Freitag, 17. März 2017

Linke Alternative


Wählen in Deutschland darf ich nicht. In Amerika wählte ich 2016 Hillary Clinton, die zwar auch mit deutlichem Vorsprung die Stimmenmehrheit gewann, aber wie wir alle wissen, wurde der mit drei Millionen Votes Unterlegene Präsident.
Als ausgesprochener Nicht-Schulz-Fan würde ich bei der Bundestagswahl am 22.09.2017 selbstverständlich mit beiden Stimmen die SPD wählen.
Dafür gibt es im Wesentlichen zwei Gründe.

Nach den gegenwärtigen Umfragen und denkbaren Koalitionsoptionen scheint mir eine SPD-Stimme mit der größten Wahrscheinlichkeit CDU und CSU aus der Regierung zu vertreiben.
Der zweite Grund ist die Parteiprogrammatik, die nach dem Ausschlussprinzip ebenfalls für die Sozis spricht.

Ich weiß, es ist außerordentlich exotisch Parteiprogramme zu lesen. Niemand tut das. 99,99% der deutschen Wähler machen ihr Kreuz ohne die Regierungsprogramme der zur Wahl stehenden Parteien gelesen zu haben.
Man entscheidet hierzulande nach Bauchgefühl und Sympathie.
Aber da ich ohnehin undeutsch bin und nach dem Willen der CDU/CSU keine deutsche Staatsbürgerschaft verdiene, kann ich auch so verrückt sein diese Programme mal anzuklicken.

Immer noch verteidige ich die Agenda-Politik im Grundsatz (was natürlich beinhaltet, daß darin viele kleine und große Ungerechtigkeiten sind, die nachgebessert oder abgeschafft, respektive ersetzt gehören.)
Da interessiert es mich schon, was der Linken nach 12 Jahren des radikalen Kampfes gegen HartzIV („Armut per Gesetz“) eingefallen ist.

Leider nicht viel, wenn ich mir das aktuelle Wahlprogramm 2017 ansehe:

Gute Arbeit und Löhne: Den gesetzlichen Mindestlohn erhöhen wir auf 12 Euro. [….]

D’Accord. Wäre vermutlich auch mit der SPD zu machen. Aber nicht mit der Union oder FDP.

Armut abschaffen, statt die Armen zu bedrängen: soziale Garantien des Lebens. Wir schaffen das Hartz IV-System ab und ersetzen es durch eine Mindestsicherung ohne Sanktionen und Kürzungsmöglichkeiten in Höhe von 1.050 Euro.

Das klingt für mich wie bedingungsloses Grundeinkommen, für diejenigen, die nicht arbeiten. Das ist unfair gegenüber den Klein- und Normalverdienern, die diese 1.050 Euro mit ihren Steuern aufbringen müssen.
Entweder es bekommt jeder dieses Grundeinkommen, oder es muß mit Bedingungen verknüpft sein, wenn es gewissermaßen exklusiv den Nichtarbeitenden zusteht.

Großer Unsinn ist, daß dadurch die Armut abgeschafft würde. Verarmung geistiger und sozialer Art treten durchaus auf bei Menschen, die genügend Geld haben. Andererseits gibt es viele Menschen mit sehr wenig finanziellen Mitteln, die sich überhaupt nicht arm fühlen.

Dazu empfehle ich den sehr lehrreichen KONTRASTE-Bericht von gestern zur Frage was eigentlich Armut ist.


Caroline Walter und Christoph Rosenthal zeigen am Beispiel Stendals wieder einmal, daß Armut eben nicht nur am Geld festzumachen ist. Die LINKE würde die hier gezeigte Armut auch nicht mit einer Verdoppelung oder Verdreifachung abschaffen. Hier sind stattdessen erhebliche Investitionen in soziale, kulturelle, und pädagogische Betreuung notwendig.
Ich mag auch nicht mehr daran glauben, daß hier besonders eklatante Einzelfälle gezeigt werden, weil ich in den letzten zehn Jahren hunderte solcher Berichte gesehen und Reportagen gelesen habe. Auch meine eigene Anschauung deckt sich mit dem Befund.

