Die Floskeln, mit denen sich alte Leute über die jüngeren wundern, verwende ich immer gern mit einem ironischen Ton. Wohlwissend, daß sich meine Elterngeneration mit ähnlichen Worten über meine Altersgenossen wunderte, so wie sich meine Großelterngeneration über meine Elterngeneration echauffierte.
Die heutige Jugend!
Früher war alles besser!
Nicht einen Funken
Respekt!
Das hätte es früher nicht gegeben!
In Deinem Alter habe ich schon…
Solche Klagen sind nicht nur ironisch, weil sie immer wiederkehren, sondern weil Kinder natürlich Produkte ihrer Eltern sind.
Der erschreckende Mangel an Umgangsformen, den ich an Teens beobachte – Danke/bitte sagen, Tür aufhalten, Anklopfen, etc – resultiert zweifellos in dem mangelnden Vorbild der vorherigen Generation.
Andererseits liegt es auch an der jeweiligen Jugendgeneration die von den Eltern vorgelebten Normen der Höflichkeit zu hinterfragen und möglicherweise abzuschaffen oder umzukehren. Die nach dem Zweiten Weltkrieg Geborenen brachen 1968 mit dem Schweigen ihrer Eltern zum Holocaust, stellten Militarismus und Obrigkeitshörigkeit in Frage.
Eine Generation später, als ich ein Teenager war, begannen wir Frauen ganz selbstverständlich als für alle Berufe tauglich anzusehen, enttabuisierten Schwulsein und stellten uns gegen Atomrüstung, Umweltzerstörung und Kernkraftwerke.
Anschließend kam die Generation Golf, die aus mir unverständlichen Gründen wieder unpolitisch wurde, danach trachtete möglichst eine Banklehre zu machen und ein Leben im eigenen Reihenhaus erstrebte. Das waren Typen, die schon als Twens gerne Urlaub auf Kreuzfahrtschiffen machen, statt zu interrailen oder zu trampen.
Wer um die Jahrtausendwende geboren wurde, wuchs als erste Generation digital auf.
Ich meine, dies ist im Gegensatz zu allen vorherigen und ganz natürlichen Generationenunterschieden, die größte Zäsur. Mit dem Klugtelefon in der Hand groß zu werden, stellt einen fundamentalen Unterschied zur Vor-Generation dar. So groß waren die Unterschiede zwischen meiner Eltern- und Großeltern-Generation nicht.
Die ständige Verfügbarkeit aller Informationen bringt eine ungeheuerliche Vereinfachung und Erweiterung des Horizonts mit sich. Anderseits üben Twitter, TikTok und Co offenbar einen derartigen psychischen Druck aus, daß kaum ein Jugendlicher ohne Antidepressiva und Therapie auskommt.
(….) Hätte man einen Menschen der 1950er, 1960er oder 1970er für 20 Jahre ins Koma gelegt, würde ihm beim ersten anschließenden Spaziergang jeweils eine sehr veränderte Mode auffallen. Aber die Menschen auf der Straße verhielten sich nicht grundsätzlich anders als 20 Jahre zuvor. Sie unterhalten sich, sitzen in Cafés, füttern Tauben, lesen in der S-Bahn ein Buch
Wie ich schon mehrfach schrieb gefallen mir a posteriori die 1980er Jahre am besten, weil sie so divers waren.
(….) In meiner Jugend war es ein großer Fauxpas Frisuren von Mitschülern nachzumachen und die gleichen Moonboots zu tragen.
„Wenn all von einer Klippe springen, tust du das dann etwa auch?“
Individualität war gefragt.
In der Abi-Zeitung gab es Bilder von Individuen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Mods, Popper, Punks, Ökos, Langhaarige, Grufties, Edel-Punks, Goths, Müslis und auch die zwei, drei Anzugsträger aus der JU.
Heute sind die Abi-Zeitungen meiner ehemaligen Schule online. Sie haben sich alle hübsch zusammen zu einem Gruppenfoto vor der Aula aufgestellt. (Schon das wäre vor 30 Jahren unmöglich gewesen, weil sich die meisten so einem Massenbild verweigert hätten).
Der nivellierende Effekt der sozialen Medien ist sagenhaft: Alle Mädchen tragen die gleiche Jennifer Aniston-Frisur und alle Jungs tragen streng einheitlichen Dreitage-Bart und Anzug.
Die Jugend wurde sanft gehirngewaschen und vermutlich ohne es selbst zu bemerken optisch in eine Lemming-Armee verwandelt. (….)
(Pimmel-Problematik 10.02.2019)
Die männlichen Twens der Gegenwart sehen hingegen alle gleich aus. Und alle eint der Wahn rund um die Uhr am Klugtelefon kleben zu müssen. (….)
Die Klage über „die Jugend“ ist a priori nicht objektiv, weil es natürlich keine homogene Jugend gibt und ist schon gar nicht fundiert, wenn man nicht dazu gehört.
Meine subjektiven Eindrücke decken sich aber sehr stark mit denen meiner Altersgenossen. Wir sind fassungslos über die Unselbstständigkeit heutiger Jugendlicher und staunen wie hilflos sie trotz all ihrer Technik durchs Leben stolpern.
Natürlich tragen sie auch daran nicht selbst die Schuld, sondern haben das ihren overprotective Helicopter-Eltern zu verdanken, die sie noch im Studentenalter jeden Morgen zur Uni fahren, ihnen die Wäsche waschen, die Zimmer aufräumen, ihnen Obdach geben und für sie Bausparverträge und Versicherungen abschließen.
Metaphorisch steht dafür das Fahrrad.
