Donnerstag, 16. Februar 2012

Masse



Es kommt immer wieder vor, daß die „Öffentliche Meinung“ weit von der „VERöffentlichten Meinung“ abweicht.
Wenn sich linke und rechte Blätter plötzlich einig sind, ist es besonders gut möglich, daß die Öffentlichkeit ihnen nicht folgt.
Als sich Lügenbaron Guttenberg um Kopf und Kragen redete, unterschied sich bei SZ und FAZ die Empörung über das unehrliche und eitle Selbstbeweihräuchern des Verteidigungsministers wenig. 
Es war die BILD, die als einziges großes Blatt aus der veröffentlichten Meinung ausscherte. 
Sie traf aber die öffentliche Meinung, die in krasser Weise nicht dem journalistischen Maintream folgte, sondern trotz der Lügenkaskaden und Salamitaktik mit überwältigender Mehrheit dem adeligen Politliebling die Treue hielt.

Noch extremer sieht es in der causa des Mauschelpräsidenten Wulff aus. 
Verzweifelt bemühen sich Politmoderatoren bei Presseclub und Co Meinungsunterschiede zwischen den Vertretern von taz, FR, WELT, FAZ und Spiegel heraus zu arbeiten. 
Es gibt aber keine. Der grauhaarig-gediegene FAZ-Mann kann  der burschikosen taz-Frau mit dem Bürstenhaarschnitt nur zustimmen: Wulff muß weg.
Hätte man Vertreter der Blogosphäre hinzu geladen, wäre das Meinungsbild auch nicht bunter geworden.
 Ich schließe mich ein, bzw an. Auch ich könnte in den unisono-Wulffrücktrittforderungs-Chor nur einstimmen.
(Aktuelle Anmerkung: Nun scheint es aber doch übel für die deutsche Nr. 1 auszusehen)

Merkels Humunculus im Bellevue mußte aber erst in die achte Woche mit täglich neuen Skandal-Enthüllungen gehen, bis die öffentliche Stimmung kippte. 
Noch immer denkt aber fast die Hälfte der deutschen Wulff könne im Amt bleiben.

Das ist das Problem mit dem Mainstream-Presse-bashing, das Politiker unter Druck immer anstimmen, um dann scheinheilig aufzusagen, die normalen Wähler und Bürger wären viel intelligenter und würden trotz Pressetrommelfeuer unabhängig urteilen: Im Zweifelsfall hat die Pressemeute eher Recht als die Masse des Volkes.

Deswegen sehe ich auch Plebsizite und Urabstimmungen sehr kritisch.
 Repräsentative Demokratie ist oft besser als direkte Demokratie.
 Natürlich sind unter den Volksvertretern, den „Repräsentanten“ viele Hongos, aber im Durchschnitt ist die Urteilskraft von Medien und Politikern doch besser als das dumpfe Gefühl des Volkes.

Das Volk ist leider blöd.
 Wir leiden an Schwarmdummheit.

Wir haben ein System geschaffen, das die Rationalität des Einzelnen mit tödlicher Präzision zur Grundlage eines kollektiven Irrsinns macht, das uns Entscheidungen treffen lässt, die innerhalb des Systems als „klug“, ja sogar „vernünftig“ erscheinen, obwohl sie in Wahrheit von atemberaubender Dummheit sind. [S. 46]

Als Beispiel für kollektive Blödheit möchte ich heute auf Brötchen verweisen.

Schon viele, viele Jahre wissen wir unter welch abscheulichen Bedingungen Fabrik-Backwaren hergestellt werden
Günter Wallraff berichtete in der ZEIT vom 01.05.2008 Nr. 19 über die Arbeiter einer Backfabrik im Hunsrück, die für Lidl Aufbackbrötchen herstellen.
Die Backfabrik Weinzheimer in Rheinland-Pfalz zahlt ihren Mitarbeitern weniger als sechs Euro netto und ermöglicht es Lidl eine Tüte mit zehn Brötchen für 1,05 Euro zu verkaufen.

