In
Amerika ist wählen einfach. Mehrheitswahlrecht. Eine Stimme. De facto immer nur
zwei Parteien.
Man muß
also nur zwischen zwei Gomulken entscheiden, welchen man weniger abstoßend
findet und fertig. Der Entscheidungsprozess ist allerdings im frühen 21.
Jahrhundert fast Makulatur.
Die
geisteskranken GOPer haben sich derart radikalisiert, sind dermaßen der Realität
entrückt, daß ich gegenwärtig jedem Amerikaner in jedem denkbaren Wahlkreis
guten Gewissens empfehle:
„Demokraten
ankreuzen und schnell weg.“
In
Deutschland ist alles viel komplizierter, weil Parteien eine viel stärkere
Bedeutung haben, die 5%-Hürde existiert, weil das Verhältniswahlrecht mehr
Parteien generiert und somit Koalitionen erzwingt.
Hier ist
Taktik gefragt, denn die wahren Kräfteverhältnisse sind gelegentlich anders,
als sie auf den ersten Blick wirken.
Der
oberflächliche Blick auf die politische Landschaft zwischen Flensburg und
Bodensee zeigt eine übermächtige und unschlagbare Kanzlerin, die gleichzeitig
Parteichefin ist. Die zweitstärkste Partei schafft es trotz
Regierungsbeteiligung nicht die 20%-Hürde deutlich hinter sich zu lassen,
während die CDU locker über 40% kommt.
Betrachtet
man die parteipolitische Situation genauer, zeigt sich, daß Merkels
antipolitische Dominanz zwar gute zehn Jahre die Macht sicherte, dabei aber die
CDU langfristig komplett auslaugen ließ. Die Merkel-CDU ist eine Partei ohne Unterleib.
Personell gibt es keine Alternativen und dementsprechend bröckeln Länder und
Kommunen weg.
Der
Zeitgeist spricht gegen die CDU. Die CDU kann nicht Stadt, sie kann nicht Internet
und sie kann nicht locker.
Heute
wählt man nicht nur aus Überzeugung, sondern auch aus der Erwartung heraus, wer
gewinnt. Man will nicht zu den Verlierern gehören und macht sich von Spins
abhängig.
Seit
einiger Zeit habe ich täglich Gelegenheit mit einer sehr gebildeten Dame zu
sprechen, die zwar liberal ist, aber schon seit 1949 die SPD leidenschaftlich
hasst.
Sie
wählt immer CDU – bis auf einige Bundestagswahlen, als sie taktisch bedingt der
FDP ihre Zweitstimme gab.
Die
Hamburger Bürgerschaftswahl in sechs Tagen bereitet ihr Kopfzerbrechen, weil
sie sicher ist, daß Olaf Scholz alles falsch macht und an Allem Schuld ist.
Wenn ich
sie dezent darauf hinweise, daß er nun wirklich nichts für die Elphie-Planung
könne, beendet sie brüsk das Gespräch: Komm, lass uns nicht darüber sprechen;
ich will mich nicht aufregen.
Früher
hätte sie wie immer CDU gewählt und am Wahlabend das Beste gehofft.
Nun aber
sieht sie die Umfragen und kommt ins Grübeln. Scholz, den sie hasst, gelingt so furchtbar viel, daß er nahe der absoluten Mehrheit
demoskopiert wird.
Die CDU
liegt hingegen bei klar unter 20%. Herr Wersich wird also NICHT Bürgermeister werden;
im Gegenteil – durch Scholz‘ Selbstbewußtsein dürfte eine „GroKo“
ausgeschlossen sein, eine Stimme an die CDU ist verschenkt.
Was also
tun, wenn man nicht SPD will?
Auf Rot-Gelb hoffen?
Auf Rot-Gelb hoffen?
Das tun
offenbar einige Wähler des rechten Lagers, die nun aus Verzweiflung zur FDP
wechseln.
Meistertaktiker
Scholz weiß um die Gefahr und schlägt Pflöcke ein
[….]
Katja Suding (FDP) buhlt seit Wochen mit
allen Mitteln um die Gunst der Genossen – doch Bürgermeister Olaf Scholz (SPD)
zeigt ihr die kalte Schulter, begräbt die FDP-Träume von einer rot-gelben
Koalition. Angesprochen auf eine sozial-liberale Koalition sagte er der „BamS“:
„Das kann ich mir nicht vorstellen.“
Ein Dämpfer für die
FDP, die gestern ihren wundersamen Aufstieg in den Umfragen feierte. [….] [Scholz] hatte nicht nur gesagt, dass er sich Rot-Gelb nicht vorstellen kann,
und wiederholt, die Grünen zu fragen – er betonte auch: „Und ich halte ein, was
ich vor Wahlen verspreche.“ Aus dieser Nummer kommt er so leicht nicht raus.
