Montag, 25. Mai 2015

Wer stehen bleibt, verliert.



Die CDU verlor die Bundestagswahl von 1998 auch deswegen so haushoch, weil ihr als Alleinstellungsmerkmal die Ewig-Gestrigkeit geblieben war.
Merkel war von 1990-1998 Ministerin der mit Pauken und Trompeten untergehenden Kohlregierung. Ihre Sogwirkung an der Urne war nach immerhin acht Jahren in der ersten Reihe der Bundespolitik also noch nicht mal ansatzweise entwickelt.
Nach 16 Jahren CDU-Dauerregierung hatte der Wähler ein tiefgehendes Gefühl von „da bewegt sich gar nichts mehr.“
Seit langer Zeit hatten die Beharrer der CDU-Zentrale alle Entwicklungen verschlafen. Es gab einen Unions-Habitus, der allen nur noch peinlich war.
53 Jahre nach Ende des Krieges wollte Kohl immer noch nicht die Oder-Neiße-Grenze anerkennen, verbrüderte man sich mit den reaktionären Vertriebenen, agitierte gegen Gesamtschulen und KITAs, erging sich in abfälligen Bemerkungen und Schwule, wollte Sozialisten nicht die Hand geben und strahlte aus jedem Knopfloch das Gesellschaftsbild der 1950er Jahre aus.

Daß Merkel offensichtlich die parteitaktischen Fehler ihrer Bundesministerzeit genau analysierte und daraus den Schluß zog sich möglichst nie mehr auf etwas festzulegen, bevor nicht sonnenklar ist was die Mehrheit des Urnenpöbels gern hätte, ist hinreichend bekannt.
Das inzwischen berühmte Merkel-Wabern, das konsequente Drücken vor jeder Entscheidung wird allgemein als genial erachtet, weil sie durch die asymmetrische Demobilisierung beim potentiell verängstigten Bundesbürger als unschlagbar gilt.
Das stimmt aber nur teilweise.
Denn diese Strategie der totalen Phlegmatisierung des Urnenpöbels führt zu einer gefährlichen Entpolitisierung der Gesellschaft. Es interessiert sich keiner mehr, die Wahlbeteiligung sinkt unter 50% und umso einfacher haben es Radikalinskis in die Parlamente zu drängen, um dort letztendlich auch Merkels Mehrheitsfähigkeit zu gefährden.
Zudem wirkt Merkels Einschläferungs-Taktik nur bundespolitisch, da der deutsche Urnenpöbel sich vor allen Entwicklungen in der Welt fürchtet und hofft mit einer möglichst trägen Bundesregierung dagegenzuwirken.
Da es auf Landes- und Kommunalebene aber nicht um Krieg und Katastrophen geht, die durch bräsiges Wegducken vermeintlich vermieden werden, fruchtet die Strategie der CDU-Chefin auch nicht mehr. Es gibt so gut wie keine CDU-regierte Großstadt mehr und die Grünen sitzen in mehr Landesregierungen als Merkels Leute.
Ein Desaster.

Merkel ist meines Erachtens machttaktisch richtig beraten die alten CDU-Zöpfe alle abzuschneiden: Hauptschule, Wehrpflicht, Abtreibungsverbot, kein Geld für Südeuropa, Widerstand gegen den Mindestlohn, Staatsbürgerschaftsrecht, Atomenergie.
Alles Loserthemen auf die Dauer. Alles Themen, bei denen die SPD am Ende doch Recht behalten wird.
Und für Merkel ist es ungefährlich den Kurs der CDU umzuschwenken, da CDU-Parteidelegierte grundsätzlich rückgratlose Gestalten sind. In der CDU werden IMMER alle Anträge des Vorstands devot abgenickt. Niemals würden obrigkeitsaffine CDUler wie die Sozen in Mannheim 1995 aus einer Laune heraus den Vorsitzenden austauschen.

