In meiner antitrumpschen Social-Media-Blase leben Menschen, die ich manchmal richtig bewundere für ihren Einsatz und ihre klaren Worte.
Wir sind eine algorithmisch zusammengefügte Familie Gleichgesinnter, die für liberale Werte einstehen und die GOP, Trump, White Supremacy verachten.
Aber vom prominenten CNN-Anchor Don Lemon, der sich gestern dazu bekannte ‘Openly Black’ zu sein, bis zum kleinen unbekannte Meme-Bastler auf Instagram, gibt es Gemeinsamkeiten, die mich ausschließen.
Sie alle benutzen „unamerican“ als größtmögliche Kritik für den rechtsradikalen Mob, sie alle verwenden die Phrase „god bless you“, sie drücken ehrliches Mitgefühl durch „we pray for you“ aus, sie halten die USA zweifellos für die großartigste Nation der Erde und die US-Verfassung für die Beste jemals auf der Welt Geschriebene. Der US-Präsident ist der „Leader oft he free world“ und alle werden von wohligem patriotischen Schauer übermannt, wenn sie US-Flaggen oder Uniformen sehen. Eine Flut von Memes erhob die im Kapitol campierenden US-Soldaten zu „true heros“. Wann immer sie mit einem Veteranen oder aktiven US-Soldaten sprechen, bringen sie ein devotes „thank you for your service“ unter.
Mich lässt das aber alles kalt. Nationalismus halte ich für genauso schlecht wie Patriotismus, die stets so bemühten Unterschiede sehe ich nicht.
Wieso sollte die US-Regierung die Welt anführen? Die Leute, die sich nicht an internationale Abkommen halten, als letztes demokratisches Land begeistert die Todesstrafe vollstrecken und ein neurotisches Verhältnis zu Waffen haben?
Ich habe keine Ehrfurcht vor Soldaten. Ist es nicht deren Jobbeschreibung in Uniform irgendwo rumzuhängen? Was soll daran heldenhaft sein, ein paar Tage im Kapitol zu schlafen? Da erscheint mir jede Krankenschwester, jeder Sozialarbeiter, jeder der ehrenamtlich Obdachlosen hilft oder am Strand Plastikmüll einsammelt heldenhafter.
Mal abgesehen davon, daß „Held“ ohnehin kein Wort ist, das in meinen Sprachschatz passt. Ich gerate nicht in patriotische Wallungen, wenn ich US-Fahnen sehe und sehe die US-Verfassung als ein dringend zu reformierendes Stück Papier aus der Sklavenhalterzeit an.
Wieso haben die US nicht längst erkannt, daß sie grundlegend reformiert werden müssen und halten sich auch nach 250 Jahren prinzipiell für die Großartigsten?
Ich kenne das auch aus meinem wirklich linksliberalen Elternhaus. Meine Mutter liebte die USA und mein Vater war wie jeder Amerikaner so patriotisch erzogen, daß sein Land für ihn das Maß aller Dinge war.
Sie nahmen beide ganz selbstverständlich an, ich müßte mich auch für Amerika begeistern und wunderten sich sehr als ich nach der Schule gar nicht in Erwägung zog in den USA zu studieren.
Nun waren beide keine Idioten; spätestens George W. Bush trieb meiner Mutter die Begeisterung für die USA aus und mein Vater hatte da ohnehin schon beschlossen nicht mehr aus Europa nach NY zurück zu kehren.
Wieso sich in Deutschland direkt nach dem Zweiten Weltkrieg große Begeisterung für die US-Befreier, deren Lockerheit und deren Freiheiten ausbreitete, ist mehr als verständlich.
Es waren Ende der 1960er Jahre deutsche sehr Linke, die sich gegen die US-Verbrechen in Vietnam engagierten, aber deutlicher Antiamerikanismus war durch die RAF diskreditiert. Die klassischen deutschen Parteien, die Bundesregierung und erst Recht die Presse verstanden sich stets als große Freunde der USA.
Für den riesigen Springer-Pressekonzern (BILD, WELT) formulierte Axel Springer 1967 die Essentials aus fünf Punkten, in denen es heißt:
Wir zeigen unsere Solidarität in der freiheitlichen Wertegemeinschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika.
