In Kanada, Israel, Indien und Deutschland läuft die Sendung „Big
Brother“, bei der ein Dutzend Bewohner komplett von der Außenwelt isoliert für
Monate in ein Haus gesperrt werden. Das wäre normalerweise irrelevant, bekommt
aber einen leicht spannenden Twist, weil sie unwissend zu den weltweit wenigen
Corona-sicheren und Corona-Unwissenden gehören.
Ein schöner Plot für die Pilotfolge einer Endzeitserie: 12
gesunde junge Menschen werden plötzlich in die Zombiapokalypse entlassen.
Inzwischen wurden die vier Häuser aber über die dramatische Situation draußen in der Welt aufgeklärt
und überall gab es die gleichen Reaktionen: Stumpfes stoisches Starren
als die Zahlen und Maßnahmen verkündet wurden. Es sind schließlich nicht gerade die hellsten Köpfe,
die sich für so eine primitive Form der TV-Unterhaltung bewerben. Merkliches
Raunen und Staunen brach erst in dem Moment los, als ihnen verkündet wurde, daß
auch die Fußball-EM abgesagt wurde.
Faszinierend. Es geht um Millionen Infizierte, Zehntausende
Tote, dramatische Situationen in Pflegeheimen und Krankenhäusern, um den
kompletten sozialen und ökonomischen Lockdown, aber all das vermag die Covid-jungfräulichen Hirnchen gar nicht zu
erreichen. Erst abgesagte Sportevents sind genügend primitive
Brocken, um die Vorstellungskraft zu erfüllen.
Immerhin in Kanada brach man den Unsinn gerade ab. Alle
Teilnehmer gehen nach Hause. Die 100.000 Dollar Preisgeld werden einer
Corona-Hilfsorganisation gespendet.
Wer nicht gerade zufällig im BigBrother-Container hockt
assoziiert hingegen schon so viel mit dem Begriff „social distancing“, daß es
zu den Ohren herauskommt.
Noch bis Ostern? Wird
das schön, wenn endlich alles wieder normal ist.
Politiker planen bereits Strategien das öffentliche Leben
wieder hochzufahren.
Trump wollte die Kirchen zu Ostern gerammelt voll mit
Menschen packen. Erst als ihn sämtliche Berater in die Mangel nahmen und ihm
drastische Szenarien mit Hunderttausenden oder gar Millionen toten Amerikanern
einhämmerten, ließ er von dem Wahnsinn ab.
Aber auch die Majorität der Menschen, die nicht ganz so
verblödet wie Trump sind, klammern sich weitgehend an dem Gedanken fest, daß es
bald, möglichst bald, alles vorbei sein wird. Wie von Zauberhand wären dann
alle wieder gesund, die Leute gehen wieder zur Arbeit und auf wundersame Weise
boomt die Weltwirtschaft dann umso mehr. Sie hat ja was nachzuholen.
Big-Brother-Vanessa spricht in die Kamera, es sei „krass“
die schlimmste Pandemie ihres Lebens ausgerechnet im Big Brother-Haus zu
erleben.
„Es wird wahrscheinlich die größte Epidemie sein, die in
unserem Leben stattfindet, ne? Das ist schon krass, daß es
genau dann in diesen drei Monaten passiert, in denen man einmal nicht da ist!“
Woher nimmt das Genie die Erkenntnis, daß es keine Pandemien
mehr geben wird in ihrem Leben? Wieso glauben aber auch alle anderen Menschen,
das Schlimmste bald hinter sich zu haben?
[…..] Die nächste Pandemie kann uns jeden Tag treffen. Und sie würde auch auf
die derzeit grassierende natürlich keine Rücksicht nehmen. […..] Man hat mal ausgerechnet, dass ein Mensch
innerhalb von 36 Stunden an jedem beliebigen Ort der Welt sein kann - damit
sind nicht nur die Großstädte gemeint, sondern auch irgendein völlig
verschlafenes Nest in einem Urwald. Wir sind also so eng miteinander vernetzt,
was die Ausbreitungsgeschwindigkeit einer solchen Pandemie natürlich noch
deutlich steigert.[……]
Vielleicht ist die nächste Pandemie noch viel heimtückischer.
Längere symptomfreie Inkubationszeit? Vielleicht sterben nicht 1% der Infizierten
sondern 80%.
Dr. Mai Thi Nguyen-Kim, 32, Chemikerin, Gewinnerin des Grimme
Online Award in der Kategorie Wissen und Bildung sowie Publikumspreis des
Grimme Online Award (2018), Trägerin des Georg von Holtzbrinck Preises für
Wissenschaftsjournalismus, Journalistin des Jahres 2018 in der Kategorie
Wissenschaft und Gewinnerin des Hanns-Joachim-Friedrichs-Preises klärt darüber auf wie lange wir mutmaßlich
noch unter strengen social-distancing-Maßnahmen leben müssen.
