Es ist ganz interessant, die CNN-Abendshows zu sehen, weil die im Gegensatz zu den deutschen Talkshows à la Lanz und Maischberger sehr wenig aktive Politiker einladen, sondern mehr Experten zu Wort kommen lassen. Wissenschaftler, Analysten, thinktank-Experten. Sogenannte „TV-pundits“.
Da Amerikaner generell schlecht gebildet sind und schon gar nichts über die Welt jenseits der US-Grenzen wissen, ist das durchaus lehrreich.
Ein Gedanke zum Ukraine-Krieg wird da gelegentlich ventiliert, den ich so noch gar nicht von deutschen Journalisten höre.
Hier lautet geht das Narrativ wie folgt:
Ein vor Kraft strotzender Putin will das gesamte Einflussgebiet der alten UdSSR zurück haben, hat den Westen durch seine bots und Trolls destabilisiert (Brexit, Trump, rechtsextreme Bewegungen, die nach Moskaus Pfeife tanzen) und dachte, ‚die Luschen in der EU haben eh ihr Militär verrosten lassen und sind feige; da kann ich Blitzkrieg-artig die Ukraine schnappen und die Idioten in der EU werden sich genau wie 2014 bei der Krim schon wieder abregen, weil sie mein Gas und Öl brauchen‘. Dann war Putin aber total verblüfft von der heftigen Ukrainischen Gegenwehr und unterschätze, wie die westlichen Staaten sich am Riemen reißen, schnell böse Sanktionen verhängen und die Ukraine massiv aufrüsten. Nun ist Putin ratlos, weil seine eigenen Truppen demotiviert sind und muss seine Ziele gewaltig abspecken. Gut möglich, daß die Ukraine sogar gegen Russland gewinnt.
Von CNN-Pundits höre ich aber eine leicht veränderte Variante.
Ja, Putin hätte gern die Ukraine handstreichartig und ohne viel Gegenwehr übernommen, aber Syrien diente eben nicht nur als seine Blaupause, um neue Waffen zu testen.....
[….] Syrien gilt als Putins Versuchslabor. Russlands Eintreten in den Bürgerkrieg rettete nach 2015 Machthaber Assad. Russland konnte neue Waffensysteme und Kriegsstrategien testen - auf Kosten der Zivilbevölkerung. [….]
(Daniel Hechler, ARD-Studio Kairo, 06.03.2022)
…sondern vor allem, um auszuprobieren, wie es um die Konzentrationsfähigkeit des heterogenen Westens bestimmt ist. Putin lernte bei der Krim 2014 und ab 2015 in Syrien, daß der Westen zwar erst Zeter und Mordio schreit, sich fürchterlich aufregt, aber daß die Öffentlichkeit einfach nicht in der Lage ist, bei der Sache zu bleiben.
Irgendwann haben sie keine Lust mehr auf das Thema, wenden sich anderen Dingen zu. Das zeigt auch das Beispiel Pandemie. Nach zwei Jahren ist die Luft raus, die Politik traut sich einfach nicht mehr, einen konsequenten Kurs fortzusetzen, weil die Bürger zu undiszipliniert sind und wie garstige kleine Kinder damit drohen, anderenfalls bei den nächsten Wahlen, die Regierung in die Wüste zu schicken.
Krisen, die länger andauern, sind uns wurscht, wie der Krieg unserer Golfstaatenpartner gegen den Jemen mit bereits Hunderttausenden Toten.
[….] Mehr als 370.000 Menschen wurden im Jemen-Konflikt bereits getötet, Millionen mussten flüchten. Die Vereinten Nationen stufen den Krieg und seine Folgen als schlimmste humanitäre Krise der Welt ein. [….]
370.000 Tote, für die Joachim Gauck nicht eine Sekunde überlegte, zu frieren.
Riads Bombardierungen der Zivilbevölkerung im Jemen begann aber schon 2015.
Ein weiterer Beleg für diese Sichtweise ist der Nato-Partner Türkei. Dessen Präsident Recep Tayyip Erdoğan ebenfalls gerade einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg führt und unfassbares Elend über die Zivilbevölkerung bringt.
[….] Im Schatten des Krieges in der Ukraine hat die Türkei in den letzten Wochen mit Kampfflugzeugen Angriffe auf kurdische Gebiete im Irak und in Syrien geflogen. Und türkische Truppen marschierten in den Irak ein. Ein internationaler Aufschrei blieb aus. Damit bricht die Türkei Völkerrecht, denn die UN-Charta untersagt „jede gegen die territoriale Unversehrtheit eines Staates gerichtete Anwendung von Gewalt“. Warum geht die EU mit den Völkerrechtsbrüchen von Russland und der Türkei so unterschiedlich um? Natürlich sind die Konflikte nicht eins zu eins vergleichbar. Dennoch stellt sich die Frage: Wann sprechen wir von Angriffskrieg, wann von Militäroperation? Wenn es der EU um die Einhaltung von Völkerrecht geht, warum verhält sie sich Erdogan gegenüber so zurückhaltend? Die Türkei begründet den Angriff damit, Stellungen der kurdischen Miliz YPG und der Partei PKK treffen zu wollen, um Terrorangriffe zu verhindern. Türkei und EU stufen die PKK als Terrororganisation ein. Seit Jahren beschießt die Türkei immer wieder kurdische Gebiete im Irak und in Syrien. Oft kamen dabei Zivilist:innen ums Leben. [….]