Mario Tiesis, Arche Stendal:
"Ich glaube, dass da eine Gleichgültigkeit da ist und dass sie auch Weltmeister sind, im Dinge verdrängen. Das ist einfach so. Das Geld, was ich am Monatsanfang bekomme, muss ich nicht zum Nägel machen und zum Tätowieren und für‘s Handy und für den Frisör nutzen, aber es wird getan und es ist eigentlich vielen Eltern auch bewusst, dass es Geld ist, was eigentlich auch zum Teil für ihre Kinder ist und dass sie das mit ausgeben."  [….]

Mario Tiesis hält nichts davon, den Eltern einen höheren Hartz IV Satz zu geben. Die Kinder seien arm, weil sie emotional vernachlässigt werden.

Mario Tiesis, Arche Stendal:
"Wir haben da mal einen Zettel mitgegeben für eine Kinderfreizeit kostenlos für eine Woche. Da stand dann direkt auf dem Zettel, wozu ich komme ja auch nicht raus. So ein typisches Beispiel. Wir haben Eltern, ich hab mit einem Fußballtrainer gesprochen vor zwei Tagen, der an einem Jungen dran ist, der versucht hat, den sozusagen in ein Fußballtraining zu integrieren, mit den Eltern mehrmals gesprochen hat und ähnliche Antworten gekriegt: Wozu? Es gibt oft so eine Aussage, wo man dann sagt, Mensch aus deinem Kind kann was werden, es hat da eine Chance. Und dann wozu? Dann spricht es ja nachher nicht mehr mit mir oder will mit mir nichts zu tun haben."

Daß Horden von Menschen PEGIDA und AfD nachlaufen hat nichts mit finanzieller Armut zu tun, sondern mit Verdummung.
Da sind grundsätzliche Anstrengungen des Staates in Bildung, Betreuung, Schule und Sozialämter notwendig.

Das Rentenniveau muss wieder auf 53 Prozent angehoben werden. Das bedeutet für einen durchschnittlichen Rentner oder eine durchschnittliche Rentnerin: rund 130 Euro mehr im Monat. […..]

Diese Punkt halte ich für geradezu fahrlässig falsch. Grundsätzlich am Prozentsatz des Rentenniveaus zu drehen, bedeutet, daß die Reichsten am stärksten profitieren, während die ganz Armen kaum eine Verbesserung spüren.

(…..)
Heute sind beispielsweise ausnahmslos alle Zeitungen voll des Lobes über Nahles‘ Rekord-Rentenerhöhung von fast 5% im Westen.

Daß aber Nahles grundsätzlich nur die Angestellten einzahlen lässt, während Reiche, Selbstständige, Beamte und Bundestagsabgeordnete gar nichts in die Rentenkasse zahlen, wird gar nicht mehr erwähnt, obwohl das eine so eklatante Ungerechtigkeit ist, daß Nahles selbst immer forderte die Renten aus dem Bundeshaushalt zu zahlen – aber da war sie noch nicht Ministerin.
Und was bedeutet überhaupt „5% Erhöhung“? Prozentual heißt, daß diejenigen mit der höchsten Rente auch die größten Aufschlag bekommen.

Eine arme Rentnerin mit 500 Euro im Monat bekommt dann 25 Euro mehr, ist also immer noch richtig arm, während der Luxusrentner mit 10.000 Euro Rente, der also keineswegs eine Erhöhung nötig hätte, gleich 500 Euro dazu bekommt.
Das sind 475 mehr.
Faire Sozialpolitik würde wenn sie etwas zu verteilen hat lieber Pauschalbeträge aufschlagen. 250 Euro mehr für jeden, beispielsweise. (….)

