Dienstag, 13. Juli 2021

Härterer Kurs

Zu den vielen politischen Eigenarten der Pandemie gehört das von Politikerin aller Parteien immer wieder aufgesagte Mantra „Es wird in Deutschland keine Impfpflicht geben!“   Offenbar will man damit die Schwurbler-Szene beruhigen und den Verschwörungstheoretikern keine neue Nahrung geben.

Ich halte das für vergebene Liebesmüh. Die Impfgegner, die man lieber Seuchenfreunde nennen sollte, sind ohnehin nicht erreichbar für vernünftige Argumentationen.

Es ist ein langer und harter Weg bis zur Herdenimmunität. Da können wir uns keine Zweifler, Faulpelze, Unentschlossenen und Tagträumer leisten.

Die Hamburger Gesundheitssenatorin Melanie Leonhard, die ich im Gegensatz zu ihrem Kollegen auf Bundesebene sehr für ihre Corona-Politik schätze, ist beim Thema „Impfpflicht“ ähnlich verdruckst und legt erstaunlichen Optimismus an den Tag.

[…..] Der Humangenetiker Wolfram Henn vom Deutschen Ethikrat fordert eine Impfpflicht für das Personal in Kitas und Schulen. Hintergrund ist die Debatte darüber, wie Infektionen bei Minderjährigen und eine Weitergabe des Virus in die Familien eingedämmt werden können. „Eine Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen sehe ich im Moment noch nicht“, sagte Leonhard. Beim Pflege- und Kitapersonal gebe es sehr gute Impfquoten von über 70 Prozent. Es könnte aber in einer Pandemie eine Situation geben, in der eine Impfpflicht wie bei Masern für bestimmte Berufe gesetzlich geregelt werde. […..]

(Mopo, 13.07.2021)

70% Geimpfte bei Priorisierungsgruppe Eins im Monat Acht der Vakzin-Verfügbarkeit, kann ich nicht als „gut“ bezeichnen, wenn wir in der Gesamtbevölkerung 85% benötigen.  In der dringlichsten Priorisierungsgruppe erwarte ich eigentlich eher eine Impfquote von annähernd 100%.

Wer als Pfleger oder Krankenschwester einen Beruf gewählt hat, bei dem man mit den vulnerabelsten Menschen dieser Gesellschaft umgeht, darf diese nicht gefährden.

Es kann auch kein Nichtschwimmer DLRG-Aufseher am Strand sein. Ein Maskenmuffel kann kein Chirurg werden. Wer Busfahrer sein will, muss einen Erste-Hilfe-Kurs machen.  Wer in Delta-Zeiten in einem Pflegeheim mit lauter bettlägerigen 90-Jährigen arbeitet und sich nicht impfen lassen will, kann das ja sein lassen, aber dann hat er sich einen anderen Job zu suchen.

Deutsche Politiker gehen, unterstützt von den frommen Ethikräten viel zu vorsichtig mit dem Volk um.

[……]  Frankreich und Griechenland führen sie ein: die Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen. In Deutschland stoßen Forderungen nach einem solchen Schritt auf Ablehnung - auch die Ethikratsvorsitzende hält dies für nicht nötig. Die Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, Alena Buyx, hält eine Corona-Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen in Deutschland für unnötig. [……] Erstens gebe es für die meisten vulnerablen - also besonders gefährdeten - Gruppen andere Möglichkeiten zum Schutz. "Und: Wir haben viel bessere Impfraten bei den unterschiedlichen Berufsgruppen als beispielsweise in Frankreich", so Buyx. "Beim Gesundheitspersonal und bei den Lehrerinnen und Lehrern haben wir wirklich super Impfraten. Deswegen glaube ich, brauchen wir das gar nicht." […..]

(Tagesschau, 13.07.2021)

Ich kann Frau Buyx‘ Argumentation nicht nachvollziehen.

Deutschland hat jetzt schon, beim Stand von gerade mal 42% vollständig Geimpften, Probleme genügend Impfwillige zu finden. Für Kinder unter 12 Jahre ist noch keine Impfzulassung in Sicht und dann ist das noch der harte Kern der Scheuchenfreunde.

Woher nimmt Buyx die Zuversicht ohne Pflicht auf 85% Impfquote zu kommen?

Allein die Überlegung Impfprivilegien einzuführen oder einen Zwang für bestimmte Berufsgruppen einzuführen, führt zu einem enormen Anstieg der Impfbereitschaft.

