%, Harris 47,5%!
Das regt mich wirklich auf, weil damit immer noch völlig falsch suggeriert wird, sie läge vorn und somit die Provinz-Leserschaft annimmt, sie gewänne mit einiger Wahrscheinlichkeit.
1.)
Die Prognosen müssten ob Trumps Abscheulichkeit bei 99% Harris und 1% Trump liegen. Der orange Irre ist ganz offensichtlich wahnsinnig.
[….] Sollte Donald Trump in zwei Wochen tatsächlich die Präsidentschaftswahl gewinnen, dann wäre das auch ein Sieg gegen seine eigenen Worte. Er redet inzwischen, als befinde sich das Land in einem Bürgerkrieg gegen „Feinde im Inneren“ und „Ungeziefer“, aber bei seinen Anhängern scheint ihm das kaum zu schaden. Und zwar, das legen Umfragen nahe, nicht deshalb, weil die breite Masse der republikanischen Wähler den radikalen Plänen Trumps zustimmt – Massendeportationen, ein Abbau der Gewaltenteilung, ein „Blutbad“, falls ihm die Wahl noch einmal „gestohlen“ werden sollte –, sondern weil diese Menschen denken, er werde das, was er ankündigt, ohnehin nicht umsetzen. Weil sie denken, der redet nur. Häufig erzählt er ja so wundersames Zeug, springt mitten im Satz von einem Punkt zum anderen zu irgendwelchen Anekdoten über Promis, dass man sich fragt, was das nun alles bedeuten soll und ob es überhaupt irgendwas bedeutet. Und oft redet er inzwischen gar nicht mehr. Manchmal tanzt er nur noch. Schon den ganzen Wahlkampf über tut er das auf seinen Kundgebungen. Im Internet indes, auf Tiktok, X und Instagram, ersetzt der tanzende zunehmend den redenden Trump und das Meme den Politiker. Länger als einige Sekunden hört man ihn vor allem bei seinen Gegnern sprechen, wenn sie die Ungeheuerlichkeiten belegen, die er immer wieder sagt. Kamala Harris rief bei der Fernsehdebatte mit Trump sogar die Amerikaner dazu auf, sie sollten sich doch bitte einmal eine seiner Reden anhören. Auf Konten seiner Unterstützer hingegen sieht man sehr häufig etwas, was nach und nach zu einem zentralen Motiv seiner Ikonografie geworden ist: Trump schiebt rhythmisch die Arme hin und her, bewegt sich aber ansonsten so gut wie gar nicht. Seine Miene ist wie eingefroren. Gelegentlich deutet er mit dem Zeigefinger ins Publikum oder in die Kameras. Es ist, als habe Donald Trump sich in einen die Arme vor und zurück pumpenden Trumpboter verwandelt. Das wirkt bedrohlich und steif, und das soll es wohl auch. [….]
(Philipp Bovermann, 25.10.2024)
2.)
Daß er überhaupt noch einmal Chancen hat, zu gewinnen, zeigt unwiderlegbar, wie dramatisch verblödet und moralisch verkommen weite Teile der US-Bevölkerung sind. Und wie wenig ernst man daher die in Umfragen manifestierte Meinung nehmen darf.
[….] Nichols sagt: „Es war alles so schon schön hier, bis die Regierung in Washington 45 000 illegale Migranten hierhergebracht hat.“ Billie Blanton, 45, [….], ergänzt: „Das Schlimmste ist, dass sie nicht Auto fahren können.“
Nichols, Hulk-Hogan-Schnurrbart und Trump-Käppi in der Camouflage-Version, ist Handwerker von Beruf und Waffenbesitzer aus Überzeugung. „Wer meine Hunde anrührt, wird erschossen“, sagt er laut lachend. Blanton, Haare in Dolly-Parton-Blond, Pulli der Cincinnati Bengals, findet das offenbar witzig. Nicht ganz so witzig findet sie, dass die Haitianer von der Regierung auch noch Autos bekommen, obwohl sie nicht fahren können. Natürlich bekommen die Haitianer von Joe Biden keine Autos geschenkt, aber Nichols glaubt außerdem zu wissen, dass die Migranten Lebensmittelkarten erhielten, die in den Supermärkten wie Blankoschecks funktionieren: „Sie können überall reinlaufen und einfach alles mitnehmen, was sie wollen.“ [….]
