Freitag, 21. September 2018

Kinder aus Brunnen holen


Ach, die arme Malu Dreyer eben im Tagesthemen-Interview mit Caren Miosga.
Sie musste das nicht zu Verteidigende verteidigen:
Wie konnte ihrer Pfälzer Landfrau Nahles entgehen, daß sie mit der Maaßen-Mauschelei das letzte bißchen Vertrauen in die SPD zerstört?
Tapfer zählte die Mainzer Ministerpräsidentin mehrfach das wenige auf, das man sagen kann:
Nahles zeige Größe, indem sie ihren Fehler einsehe und nun die Kehrtwende im Fall Maaßen einleite. Außerdem habe sie nur versucht die Groko zu retten, weil man doch so viel Gutes für die Menschen tue: Gute Kita Gesetz, sozialer Wohnungsbau, Rente absichern.


Die wichtigste Botschaft der SPD-Spitze ist heute aber ein kräftiger Whataboutism! Nahles habe ja gar nicht allein entschieden, sondern auch Merkel und Seehofer. Alle drei hätten sich gleichermaßen geirrt. Mimimi, wieso bekommt nur die SPD den Shitstorm ab?


Das ist so ein Tag, an dem ich doppelt glücklich bin keine Parteifunktionen zu haben.
Muss das unangenehm sein Gesicht dafür hinzuhalten, wenn der Vorgesetzte mal wieder total versagt hat.

Dreyer macht das so gut es eben geht.
Blickt man nicht durch die SPD-Parteibrille stellt sich der Sachverhalt aber ein bißchen anders dar:

1.)
Nahles hat natürlich nicht aus Einsicht oder Weisheit den Brief an Merkel und Seehofer mit der Bitte um Neuverhandlungen geschrieben, sondern weil sie innerparteilich so unfassbar unter Druck geriet, daß sonst andere diesen Brief geschrieben hätten und sich auf die Suche nach einem neuen Parteivorsitzenden gemacht hätten.


2.)
Das für die SPD so sagenhaft desaströse Ergebnis kam nicht in erster Linie durch Seehofers Bockigkeit und Nahles‘ staatsbürgerliches Verantwortungsgefühl zu Stande, sondern weil sich die die SPD-Chefin so unsäglich dumm anstellte.

[…..] Und Du, Andrea? Ängstlich schaust Du auf die Umfrageergebnisse, siehst mit Schaudern, wie die Prozente schwinden. Weil Ihr fürchtet, dass die Sozialdemokratie bei Neuwahlen in der Bedeutungslosigkeit versinken könnte, macht Ihr jetzt alles mit. Ihr habt im Sommer dem unsäglichen Theater Seehofers schweigend zugesehen, als er darauf bestand, dass er Flüchtlinge an der Grenze zurückweisen wird, egal was Merkel sagt. Ihr habt seinen Rücktritt vom Rücktritt schweigend hingenommen. Und nun lasst Ihr Euch aus Angst vor einem Koalitionsbruch erneut von dieser Flitzpiepe über den Tisch ziehen: Maaßen wird als Verfassungsschutzchef zwar entlassen, aber zum Dank für sein Verhalten zum Staatssekretär befördert. Unfassbar. 
Als ich das hörte, dachte ich im ersten Moment das, was wohl alle dachten: Das ist ein Witz. Das macht doch die SPD nicht mit. Aber dann habe ich mich besonnen: Doch, macht sie. Die macht ja jetzt alles mit … Ich schäme mich für Euch: Ihr habt kein Rückgrat. Ihr seid schwach. Ihr seid peinlich. Ihr schadet der SPD, Ihr schadet der Demokratie, Ihr schadet Deutschland. Ein Trauerspiel ist das. [….]


Genau das, was eine nicht in die Kabinettsdisziplin eingebundene SPD-Chefin tun sollte, nämlich parteitaktisch agieren, beherrscht Nahles augenscheinlich nicht.
Statt die Groko so zu beeinflussen, daß die SPD gut aussieht, tölpelt sie ihre Genossen immer mehr in den demoskopischen Abgrund.
Seehofer wollte Maaßen unbedingt behalten, Nahles Job war es ihm entgegenzutreten. Das schaffte sie nicht und verhielt sich nicht nur zukunftsblind, sondern taktisch dumm. Dabei wäre es gar nicht so schwer gewesen Merkel den Schwarzen Peter zuzuschieben.


