Montag, 25. September 2023

Quot erat expectandum – Teil III

Als aufmerksamer Medienbeobachter, Zeitungsleser, der kein ungewaschener Wutbürger ist, trainiert man sich die Überraschung über gewisse immer wiederkehrende Themen ab.

Rassistische Lügen der US-Republikaner, rechtsradikales Blinken der C-Parteien, sexuelle Übergriffe von katholischen Geistlichen auf Schutzbefohlene sind einfach zu häufig. Zu alltäglich, um jedes Mal wieder die Neurotransmitter in den eigenen Hirnsynapsen abzufeuern.

Andererseits sind die Taten an sich so übel und verwerflich, daß man seine Missbilligung irgendwie kanalisieren muss. Dafür hat der liebe G*tt Zynismus, Ironie und Sarkasmus erfunden. Und Memes.

Es ist notwendig, sich die Wut zu bewahren, weil die genannten Ekel-Organisation nicht nur im luftleeren Raum agieren, sondern kontinuierlich Opfer produzieren.

Die Kirche konnte und kann nur deswegen Hunderttausende Kinder und Pubertierende quälen und vergewaltigen, ohne dafür aus dem Verkehr gezogen zu werden, oder wenigstens finanziell zu bluten, weil ein breiter Gewöhnungsprozess eingesetzt hat. Die christliche Unwertegemeinschaft ist indolent gegenüber den Opfern und tolerant gegenüber den Tätern geworden.

Kinder vergewaltigen? Na und? Ist doch kein Grund, denjenigen, die das ermöglichen keine Denkmäler zu setzen und sie fürstlich zu bezahlen.

Stichwort Hengsbach-Affäre.

Da kann Ruhrbischof Overbeck, der schon vor zehn Jahren mit derartig abfälligen homophoben Sprüchen in Talkshows saß, daß er sogar den rechtsradikalen Erz-Dunkelkatholiken David Berger aus der Kirche trieb, herzlich lachen.

Wir, die gesamte Gesellschaft, jeder, der nicht aus der Kirche ausgetreten ist; jeder, der nicht jeden Tag vor einer Kirche demonstriert; jeder, der nicht jeden Tag seine Parlamentsabgeordneten mit Anfragen nach staatlichen Untersuchungen des Kirchensexsumpfes überschüttet, hat Mitschuld.

Wir sind gegenüber den von Priestern vergewaltigten Opfern genauso abgestumpft, wie gegenüber den in der Ägäis ertrinkenden Kleinkindern aus Syrien. Wir reagieren sowohl auf die Täter in Soutanen, als auch auf die FRONTEX-Pushbacks nur mit Milde.

Wenn eine Organisation, die im großen Maßstab Kinder verprügelt, psychisch quält und sexuell missbraucht, keine Lust hat, später Entschädigungen oder Schmerzengeld zu bezahlen, stört es uns nicht. Das überlassen wir achselzuckend den Tätern selbst, was sie bereit sind zu zahlen. Wir halten sie nämlich für moralische Instanzen – nachdem sie 2.000 Jahre mit einer weltweit einmaligen Kriminalgeschichte eindrucksvoll bewiesen, eben gerade nicht als Moral-Vorbild zu taugen.

[….] Eva Behring hat zweimal Geld bekommen von der katholischen Kirche, und zweimal war es für sie ein schmerzender Schlag. Einmal bekam sie 3000 Euro, später 2000 Euro. Zusammen 5000 Euro für das, was ein katholischer Pfarrer ihr als Kind angetan hat und worunter sie seither leidet. Sie ist keine Ausnahme. Viele Betroffene von Missbrauch fühlen sich durch die "Anerkennung des Leids" ein weiteres Mal verletzt und gedemütigt - durch die geringen Summen und das Verfahren selbst.

[….] Ein aus Sicht vieler Betroffener nach wie vor unbefriedigend gelöstes Thema ist aber der Umgang mit den sogenannten Anerkennungsleistungen - also freiwilligen Entschädigungszahlungen für erlittenes Leid. Der Betroffenenbeirat der Deutschen Bischofskonferenz fordert jetzt eine Weiterentwicklung des bestehenden Systems. [….] Im Jahr 2016 stellt Eva Behring den ersten Antrag auf "Anerkennung des Leids", wie es offiziell heißt. Sie füllt einen Fragebogen aus, in akkurater Handschrift schildert sie die Taten und was sie mit dem Kind und später der erwachsenen Frau gemacht haben. Sie leidet seither, wird psychisch krank, kann über Monate nicht arbeiten. [….] Die zuständige Stelle bei der Deutschen Bischofskonferenz empfiehlt die Zahlung von 3000 Euro, das Bistum überweist ihr die Summe, vom Generalvikar ihres Bistums erhält sie 2017 ein kühles, formales Schreiben. Es ist das erste Mal, dass eine Zahlung der Kirche sie trifft wie ein Schlag. 3000 Euro für lebenslanges Leid? [….] Das hat sich allerdings in diesem Juni geändert: Da verurteilte das Landgericht Köln das Erzbistum Köln zur Zahlung von 300 000 Euro an den ehemaligen Ministranten Georg Menne. [….] Allein: Eine Zivilklage ist anstrengend und kostet viel Geld, Betroffene müssen sich offenbaren, vor Gericht aussagen und sich unter Umständen langwierigen Begutachtungen unterziehen, wie jener Mann, der derzeit vor dem Landgericht Traunstein das Erzbistum München verklagt. [….]

(SZ, 24.09.2023)

So ist das eben, wenn man sich den Moralvorstellungen einer primitiven Hirtenkultur von vor 2.000 Jahren aussetzt. Da wird man diskriminiert und misshandelt.

Auf die Solidarität der Zivilgesellschaft des 21. Jahrhunderts kann man nicht bauen. Uns ist es egal. Kirchen dürfen ihre Mitglieder misshandeln. Nicht nur die Katholische Kirche; sondern alle Christen-Vereine sind mies; entziehen sich Antidiskriminierungsregeln und dem Arbeitsrecht.

[…..] Wie schwer es queeren Menschen weiterhin in einer der freien evangelischen Gemeinden gehen muss, wird klar, wenn man sich die aktuelle Diskussion in deren Dachorganisation anschaut. Am Samstag trifft sich der Bund Freier evangelischer Gemeinden (FeG) zu seiner Bundestagung und will dort eine homophobe Ausrichtung bekräftigen. Laut einem internen Entwurf zu den künftigen Leitlinien der Gemeinden, der der taz vorliegt, heißt es in einer Empfehlung der Bundesleitung: „Homosexuelle Partnerschaften finden aus biblischer Sicht keine Zustimmung.“ Weder Traugottesdienste noch Segnungen sollen möglich sein, ebenso wenig die Rolle als Gemeindeleitung oder als Pastor oder Pastorin.

Mehr noch: Homosexuellen Menschen wird empfohlen, auf Sexualität zu verzichten. So heißt es in Punkt 4 des Leitlinien-Entwurfs: „Aufgrund des biblischen Leitbildes der Ehe von Mann und Frau ergibt sich die Herausforderung, auf sexuelle Gemeinschaft mit Menschen gleichen Geschlechts zu verzichten […]. Eine zölibatäre Lebensform kann allerdings nur mit einer individuellen Bejahung gelebt werden.“  [….]

(taz, 22.09.2023)