Volk und Medien sind nach neun Jahren Trump endgültig zu Schildbürgern transformiert.
(….) MAHER: All right, final question. "Has the media ever really figured out how to cover Trump without holding him to a lower standard than the other candidates?"
-SCARBOROUGH: No.
MAHER: -No. -Thank you very much for coming.
In diesem simplen “Nein” liegt die Antwort auf die große Frage der Welt, wie es sein kann, daß so ein dementer, psychotischer, faschistischer, debiler, misogyner, xenophober, ungebildeter, dummer, hochverräterischer, moralisch verkommener, gewalttätiger, bornierter, krimineller Lügner, Sexist, Rassist, Vergewaltiger von der Hälfte der US-Wähler als künftiger Präsident gewünscht wird.
Kein Journalist, kein Blogger, kein Autor, kein Kolumnist ist noch in der Lage auch nur ansatzweise vollständig die Missetaten aufzulisten, von denen jede einzelne ausreicht, um Trump endgültig unwählbar zu machen. Jeden Tag eine neue Flut der Ungeheuerlichkeiten.
Aber seit neun Jahren versagen nahezu alle Medien im Umgang mit dem gefährlichsten Mann seit Adolf Hitler. (….)
3.)
Halbe Prozente sind lächerlich, bei einer Fehlermarge von drei bis fünf Prozentpunkten!
4.)
Bis zum Wahltag 2016 sagten alle Prognosen einen deutlichen Hillary-Clinton-Wahlsieg
voraus. Sie lag immer mindestens fünf Prozentpunkte vor Trump. Es kam
bekanntlich ganz anders.
5.)
Die absoluten Stimmen haben kaum Aussagekraft im US-amerikanischen Mehrheitswahlrecht. Die Republikaner können rechnerisch die Präsidentenwahl gewinnen, auch wenn sie insgesamt zehn Prozent weniger Stimmen haben. Das Wahlsystem ist völlig kaputt.
[…..] In der Gesamtschau wirkt sich diese Verzerrung zugunsten der Republikaner aus, weil ihre Wählerklientel in der Regel in den eher kleinen, ländlichen Bundesstaaten in der Landesmitte wohnt, während die heterogenen Staaten an der Küste eher die Demokraten wählen.
Das „Winner takes all“-Prinzip führte in den vergangenen 24 Jahren gleich zweimal zu einer kalkulatorischen Besonderheit: Der Gewinner (2000 George W. Bush, 2016 Donald Trump) erhielt im gesamten Land weniger Stimmen als der Opponent – damals Al Gore und Hillary Clinton. Die beiden führten den sogenannten Popular Vote, also die landesweite Stimmenaddition. Übersetzung: Die Wahlverliererin Clinton erhielt in den gesamten USA 2,868 Millionen Stimmen mehr als Donald Trump. Al Gore 543.895 Stimmen. Sie wurde dennoch nicht Präsidentin, weil die Verfassung die Entscheidung ins Wahlleutegremium legt, um dem föderalen Charakter des Landes und der Bedeutung der Bundesstaaten Ausdruck zu verleihen. […..]
(Stefan Kornelius, 24.10.2024)
6.)
Menschen, die wie ich in einem drastisch unterrepräsentierten Blue State (New
York) wählen, gehören zur großen Mehrheit der irrelevanten Wähler. Es kommt nur
auf eine winzige Minderheit von wenigen Zehntausend Wählern
in ganz bestimmten Wahlbezirken an.
7.)