Die Linke ist hier auf demselben Holzweg wie GroKo-Nahles (vor 2013 hatte die fromme Katholikin etwas radikal anderes gefordert, als das was sie selbst als Ministerin umsetzte.)

Mehr Zeit zum Leben statt schuften bis zum Umfallen: Wir wollen die Rente ab 65 oder nach mindestens 40 Jahren Beitragsjahren. Wir wollen Arbeit so umverteilen, dass nicht mehr die einen in Stress und Überstunden untergehen und die anderen nicht so viel Arbeit finden, wie sie wollen. Kürzere Vollzeit mit guten Standards: Wir wollen ein neues Normalarbeitsverhältnis und ein Recht auf Feierabend. Und eine gerechtere Verteilung der Tätigkeiten zwischen den Geschlechtern.

Die Linke goes 1950er. Das ist doch weit an der Lebenswirklichkeit im Jahr 2017 vorbei. Starre Regelungen können nicht mehr das Mittel der Wahl sein. Stattdessen muß ein Ingenieur oder Controller, der seinen Job auch noch mit 70 oder 75 gern tun, weiterhin arbeiten können, während andere  Menschen (insbesondere in physisch sehr anstrengenden Berufen) eventuell schon mit 50 oder 45 nicht mehr können.

Wir wollen ein Programm für die Zukunft, das sich am Bedarf und den Bedürfnissen der Menschen orientiert: Wir investieren in Bildung und Gesundheit, mehr Personal in Pflege und Erziehung, in sozialen Wohnungsbau und einen sozialen und ökologischen Umbau der Wirtschaft, in Barrierefreiheit. Wir wollen die Massen­erwerbslosigkeit bekämpfen und neue Arbeitsplätze in kurzer Vollzeit schaffen.

Bitte 5 EURO ins Phrasenschwein. Solche Absichtserklärungen finden sich wortgleich bei so ziemlich jeder Partei. Wer würde nicht gern die Massenarbeitslosigkeit abschaffen und die Engpässe in der Pflege überwinden. Nur wie??

Wir finanzieren dieses Zukunftsprogramm, indem wir Reichtum begrenzen: Vermögen oberhalb einer Million Euro wollen wir besteuern, auch hohe Erbschaften.

Klingt gut, aber unkonkret.
Mit welchen Parteien gedenkt die LINKE dafür Mehrheiten im Bundesrat zu bekommen? Und wie will sie das auf internationaler Ebene implementieren?
Die richtig Reichen entziehen sich doch längst den nationalen Steuergesetzen.

Auch in der Einkommensteuer wollen wir die unteren und mittleren Einkommen entlasten, die oberen stärker belasten: Wir erhöhen den monatlichen Grundfreibetrag auf 1.050 Euro zu versteuerndes Einkommen. Der Steuerverlauf wird abgeflacht bis 53 Prozent für die Einkommen oberhalb von 70.000 Euro. […..]

Über 50% der Menschen zahlen gar keine Einkommenssteuer, weil sie unter den Freibeträgen liegen. Die haben also auch nichts von Einkommenssteuersenkungen oder Kurvenabflachungen.

Stopp von Mieterhöhungen! […..]

Das gibt erhebliche Probleme mit dem Grundgesetz und wird sehr viele Menschen, die in bescheidenen Verhältnissen leben und sich in 40 jähriger Erwerbstätigkeit eine Eigentumswohnung als Alterssicherung angeschafft haben, wenig gefallen.

Ich bin ein ausdrücklicher Anhänger von R2G und würde ein paar linke Minister in der Bundesregierung durchaus begrüßen.
Aber programmatisch haben sie kaum etwas zu bieten, das als Blaupause für ein Regierungsprogramm tauglich wäre.
Die Linken sind erstaunlich einfallslos und altbacken.

Und dabei habe ich die wirklich heiklen Punkte in der Außen- und Sicherheitspolitik noch gar nicht erwähnt.