Die heutige Landtagswahl in Bayern zeigt vor allem eins sehr
klar, nämlich wie sehr die unablässigen Vorwahlumfragen die spätere Analyse
beeinflussen.
Wären wir nicht alle jeden Tag mit neuen Erwartungsdaten
gefüttert worden, hätten nur das letzte Landtagswahlergebnis gekannt und dann das gesehen, würde der Alpenstaat
beben.
Die seit einem halben Jahrhundert allmächtige CSU bei nur
noch 37,3%, die SPD zerschmettert auf dem fünften Platz bei 9,6% hinter doppelt
so starken Grünen (17,8%), Rotwelsch-Aiwanger (11,5%) und den Nazis (10,6%).
Blick zurück auf den 28. September 2008, als die CSU
bei der Landtagswahl 43,7% bekam. Das kostete blitzschnell sowohl Ministerpräsident
Beckstein als auch Parteichef Huber den Kopf.
Heute ist Herr Söder aber bei 37% sachlich und gelassen,
richtet den Blick nach vorn.
1997 trat in Hamburg Bürgermeister Voscherau unmittelbar
nach der Veröffentlichung der 18-Uhr-Prognose zurück, weil er die 36,2% für
seine SPD als Misstrauensvotum interpretierte. So könne er nicht weitermachen.
Heute sagen Frau Kohnen und Frau Nahles bei 9 Komma Prozent,
man habe ja geschlossen gekämpft und werde nun mal analysieren.
Wer aber seit Monaten auf Umfragen starrt und diese immer
wieder für Realität hält – und den Fehler mache ich selbstverständlich auch – passt
seine Erwartungen an alles an.
So hatte ich heute die aktuelle Stärke der CSU-Fraktion –
nämlich eine satte absolute Mehrheit, 101 von 180 Sitzen – gar nicht auf der
Rechnung, sondern den erfreulichen CSU-Trend, der deutlich unter 35% lag. Zuletzt
waren 32,Komma-Werte vom SPIEGEL und der Augsburger Allgemeinen durch CIVEY
verbreitet worden. ARD und ZDF jubelten die Grünen auf 19% hoch.
Da spinnt man ganz automatisch den Trend weiter in die
Richtung, die man gern hätte.
Um 17.59 Uhr saß ich jubelbereit mit Herzklopfen vor der
Glotze, ausnahmsweise mal optimistisch und hoffte auf eine CSU, die bei 32%
läge – bei einer Fehlertoleranz von 2-3 Prozentpunkten, könnte das mit viel
Glück auch ein 29,komma-Ergebnis werden, bei dem Söders und Seehofers Kopf
abgeschlagen worden wären. Die Grünen könnten die 20%-Grenze knacken und eine
Regierungskoalition jenseits der CSU anführen, während eine zwar zerrupfte SPD,
immerhin FW und AfD hinter sich gelassen hätte (genau das haben nämlich
Infratest-dimap und Forschungsgruppe Wahlen letzte Woche prognostiziert).
Aber ganz so doll ist es ja nicht geworden. Im Gegenteil.
Die CSU kommt mit 37-38 Prozent sogar deutlich besser weg
als erwartet, die Grünen sind nicht ganz so stark wie gedacht.
Im Gegensatz zu den Worthülsen
der Parteigeneräle in der Berliner Runde ist das Ergebnis recht klar und
einfach zu analysieren:
1.) abschreckende Wirkung der Groko-Querelen
2.) unbeliebter Söder
3.) frische Grünen-Kandidaten
4.) langweilige, kaum
wahrnehmbare SPD-Kandidatin
5.) der xenophob-obstruktive
CSU-Kurs gegen Merkel hat genau wie vorhergesagt ihre Anhänger gespalten:
Knapp 200.000 ehemalige CSU-Wähler machten rüber zur AfD, weil sie lieber
gleich das Original wollten und weitere knapp 200.000 wechselten zu den Grünen,
weil ihnen die ausländerfeindliche Rhetorik der CSU viel zu extrem war.
6.) Trotz chaotischer,
programmloser und zerstrittener AfD kam die Partei locker über 10%, da Seehofer
ihr ununterbrochen Wahlgeschenke bereitete. Wegen Rückführungsabkommen, die drei
bis sieben Menschen pro Land betreffen, ließ er die Bundesregierung wanken und
erklärte hob den AfD-Wahlslogan „Die Migration ist die Mutter aller Probleme“
auf den Schild, zu einer Zeit als die Zuwandererzahlen so niedrig waren, wie
seit vielen Jahren nicht.