Für Hygiene bleibt da keine Zeit.

Der Schimmel entsteht in der Brotfabrik keineswegs durch »ungenaues oder unsauberes Arbeiten«. Er blüht permanent – davon kann ich mich selbst überzeugen, und ich kann es auch durch Fotos belegen – an schwer zugänglichen Stellen der Anlage, rieselt er an verrotteten Eisenteilen herunter und entwickelt sich im Gärschrank. Ich selbst werde einmal mit einem älteren Kollegen dazu eingeteilt, den in den Fugen einer gekachelten Wand sitzenden Schwarzschimmel zu entfernen. Es ist eine mühselige Arbeit und eine vergebliche dazu – denn schon eine Woche später ist neuer Schimmel da. Als ich den älteren Kollegen frage, warum die Wand nicht fugenlos isoliert werde, um sie leichter und öfter zu reinigen, winkt der nur ab: »Natürlich könnte man hier vieles vorschlagen. Aber das ist unerwünscht. Ich habe einmal einen Vorschlag gemacht und danach nie wieder. Man sagte mir, ich sei zum Arbeiten hier, nicht zum Denken.«

Alle Welt beklagt sich über nicht schmeckendes Backwerk, aber trägt durch den Billigwahn ursächlich dazu bei, daß diese Billigkultur der Geschmacklosigkeit überhaupt entsteht.

Ich frage mich, wer für das »Billig-billig-billig«-System von Lidl eigentlich hauptverantwortlich ist: Mit Billiglöhnen werden Billigbrötchen zu Billigpreisen und in Billigqualität an den Verbraucher gebracht. Warum kaufen die Kunden diese Brötchen, die nicht gut schmecken? Ja, sie sind in der Tat billig, zumindest auf den ersten Blick. Pro Brötchen zahlt der Kunde 10,5 Cent. Aber er muss immer gleich zehn kaufen. Er muss sie außerdem selbst aufbacken, was Zeit und Strom kostet. Vielleicht ist es verständlich, dass ein Hartz-IV-Empfänger solche Billigbrötchen kauft. Es wäre aber sicher ähnlich günstig, statt zu den Aufbackbrötchen zu gewöhnlichem Brot vom Bäcker um die Ecke zu greifen, der noch selber backt.

Aber wer backt schon noch selbst?

Da die deutschen Lemminge brav auch das ungenießbarste Brot kaufen, wenn es nur schön billig ist, kann sich kaum ein Bäcker noch das Backen leisten.
Selbst die Filialisten, die ausdrücklich mit „frisch gebacken“, „nur natürliche Zutaten“ und „nach alter Tradition“ werben, schieben doch fast nur noch tiefgekühlte Backrohlinge ins Rohr.

Anja Reschke ging in der äußerst sehenswerten Reportage “Mythos deutsches Brot“ vom 4.10.2011 dem Thema nach.
Die Sendung wird am 10.03.2012 um 02:00 Uhr im NDR wiederholt und ist auf der „Panorama - die Reporter“-Seite verfügbar. Angucken!

Vorgebackene TK-Brötchenklumpen werden inzwischen in großem Maßstab aus China importiert.
 Die schwarmdumme Containerlogistik macht es möglich - weniger als ein Prozent Transportkosten fallen an, wenn ein Konditor aus der Uckermark einen chinesischen Fertigbrotklumpen verwendet.

Kein einzelner Mensch würde es als vernünftig ansehen ein so kurz haltbares Produkt wie ein typisches deutsches Brötchen, dessen Ausgangszutaten gleich nebenan in auf dem Feld wachsen per Monsterschiff, das tausend Tonnen Schweröl am Tag verbraucht, von der gegenüberliegenden Seite des Globus zu importieren.