[……] Rekordzahlen in Frankreich Fast eine Million Impfanmeldungen nach Macrons Brandrede.  Präsident Emmanuel Macron hat angekündigt, strengere Coronaregeln einzuführen. Er appellierte an die Bevölkerung, sich impfen zu lassen. Mit Erfolg: Schon am nächsten Tag buchten mehr Menschen einen Termin als je zuvor. […..]

(Spon, 13.07.2021)

Richtig so, Macron! Die Infektionszahlen steigen überall wieder an. Wir brauchen solche Maßnahmen. Die vierte Welle kommt.

Die erste Coronawelle, die von China über Italien und Österreich nach Deutschland schwappte, war extrem unheimlich, weil man so wenig über die Krankheit wußte. Nach weltweit über vier Millionen Covid19-Toten; davon 92.000 in Deutschland; haben sich unsere Sorgen als begründet erwiesen.

Umso unheimlicher ist es, daß wir nach der dritten Welle, mit all dem in der Zwischenzeit gewonnenen Wissen; aus politischer Feigheit, Opportunismus und Lockdown-Müdigkeit die gleichen Fehler immer wiederholen.

Nur weil die Intensivstationen Dank der Geimpften nicht mehr vor dem totalen Kollaps stehen, können wir nicht so tun, als habe sich das Virus auf wundersame Weise in Luft aufgelöst.

[…..] Aber es ist langsam an der Zeit zu erkennen, wie erschütternd unambitioniert diese Zielvorgabe - den totalen Kollaps des Gesundheitssystems zu verhindern - war und ist. Anstatt niedrige Inzidenzen anzustreben, weil eben jede einzelne Infektion zählt, weil jede einzelne Erkrankung zu "Long Covid" führen kann und weil wieder steigende Inzidenzen wieder Quarantäne-Unterbrechungen und damit soziale und ökonomische Schäden bedeuten werden.   Was an der Methode der Modellierung haben die noch nicht verstanden? Warum fällt es nach anderthalb Jahren der Pandemie so schwer, in Wenn-dann-Funktionen zu denken? Warum hoppeln wir ständig den Ereignissen hinterher? Am Wissen, was geschehen könnte und wie es sich verhindern oder einhegen ließe, mangelt es ja nicht. Gerade haben noch alle einmütig die Kinder und Jugendlichen gelobt für ihre Rücksichtnahme, haben sie bedauert für all das, worauf sie verzichten mussten, und nun ist schon erkennbar, dass die Schulen immer noch nicht vorbereitet sind auf den Herbst. Bei allem, was an demokratischen Zumutungen und Ausnahmen beschlossen werden konnte, soll es nicht möglich sein, zügig Luftfilter in den Schulen einzubauen? Wem wollen sie das erklären? […..]

(Carolin Emcke, 02.07.2021)

Mopo-Mann Christian Burmeister spricht sich ebenfalls ganz selbstverständlich gegen eine Impfpflicht aus, [Warum?] konstatiert, manche bräuchten noch mehr Zeit zum Nachdenken [nach anderthalb Jahren Pandemie!].

Möglicherweis ergebe sich aber ein sozialer Impfzwang, indem Geimpfte ihre ungeimpften Freunde nicht dabei haben wollten, oder Arbeitgeber keine Seuchenfreunde mehr einstellten.

[…..] Jeder hat in diesem Land die Freiheit, sich gegen das Impfen zu entscheiden. Und das ist auch gut so. Aber genauso hat die Mehrheitsgesellschaft die Freiheit, Impfverweigerer auf Distanz zu halten, wenn sie eine mögliche Gefahr darstellen.  Wer also im Herbst oder Winter feststellt, dass sein Leben ohne Impfung komplizierter und weniger abwechslungsreich geworden ist, darf sich nicht beschweren: Er oder sie hat sich freiwillig so entschieden! [….]

(Mopo Leitartikel, 13.07.2021)

Das ist aber zu simpel gestrickt. Man kann sich nicht so ohne weiteres die Seuchenfans vom Leib halten. Sie sitzen in Zügen und Bussen, arbeiten im Service oder in Krankenhäusern.

Ich kann den staatlichen Kleinmut nicht verstehen, der die „Freiheit sich nicht impfen zu lassen“ gegen das Risiko von mehr Corona-Toten und lebenslang leidenden Delta-Longcovids abwägt.

Wer allein im Homeoffice sitzt oder einen anderen Beruf ganz ohne Kontakte hat, der keinen ÖPNV benutzt und alle Einkäufe online erledigt, kann weiterhin darauf bestehen, sich nicht impfen lassen zu wollen.

Aber für alle anderen Menschen fordere ich mehr Impfhärte vom Staat.