7.) Die enorme Strukturstärke
der CSU und das sehr gute Wetter halfen der CSU gerade angesichts des drohenden
Desasters die Wahlbeteiligung drastisch zu erhöhen, 200.000 ehemalige
Nichtwähler bei der CSU ihr Kreuz machen zu lassen und somit die Katastrophe
deutlich abzumildern.
8.) Sahra Wagenknechts erbärmliches Heranwanzen an die AfD
schadete ihrer Partei genauso wie der CSU. Sowas wollen linke Wähler nicht
hören. Die Linke verreckte deutlich unter der 5%-Hürde, während die Grünen den
gesamten linken Protest einsammelten.
Die wichtigsten und erstaunlichsten
Ergebnisse von heute sind die blauen Augen der C-Größen.
Markus Söder gelingt es sich als völlig
unschuldig darzustellen, ohne jemand anders allzu deutlich den Schwarzen Peter
zuzuschieben. Immer wieder betont er, erst sechs Monate im Amt zu sein, den
klaren Regierungsauftrag zu haben.
Zudem bleibt ihm erspart sich mit den
verhassten Grünen oder gar zwei Parteien an einen Tisch setzen zu müssen. Er
geht in eine bequeme Zweier-Koalition und hat den Luxus sich den
Koalitionspartner aussuchen zu könne. Damit kann er Bewerber gegeneinander
ausspielen und hat später gegenüber einer nörgelnden CSU alles, das in der Regierung
nicht rund läuft dem Koalitionspartner in die Schuhe schieben zu können.
[….] Die CSU hat eine historische Niederlage
erlitten, doch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hat in dieser
schwärzesten Stunde der Partei geradezu unverschämtes Glück. Jeder andere
müsste an seiner Stelle sofort zurücktreten. Er aber kann sich trotz
zweistelliger Verluste halten und wird eine Koalitionsregierung anführen. Mitte
November muss gemäß Bayerischer Verfassung ein Ministerpräsident gewählt
werden. Der Zeitplan ist so eng, dass für grundlegende Personal- und
Strategiedebatten kaum Zeit bleibt. Auch das dürfte Söder nützen. [….]
Die zweite „Gewinnerin“ ist Angela Merkel,
die Ende des Jahres zur CDU-Chefin wiedergewählt werden will und sich nicht
innerparteilich das Heft des Handelns aus der Hand nehmen lassen will.
Heute Morgen hieß es noch überall, sie
befände sich in einer Lose-Lose-Situation.
Würde die CSU brutal auf 29,30,31 Prozent
abgestraft, würde womöglich in der Opposition landen, würden die CSU-Bundestagsabgeordneten
und die CSU-Bundesminister Amok laufen und ihrer Flüchtlingspolitik die Schuld
in die Schuhe schieben. Sie würden dann vermutlich die Kanzlerin aus Wut
stürzen.
Was könnte ihnen ihrer Bundesregierungsbeteiligung auch sonst noch nützen, wenn sie in Bayern opponieren, weil sie zuvor als zu rückgratlos wahrgenommen wären?
Was könnte ihnen ihrer Bundesregierungsbeteiligung auch sonst noch nützen, wenn sie in Bayern opponieren, weil sie zuvor als zu rückgratlos wahrgenommen wären?
Hätte die CSU andererseits triumphiert, viel besser als
erwartet abgeschnitten, bekäme Horst Seehofer Oberwasser, würde sie im Kabinett
noch mehr piesacken und seine Obstruktions-Methode bestätigt sehen. Die Rechten
in der CDU um Spahn und Pawel Ziemiak würden viel lauter schreien und womöglich
den Angriff beim CDU-Wahlparteitag vom 6. bis 8. Dezember in Hamburg zum
Angriff blasen.
37,4% für die CSU sind aber haargenau der Mittelwert, bei
dem Merkel all die Kabale womöglich erspart bleiben.
Die CSU wird im Koalitionsausschuss nicht völlig hysterisch,
sondern eher kleinlauter werden. Über kurz oder lang wird sie aber den ausgedienten
Seehofer auswechseln, an dem dann aber die Zeit verbeigerauscht sein wird, weil
sich die CSUler nun um seinen Rivalen Söder scharen.
Ihm wird vermutlich die Macht fehlen die von ihm so sehr
gehasste Merkel mit in den Abgrund zu reißen, wenn er stürzt.
Nicht nur ein blaues Auge, sondern arg verprügelt sind Frau
Nahles, Frau Kohnen und der heute auch wieder extrem unglücklich in vagen
Sprechblasen agierende General Klingbeil.