Aber ein bißchen aufpassen muß sie schon. Die Strategie, die Wähler wie Champignons zu behandeln (im Dunkeln lassen und mit Scheiße füttern), funktioniert aber nur unter den Voraussetzungen, daß die mit Scheiße Gefütterten Merkel nämlich vertrauen und annehmen die grundsätzliche Richtung stimme.

Beide Stützen wackeln aber.
Nach den diversen Umdrehungen der Geheimdienstaffären, weiß nun ganz Deutschland, daß nicht nur Merkels selbst, sondern auch ihre Kanzleramtsminister lügen. Vorsätzlich und offenbar seit Jahren. Das Lügen hat Methode bei Merkel.
Man glaubt ihr nicht mehr so recht; man erwartet quer durch alle Parteien, daß sie eben nicht das Fehlverhalten des BNDs und der Aufsicht im Kanzleramt aufklären wird.
Damit ist noch nicht das Wählervertrauen in sie grundsätzlich erschüttert, weil sich einfach zu wenig Menschen für Geheimdienste interessieren. Aber es gibt immerhin erste Löcher in ihrer Anti-Skandal-Teflonbeschichtung.

Ob die grundsätzliche Richtung stimmt, fragen sich aber auch immer mehr Menschen.
Die Europapolitik ist ihnen unheimlich. Sie verstehen zwar offensichtlich überhaupt nicht wie sehr Deutschland von der Euro-Krise profitiert und wissen auch nicht wo die Milliarden landen, die Deutschland zur Bankenunterstützung ausgibt, aber sie befürchten, daß Merkel es auch nicht immer so genau weiß.

Zudem ist Merkels Instinkt-Kompass defekt. Wieder ist es so wie 1998, daß die CDU als ewig-gestrige Partei dasteht, die sich als einzige noch tumb gegen gesellschaftlichen Fortschritt sperrt.
Stichwort „Homo-Ehe“.
Was für ein lächerlicher Krampf, daß die Bundesregierung immer und immer wieder angestoßen vom Bundesverfassungsgericht einzelne Paragraphen gelichgeschlechtlich-freundlich umformulieren muß.
Seit Jahren geht dieses unwürdige Schauspiel so. Dabei könnte man sich das ganze Theater sparen und mit einem Halbsatz die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare öffnen und sich einen unendlichen Schwanz von Sonderregelungen sparen.
Merkel sperrt sich gegen das Unausweichliche. Es wird ohnehin so kommen; die CDU muß – WIE IMMER BEI GESELLSCHAFTLICHEN THEMEN – irgendwann ihren Widerstand aufgeben. Es fragt sich nur wie peinlich es für sie wird.
Sie ist bereits zu spät dran.
Selbst streng christliche Länder wie Spanien, Irland und die USA sind längst an uns vorbei gezogen.

Die Zustimmung zur Ehe von Homosexuellen hat in den USA einen neuen Höchststand erreicht. 61 Prozent der US-Bürger befürworten das Recht gleichgeschlechtlicher Paare auf Heirat, wie aus einer am Dienstag veröffentlichten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Gallup hervorgeht. Das sei der höchste Wert seit der ersten Befragung zu dem Thema im Jahr 1996.
 „Vor 20 Jahren haben nur 27 Prozent der Amerikaner die Homoehe befürwortet, 68 Prozent lehnten sie ab“, so die Meinungsforscher. Eine Mehrheit der Befürworter sei erstmals im Jahr 2011 verzeichnet worden. Die USA gleichen bei der Heirat von Schwulen und Lesben einem Fleckerlteppich: Während 14 Bundesstaaten gleichgeschlechtliche Eheschließungen nicht anerkennen, stieg die Zahl der Staaten mit Homosexuellenehe auf zuletzt 36. [….]

Ich will das Thema inhaltlich gar nicht anfassen heute. Es geht nur um die parteitaktische Bewertung. Der Zug ist längst an Deutschland vorbei gefahren. Es fragt sich nur noch, wie man den Schaden für die Parteien, die peinlich hinterherhecheln, bzw versuchen mit beleidigtem Fußaufstampfen den Zug aufzuhalten, minimiert.
Je länger sich CDU und CSU sperren, desto peinlicher.

