Dienstag, 8. Mai 2012

Heuchler in Berlin




Was triggert uns eigentlich alle so sehr am Schicksal der hungerstreikenden Julia Timoschenko?

Daß korrupte Regime der UdSSR-Nachfolgestaaten nicht zimperlich mit ihren politischen Gegnern umgehen, ist schließlich üblich.

 In Usbekistan gibt es übrigens wie in Russland einen Verfassungsparagraphen, nach dem die fünfjährige Amtszeit des Präsidenten nur einmal verlängert werden kann.
 Aber was kümmert Karimov, 74, der wegen erwiesener Korruption schon im Knast saß die Verfassung? 
Ab und an gibt es Referenden, die regelmäßig mit deutlichen 90%-Ergebnissen für Karimov enden und wenn Oppositionelle solche Ergebnisse bezweifeln, werden sie nicht wie Frau Timoschenko unter zweifelhaften Bedingungen eingesperrt, sondern gleich erschossen.

Mit den Usbeken, denen dieser Kurs nicht passt, macht Karimow kurzen Prozess.
Zuletzt ließ er im Jahr 2005 rund 600 „Aufständische“ von seinem Militär erschießen.

Die EU sprach nach dem Massaker Einreisverbote aus, kippte aber schon anderthalb Jahre später wieder um.

Der Usbekische Diktator Islom Karimow wird mit deutschen Steuergeldern verätschelt.

Kaum war Guido Westerwelle im Amt setzte die EU auf seinen Druck auch das Waffenembargo gegen Usbekistan aus:
Auf einem Gipfeltreffen in Luxemburg beschlossen die EU-Außenminister am Dienstag (27.10.2009), dieses Embargo wieder aufzuheben. Zur Begründung hieß es, die EU wolle die Verantwortlichen des Landes dazu ermutigen, weitere Schritte zur Verbesserung von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten zu unternehmen.
[…] Die Außenminister betonten dabei ihre auch weiterhin bestehende Sorge über die Lage der Menschenrechte in Usbekistan. Alle politischen Gefangenen und alle Menschenrechtler müssten auf freien Fuß gesetzt, die Meinungs- und Pressefreiheit garantiert und Kinderarbeit verboten werden. Nach Einschätzung von Menschenrechtsorganisationen hat sich jedoch die Lage der Menschenrechte in Usbekistan eher verschlechtert. Zahlreiche Menschenrechtler und Journalisten wurden in den vergangenen Jahren festgenommen.
[…]"Damit stellt die EU der usbekischen Regierung einen Freibrief für weitere Menschenrechtsverletzungen aus", erklärte die deutsche Menschenrechtlerin Barbara Lochbihler, die für die Grünen im Europaparlament sitzt. Imke Dierßen, Zentralasien-Expertin bei amnesty international, wertete die jüngste Entscheidung als "Schlag ins Gesicht der Opfer und Überlebenden". Denn noch immer gebe es in Usbekistan Folter und Übergriffe gegen Menschenrechtler. Die EU sei regelrecht "eingeknickt" und lasse "diejenigen im Stich, die sich in Usbekistan für die Einhaltung der Menschenrechte engagieren und dabei ihre Sicherheit und ihre Freiheit aufs Spiel setzen". Auch Deutschland geriet in die Kritik. Die Bundesrepublik habe ihre "Rolle als Motor der europäisch-zentralasiatischen Beziehungen" nicht genutzt, um Usbekistan dazu zu bewegen, vier Jahre nach dem Massaker in Andischan eine unabhängige internationale Untersuchung der Ereignisse zuzulassen.
(Deutsche Welle 28.10.2009)

Westerwelle und Merkel päppeln das Karimow-Regime inzwischen ganz offiziell:

110 Angehörige der Bundeswehr tun hier ihren Dienst in einer Umgebung, die zwar friedlich, aber nicht unbedingt freundlich ist. Die deutschen Soldaten werden mürrisch geduldet, was sich der örtliche Diktator Islam Karimow freilich gut bezahlen lässt. Ein Vertrag sichert seinem Regime neuerdings eine üppige Pauschale.
Ursprünglich einmal ging es um den gemeinsamen Kampf gegen den Terror. Schon seit längerer Zeit aber raunen Insider, die Usbeken verlangten für den 2002 errichteten Stützpunkt immer ungenierter Bares. Im vergangenen Jahr bezifferte die Bundesregierung die Kosten für den Stützpunkt Termes in der Antwort auf eine Anfrage der Linksfraktion auf 12,2 Millionen Euro im Jahr 2009.
[…] Neuerdings aber kassieren die Usbeken jährlich eine 'Ausgleichszahlung' in Höhe von 15,95 Millionen Euro. Im Januar wurde sie das erste Mal ans usbekische Finanzministerium überwiesen - rückwirkend für 2010.
'Das Regime von Karimow ist eines der brutalsten nicht nur in Zentralasien, sondern weltweit', beklagt die Bundestagsabgeordnete Viola von Cramon von den Grünen. 'Wenn die Bundesregierung mit solchen Zahlungen dazu beiträgt, dieses Regime zu festigen, dann ist das ein Skandal', fügt sie hinzu.
(Süddeutsche Zeitung 21.04.2011)