Dieser hatte in allen Interviews ernsthaft erklärt es wäre nun
zu früh für konkrete Folgen, man müsse das Ergebnis, das ja erst ganz frisch
sei, erst analysieren. Wie erbärmlich. Als ob man das nicht hätte kommen sehen
können wie die SPD abstürzt. Platz 5 in bundesweiten Umfragen wird schon länger
vorhergesagt. Und genauso kam es heute auch in Bayern.
Darüber haben Klingbeil und Nahles vorher noch nie
nachgedacht?
Einen Satz, den ich heute in jedem zweiten Kommentar gehört
habe, der also nicht sehr originell ist, will ich hier wiederholen, weil er nun
mal richtig ist:
Frau Nahles‘ Strategie, 2018 mit dem Eintritt in die Groko durch seriöse Sacharbeit der SPD-Minister zu überzeugen und verlorenes Wählervertrauen zurück zu holen, kann man getrost als auf ganzer Linie gescheitert ansehen.
Frau Nahles‘ Strategie, 2018 mit dem Eintritt in die Groko durch seriöse Sacharbeit der SPD-Minister zu überzeugen und verlorenes Wählervertrauen zurück zu holen, kann man getrost als auf ganzer Linie gescheitert ansehen.
Dabei ist es ebenso Konsens, daß Barley, Giffey, Maas und
Scholz tatsächlich sehr gute Sacharbeit leisten. Über Maas freue ich mich jeden
Tag. Wenn ich mir einen CSU-Trampel in der Rolle vorstelle, ist das schon
allein ein Grund genug, diese Groko zu unterstützen. Sogar der unglückliche
Herr Heil setzt konsequent Verbesserungen für die Geringverdiener und Rentner
um.
Das ist ein Glück für Deutschlands Bürger, aber Pech für
Nahles. Denn wenn es an debakulierenden Minister läge könnte sie diese
austauschen.
Sie, die Außendarstellung, das WBH sind die Probleme.
Nahles hat Recht mit ihrem heutigen Statement, daß Merkels
mangelnde Führungsstärke und die daraus folgende Eskalation im CDU-CSU-Streit
heute allen Groko-Parteien geschadet habe. Großes Pech für die SPD in Mithaftung
genommen zu werden.
Aber gleichzeitig beweist Nahles auch damit wieder was sie
nicht kann und nicht versteht.
Wenn die SPD nach einem 9,6%-Ergebnis erklärt die CDU-Chefin
habe Schuld, ist das ein Fall für Comedy-Shows.
Zwei winzige Joker hat Frau Nahles noch:
Angesichts der bundesweit
prognostizierten 15% - und das könnte nach dem Tag heute noch weiter nach unten
gehen – gibt es niemand in der SPD, der ihren Job haben will. Wer würde sich
das freiwillig antun?
Am 28.10.2018 könnte Schäfer-Gümbel
in Hessen bei einer besonderen Verkettung äußerst glücklicher Umstände etwas
Ähnliches gelingen wie Söder: Nämlich nach miesen Vorzeichen anschließend als
Ministerpräsident zu regieren.
RRG ist dort, anders als in Bayern vorstellbar. Die
aktuellste Umfrage der konservativen FAZ prognostiziert 23% SPD, 18% Grüne und 8% Linke. Das wäre
eine Sitzmehrheit gegen die CDU und AfD.
Gewänne die SPD in dieser schlimmen Lage tatsächlich ein
Bundesland aus den Klauen der CDU, könnte Nahles das als Trendwende verkaufen
und der SPD mehr Macht und mehr Selbstbewußtsein einhauen.
Auch das WBH wäre gestärkt, weil man dort schon länger
Natascha Kohnens sachlichen Wahlkampfstil, der auf alle Angriffe verzichtete,
kritisiert hatte, sich in Bayern nicht sehr stark engagierte und stattdessen
auf Wiesbaden und TSG blickte.
Die folgenden Wochen wird also weiterhin das politische Mikado-Prinzip
für die Groko in Berlin gelten.
Käme es in Hessen aber zu einem ähnlichen Arschtritt wie
heute und würden die bundesweiten Umfragen weiter fallen, halte ich ein Ende
der Groko für möglich.
Dann muss Kevin Kühnert ran.
Die SPD wird dann lange in der Opposition sitzen und alle Gering-Verdiener,
armen Rentner und Grundsicherungsempfänger werden mittelfristig deutlich
schlechter dastehen, wenn eine wie auch immer geartete
AfD-FDP-CDU-CSU-Kooperation über sie entscheidet.