Putin hat das womöglich eingepreist. Schon jetzt beginnen die freundlichen Helfer der ukrainischen Flüchtlinge in Deutschland sich zu beklagen. Der Staat hilft ihnen nicht, wie lange sollen sie denn noch alles allein machen?
Die Energiekrise hat noch gar nicht begonnen, schon ist die deutsche Wirtschaft in heller Aufregung. Und die deutsche Regierung wackelt auch schon. Oppositions-Merz reist nach Kiew, um die eigene Regierung in Berlin zu schwächen – es sind ja schließlich Wahlen in Kiel und Düsseldorf.
Gut für Putin. In anderen NATO-Staaten sieht es nicht besser aus. Biden werden die Midterms im November lahmlegen und Frankreich wäre letztes Wochenende um ein Haar implodiert. In London regiert ein irrer Idiot, der im Regierungssitz Sexparties veranstaltet.
Jetzt guckt der deutsche Michl noch die die Ukraine-Berichterstattung an. Aber in sechs Monaten oder zwei Jahren auch noch?
Und was ist, wenn inzwischen eine neue Corona-Mutante die EU lahmlegt?
Nicht vergessen darf man auch die Klimakrise, die uns zuverlässig mit neuen Ahrtal-artigen Stories versorgen wird.
[…] dass sich neben den offenkundigen globalen Krisen – zuletzt war es Corona, jetzt ist es Putins Krieg in der Ukraine – im Hintergrund kontinuierlich mehrere ökologische Bedrohungen zuspitzen, ist bekannt. Doch man neigt dazu, das gelegentlich zu verdrängen. Wie ein Weckruf wirkten in der Ballung die Nachrichten in dieser Woche:Am Mittwoch haben die Vereinten Nationen einen neuen Bericht veröffentlicht, den »Global Land Outlook«
· zum Zustand der Böden der Welt. Darin heißt es: 20 bis 40 Prozent der globalen Landflächen sind bereits geschädigt – wissenschaftlich spricht man dabei von »Landdegradation«, das System Boden verliert seine Funktion. Konkret heißt das häufig: Wälder werden zu Steppen, Wiesen zu Wüsten.
· Am Dienstag riefen die Behörden im Süden Kaliforniens einen Wassermangelnotstand aus und ordneten zum ersten Mal überhaupt eine Beschränkung für die Wassernutzung an. Grund ist die extreme Trockenheit.
· Am Mittwoch erschien in der Zeitschrift »Nature« eine Studie zum Zustand der Reptilien auf der Welt. Ausgewertet wurden Daten aus der Roten Liste der Weltnaturschutzunion IUCN. 21 Prozent der erfassten 10.196 Reptilienarten sind demnach vom Aussterben bedroht.
· In Asien sind derzeit mehr als eine Milliarde Menschen von extremer Hitze betroffen, die Temperaturen in Indien und Pakistan erreichen teils Werte nahe der 50-Grad-Marke. Indien sei ein »Hotspot des globalen Klimawandels«, sagte Adrian Leyser vom Deutschen Wetterdienst dem SPIEGEL am Mittwoch
. Am Donnerstag veröffentlichten die University of Maryland und die Organisation Global Forest Watch eine Aufstellung zu der Waldfläche, die 2021 durch Feuer verloren ging. Die mit Abstand größte Waldfläche verbrannte im vergangenen Jahr in Russland, mehr als 53.600 Quadratkilometer – eine Fläche größer als Niedersachsen. »Russland erlebte seine schlimmste Feuersaison aller Zeiten«, sagte die Wissenschaftlerin Elizabeth Goldman der »Washington Post«.
Während die Welt gebannt auf die Ukraine blickt, meldet sich die Natur zurück, so liest sich das. […]
Das ist alles viel zu viel für die degenerierte Aufmerksamkeitsspanne eines Europäers oder Nordamerikaners.
Wenn in zwei oder vier Jahren immer noch in der Ukraine gekämpft wird, interessiert sich niemand mehr dafür. Es wird keine Brennpunkte mehr geben und sollte Putin irgendwann mit Massenvernichtungswaffen zum finalen Schlag ausholen, wird die Öffentlichkeit es achselzuckend hinnehmen.