Als Schwarm halten wir das für ein intelligentes Konzept und wählen die Parteien, die für diese Handelsbeziehungen mit China werben, die die deutschen Reeder mit ihren Ausflaggungen unterstützen und bei Hygienestandards und Lebensmittelkontrollen alle Augen zudrücken.

Beispiel Großbäckerei Müller in Bayern:

Nach und nach wird bekannt, mit welchen Hygieneproblemen die Großbäckerei Müller-Brot seit Jahren kämpft. Das bayerische Unternehmen hat seine Produktion gestoppt. Doch Lebensmittelkontrolleure und die Staatsanwaltschaft haben den Betrieb angeblich schon länger im Blick.
Die Öffentlichkeit erfuhr erst vor wenigen Tagen, dass das Unternehmen mit massiven Problemen zu kämpfen hat. Der Leiter des Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL), Andreas Zapf, sagte dem Bayerischen Rundfunk, man habe wiederholt Mäusekot und Speisereste von früheren Produktionen gefunden. Die Anlagen seien daraufhin gereinigt worden, später sei der Kot aber an anderen Stellen wieder aufgetaucht.
Das Landratsamt Freising habe die Staatsanwaltschaft Landshut bereits am 10. Mai 2011 auf Hygienemängel in dem Betrieb im bayerischen Neufahrn hingewiesen, sagte Oberstaatsanwalt Markus Kring.

Gegen so einen unfassbaren Siff HÄTTE die Hygiene-Ampel geholfen - aber ausgerechnet die CSU, die stets von den Bayern mit großer Mehrheit gewählt wird, stoppte dieses Instrument. CSU und die „Bundesverbraucherschutzministerin“ tun alles dafür den Normalbürger im Dunkeln tappen zu lassen und ihn weiterhin Dreck fressen zu lassen.
 Der Urnenpöbel ist auch noch dankbar und hebt derzeit die Union in Politumfragen auf Rekordhöhen.

Mäusekot, Kakerlaken und Motten - die Zustände in der Münchner Großbäckerei Müller-Brot haben die Öffentlichkeit weit über die Grenzen von Bayern hinaus empört. 'Seit 36 Jahren bin ich in der Lebensmittelüberwachung tätig, aber so etwas hätte ich niemals für möglich gehalten', sagt Martin Müller, Vorsitzender des Bundesverbands der Lebensmittelkontrolleure, der nur zufällig den gleichen Nachnamen hat wie der Bäckereigründer. Was ihn besonders ärgert: Insgesamt 21 Mal war der Betrieb seit 2009 von der zuständigen Behörde kontrolliert worden, mehrmals mussten Waren zurückgerufen werden, 69000 Euro an Buß- und Zwangsgeldern wurden verhängt - 'und der Einzige, der nichts von alledem erfuhr, war der Verbraucher'.
Bemerkenswert ist: Als die Verbraucherschutzminister der 16 Bundesländer im vergangenen Jahr darüber abstimmten, ob künftig alle Restaurants, Bäckereien, Fleischereien und Einzelhändler das Ergebnis der amtlichen Lebensmittelkontrollen veröffentlichen müssen, da gab es nur ein Land, das dagegen stimmte: Bayern. Die Idee damals war, dass jeder Betrieb die Ergebnisse der jüngsten amtlichen Kontrollen anhand eines Barometers in den Ampelfarben veröffentlichen muss. Grün sollte anzeigen, dass es keine Bedenken hinsichtlich der Hygiene gab. Rot dagegen hätte für gravierende Mängel gestanden. Der damalige Gesundheitsminister Markus Söder (CSU), in dessen Zuständigkeitsbereich die Überwachung der Lebensmittelsicherheit fiel, hielt das Modell jedoch für nicht praktikabel, alle anderen Verbraucherschutzminister befürworteten es.

Ach ja, Herr Söder ist inzwischen befördert worden. 

In der CSU fallen die Doofen immer nach oben.