300 Tage?
600 Tage?
Wer glaubt daran, daß sich nach so langer Zeit die
Weltwirtschaft ganz plötzlich erholen könnte?
Wie soll das funktionieren, wenn möglicherweise eine Million
Betriebe insolvent sind, die Arbeitslosenzahl achtstellig ist und das gesamte
Gesundheitssystem am Boden liegt?
Nach zwei Wochen planen Landwirte 80% des Spargels
und der Erdbeeren unterzupflügen, weil bereits das Erntehelfer-System
zusammengebrochen ist.
Jena führte schon vor Tagen eine allgemeine
Atemschutzmaskenpflicht ein, während schon vor dem Pandemie-Peek die
Schutzbekleidung in Krankenhäusern knapp wird und privat überhaupt keine
Infektionsmittel und Schutzmasken oder Handschuhe zu bekommen sind.
Vielleicht bricht alles zusammen und wir erleben gerade das
Ende der Zivilisation wie wir sie kennen.
Vielleicht ist es nun, mit 75 Jahren Verspätung doch soweit
die Vision des Ehepaars Helmut und Loki Schmidt am Ende des zweiten Weltkrieges
zu reaktivieren: Deutschland wird weiterleben, ja, aber es wird eine sehr
primitive und trostlose Troglodyten-Gesellschaft sein, in der man in Erdhöhlen
haust und nur durch Kannibalismus überlebt.
Das Coronaische Ende der Zivilisation wird vermutlich nicht
wie in Hollywoodschen Endzeit-Versionen mit einem großen Knall kommen. Keine
Meteore, Außerirdische, Zombiviren oder Tsunamis, die in Stunden oder Tagen die
Umwelt in eine postapokalyptische Mad-Max-Kulisse verwandeln.
Vielmehr werden wir in der trügerischen Hoffnung auch eine
medizinische Bedrohung zu beherrschen selbst die Gesellschaft und Wirtschaft
runterfahren.
Es war zwar nicht als dauerhafte Maßnahme geplant und es mag
auch kleinere Aufschwünge geben. Aber vielleicht kommt die globalisierte Form
des Homo Sapiens nie wieder richtig auf die Beine. Die Superreichen und Mächtigen
werden sich der Solidaritätspflicht völlig entziehen, wenn die Gesellschaften
so schwach werden, daß sich der Staat nicht mehr durchsetzen kann. Schon jetzt
leben Millionäre und Milliardäre hinter hohen Mauern, beschäftigen bewaffnete
Security-Leute. Reiche Russen kaufen Beatmungsgeräte vom Weltmarkt und richten
sich in ihre Megavillen für jedes Familienmitglied einen Intensivmedizinplatz
ein, der anderen fehlt.
Die Lufthansa hat ihre A380-Flotte eingemottet. Die
Kreuzfahrtschiffe liegen auf Reede, es gibt keine Staus mehr, weil nur noch
wenige Menschen ihrer Arbeit nachgehen.
Vielleicht wird man über meine Generation einst sagen, sie
habe mit der Gnade der frühen Geburt gelebt.
Aufgewachsen in einer Zeit, in der es bloß bergauf ging.
Frei von social media-pressure pubertiert, Studium mit der Aussicht viel Geld
zu verdienen und dauerhaft abgesichert zu sein. Ende des Ostwest-Konfliktes,
für jedermann erschwingliche Fernreisen.
Für die ab 2010 Geborenen wird das Leben womöglich eher ein
kontinuierlicher Ressourcenkampf sein. Ein ewiges rationieren und schrumpfen.
Man wird sich begnügen müssen, gewaltige
Nahrungsmittelauswahl aus den Erzählungen der Großeltern kennen und ganz
selbstverständlich bereits bei milden Erkrankungen eingeschläfert werden, weil
ein öffentliches für alle erschwingliches Gesundheitsnetz nicht mehr existiert.
Vielleicht komme ich als Angehöriger der 50+Generation genau
jetzt, ohne es zu bemerken an die Grenze meiner materiellen und technischen
Entwicklung.
In zwei Jahren werden aufgrund des ökonomischen
Minimalbetriebes neue Notebooks nur noch an die absolut Bedürftigen verteilt.
Wer auf mehr als 30 Quadratmetern lebt, bekommt automatisch weitere Bewohner
einquartiert, um damit die knappen Wasser- und Energiereserven zu schonen.
Betablocker und Antidepressiva nur noch für Menschen mit
systemkritischen Fähigkeiten. Kleidung muss man wieder selbst nähen und wer
Proteine essen will, muss versuchen einen Aal aus einem Alsterfleet zu angeln.
Vielleicht haben wir den Zenit unsers Lebens bereits ohne es
zu wissen überschritten.
Nun wird es dunkel.