Vergessen wird bei der Fokussierung auf die Präsidentschaftswahl, daß auch das gesamte House und ein Drittel des Senates neu gewählt werden.
Dort ist durch Gerrymandering und hunderte andere republikanische Gesetze, welche die Stimmabgabe für Demokraten erschweren, die Bevorzugung der Trumpisten sogar noch ausgeprägter. Obwohl riesige Mehrheiten für demokratische Senatoren stimmen – etwa 60% der Wähler! – erreichen Republikaner im entscheidenden US-Senat oft noch eine knappe Mehrheit. Beispiel 2018:
(….) Die Wahl am Dienstag zeigte es mal wieder ganz deutlich, die Amis haben versagt; sie haben Trump weiter ermächtigt und die GOP-Senatsmehrheit sogar ausgeweitet, so daß Trump nun die Mueller-Untersuchungen stoppen kann, indem er ihm genehme Homunculi das DOJ auf Linie bringen lässt. Der Senat segnet jetzt alles ab.
Das ist das klare Wahlergebnis. Es ist aber nicht unbedingt der Wählerwille. Denn in absoluten Stimmen haben die Demokraten sehr sehr deutlich gewonnen. Sie haben sogar ZWÖLF MILLIONEN STIMMEN MEHR BEKOMMEN!
Wahlsieger ist aber Trump, der sich feiern lässt.
[….] Among the most eye-catching was a statistic showing Democrats led Republicans by more than 12 million votes in Senate races, and yet still suffered losses on the night and failed to win a majority of seats in the chamber. [….] “That’s a radically undemocratic principle, and it gives rise to what we see,” said David Golove, a professor at the New York University School of Law, “which is that the minority populations are going to have a disproportionate impact in the United States. That tends to mean conservatives have a disproportionate influence over the Senate.” […..]
Willkommen im Mutterland der Demokratie. (….)
(Die Extra Zehn Prozent, 10.11.2018)
Verdummung des Volkes, aberwitzige Spenden von Ultrareichen, die sich politischen Einfluss kaufen – der rechtsextreme Hetzer Elon Musk gab bisher 120 Millionen Dollar für Trumps Wahlkampf aus; Citizen United macht es möglich – und schließlich das grotesk verzerrende Wahlrecht, machen aus den USA eine Nation, in der schon lange nicht mehr die Mehrheit der Bürger die politische Macht bestimmt.
[…..] Zu dieser schiefen Repräsentation trägt seit Jahren auch der Senat bei. Die Idee der Verfassungsgeber – die Kammer sollte die Interessen der Bundesstaaten vertreten – ist längst dem Parteienkampf gewichen. Auch Senatoren sind treue Soldaten ihrer Lager. Weil aber kleine, eher republikanische Staaten über dieselbe Zahl an Senatoren verfügen wie die großen, eher demokratischen, entsteht eine Schieflage: Zuletzt haben die 50 republikanischen Senatoren 43 Prozent der Amerikanerinnen und Amerikaner vertreten. Allerdings verfügen sie über dieselbe Stimmkraft bei der Gesetzgebung, bei der Verhinderung von Regierungsprojekten, in der Zustimmung oder Ablehnung von Richterkandidaten oder Ministern.
Zur Zementierung der Machtverhältnisse trägt maßgeblich eine Manipulationstechnik bei, die 1812 zum ersten Mal im Bundesstaat Massachusetts angewandt wurde. Unter dem damaligen Gouverneur Elbridge Gerry hatte die demokratische Kongressmehrheit des Staates einen Wahlkreis in der Umgebung von Boston so geschickt zugeschnitten, dass die Mehrheit für die Partei garantiert war. Der Wahlkreis erhielt die Form eines Salamanders. Kombiniert mit dem Namen des zuständigen Gouverneurs ergab sich das Kofferwort Gerrymandering. […..]
(Stefan Kornelius, 24.10.2024)
We are doomed.