Die politischen Gegner, die Karimov massakriert, kennt aber keiner und sie sind auch nicht reich und mächtig. 
Also muß man sich auch nicht um sie kümmern.

Frau Timoschenko hingegen ist blond, bekannt und hat auch noch diese unglaublich einprägsame PR-Frisur, die sie weltweit erkennbar gemacht hat.
Sie soll außerdem sehr gut mit Herrn Putin können. 

Und, last but not least: Sie ist eine Oligarchin, also eine von den richtig Reichen.

Aus einfachen Verhältnissen stammend gelang es ihr und ihrem Mann frühzeitig einen Fuß in die staatliche Ölindustrie zu bekommen. Bevor sie Politikerin wurde war ihr Privatkonto auf beinahe eine Milliarde Dollar angeschwollen.

(Nein, ich bin kein Experte in östlicher Ölindustrie, aber wenn ich vorsichtig mutmaßen sollte, würde ich annehmen, daß ein derart kometenhafter Aufstieg aus dem Nichts zur Öl-Milliardärin in den Ex-Sowjetrepubliken nicht funktioniert, wenn man immer Samthandschuhe trägt, altruistisch denkt und sich streng an jedes Gesetz hält.)

Zweimal war Timoschenko Ministerpräsidentin der Ukraine. 
Vorwürfe wegen Untreue und Mauscheleien gab es reichlich und nun sitzt sie im Knast, hat einen blauen Fleck am Bauch und klagt über Bandscheibenschmerzen.

Das macht Guido und Angie ganz fickerig.
 Selten hat man sie außenpolitisch so aktiv gesehen. Sie wollen sogar irgendein Ballspiel boykottieren und schickten Deutschlands beste Ärzte aus der Berliner Charité rüber, um nach Julia zu sehen.

Die Ukraine eignet sich eben sehr gut zum Hochhalten des Menschenrechtsfähnchens. 
Es ist ein großes Land, so daß man nicht zu sehr befürchten muß als nörgelnder Goliath da zu stehen. Andererseits ist die Ukraine weder militärstrategisch (so wie Usbekistan als Brückenkopf nach Afghanistan), noch ökonomisch-strategisch (wie Russland wegen der Rohstoffe) wirklich wichtig, so daß der diplomatische Druck billig und wohlfeil ist.

Gleichzeitig mit Timoschenko hat noch ein sehr prominenter Mensch echte Probleme mit seinem nicht gerade Menschenrechts-affinen Heimatregime.

Chen Guangcheng heißt der gute Mann.  

 Er hatte es gewagt die Pekinger Ein-Kind-Politik zu kritisieren.
Der blinde 40-Jährige wurde 2005 vom Chinesischen Regime unter Hausarrest gestellt und 2006 zu vier Jahren Haft verurteilt. In der Haft wurde er nicht gut behandelt und trat in Hungerstreik. (Kommt das jemand bekannt vor?)

Inzwischen leidet er unter chronischen Darminfektionen, weil er im Knast nicht angemessen medizinisch behandelt wurde.
Frau Merkel sagt aber nichts dazu. 
Charité-Ärzteteams müssen nicht in sein Dorf Dongshigu jetten. 
Die Kanzlerin schlenderte vor zwei Wochen hingegen freundlich plaudernd mit dem chinesischen Ministerpräsident Wen Jiabao auf der Hannover Messe umher.

China kann eben machen was die Ukraine nicht darf. 
China ist unfassbar reich und der wichtigste Deutsche Handelspartner. 
Und außerdem ist Chen Guangcheng kein Oligarch, sondern arm.

Für die Christin Merkel sind Menschenrechte eben nicht universell, vielmehr sind sie äußerst  dehnbar - je nachdem wie wichtig ihr derjenige ist, der die Menschenrechte verletzt.