Während meine Generation im Grundschulalter irgendein altes gebrauchtes Rad in die Hand gedrückt bekam und dann zusehen konnte wie es zur Schule kam, fährt Muttern heute nicht nur in zehn Meter Abstand mit ihrem Panzer-SUV-hinterher, sondern das Rad kostet 2.500 Euro, ist vollgestopft mit Sensoren und Reflektoren. Das Kind trägt Knieschützer, einen ergonomischen Helm und wie ich gerade hörte, ist es in Hamburger Schulen sogar üblich eine polizeiliche Fahrradschulung zu bekommen. Dafür gibt es extra Fahrradpolizeieskorten, die die kleinen Racker die dreihundert Meter vom heimischen Gartentor bis zum Klassenraum begleiten, um ihnen genau zu zeigen, wo man klingeln, anhalten und sich umgucken muss. Verrückterweise gewöhnt man sich schon so an das Bild radfahrender Kinder, die vorher erst dutzende spezielle Ausrüstungsgegenstände anlegen müssen, daß man empört ist, wenn man ausnahmsweise irgendwo noch ein Kind ohne Helm in die Pedale treten sieht und dessen Eltern für unverantwortlich hält.
Wie konnten nur die Generationen zuvor ihre Kindheit überleben, die ohne Radwege, Polizeischulung und ergonomische Helme stattfand?
Das Fahrrad wurde von einem simplen Fortbewegungsgegenstand zu einer Ideologie mit milliardenschwerer Zubehörindustrie.
Ich versuche mich gar nicht erst in die Teenager von heute hineinzudenken. Inzwischen bin ich fast zwei Generationen von ihnen entfernt und verstehe nicht, wie es sich anfühlt in einer Welt zu leben; voller todbringender Gefahren (allein leben, Fahrrad) und dramatischer Abhängigkeit von Personal, das einem die Wäsche hinterher trägt, kocht und das Bad putzt.
Ich verstehe nicht wie es dazu kommen konnte.
Ich verstehe insbesondere nicht, wie diese asoziale, kriegerische, sich klimatisch drastische verändernde Welt mit Pandemie, bröckelnder Demokratie, 70 Millionen Flüchtlingen und sich überall erhebendem Rechtspopulismus dazu kommen konnte, daß Teenager in Deutschland nicht nur desinteressiert an Politik sind, sondern auch noch mit deutlicher Mehrheit wünschen, Angela Merkel bliebe weiterhin Kanzlerin. Eine repräsentative Fischerappelt-Umfrage unter 16-19 Jährigen ergab, daß unfassbare 82% Merkel gut finden. Sie ist beliebteste Politikerin bei den Teens. Auf Platz Zwei folgt Markus Söder![…..] Diese Generation ist mit Kanzlerin Angela Merkel groß geworden. Dem Ende dieser Ära sehen viele Jugendlichen nun skeptisch entgegen. Auf die Frage, wie sie zum anstehenden Führungswechsel stehen, antworteten rund 40 Prozent »Finde ich eher schlecht« oder »Finde ich schlecht«. Nur 21 Prozent können dem Abgang Merkels etwas Positives abgewinnen. [….]
Sie haben solche Angst vor Veränderungen, daß sie sich wünschen, die konservative CDU-Frau, die 16 Jahre Klimapolitik und Digitalisierung verschlief, dafür die Industrielobby pamperte und die Ehe für alle bekämpfte, dürfe keinesfalls abtreten.
Das ist in der Tat ein drastischer Unterschied zu vorherigen Generationen. Oh wie sehr wünschten wir und neue politische Führungen herbei!
Zwischen Nachrüstungs-Demo, Anti-AKW-Aktionen und Engagement gegen die drohende Volkszählung von 1987 (Orwell läßt grüßen) diskutierten wir unablässig über die parteipolitische Lage, waren elektrisiert von den neu entstandenen Grünen und redeten uns die Köpfe darüber heiß mit welchen Kandidaten man endlich Helmut Kohl aus dem Kanzleramt werfen könnte.
Die schlimmsten Datenbefürchtungen, die ich in den 1980ern bezüglicher der 1987 anstehenden Volkszählung hatte, multipliziert mit 1.000 sind heute das, was jeder Teen ohnehin gern und freiwillig über sich preisgibt.
Die Grünen sind etablierte, disziplinierte Status-Quo-Bewahrer, die sich an die Seite der CDU wünschen. Die „Jugend von heute“ interessiert das alles aber so wenig, daß sie noch nicht mal die Namen der Toppolitiker kennen.
[….] Mehr als die Hälfte der Jugendlichen gab an, weder Robert Habeck noch Annalena Baerbock zu kennen, oder »keine Ahnung« zu haben, wer die Grünen in die Bundestagswahl führen sollte. Bei den Jugendlichen, die mit der grünen Spitze vertraut sind, liegen beide gleichauf, jeweils zehn Prozent würden sich Baerbock oder Habeck im Kanzleramt wünschen. Aber: Auch hier wollten immerhin 25 Prozent der Befragten weder Baerbock noch Habeck. Auch bei der Bewertung einzelner Politikerinnen und Politiker zeigt sich, wie präsent Angela Merkel in der jüngeren Generation ist. Sie ist nicht nur mit Abstand die bekannteste unter den abgefragten Repräsentanten, sondern auch die beliebteste. 82 Prozent der Jugendlichen gaben an, Angela Merkel »okay« oder »gut« zu finden. Auf Platz zwei folgt der bayerische CSU-Ministerpräsident Markus Söder: Ihn finden immerhin 44 Prozent gut, 32 Prozent kennen ihn nicht. [….]
Die Heute Show zeigte vorgestern wie Jugendliche auf TikTok Markus-Söder-Fan-Videos verbreiten.
No Hope For The Human Race.