Was also
tun, wenn man rechts ist und keinen SPDler als Bürgermeister sehen will?
Man
sieht sich die Zahlen an und überlegt was einigermaßen realistisch als
Wahlausgang kommen kann.
Rechnerisch
möglich sind SPD pur oder Zweierkoalitionen der SPD mit den Linken, Grünen, der
CDU, der FDP oder der AfD.
Linke
und AfD scheiden natürlich aus, da Scholz mitten in der Mitte sitzen will.
CDU und
FDP schließt der Bürgermeister und SPD-Landeschef mit seinem kraftvollen
Machtwort aus. Und Scholzens Glaubwürdigkeit ist sein höchstes Gut. Die letzten
vier Jahre hat er haargenau das getan, was er vorher versprochen hatte.
Es
dürfte bei ihm also keinerlei Wackeln geben.
Demnach
bleibt nur Rot-Grün.
Das ist
für mich eine Horrorvorstellung, weil die Hamburger Grünen der unangenehmste
Landesverband sind – zusammen mit den Saarländern und Hessen. Absolut
unwählbar.
Aber
Scholz zielt nicht auf Wähler wie mich (wenn ich denn wählen DÜRFTE). Denn ich
finde die Hamburger SPD gut und würde sie ohnehin wählen.
Scholz
zielt auf Konservative wie meine CDU-Freundin, die ihn hasst.
Sie mag
zwar die SPD nicht, aber noch schlimmer findet sie natürlich die Grünen, die
alle in Strickpullis rumlaufen, sich nicht benehmen können und mutwillig die
Wirtschaft mit ihrem Ökofirlefanz zerstören.
Für
stramm Konservative ist Rot-Grün noch schlimmer als Rot pur.
Und so
werden SPD-Hasser mit Hirn dazu gezwungen SPD zu wählen.
Wer aus
xenophoben Überlegungen die rechte AfD wählt, bringt damit Rot-Grün ins Amt –
also die einzige Konstellation, die noch ausländerfreundlicher als SPD pur
wäre.
Das sind
die Freuden des Verhältniswahlrechts.
[….]
Angesichts von 18 Prozent für die
Hamburger CDU fragten sich diese Woche sogar Sozialdemokraten: Womit hat
Dietrich Wersich das verdient? Er ist der Mann, der die CDU nach dem Scheitern
von Schwarz-Grün wieder aufrichten sollte. Und dabei immerhin eine bessere
Figur gemacht hat als der glücklose Christoph Ahlhaus. Die CDU verliert
bundesweit seit Jahren in Großstädten. In Hamburg verhindern ein extrem
wirtschaftsfreundlicher Kurs der SPD und ein starker Bürgermeister den Erfolg.
Die SPD ist hier bis weit ins bürgerliche Lager hinein wählbar, die CDU wird
kaum gebraucht. CDU-Wähler mögen denken: Wählen wir SPD, verhindern wir
wenigstens Rot-Grün. Trotz zurzeit 46
Prozent würde sie die absolute Mehrheit verlieren. Auf Koalitionsgespräche mit
den Grünen freut sich in der SPD höchstens Olaf Scholz, der verhandelt gern
hart und erfolgreich. Siehe Neuordnung der Elbphilharmonie und Große Koalition
in Berlin. Ungemütliche Vorstellung für die Grünen. Die SPD wird nicht so
leicht zu haben sein wie einst die CDU vor der schwarz-grünen Koalition.
Kleine Parteien
entscheidend
Doch ob Rot-Grün oder
SPD-Alleinregierung - das hängt vom Abschneiden der beiden kleinen Parteien FDP
und AfD ab. Beide stehen in der jüngsten Umfrage von infratest dimap bei 5,5
Prozent - sollte nur eine von beiden scheitern, reicht der SPD für eine
absolute Mehrheit ihr Ergebnis von 2011 - und das waren 48,4 Prozent.
Andrerseits: Erfolge von AfD und/oder FDP führen fast sicher zu Rot-Grün. Auch
wenn die AfD auf ihren Wahlplakaten das Gegenteil behauptet. [….]