Im Moment ist zum Beispiel Druck auf den Iran schwer en vogue und so bemängelt man zu Recht, daß es nicht gerade freundlich ist Schwule an Baukränen aufzuhängen.

Aber was ist so eine Kritik schon wert angesichts der Tatsache, daß die Menschen im Iran noch geradezu liberal behandelt werden - verglichen mit dem Steinzeitregime nebenan in der extrem antidemoktratischen absoluten Saudi-Diktatur. 
Dort können Frauen nur von den Rechten der Perserinnen träumen. 

Stört Merkel aber gar nicht; im Gegenteil. 
Deutschland liefert 200 Panzer nach Riad, damit die Oppositionellen niedergemacht werden können. 
Der Saudische König ist eben reich und hat viel Öl.


Und dann ist da noch Israel. 

Der Staat ist zwar winzig und ökonomisch nicht ungeheuer bedeutend, aber dafür ist er politisch und historisch ein Gigant. 
Ein Gigant mit ein paarhundert illegalen Atomsprengköpfen noch dazu. 

Ich habe, im Gegensatz zu vielen anderen Linken sehr große Sympathien für Israel. Das gilt aber exklusive der ultraorthodoxen Spinner, der Siedler und der Netanjahu-Regierung. 
Insbesondere habe ich gar keine Sympathien für den extremistischen Hetzer, der zur Zeit Israelischer Außenminister ist.

Aber auch das sieht die Bundesregierung anders.

Der gute Mann ist zur Zeit gerade in Berlin.

Außenminister Avigdor Lieberman befindet sich auf Besuch in Deutschland. Am Montag nahm er an einer Feierstunde der Deutsch-Israelischen Gesellschaft anlässlich des 100. Geburtstags des Verlegers Axel Springer teil. 
Anwesend waren unter anderem Liebermans Amtskollege Guido Westerwelle, der Botschafter des Staates Israel in Deutschland, Yakov Hadas-Handelsman, der Vorsitzende der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Reinhold Robbe, die Witwe Axel Springers, Friede Springer, und der Vorstandsvorsitzende der Axel Springer AG, Mathias Döpfner.

In seiner Rede bei der Veranstaltung sagte Lieberman unter anderem: "Springer trug entscheidend zur Begründung der besonderen Beziehungen zwischen Israel und Deutschland bei und war sich dabei der vorhandenen moralischen Dilemmata, der traumatischen historischen Erinnerungen und der gemeinsamen Interessen unserer beider Nationen beim Aufbau einer besseren Zukunft voll bewusst.

Springers Geist, der es ihm möglich machte, sich der Supermacht Sowjetunion entgegenzustellen, leitete ihn auch darin, für die Entstehung, Sicherheit und den Wohlstand des jüdischen Staates einzutreten.
[…]

Während die Bundesregierung mit Lieberman und Springer kuschelt, ist natürlich keine Gelegenheit die lästigen Menschenrechte anzusprechen. 

Das Thema wird tatsächlich nur bei der LINKEn verfolgt.

„Zur Zeit befinden sich 4600 Palästinenser in Haft, davon mehr als 300 in Administrativhaft. 200 von ihnen sind Kinder. Den 456 Gefangenen aus Gaza wurden seit 2007 alle Familienbesuche untersagt. Mehr als 2000 Häftlinge sind im Hungerstreik, einige seit 70 Tagen. Es scheint allerdings, als würde die Bundesregierung diese Gelegenheit verstreichen lassen und wieder einmal mehr ihre Menschenrechtspolitik der doppelten Standards demonstrieren. Damit bleibt sie in Sachen Menschenrechte auf der internationalen Bühne unglaubwürdig.
Einige der Gefangenen im Hungerstreik befinden sich in Lebensgefahr. Trotzdem wird Ärzten der ungehinderte Zugang zu Gefangenen untersagt. DIE LINKE fordert den sofortigen ungehinderten Zugang für Ärzte für Menschenrechte zu den in Lebensgefahr schwebenden Gefangenen. Bilal Diab und Thaer Halahleh, die seit 71 Tagen im Hungerstreik sind sowie alle Häftlinge, die seit mehr als 40 Tagen im Hungerstreik sind, müssen sofort in ein öffentliches Krankenhaus eingewiesen werden. Allen Hungerstreikenden muss das Recht auf medizinische Betreuung, Rechtsbeistand und Familienbesuche gewährt werden. Desweiteren sind alle palästinensischen Administrativhäftlinge entweder sofort freizulassen oder vor ein ordentliches Gericht zu stellen.“
(Pressemitteilung der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag, 08.05.2012, Annette Groth)