[…..] Liebe Andrea, Dein Kredit bei mir ist aufgebraucht. Ich erwarte von meiner SPD-Chefin Verhandlungsgeschick und nicht ein derart dummes und plumpes Auftreten, wie Du es an den Tag legst – es vor allem im Zusammenhang mit Maaßen an den Tag gelegt hast. Es hat ja ganz markig und nach Haltung geklungen, als Du morgens verkündet hast: „Maaßen muss gehen und Maaßen wird gehen.“ Aber in Wahrheit hättest Du was Dümmeres nicht sagen können. Denn von dem Moment an hatte Dich Seehofer in der Tasche. Er wusste: Mit weniger als Maaßens Entlassung konntest Du nicht wieder vor die Öffentlichkeit treten. Da hat er Dir einfach die Bedingung diktiert.
Das Ergebnis ist: Du bist als Tiger ins Kanzleramt gesprungen und als Bettvorleger gelandet. Seehofer hat Dich kalt lächelnd ausgetrickst. Mannomann. [….]

"Ich hätte mir gewünscht, dass das gemeinsam in den Gremien der SPD beraten und dass das nicht einsam an der Spitze entschieden wird."

[…..] „Nahles hätte beim Treffen im Kanzleramt nach Seehofers Vorschlag aufstehen müssen: Vielen Dank, liebe Leute, das muss ich erstmal mit meiner Partei beraten“, sagt ein mit solchen Verhandlungen vertrauter SPD-Mann. „Dann hätte sie sich vor dem Kanzleramt vor die Kameras stellen und den Seehofer-Vorschlag einfach öffentlich machen müssen. Dann hätte sich aller Unmut über Seehofer entladen und die Idee der Beförderung wäre tot gewesen.“ So verwandelte Nahles einen erwarteten Sieg, den Rauswurf Maaßens, in eine schwere Niederlage für die SPD. […..]

3.)
Nahles ist uneinsichtige Wiederholungstäterin.
Immer wieder verzapft sie einen Groß-Unsinn ohne die Folgen zu bedenken, setzt sich dann fröhlich in die Pfalz ab und schaltet das Telefon aus.
Den ganzen Dienstag verbrachte sie zu Hause in  Weiler in der Vordereifel, wo sie auch jeden Sonntag in die Kirche geht und mit ihrer siebenjährigen Tochter betet – und war nicht zu erreichen. Sollte doch Klingbeil mit der Presse sprechen.

Liebe Frau Nahles, nichts gegen Ihr Familienleben, aber als Bundestagsfraktionsvorsitzende einer Regierungspartei und als Bundesparteivorsitzende kann man eben nicht den größten Unsinn verzapfen (Schulz wird Außenminister, Maaßen wird Staatssekretär, SPD-Staatssekretär Adler wird geopfert) und sich anschließend in der tiefsten katholischen Provinz die Decke über den Kopf ziehen.

Natürlich kann und darf man Fehler machen.

Natürlich ist es billiger Populismus, wenn die christliche Kollegin Kathrin Göring-Kirchentag im AfD-Ton twittert: "Wie wäre es mal mit Regieren?"
Das ist eine ganz miese Nummer, denn das fördert die Staatsverdrossenheit und ist ungerecht. Alle sechs SPD-Minister regieren und sind sogar ausgesprochen fleißig.

Natürlich stimmt es immer noch, daß angesichts der parlamentarischen Kräfteverhältnisse und der stabilen AfD-Rekordzahlen in allen Umfragen die Groko immer noch das kleinste Übel ist, daß man sie also retten sollte.


Man kann aber die Groko nicht retten, wenn die eigene Parteivorsitzende die SPD kontinuierlich schwächt.
Nahles passiert nicht ab und an „auch mal ein Fehler“, sondern sie macht nur Fehler.
Sie hat das SPD-Kind nun so viele Kilometer tief in den Brunnen geschubst, daß auch ein neuer Maaßen-Gipfel kaum noch helfen wird.

Wenn Andrea Nahles ihrer Partei wirklich helfen will, sollte sie unbedingt ihre SPD-Ämter abgeben, sich auf ihr kirchliches Engagement konzentrieren und zu Hause in Weiler beten bis Gott persönlich vom Himmel runtersteigt, um ihr mehr Grips einzupflanzen.