Heiko Maas hat seinen neuen Gesetzentwurf für die „Ehe light“ schon sehr klar bewertet. Er sei ungenügend, aber mehr könne er gegen den erbitterten Widerstand von CDU und CSU nicht durchsetzen.

Das Bundeskabinett will nach SPIEGEL-ONLINE-Informationen am Mittwoch über einen Gesetzentwurf von Justizminister Heiko Maas (SPD) beraten, durch den eingetragene Lebenspartnerschaften rechtlich stärker an die Ehe herangeführt werden sollen.
"Wir werden in 23 verschiedenen Gesetzen und Verordnungen die Vorschriften für die Ehe auf Lebenspartnerschaft ausdehnen", sagte Maas SPIEGEL ONLINE. "Das ist ein weiterer Schritt auf dem Weg zur umfassenden Gleichstellung."
[…]  Das Thema bleibe "auf der gesellschaftlichen Agenda", sagte Maas. "Zur Wahrheit gehört momentan aber auch: In der Koalition mit CDU/CSU ist eine vollständige Gleichstellung leider nur schwer realisierbar." […]

Irland gibt der Union nun noch einmal einen kräftigen Tritt in den Hintern.

Die Grünen wollen nun rasch eine Abstimmung zur Homo-Ehe im Bundestag. "Wir werden einen Gesetzentwurf zur Öffnung der Ehe noch vor der Sommerpause einbringen", sagte der innenpolitische Sprecher der Grünen, Volker Beck, SPIEGEL ONLINE. "Angela Merkel muss sich fragen, ob sie dauerhaft bei dieser Frage gegen die Mehrheit der Bevölkerung, des Bundestags und des Bundesrats regieren möchte."
Auch die SPD erhöht den Druck auf die Kanzlerin. "Wir sollten nicht die rote Laterne in Europa sein", sagt der innenpolitische Sprecher der Fraktion, Burkhard Lischka. Kollege Kahrs, Chef des pragmatischen Seeheimer Kreises, sagt: "Selbst die Queen lässt verlautbaren, dass sie ein solches Gesetz gerne unterschreibt. Angela Merkel sollte sich hinter die Ohren schreiben, dass ihre Politik an dieser Stelle nur noch rückständig und peinlich ist."

Nun sehen Merkels und Seehofers Leute mit ihrem ewigen Diskriminierungsdrang noch verbitterter und verlorener aus.

Die Gesellschaft ist weiter als CDU und CSU
Die Union versteht sich als Bollwerk gegen die völlige Gleichstellung der Homosexuellen. Sie verkennt damit, wie die katholische Kirche in Irland, die Zeichen der Zeit. Die SPD kann sich freuen.
Ausgerechnet Irland, diese vor gar nicht so langer Zeit noch hartleibige Trutzburg des konservativen Katholizismus, hat sich von der Ungleichbehandlung homosexueller Paare verabschiedet. Und das nicht verdruckst, verklemmt, in kleinen Schritten. Nein, die Iren haben sich mit heiterer Gelassenheit und großer Mehrheit entschieden, dem vermeintlichen Schreckgespenst Homosexualität Adieu zu sagen. Knapp zwei Drittel aller, die sich an der Volksabstimmung beteiligten, haben sich für eine komplette Gleichstellung homosexueller Paare ausgesprochen. Das ist ein Segen für die Schwulen und Lesben - und eine Botschaft an die Konservativen in ganz Europa, auch in Deutschland.
[….] Die Unionsparteien verstehen sich - ähnlich wie die katholische Kirche in Irland - als Bollwerk gegen eine völlige Gleichstellung der Homosexuellen in Deutschland. Deshalb wird es eine solche Gleichstellung in dieser Legislaturperiode wohl auch nicht mehr geben. [….]

Gut so!
Dann weiß der Wähler was er bekommt, wenn er sein Kreuz bei Merkel macht und überlegt es sich in Zukunft vielleicht zweimal, ob er das wirklich will.