Gerhard Schröder wurde auch deswegen so extrem von einer breiten Front fast aller deutschen Medien runtergeschrieben, weil er sich nicht dieser USA-Begeisterung anschloss. Er galt als Ketzer, als er sich offen gegen die Kriegswünsche aus Washington stellte, im UN-Sicherheitsrat eine Mehrheit gegen GW Bush organisierte und eine asiatisch-europäische Allianz gegen den Irak-Feldzug formte.
Im aktuellen SPIEGEL-Doppelinterview mit Altkanzler Gerhard Schröder und dem Historiker Gregor Schöllgen passiert das, was ich schon seit Jahren erlebe. Er spricht Dinge aus, die man sonst kaum aus der höchsten politischen Ebene hört und ich könnte jeden Satz unterschreiben.
[…..] SPIEGEL: War Trump vielleicht nur ein Betriebsunfall in der US-Geschichte?
Schröder: Was seine Aggressivität angeht, ja. Und auch was seine Verachtung demokratischer Institutionen betrifft. Aber außenpolitisch steht Trump durchaus in der Kontinuität seiner Vorgänger. Die haben ihre Partner auch nicht immer so behandelt, als würden sie auf Augenhöhe stehen. Deshalb muss man damit rechnen, dass auch für Trumps Nachfolger Joe Biden erst einmal America First gelten wird.
[…..] SPIEGEL: Sie erwarten also von Biden keinen Aufbruch?
Schröder: Der Ton wird sicher konzilianter und manche Kontroverse gelöst werden. Aber das transatlantische Verhältnis, wie wir es über Jahrzehnte gekannt haben, ist Geschichte. Trump hat nur zerschlagen, was ohnehin nicht zu retten war. […..]
Ich habe nie in Amerika gelebt und hatte auch kein Bedürfnis danach. Ich bin eben durch und durch Europäer. […..] Die [Amerikaner] interessierte nicht sonderlich, was außerhalb ihres eigenen Umfelds passierte. Ich kann mich an eine Begegnung mit einem General im Pentagon erinnern. Als ich erzählte, dass ich aus Deutschland komme, fragte er mich: »East or West?« Als ob jemand aus der DDR einfach so vorbeikommen könnte. Die Bereitschaft, sich mit Europa ernsthaft zu befassen, war selbst auf dieser Ebene nicht sonderlich ausgeprägt.
SPIEGEL: Und wann waren Sie zuletzt in den USA?
Schröder: Schon länger nicht mehr. Das letzte Mal sollte ich mich in der Berliner US-Botschaft von einem Konsulatsmitarbeiter befragen lassen, was das Thema meines Vortrags sei und ob ich dafür bezahlt werde. Das seien nun einmal die Vorschriften. Ich habe gedacht: »Ihr könnt mich mal.« Stellen Sie sich vor, so würde man bei uns mit einem früheren US-Präsidenten umgehen. Die Regelung stammt übrigens nicht von Trump, sondern von seinem Vorgänger Obama. […..]
(DER SPIEGEL, 16.01.2021)
In der Tat. Obama ist natürlich eine Lichtgestalt und Sehnsuchtspräsident verglichen mit seinem Nachfolger. Aber auch er verstand die USA als den anderen Nationen grundsätzlich überlegen. Er erkannte völkerrechtliche Standards nicht an, unterstellte US-Soldaten nicht internationaler Gerichtsbarkeit, erpresste andere Nationen mit der ökonomischen Macht der US, er scherte sich nicht um das Völkerrecht, wenn er mit Drohen in souveränen Ländern Menschen ermorden ließ, er ließ befreundete Regierungschefs abhören, erließ das Folterlager Guantanamo bestehen und schaffte nicht die Todesstrafe ab.
Man stelle sich vor irgendeine andere Nation würde es wagen auf US-Boden nach Gutdünken Drohnenangriffe zu fliegen, weil ihnen gewissen US-Bürger so wenig gefallen, daß sie lieber prophylaktisch ermordet werden sollen.
Kein Land könnte sich das erlauben, was Obama für seine USA ganz selbstverständlich reklamierte.
Alles gerechtfertigt durch amerikanischen Nationalismus.
(……) Vorhin grübelte ich wie eigentlich das Antonym zu „Patriotismus“ lautet.
Ich bin nämlich so gar kein Patriot und kann für patriotische oder gar nationale Gefühle (gegenüber Deutschland ODER Amerika) einfach kein Verständnis aufbringen. Auch das Wort „Stolz“ liegt mir nicht. Insbesondere könnte ich keinen Stolz auf eine Nation empfinden, da ich Stolz immer mit einer eigenen Leistung verbinde.
Was aber ist weniger ein eigener Verdienst als der Zufall wo man geboren wurde? Wie nennt man aber nun Menschen, die keine Patrioten sind?
Im Zweifelsfall googlen. Eine Internetsuche spuckt folgende Begriffe aus:
Vaterlandsverräter, Fahnenflucht, Verrat, Unzufriedenheit, Untreue, Falschheit, Wankelmut, Unbeständigkeit, Perfidie, Nestbeschmutzer, „Jemand der sich ganz schnell verpissen sollte. Er mag sein Land nämlich nicht“, Landesverräter, Idiot, Zecke,..
Nun bin ich noch unpatriotischer, nachdem ich sehe welche Konnotationen aktiviert werden, wenn man Menschen nach dem Gegenteil von Patriotismus fragt.
Das Abstoßende am Patriotismus ist also nicht nur das penetrante Sich-mit-fremden-Federn-schmücken, sondern die mehr oder weniger latent damit einhergehende Abwertung anderer Nationen, bzw der Nicht-Patrioten im eigenen Land.
Es stimmt eben, daß die Grenzen vom Patriotismus zum Nationalismus fließend sind und Letzterer ist einer der destruktivsten Ismen, den die Menschheit hervorgebracht hat. Immer wenn die Patriotismuskarte gespielt wird, folgt etwas Ekelhaftes. (…….)
(Patriotismus – Nein Danke 06.11.2013)
Ein gewisser Lokalpatriotismus ist harmlos und amüsant.
Ein Verfassungspatriotismus, der als Gegensatz zu völkischem Nationalismus verstanden wird, ist ebenfalls wünschenswert.
In den USA wird aber jedes Maß überschritten und die US-Verfassung ist nun einmal nicht so gut, daß man überhaupt auf sie stolz sein könnte.
Die Historikerin Hedwig Müller von der Bundeswehruniversität München beschreibt in einem Essay die dramatischen Schwächen der US-Verfassung und ihren politischen Auswirkungen.
Ich rate allen Springer-Journalisten und CDU-Abgeordneten, Merkel und Merz genau nachzulesen.
[……] Kaum hatte der Präsident der Vereinigten Staaten seine Anhänger entflammt, kaum war der Mob ins Parlament gestürmt, da waren sie wieder überall zu hören, die alten amerikanischen Beschwörungen: best democracy, greatest country, die Stadt auf dem Hügel. Über alle Erschütterungen hinweg scheint dieses Fundament zu halten. Alle, Joe Biden, Lindsey Graham, intellektuelle Vordenker und das Fußvolk, Linke und Rechte hatten die Formeln parat. Aus der Geschichtswissenschaft kam der Hinweis, der Sturm des Parlaments sei etwas vollkommen Fremdes, wie aus fernen Ländern. [……] Es gibt viele Gründe für die amerikanische Katastrophe. In historischer Perspektive drängt sich einer auf: die unfassbare Hybris, die nationale Selbstvergötterung. [……]
Der nachhaltigste Schaden der nationalen Hybris aber liegt wohl in der Unfähigkeit zu Reformen. Eine Nation, die im Glauben lebt, die größte Demokratie zu sein - woher soll sie die Kraft zur Veränderung nehmen? Die amerikanische Reformunfähigkeit beginnt mit der Verfassung, für deren Lobpreis offenbar kein Wort zu barock und keine Phrase zu abgeschmackt ist. Doch die Verfassung ist ein Relikt aus der Sklavenhaltergesellschaft. Nicht nur im Fall des amerikanischen Bürgerkriegs hat sie bei ihrer Hauptaufgabe, der Sicherung des inneren Friedens, versagt. Sie ist in einem Ausmaß dysfunktional, das für Verfassungen moderner Demokratien tatsächlich einmalig sein dürfte.
Und immer und immer wieder hat sie die Schwachen im Stich gelassen. Die Stürmung des Kapitols war alles andere als "unamerikanisch". Vielmehr ist die US-Geschichte von Anfang bis heute davon geprägt, dass Gewalt über das Recht den Sieg davonträgt. Lynching gab es noch nach dem Zweiten Weltkrieg, Oligarchen spielen mit der Politik und der vielfach strukturelle Rassismus ist eine Geißel des Landes. Unter dem letzten republikanischen Präsidenten führte Amerika offiziell wieder die Folter ein. [……]